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Konzert der Hertz-Schrittmacher

Auf den ersten Blick sieht der Arbeitsplatz von Gerald Klein am Institut für Solare Energieversorgungstechnik ISET öde aus.In der 50 Meter langen, ebenerdigen Versuchshalle in der Mitte Kassels steht auf einem riesigen, grauen Labortisch lediglich ein Laptop. Klein wirkt etwas verloren, inmitten der im Halbkreis um diesen Tisch aufgestellten, fast drei Meter hohen Schaltschränke, an deren Fronten nur hin und wieder Kontrollleuchten blinken. Und doch ist es etwas Besonderes, das sich darin verbirgt – quasi ein Stromnetz mit allen Tücken und Fehlern.

Gerald Klein und diejenigen, die ihm über die Schulter schauen dürfen, erleben bei den Versuchen nicht nur einen einfachen Gerätetest, sondern eine Simulation der Netze der Zukunft, in denen Sonnenstrom eine deutlich größere Rolle im Strommix spielen soll.

Suche nach dem optimalen Punkt

Im Testfeld befindet sich aktuell ein Wechselrichter einer bekannten Marke, die Klein aber nicht nennt. So ist das bei Auftragsarbeiten. Ein Klack verrät den Teststart: Das wohl einzige noch elektromechanisch arbeitende Bauteil hat den Solarstromkreis geschlossen. Die Elektronik in einem der grauen Schaltschränke simuliert die Eigenschaften eines photovoltaischen 30-Kilowatt-Generators.

Auf der Amplitude der auf dem Laptopbildschirm abgebildeten Kennlinie versucht jetzt ein schwarzer, schlingernder Punkt möglichst an der höchsten Stelle, dem Peak, zu bleiben. „Der Regler versucht, den Punkt einzustellen, an dem die Leistung maximal ist“, erklärt Gerald Klein. Die Kunst ist, dass dieser so genannte MPP-Tracker den optimalen Arbeitspunkt auch dann findet, wenn sich die Lichtverhältnisse und damit die elektrischen Eigenschaften der Solarzellen ändern. Ein Wechselrichter muss auch auf Teilabschattungen der Solargeneratoren reagieren, wenn beispielsweise im Herbst bei niedrigem Sonnenstand die Schatten naher Bäume auf den Generator fallen. Eine Teilabschattung würde zwei unterschiedliche Kennlinien generieren, mit zwei optimierten Arbeitspunkten.

Klein kann mit seinem Simulator alle Bedingungen, denen Solargeneratoren und Wechselrichter draußen in der Natur ausgesetzt sind, im Labor als Versuchssequenz programmieren. Zur Kontrolle sind auf dem Dach des auf dem Kasseler Universitätsgelände stehenden Laborgebäudes noch echte Solargeneratoren montiert. Die von dort gelieferten Werte dienen inklusive der auf dem Dach real gemessenen Wetterdaten ebenfalls als Referenz eines typischen Energieprofils, wie es später im Labor simuliert wird.

Zuerst gaukelt die Elektronik dem Wechselrichter aufgehende Frühlingssonne auf kühlem Solargenerator vor. In der zweiten Versuchssequenz fließt die typische Energie aus einem durch die virtuelle Juli-Mittagssonne erhitzten Generator in den Wechselrichter. Im Labor steht dafür jede realistische Variation zur Verfügung: Unterschiedliche Bestrahlungsbedingungen aller geographischen Punkte dieser Welt sind abrufbereit.

Auf dem Laptopbildschirm kontrolliert Gerald Klein, wie der Arbeitspunkt des Wechselrichter-Prüflings fast schlingerfrei auf die verschiedenen Testwetterlagen und Beleuchtungsstärken reagiert. Solche Versuche wären in einem echten Außentestfeld zwar möglich, aber kaum wiederholbar. „Der Vorteil unseres Prüflabors liegt ja gerade darin, dass die Versuche unter exakt denselben Bedingungen wiederholbar sind“, sagt Gerald Klein.

Kritische Netzfehler

Damit der Teststand den Wechselrichter unter realen Bedingungen testen kann, muss er aber nicht nur die Solarzellen simulieren, sondern auch das Niederspannungs-Stromnetz, in das er einspeisen soll. Der Clou des Teststandes liegt darin, dass alle nur denkbaren Netzstörungen und -fehler als Software parat liegen, erklärt Laborleiter Norbert Henze: „Das Netz können wir in einem einwandfreien Zustand simulieren, aber auch mit definierten Netzstörungen, mit schlechter Netzspannung, mit Spannungseinbrüchen, mit Frequenzänderungen und frei definierbaren Oberwellen.“

Wie gut ein Wechselrichter arbeitet, zeigt sich nämlich erst, wenn die Bedingungen nicht ideal sind. Denn während ein Wechselrichter den technischen Eigenarten seiner Solargeneratoren relativ einfach angepasst werden kann, wird es auf der Wechselstromseite schon etwas komplizierter.

Die Geräte dürfen nur in bestimmten Grenzen Spannungsschwankungen im Netz verursachen, die sogenannten Flicker. Dafür können auch Wechselrichter verantwortlich sein. Die Impedanz des Netzes ändert sich nicht nur bei Zuschaltung eines Energieverbrauchers, sondern auch dann, wenn Energie eingespeist wird. Die Spannungsänderungen machen sich beispielsweise durch flackernde Beleuchtung bemerkbar. Das ist nicht nur unerwünscht, sondern kann zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. Deswegen wurde in der DIN EN 61000-3-3 und DIN EN 61000-3-11 festgelegt, dass Geräte an Entnahme- oder Einspeisepunkten bestimmte so genannte Wahrnehmbarkeitseinheiten nicht überschreiten dürfen. „Dies können wir hier prüfen, ebenso wie die Störfestigkeit, also inwieweit sich das Gerät durch Störungen aus dem Netz beeinflussen lässt, beispielsweise durch Spannungsschwankungen oder Spannungseinbrüche“, sagt Klein.

Das wird besonders in der Zukunft wichtig. Der Europäische Photovoltaikverband EPIA hat als Ziel für 2020 verkündet, zwölf Prozent des Strombedarfs in Europa per Photovoltaik decken zu wollen. Spätestens dann dürfen sich Wechselrichter nicht, wie bisher üblich und von strengen Normen gefordert, bei Netzfehlern gemeinsam abschalten, sondern sollen in bestimmten Grenzen dabei helfen, die Netzspannung zu stabilisieren. Auch die Hertz-Zahl, also die Frequenz, wird dann wohl mit Hilfe intelligent zusammenarbeitender Einspeisegeräte stabilisiert, damit es zu keiner Absenkung oder Phasenverschiebung der Netzfrequenz kommt. Solche Geräte werden dann die „Hertz-Schrittmacher“ der Netze sein.

Wolfgang Noelke

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