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Transparenz im Kabelsalat

Zwölf Jahre sollte auch für Kabel kein Alter sein. Als Peter Funtan Risse in den Leitungen einer Solaranlage gefunden hatte, die in etwa so alt war, wurde er daher neugierig. „Unsere Leitungen waren im Verlauf der Zeit spröde geworden“, sagt der Elektroingenieur vom Institut für Solare Energieversorgungstechnik in Kassel.

Zwar haben fehlerhafte Kabel in der jüngeren Vergangenheit nur noch selten zu vollständigen Ausfällen geführt. Doch sie stellen für Menschen ein Sicherheitsrisiko dar, durch die Ausbildung von Lichtbögen besteht Brandgefahr, und durch Defekte an der Ader- und Mantelisolierung wird das Isolationsvermögen herabgesetzt. Durch sie kann der wertvolle Solarstrom sogar regelrecht versickern, ohne dass man es sofort bemerkt. „Das ist bares Geld“, erklärt Götz Illner, Produktmanager beim Kabelhersteller Prysmian im bayerischen Neustadt.

DIN-Norm reicht nicht

Ein Grund für die Kabelmisere: Bis heute werden Installateure bei der Auswahl der Leitungen alleingelassen und tappen im Dunkeln. Hauptsache, sie sind „geeignet“. Was geeignet ist, sagt die noch gültige DIN-Norm VDE 0100-7-712 jedoch nicht. Hersteller konnten ihre Produkte bisher einfach als Solarleitungen etikettieren, ohne dass sie ihre Haltbarkeit nachweisen mussten. Das erscheint paradox, nutzt doch die längste Garantie auf Module wenig, wenn die Schwachstellen im Zubehör liegen. Eine 25-jährige Lebensdauer ist selbst bei der gerne ver wendeten Gummischlauchleitung mit dem Kürzel H07RN-F nicht unbedingt zu erwarten. Aber das soll sich in Zukunft ja ändern.

„Wir haben Messungen durchgeführt und Tests gemacht – von der visuellen Begutachtung bis zur Klimakammer“, erzählt Funtan. Erste Beobachtung: Auch wenn die Kabel außerhalb der Anschlussdosen spröde waren, sahen sie innen noch wie neu aus. Trotzdem schlossen die Wissenschaftler UV-Licht als Verursacher aus, „da die Leitungen hinter den Modulen installiert waren“. Auch die Annahme, dass Wasseraufnahme der Mantelisolierung zum Auffrieren des Mantelmaterials geführt hat, stellte sich als falsch heraus. Denn eine Überprüfung am Gas-Chromatografen, mit dem man Materi alveränderungen auf molekularer Ebene feststellen kann, zeigte, dass die Kohlenwasserstoffketten des geschädigten und nicht geschädigten Mantelmaterials nahezu identisch waren.

Eine Kommission soll es richten

Nach einer Präsentation auf einem Symposium in Staffelstein wurden die ersten Kabelhersteller auf Funtans Feldforschungen aufmerksam. Vertreter von Prysmian, damals noch unter dem Namen Pirelli, kamen nach Kassel. Das war der Beginn eines neuen Arbeitskreises. Die Deutsche Kommission Elektrotechnik, eine gemeinsame Einrichtung des Deutschen Instituts für Normung und des Verbands der Elektrotechnik, Elektronik, Informationstechnik VDE, hat ihn vor eineinhalb Jahren ins Leben gerufen, um ein Anforderungsprofil speziell für Photovoltaikanlagen zu erstellen.

Das mag verwundern, da es dem Kabel egal sein sollte, ob es Strom aus Sonne, Wind oder gar Kohle transportieren soll. Doch dem ist nicht so. „Auf dem Dach herrschen extreme Bedingungen“, erklärt Guido Volberg vom TÜV Rheinland. Hohe Temperaturen, starkes UV-Licht und Ozonstrahlung setzen dem Material mehr zu als bei vielen anderen Anwendungen – und das über 20 oder mehr lange Jahre.

„Uns war es deshalb sehr wichtig, auch die Anwender mit an Bord zu haben und sie zu fragen, welche Anforderungen sie an die Leitungen stellen“, sagt Illner, der als Obmann der zwölfköpfigen Arbeitsgruppe fungierte. Mit am Tisch saßen deshalb unter anderem IBC Solar und Solarwatt als Modulproduzenten, der Steckverbinderhersteller Amphenol-Tuchel, das Institut für Solare Energieversorgungstechnik in Kassel, der VDE und der TÜV Rheinland. Auch alle großen Kabelhersteller wurden um ihre Mitarbeit gebeten. Am Schluss machten unter anderem Draka, Nexans, die Kabelwerke Villingen, Leoni Studer und Huber & Suhner mit.

Wichtigstes Ziel des „DKE AK 411.2.3“ – so der offizielle Titel des Arbeitskreises: Die Leitungen sollen 25 Jahre halten. Außerdem sollen sie auch dann sicher sein, wenn sie Ozon und feuchter Wärme ausgesetzt werden. Da viele Landwirte ihre Photovoltaik-Leitungen durch ihre Ställe verlegen, müssen sie in Zukunft auch gegen Säuren und Laugen beständig sein. Unter anderem nach diesen Kriterien haben die Experten das neue Anforderungsprofil und die dazugehörenden Tests entwickelt, die die Kabel dann durchlaufen müssen (siehe Grafik).

Ernst ab Mai 2009

Bereits seit 2007 prüfen TÜV Rheinland und der VDE Solarleitungen nach dem neuen Anforderungsprofil. „Es spiegelt den heutigen Stand der Technik wider“, sagt TÜV-Rheinland-Experte Volberg. Derzeit gilt aber noch eine Übergangsfrist für die Kabelhersteller. Richtig ernst wird es dann erst ab Mai 2009. Jedes Unternehmen, das dann möchte, dass seine Leitungen für Photovoltaikanlagen das begehrte Prüfsiegel des TÜV Rheinland tragen, muss diese dann nach den neuen Prüfverfahren testen lassen. Bestehen sie, bekommen sie zum Lohn die Bauartbezeichnung PV1-F.

Volberg rechnet nicht damit, dass alle Leitungen die neuen Prüfverfahren bestehen werden. Insbesondere der 5.000 Stunden lange Alterungstest bei 120 Grad gilt als Härtetest. „Es ist eine wirkliche Herausforderung, eine Leitung zu bauen, die die neuen Standards erfüllt“, sagt er. Wegen der neuen strengen Vorgaben gab es deswegen auch einige Unkenrufe in der Branche. „Das Anforderungsprofil wurde aber letztlich einstimmig bei einer Enthaltung angenommen. Es gab einzelne kritische Stimmen, aber keinen Streit“, sagt Illner.

Es wird zwar keine Pflicht sein, Kabel mit dem neuen Prüfsiegel zu verwenden. Allerdings ist niemand gut beraten, darauf zu verzichten. Wenn es zu einem Brand oder einem Ausfall kommt, können Versicherungen nämlich sonst darauf verweisen, dass man keine Kabel nach dem Stand der Technik verwendet habe.

Kaum höhere Kosten

Es gibt aber auch nur wenige Gründe, Kabel ohne Prüfsiegel zu verwenden. Für Anlagenbauer bedeutet das neue Anforderungsprofil nämlich mehr zertifizierte Qualität, und die finanzielle Mehrbelastung wird sich dabei vermutlich in Grenzen halten. Nach einer Faustformel der Industrie benötigt man in einer Photovoltaikanlage pro Kilowatt installierter Leistung rund 30 bis 40 Meter Kabel bei einem Preis von rund einem Euro pro Meter. Beim Einsatz von Dünnschichtmodulen beträgt die Länge etwa doppelt so viel. In der Regel rechnen die Experten deshalb mit weit weniger als ein Prozent Kostenanteil für die Leitungen. Die Mehrkosten sollten also bei der Gesamtinvestitionssumme einer Photovoltaikanlage nicht so stark ins Gewicht fallen, dass sich Sparen an dieser Stelle lohnen würde.

Man mag sich allerdings die Frage stellen, wie mit den bereits vorhandenen Anlagen umgegangen werden muss. Solarteure und Anlagenbauer müssen keine Angst haben, dass sie die bisher verbauten Leitungen wieder herausreißen müssen, um sie durch solche, die den neuen Anforderungen entsprechen, zu ersetzen. „Hier gilt der Bestandsschutz“, versichert Volberg. Es ist vermutlich auch nicht sinnvoll. Ein Leitungstausch bei einer durchschnittlichen Anlage eines Hausbesitzers zwischen vier und zehn Kilowatt kostet gut und gerne mehrere tausend Euro. Ob durch die alten Kabel wirklich Leistung versickert, kann der Laie sowieso nur schwer feststellen. „Es ist ein schleichender Effekt, der auch darauf zurückgeführt werden kann, dass die Module nachlassen, verschmutzt sind oder die Sonne nicht mehr so stark scheint“, sagt Illner. Es gibt kaum Vergleichsmöglichkeiten, es sei denn, der Nachbar hat die gleiche Anlage mit gleicher Ausrichtung. Auch der Einbau einer Vergleichszelle ist möglich, aber teuer.

Mehr Sicherheit für Installateure

Auch die Installateure haben von der neuen Regelung eindeutig Vorteile. Für sie sinkt das Risiko, Leitungen zu verbauen, die als schwächstes Glied in der Kette mit dem Gesamtlebensalter der Anlage nicht mithalten können und diese früher oder später lahmlegen. Wenn sie darauf achten, dass sie in Zukunft nur noch solche Kabel verlegen, die den aktuellen Anforderungen PV1-F entsprechen, kann ihnen niemand mangelnde Sorgfalt vorwerfen, falls es trotzdem zu Problemen kommen sollte.

Bis sich das neue Anforderungsprofil und Prüfsiegel jedoch bei den Solarteuren herumgesprochen hat, kann es noch dauern. Eine nicht repräsentative kleine Umfrage zeigt, dass hier noch Aufklärungsbedarf besteht. So sagt Holger Freyer von der Solarwerkstatt Berlin: „Von der neuen Norm für Leitungen habe ich noch nichts gehört.“ Schäden durch unzureichende Qualität von Kabeln habe er noch nie gehabt. „Das einzige Problem sind Marderbisse.“ Und auch Hartmut Schmidt, Elektromeister bei der Solar Lifestyle GmbH Berlin, kennt die neuen Anforderungsprofile nicht. „Wir kaufen alle unsere Leitungen bei unserem Großhändler, dem wir vertrauen“, sagt er.

Dass der neue deutsche Standard eine europäische Norm wird, ist vorerst jedenfalls nicht zu erwarten. Die Normung ist ein ziemlich kompliziertes und teilweise politisches Verfahren, das von einigen Ländern derzeit noch nicht gewünscht wird. Doch da der Ruf der deutschen Prüfbehörden europäisch wie international ausgezeichnet ist, erhoffen sich die beteiligten deutschen Kabelhersteller, dass sich die Anforderungsprofile auch ohne den offiziellen amtlichen Segen der Normungsorganisationen bald überall durchsetzen werden.

Für die Kabelhersteller wird es dadurch zwar kurzfristig komplizierter, da ihre Produkte neue Tests durchlaufen müssen, langfristig haben jedoch alle Beteiligten Vorteile. Niemand kann zukünftig mehr billige Kabel als hochwertige Solarleitungen verkaufen, und damit herrscht unter den Herstellern zum ersten Mal Chancengleichheit. Die höhere Transparenz sorgt gleichzeitig dafür, dass Hersteller und Anwender keine Risiken mehr eingehen müssen, die sie nicht kennen.

Die Ursachen des frühzeitigen Alterns mancher Kabel sind übrigens noch nicht völlig geklärt. Selbst die Vermutung, es könne doch Ozon mit schuld sein, ist wieder auf dem Tisch. Kabel-Experten im Labor von Prysmian konnten nämlich nachweisen, dass durch Ozoneinwirkung an dem betroffenen intakten Kabeltyp ähnliche Rissbildungen hervorgerufen wurden, wie dies an den zwölf Jahre exponierten Kabeln von Funtan der Fall war. Er testet unterdessen seit 2003 verschiedene Kabel in einem Freiluftversuch. Kurzfristig seien hier jedoch keine Ergebnisse zu erwarten, sagt er. Bis es so weit ist, werden die Leitungen noch eine Weile auf dem Teststand in der Sonne braten müssen.

Johannes Klostermeier