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Der Anfang vom Ende vom braunen Dreck

Übernächtigte Augen, Schulterklopfen, Lächeln in müden Gesichtern: Die Kohlekommission hat die Eckpfeiler des Ausstiegs aus der Braunkohle vorgelegt. Und ganz sicher hat Mutti Merkel am Montagmorgen ihren Musterschüler beiseite genommen. Peter Altmaier wird ein Stein vom Herzen gefallen sein: Mutti hat ihn gelobt! Mutti …

Deutschland ist so reich

Doch zu den Fakten: Von derzeit rund 42 Gigawatt Kraftwerksleistung gehen innerhalb von drei Jahren (bis 2022) mehr als zwölf Gigawatt vom Netz. Bis 2030 bleiben nur noch 17 Gigawatt übrig – „oder weniger“, wie es im Papier heißt. Insgesamt stellt der Bund für Kompensationen und Investitionen rund 40 Milliarden Euro bereit. Das Geld sei vorhanden, jubelte Altmaier in die Kameras. Sehe ich genauso: Allein die Bundeswehr verballert und verbrennt – pro Jahr! – viel, viel mehr. So reich ist Deutschland.

Dennoch gibt es keinen Anlass für Streicheleinheiten. Im Gegenteil, was sich Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und die Apparatschiks von Bund und  Ländern verdient haben, ist ein leichter Klaps auf den Hinterkopf. Als kleine Ermunterung: Na, geht doch! Aber jetzt nicht stehen bleiben! Jetzt nicht der Illusion verfallen, nun sei die Arbeit getan!

Weniger Rückschritt als erwartet

Denn der „historische Kohlekompromiss“ ist nur ein Anfang, kann nur ein Anfang sein. Er ist ein wichtiger Fortschritt, oder besser gesagt: weniger Rückschritt als erwartet. Der Kompromiss öffnet die Möglichkeit, die Gunst der Stunde zu nutzen, endlich Nägel mit Köpfen zu machen. Es ist der erste Schritt seit vielen Jahren, der in die richtige Richtung weist: Brauner Dreck hat keine Zukunft.

Nachdem die Politik – in korrupter Liaison mit der Kohlelobby – jahrelang den Ausstieg verschleppt hat, kommt Bewegung in die Sache. Ist eine wichtige, politisch wichtige Schlacht gewonnen. Ist der erste Schritt getan, um den Ausstieg umzusetzen, sind die Vorgeplänkel vorbei. Die Richtung stimmt, immerhin.

Der Ausstieg im Detail

Wie der Ausstieg im Detail vollzogen wird, und vor allem wie die Umstellung der Stromversorgung auf erneuerbare Energien erfolgen kann, lässt der Kompromiss völlig offen. Ich denke, man darf nicht allzu große Hoffnungen in die Politiker oder in die Bosse von Energiekonzernen und Gewerkschaften setzen.

Fakt ist: Endlich ist der Ausstieg beschlossen. Und das ist ein Sieg der Vernunft, erzwungen von Millionen Menschen in diesem Land, durch viele Protestaktionen und nicht zuletzt durch die Erfolgsgeschichte von Windkraft und Photovoltaik.

Dass sich die politischen Führer der Industrienation Deutschland zum Kohleausstieg durchgerungen haben – durchringen mussten –, ist in seiner internationalen Wirkung kaum zu unterschätzen. Der „historische Kompromiss“ der Kohlekommission wird den globalen Ausstieg aus der fossilen Verstromung beschleunigen.

Die echte Nagelprobe steht noch bevor

Und er wird bei den notwendigen politischen Entscheidungen für den beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien nicht mehr zu ignorieren sein. Die echte Nagelprobe steht noch bevor: Der Deckel von 52 Gigawatt für die Photovoltaikförderung muss fallen.

Die Strafsteuer auf den Eigenverbrauch muss vom Tisch, auch für gewerbliche Anlagen und Mieterstrom. Apropos Mieterstrom: Das muss viel einfacher werden, inklusive Stromabgabe an die Nachbarn oder im Quartier. Nur um einige Hindernisse zu nennen.

Es wird schneller gehen, viel schneller

Fakt dürfte auch sein, dass der Ausstieg aus der Braunkohle schneller gehen wird als bis 2038, schneller als bis 2035. Denn wenn RWE oder Vattenfall so lange damit warten, werden sie nicht mehr existieren. Schon jetzt gelten die Energieversorger an den Börsen als Risikopapiere, werden ihre Anteile verramscht. Von Dividende redet schon lange niemand mehr, die Aktienkurse befinden sich im Sinkflug. Die Braunkohle ist schon heute kein Geschäft mehr. Ein Spiel auf Zeit wird die angeschlagenen Giganten nicht retten. Da kennt die Börse keine Gnade.

Wollen die Konzerne jemals wieder ein stabiles Geschäft entwickeln, bleibt ihnen gar nichts anderes übrig: Sie müssen – global – in Sonnenstrom und Windkraft investieren. So werden sie weiterhin Kraftwerke bauen, aber mit Windrotoren und Solarmodulen, als Hybridkraftwerke, mit Power-to-Gas und industrieller Verstromung von Wasserstoff, mit Fernwärme aus erneuerbarem Strom und Hunderttausenden Ladesäulen überall im Land.

Der Widerstand muss weitergehen

Zwangsläufig, weil es ökonomisch und ökologisch und strukturpolitisch sinnvoll ist, wird ein guter Teil der in Aussicht gestellten 40 Milliarden Euro in die erneuerbaren Energien und die Sektorenkopplung fließen. Ein anderer Strukturwandel ist weder im Rheinland noch in der Lausitz denkbar. Denn die Hoffnung, in den früheren Revieren irgendwelche Großindustrien anzusiedeln, wird sich als Schimäre erweisen: Es gibt sie schlichtweg nicht mehr, weder in der Energiebranche, noch in der Elektronik, weder in der Chemie noch im Stahl oder in der Rüstung.

Doch der „historische Kohlekompromiss“ darf uns nicht täuschen: Der Widerstand gegen Abholzungen und Dorfsterben muss weitergehen. Jeder Quadratmeter, den die Bagger schlucken, ist ein Quadratmeter zu viel. Dass die Bosse und die Gewerkschaften keine Kreide fressen, steht fest.

Es bleibt dabei: Die Energiewende müssen wir selber machen. Diese Sache ist zu wichtig, um sie Politkern und Bossen zu überlassen. Denn ein Kompromiss ist kein Konsens. Er ist nur der Anfang vom Ende der braunen Kohle.