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“Vorreiter sind Gewinner“

Entgegen dem damaligen Mainstream propagierten Sie schon als Berater des Bundeskanzleramtes in den 1970er Jahren die ökonomischen Chancen des Umweltschutzes und von Umweltinnovationen. Was verstehen Sie darunter?

Unter Umweltinnovation verstehe ich die Markteinführung eines Produktes mit umweltentlastender Wirkung. Es geht dabei vor allem um neue Technologien, die energieeffizient sind oder Stoffströme im Lebenszyklus von Produkten minimieren. Dazu gehören beispielsweise Recyclingverfahren, energieeffiziente und schadstoffarme Produkte oder erneuerbare Energien. Das umfasst also deutlich mehr als nur herkömmliche Umweltschutztechnik wie beispielsweise Rauchgasfilter oder Katalysatoren.

Inwieweit sehen Sie heute einen Megatrend bei Umweltinnovationen?

Das weltweite reale Nachfragewachstum der Umweltindustrie wird von Unternehmensberatern wie Roland Berger bis2020 bis auf über fünf Prozent jährlich geschätzt. Für den deutschen Umweltsektor wird bis 2030 sogar mit einem Wachstum von acht Prozent gerechnet, was einer Erhöhung des Anteils am Bruttoinlandsprodukt auf 16 Prozent entsprechen würde. Schon heute sind in der EU über 3,5 Millionen Personen in der Umweltindustrie beschäftigt, ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt liegt bei mindestens 2,7 Prozent. In Deutschland arbeiteten 2006 fast 1,8 Millionen Menschen im Umweltsektor, der Anteil am Bruttoinlandsprodukt lag schon 2005 bei rund vier Prozent. Und dabei wird dieser Sektor immer noch gewaltig unterschätzt. Allein die deutschen Investitionen in klimafreundliche Verfahren und Produkte machten 2005 fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus.

Was sind die wichtigsten Gründe für diesen Trend?

Hier spielen mehrere Faktoren mit: Hohe Energiepreise, Umweltbewusstsein und die Diskussion über Klimaschutz sowie wachsende Ressourcen- und Umweltprobleme der industriellen Gesellschaften. Umweltinnovationen sind ja eine funktionelle Voraussetzung für weiteres industrielles Wachstum. Mittlerweile ist klar, dass dieses Wachstum ohne stetige Anpassung gar nicht möglich ist. Wenn man in Deutschland 30 Jahre keinen Umweltschutz praktiziert hätte, könnte man hierzulande keine Flughäfen mehr bauen und das Rheinwasser nicht mehr nutzen, sei es für die Trinkwasserversorgung oder für die Industrie, die ja selbst auch auf sauberes Wasser angewiesen ist. Angesichts vielfach knapper Ressourcen und begrenzter Senken macht globales Industriewachstum Ökoeffizienz auf steigendem Niveau erforderlich. Das ist nur über einen anspruchsvollen Innovationsprozess möglich. Aufgrund der gestiegenen Transport-, Energie- und Materialkosten ist höhere Ressourceneffizienz mittlerweile auch meist mit Kosten- und Wettbewerbsvorteilen verbunden.

Welche Rolle spielt die Politik hierbei?

Das Besondere an Umweltinnovationen ist, dass sie meist auf aktive Politik angewiesen sind. Das gilt besonders dann, wenn der technische Fortschritt wie im Klimabereich forciert werden muss. Umweltpolitik bringt solche Innovationen mit hoher Breitenwirkung auf den Weg. Hierbei hat sich ein Mix von gesetzlicher Regulierung und Preisanreizen als besonders erfolgreich erwiesen.

Welche Beispiele können Sie hierfür nennen?

Starke internationale Signalwirkung hatte das japanische Top-Runner-Programm, das Ende der 1990er Jahre für 21 Produktgruppen Energieeffizienzstandards einführte, die sich jeweils an den Besten im Markt orientieren, und dies mit weiteren Anreizen kombiniert. Dies führte innerhalb weniger Jahre zu unerwartet starken Verbesserungen: bei Computern beispielsweise zu einer Energieeinsparung von über 90 Prozent. Einen erheblichen Innovationsschub löste auch die Politik in Deutschland zur Förderung der Wärmedämmung und Energieeinsparung bei Gebäuden aus. Gal

ten vor 15 Jahren Niedrighäuser als Vorzeigebeispiele, so wurden mittlerweile hunderte von Plus-Energie-Häusern realisiert. Das herausragendste Beispiel für eine fortschrittliche Umweltpolitik ist für mich jedoch die Förderung erneuerbarer Energien durch das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Die Effekte sind enorm: 250.000 neue Jobs innerhalb weniger Jahre und ein rapides Ansteigen der Innovationsrate. So kletterte die Zahl der jährlichen Patente bei den erneuerbaren Energien allein zwischen 1998 und 2002 von 20 auf 70. Mittlerweile hat sich ja das EEG als Steuerungsinstrument, bei dem die Mittel vom Stromkunden und nicht vom Steuerzahler aufgebracht werden, zu einem wahren Exportschlager entwickelt und Länder wie Japan und US-Bundesstaaten kopieren es.

Kritiker des EEG wie Manuel Frondel vom Rheinisch Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI), bewerten dies allerdings ganz anders. Sie kritisieren

eine angebliche Übersubventionierung vor allem von Solarstrom, den die Stromkunden teuer bezahlen müssten und sprechen von einem Milliardengrab, das die Kohlesubventionen weit übertreffe…

Das EEG ist ja gerade keine Dauersubvention, das wäre in der Tat nicht zielführend. Die Degression wird vielmehr stufenweise verschärft. Kohlesubventionen waren die Lebensverlängerung für eine unrentable Altindustrie. Die zeitweilige Förderung erneuerbarer Energien ist die Investition in eine Zukunftsindustrie und überdies in einen Exportmarkt.

Im Fokus der Kritik steht auch der Vorwurf, dass durch die üppigen Vergütungen des EEG für eingespeisten Solarstrom Hersteller aus der ganzen Welt ihre Module mit saftigen Renditen in Deutschland verkauften und der deutsche Stromverbraucher über die Hintertür Importe und ausländische Arbeitsplätze subventioniere. Stimmt das?

Diese Sichtweise teile ich nicht. Die Schaffung eines sogenannten Leadmarktes im eigenen Land ist der wichtigste Hebel, um international erfolgreich zu sein. Dies erfordert gewisse Investitionen. Aber in Folge davon werden nicht nur Exportmärkte geschaffen, die Marktförderung zieht auch fremde Investoren an. In China, Indien oder den USA wird der Erfolg dieser Politik mittlerweile deutlich wahrgenommen, weil sie Deutschland bei den erneuerbaren Energien innerhalb kurzer Zeit an die Weltspitze brachte.Die Exportquote der deutschen Hersteller von Windkraftanlagen, Biogaskonvertern, Solarmodulen oder Fertigungslinien für die Solarzellenherstellung steigt ja ständig an. Wir haben imUmweltbereich in Deutschland gelernt, dass man bei der Entwicklung eines solchen Leadmarktes im Lande zwar die Kosten für die Entwicklung einer Technik aufbringt, die sich dann aber doppelt und dreifach auszahlen können. Sich auf den Ausbau des eigenen Marktes zu konzentrieren ist das zentrale Erfolgsinstrument, um auch international erfolgreich zu sein. Vorreiter sind meist Gewinner, das gilt ganz besonders für Umweltinnovationen.

Kritiker behaupten jedoch, dass durch die üppigen Vergütungssätze des EEG für Solarstrom der Anreiz zur Kostensenkung fehle und deshalb die Module überteuert verkauft würden…

Die jüngst angepasste Degression erhöht ja gerade für die Photovoltaik den Druck zur Kostensenkung. Zudem sorgt eine wachsende internationale Konkurrenz für niedrigere Preise.

Wie schätzen Sie denn die Bedeutung der Photovoltaik im Vergleich zu anderen erneuerbaren Energien wie der Windenergie ein?

Natürlich müssen wir verschiedene erneuerbare Energieträger verstärkt nutzen, um die Energiewende zu schaffen. Doch ich sehe das Potenzial der Photovoltaik noch positiver als das der Windenergie.Im Gegensatz zur Windenergie verursacht die Photovoltaik keine Flächenprobleme und kann noch stärker dezentral zur eigenen Stromversorgung eingesetzt werden. Beim Solarstrom gilt ja der Steckdosenpreis, das ist bei der Windenergie schwieriger. Zudem hat die Photovoltaik ein enormes globales Potenzial.

Nutzen Sie denn selbst Solarenergie?

Solarthermie schon, Photovoltaik bisher nicht. Doch ich möchte das bald ändern und eine PV-Anlage installieren lassen. Platz auf meinem Dach habe ich noch genügend, wir haben hier wenig Verschattung und die Dachausrichtung stimmt. Ich bin gerade auf der Suche nach Solarinitiativen in Berlin und erfahrenen Solateuren.

Die Fragen stellte Hans-Christoph Neidlein

Zitat

„Umweltinnovationen sind meist auf aktive Politik angewiesen“

Zur Person

Professor Dr. Martin Jänicke, geboren 1937, verheiratet, zwei Kinder, hat ein Studium der Soziologie, Politikwissenschaft, Volkswirtschaft und Geschichte an der Freien Universität Berlin absolviert und habilitierte sich 1970 im Fach Politikwissenschaft. Er wurde 1971 Professor für Vergleichende Analyse am Fachbereich Politische Wissenschaft der FU Berlin. Von 1986 bis 2007 leitete er dort die Forschungsstelle für Umweltpolitik. In den Jahren 1974-1976 war er Planungsberater des Bundeskanzleramtes und von 1981 bis 1983 Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus. Von 1999 bis 2008 war Jänicke einer der Sachverständigen im Umweltrat der Bundesregierung (SRU). Er ist unter anderem Mitglied des Internationalen Beirats des Wuppertaler Instituts für Klima, Umwelt, Energie und des Kuratoriums der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU). Martin Jänicke veröffentliche zahlreiche Standardwerke und Studien zur nationalen und internationalen Umweltpolitik. Sein jüngstes Buch „Megatrend Umweltinnovation – zur ökologischen Modernisierung von Wirtschaft und Staat“ erschien 2008 im Ökom-Verlag.

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