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Die Stromnetzhelfer

Immerhin 29.000 private Batteriespeicher stehen hierzulande in Hauskellern. In der Summe ist das ein riesiger Speicher, der auch dem Stromnetz helfen kann. Wenn – und das ist eine wichtige Einschränkung – die Batterien netzdienlich betrieben werden.

Diese Fahrweise von Batterien testet das Pilotprojekt Swarm. Es macht den privaten Besitzer eines Batteriespeichers damit zu einem Vorreiter, nicht nur weil er bereits einen Lithiumakku besitzt. Sondern weil er zusätzlich dem Netz hilft. So vereinen sich endlich zwei Welten, die lange nur getrennt gedacht wurden: Batteriespeicher auf der einen Seite und das Stromnetz auf der anderen. Dass kleine Batterien zu einem Großspeicher gebündelt werden können, ändert alles.

65 Heimspeicher mit je 20 Kilowatt Leistung und 21 Kilowattstunden Kapazität dienen bei Swarm als Puffer im Netz: Sie nehmen Sonnenstrom zur Mittagszeit auf, um ihn abends wieder abzugeben. Denn gerade abends, wenn der Bedarf im Haushalt besonders groß ist, produzieren die Photovoltaikanlagen in der Regel keinen Strom mehr und der Haushalt kann sich aus dem Speicher mit eigenem Sonnenstrom bedienen.

Innerhalb von 30 Sekunden liefern

Ein weiterer wichtiger Faktor: „Die Leitwarte ist über Software mit den Speichern verbunden und formt so einen virtuellen Großspeicher, der im Prinzip wie ein konventionelles Kraftwerk gefahren wird“, erklärt Ingo Sigert, Projektleiter Swarm bei N-Ergie. So sei der Speicherverbund in der Lage, Regelleistung für die Übertragungsnetzbetreiber bereitzustellen.

Tennet hat den virtuellen Großspeicher im Sommer 2015 für ein Megawatt Primärregelleistung präqualifiziert – als ersten Speicherverbund mit kleinen Batterien. Die Anforderungen an die Primärregelleistung sind eben besonders hoch: Innerhalb von 30 Sekunden muss die abgeforderte Leistung bereitstehen. „Die Anforderungen der Übertragungsnetzbetreiber für die Steuerung der Einheiten sind hoch, aber zu bewältigen“, erklärt Sigert.

Der virtuelle Großspeicher setzt sich aus vielen vernetzten Lithiumakkus der Firma Saft Batterien zusammen, die Leistungselektronik lieferte Siemens. Jedes System verfügt über eine eigene Steuereinheit, sodass es autark auf die Netzfrequenz reagiert. Über das UMTS-Netz sind die privaten Speicher mit der Leitzentrale bei Caterva, einer Ausgründung von Siemens, verbunden. Dort werden sie als Schwarm koordiniert. An die Leitstelle der Tennet gibt sie die Daten online weiter. Die Kraftwerksleitwarte des Versorgers N-Ergie bedient den virtuellen Großspeicher rund um die Uhr, wie ein eigenes Kraftwerk.

Ein intelligentes Energiesystem

Energiespeicher sind ein zentraler Baustein für die Energiewende. Denn das Ziel der Bundesregierung bis 2050 gibt vor, mindestens 80 Prozent Ökostrom im Energiemix zu erreichen. Und das geht nur mit verschiedenen Speichern. Im Stromnetz müssen sich Angebot und Bedarf zu jeder Zeit entsprechen, damit Frequenz und Spannung im Netz stabil gehalten werden. Die Herausforderung ist, dass Strom aus Wind- und Solaranlagen fluktuiert. Beispielsweise verdecken vorbeiziehende Wolken die Sonne, und die Leistung einer oder mehrerer Anlagen bricht für das Netz kurzzeitig weg.

Hier kommen kleine oder große Batteriespeicher ins Spiel. „Sie sind extrem gut geeignet, um ein geringes Ökostromangebot kurzfristig auszugleichen, weil sie sekundenschnell reagieren“, weiß Sigert. Die Leistungselektronik ist einfach schneller als ein thermisches Kraftwerk. „Unser Projekt Swarm bringt den Nachweis, dass auch kleine Hausspeicher das Netz stützen können.“

Neue Geschäftsideen entwickeln

Noch haben so innovative Projekte wie Swarm, aber auch Hybridspeicher auf Pellworm oder Großspeicher wie in Feldheim eher Forschungscharakter. Es braucht deshalb eine staatliche Förderung. Im konkreten Fall bei N-Ergie hat das Bayerische Wirtschaftsministerium zum Beispiel 30 Prozent der Projektkosten übernommen. Die Mittel stammen aus dem Innovationsprogramm Bayinvent. Dazu gaben die Unternehmen N-Ergie und Caterva private Gelder. „Allein N-Ergie hat eine niedrige siebenstellige Summe in das Projekt investiert“, berichtet Sigert.

Der technische Nachweis, dass Heimspeicher Regelenergie liefern, ist erbracht. Das war die erste Phase dieses Pilotprojekts. Nun wertet N-Ergie zusammen mit dem Unternehmen Caterva die Ergebnisse aus und will daraus Schlüsse für ein neues Geschäftsmodell ziehen.

Bei Swarm erhöhen die Erträge aus der Vermarktung der Systemdienstleistung die Wirtschaftlichkeit eines Speichers. Der Forschungscharakter des Projekts sieht außerdem eine detaillierte wissenschaftliche Begleitung und Auswertung vor. Dazu werden Anfang 2018 verschiedene Gutachten vorliegen.

500 private Akkus am Netz

Derzeit liefern private Batteriespeicher rund drei Megawatt Leistung ans Netz. „Diese Leistung wird von rund 500 Kleinspeichern erbracht“, konkretisiert Gerald Höfer. Er ist Geschäftsführer der Main-Donau Netzgesellschaft.

Die dezentrale Erzeugung bedeutet immer mehr Veränderung. Nach der Meinung des Verteilnetzbetreibers hat durch die Speicher allerdings kein bemerkenswerter Wandel stattgefunden. „Die Regelenergie, die erbracht wird, ist eine Systemdienstleistung für den Übertragungsnetzbetreiber“, erklärt Höfer. Dieser muss die Stabilität des gesamten Stromnetzes garantieren. „Wir als Verteilnetzbetreiber garantieren nur, dass der Speicherverbund angeschlossen und verfügbar ist“, berichtet er.

Künftig sollte sich das aber ändern. Bei Swarm hat der Netzbetreiber deshalb geschaut, welche Wirkung eine netzdienliche Fahrweise der Speicher für die regionalen Verteilnetze hat. Konkrete Ergebnisse liegen derzeit noch nicht vor. Im Idealfall werde aber der Netzausbau auf der Verteilnetzebene vermieden, hofft Höfer.

Neues Energiemarktmodell fehlt

Ökostromanlagen liefern heute bereits im Verbund mit Speichern alle nötigen Systemdienstleistungen für das Netz. „Technisch und technologisch ist das machbar“, sagt Höfer, schränkt aber ein: „Die Frage, wie das künftige Energiesystem aussehen soll, muss bald beantwortet werden.“ Also ob beispielsweise ein zellularer Ansatz gewählt werde.

Auch der VDE hat dazu ein Konzept vorgelegt. Der Ansatz bedeutet, dass sich regionale Inseln selbst aussteuern und nötige Systemdienstleistungen wie Blindleistung oder auch Schwarzstartfähigkeit liefern. „Das verringert auch die Gefahr eines großflächigen Stromausfalls, da regionale Gebiete weiter funktionieren“, sagt der Netzbetreiber. Dadurch würde auch das Netz nach einem Blackout wieder aufgebaut. Hier fehlten aber die entsprechenden Rahmenbedingungen: „Es fehlt ein neues Modell fürs Energiesystem.“

Ein zellularer Ansatz

In jedem definierten Cluster gibt es Verbraucher und Erzeuger, es gibt Ökostromanlagen, BHKW und Speicher. Zudem bekommt jedes Cluster Systemaufgaben zugeordnet, sodass sich das Gebiet selbst ausregeln muss und auch nach dem Stromausfall schwarzstartfähig ist. Dafür muss jemand die virtuelle Struktur steuern und beaufsichtigen, das ist klar.

Diese neuen Rollen gilt es zu finden und zu definieren. Beim Swarm-Projekt hat die Lieferung der Regelleistung nichts mit den Anforderungen und den Gegebenheiten im regionalen Netz zu tun. „Es gilt nun, über die neuen Grundstrukturen zu diskutieren“, fordert Höfer.

Das Stromnetz entwickelt sich evolutionär. Der Markt muss sich ebenfalls verändern. „Eine Transformation des Marktdesigns wird und muss es auf alle Fälle geben, wenn wir 50 Prozent Erneuerbare und mehr ins Netz lassen“, betont Höfer und verdeutlicht: „Wir trauen uns die neue Energiewelt noch nicht zu, das verrät ein einziger Blick auf die derzeitigen Netzentwicklungspläne.“ Das bestehende Konstrukt gelte immer noch als gesetzt. „Was wir brauchen, ist eine Wende im Kopf.“

Ein wichtiges Fazit: Wie das Pilotprojekt zeigt, gibt es keinen Konflikt zwischen einer optimalen Versorgung des Haushalts mit eigenem Strom und der Bereitstellung von Regelenergie fürs Netz. „Beide Dienstleistungen funktionieren gut zusammen, auch auf der Grundlage eines einzigen physikalischen Batteriespeichers“, bestätigt Projektleiter Sigert. Alle beteiligten Haushalte steigerten den Anteil des selbst genutzten Photovoltaikstroms – wie vorgesehen.

Bis zu 80 Prozent eigener Strom

Was für den privaten Eigentümer unterm Strich übrig bleibt, ist je nach Haushalt verschieden. Das hängt einerseits vom jährlichen Verbrauch und andererseits vom Ertrag der Photovoltaikanlage ab. „Jeder Haushalt erreicht einen Grad an Selbstversorgung von mindestens 60 bis 80 Prozent“, errechnet Sigert. Damit spart der Heimspeicherbetreiber einen Großteil der privaten Stromrechnung ein.

Es ist künftig entscheidend, mehr vom Netz und dem Verhalten im Netz zu wissen – das gilt auch für niedere Spannungsebenen. Der Smart Meter ist dabei ein neues Instrument, um den Verbrauch zu erfassen.

Die Digitalisierung hilft im Netz

Aber letzten Endes ist er nur ein Zähler. Das hat noch nichts mit einem intelligenten Stromnetz zu tun. „Denn eine Leistungskappung nützt dem Netz nur etwas, wenn die Schwachstellen innerhalb des Netzes auch bekannt sind“, weiß auch Höfer.

Dafür müssen künftig verstärkt Sensoren eingebaut werden. Denn eine digitale Infrastruktur hilft dem automatisierten Betrieb in Leitstellen und Ortsnetzstationen.

Für Projekte wie Swarm oder virtuelle Kraftwerke ist das künftig Standard. Netzmanager Höfer weiß aber auch: „Das Marktdesign für optimiertes Steuern und Messen fehlt allerdings noch.“

www.swarm.bayern

VDE

Energiezellen gleichen sich aus

Der Verband VDE hat Ende 2015 ein Konzept vorgelegt, das den nötigen Stromnetzausbau deutlich verringern kann: Erzeugung und Verbrauch werden danach in kleinteiligen Energiezellen ausbalanciert. In diesen Zellen wird Energie erzeugt und direkt wieder verbraucht, ohne Einspeisung ins Netz. Ein solches Konzept, das auf einer Graswurzelidee basiert, reagiert auf die starke Fluktuation von Ökoenergiequellen und hat große Effekte auf das gesamte Energieversorgungssystem. Die Grundidee ist: Auf lokaler Ebene bilden Haushalte und Industrieunternehmen sogenannte Energiezellen, bei denen der Energiehaushalt und der Energieaustausch untereinander plan- und steuerbar sind.

Die lokalen Energiezellen werden durch Energienetze und Kommunikationssysteme vernetzt und bilden übergeordnete größere Energiezellen. Diese verfügen wiederum über spezifische Schnittstellen. Eine vollständige Energiezelle besteht aus Erzeuger, Umwandler sowie Speicher, Netzanschluss und Lasten sowie schutz- und leittechnischen Einrichtungen. Die Vorteile des Konzeptes: Der zellulare Ansatz ermöglicht eine stärkere Verbindung der Energieträger Strom, Gas und Wärme und sorgt für eine bessere Integration der dezentralen erneuerbaren Energieträger ins System.

Der VDE empfiehlt deshalb, den zellularen Ansatz in Projekten zu testen. Denn: Der Netzausbau wird umso mehr reduziert, je besser Stromangebot und -nachfrage in den Energiezellen austariert werden. Da der Ansatz durch die lokale Zuordnung einen direkten Bezug zwischen den Anwendern und der nötigen Technik herstellt, steigert er zudem die Akzeptanz.

Denn die effizienteste Lösung ist, Strom dort zu verbrauchen, wo er erzeugt wird. Und das ist auf der lokalen Versorgungsebene. Auch wirtschaftlich bietet das Konzept attraktive Perspektiven, besonders mit Blick auf neue Geschäftsmodelle und Märkte. Durch klar definierte Schnittstellen der Energiezellen kann der Betrieb der Energiezellen, aber auch die Auswahl der Technik und deren Installation durch neue Dienstleister oder auch Investoren am Markt angeboten werden. Zudem können Privatpersonen ihren Energiespeicher als Puffer vermarkten.

www.vde.com

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