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Qualität als Produkt

„Bunker“, „Merz-Bau“ oder schlicht „Dresden“: Im kleinen sächsischen Kurort Hartha kursieren viele Namen für den grauen eckigen Bau, der auf einer dicken Betonplatte inmitten einer perfekt gemähten Wiese thront. 1997 wurde der 500 Quadratmeter große Bau für einen Bielefelder Privatmann vom Künstler Gerhard Merz erschaffen. Im Ort weiß keiner so genau, warum der graue Klotz ausgerechnet in Hartha aufgestellt wurde. Denn in den letzten zehn Jahren wurde „Dresden“ kaum genutzt. Schnell gewöhnten sich die Bewohner an die eigenartig großen Fenster, die gespenstisch leeren Räume und an die dunklen Flecken, die jeder Regen an der Fassade hinterließ.

Wer hätte gedacht, dass zwölf Jahre später auch innerhalb des Gebäudes Witterungseinflüsse eine entscheidende Rolle spielen würden. Denn seit März 2009 hat „Dresden“ einen neuen Mieter, der viel vor hat mit dem Gebäude: das SGS Institut Fresenius. „Wir haben anderthalb Jahre an dem Projekt gearbeitet, acht Monate dauerte die Umsetzung, Mitte Oktober werden wir unser PV-Prüflabor hier eröffnen“, sagt Jörn Brembach, Business Manager Photovoltaics der SGS Germany. Zu den genauen Investitionskosten will sich Brembach nicht äußern. „Mehrere Millionen Euro“ investiere die SGS-Gruppe, um nun verstärkt im PV-Bereich Prüfungen und Zertifizierungen durchführen zu können. 100 bis 130 Vollzertifizierungen mit Durchlaufzeiten von drei- bis fünfeinhalb Monaten strebt Brembach an: „Wir setzen dabei auf ein hocheffizientes Taktverfahren nach dem Vorbild der Automobilindustrie: Die Module werden mit Strichcodes versehen und durch die verschiedenen Prüfungen geschleust.“

Die SGS-Gruppe kommt spät in den Markt der PV-Modulprüfungen und -zertifizierungen, das weiß auch Brembach: „Wir können keinen Early-Bird-, also keinen Frühaufsteher-Bonus mitnehmen, dafür müssen wir uns umso mehr anstrengen, um uns auch in diesem Bereich als Marktführer zu etablieren.“ Das Schweizer Schwergewicht ist jedoch nicht der einzige Neuling in einem lokalen Markt, der bisher von wenigen Instituten und Prüflaboren beherrscht war. Auch Underwriters Laboratories (UL), das etablierte amerikanische Prüf- und Zertifizierungslabor, plant einen Standort in Deutschland. Damit führt UL auch in Europa seine seit einigen Jahren andauernde aggressive Expansionspolitik fort. Das neue Labor in Frankfurt am Main soll Anfang 2010 eröffnet werden und wird nach Angaben von UL mehrere Millionen Dollar verschlingen.

Modulhersteller am Hebel

Doch das ist erst der Beginn: „Wir werden in den nächsten Jahren weiter expandieren und etwa 20 Millionen Dollar in den Ausbau unserer Prüflabore investieren“, sagt Cristina Canni Ferrari, Sprecherin von UL. „Für uns nimmt PV im Vergleich zu anderen Technologien im Bereich der Erneuerbaren einen hohen Stellenwert ein. Die Nachfrage nach unseren Dienstleistungen hat sich über die letzten Jahre verdoppelt, und dieser Nachfrage wollen wir mit unseren Kapazitätserweiterungen auch entsprechen.“

Angezogen vom schnellen Wachstum der PV-Branche, von den vielen neuen Modulen und Materialänderungen, die immer wieder eine Zertifizierung zur Folge haben, erwies sich der Markt der Prüfer und Zertifizierer viele Jahre als klarer Verkäufermarkt. Es waren einfach zu wenig Kapazitäten vorhanden. Modulunternehmen mussten mitunter acht Monate oder länger auf eine Prüfung und Zertifizierung warten. „Früher waren die Modulhersteller Bittsteller. Doch das hat sich mittlerweile geändert“, sagt Konrad Fredrich, bei Solon verantwortlich für die Zertifikation der Module. Wie in der PV-Branche allgemein kippt der Markt nun auch bei den Prüfern und Zertifizierern in Richtung Käufermarkt: „Institute suchen nun aktiv nach Kunden, das ist eine neue Situation“, meint Fredrich. Auch Axel Schwalm, Leiter Kundenservice des VDE Prüf- und Zertifizierungsinstituts in Frankfurt am Main, sieht momentan aufgrund der schwierigen Finanzsituation vieler Modulhersteller wenig Bedarf für weitere Kapazitäten: „Unser Ziel ist es, zusammen mit unserem Prüflabor Fraunhofer ISE alle Engpässe zu beseitigen. Wir werden bis Ende des Jahres etwa 45 Vollprüfungen und 110 Teilprüfungen absolviert haben“, sagt Schwalm. Einen Schwerpunkt legt das VDE-Institut dabei auf den Kapazitätsausbau in Singapur, wo überwiegend geschultes Personal aus Deutschland arbeiten soll.

Während immer neue asiatische Modulhersteller in den Markt eintreten und daher fast alle Institute insbesondere den asiatischen Markt möglichst lokal bedienen wollen, befinden sich die Institute in Europa in einer kniffligen Situation: Die Entscheidungen für den Markteinstieg oder für kostspielige Kapazitätserweiterungen sind meistens vor der Finanzkrise gefallen. Nun sind die Kapazitäten da und die Durchlaufzeiten gesunken – auch aufgrund der geringeren Nachfrage. Gleichzeitig müssen die Labore die hohen Investitionen möglichst schnell wieder einspielen. Das spüren wiederum die Modulhersteller, die nun am Hebel sitzen und weitaus mehr Prüflabore und auch Zertifizierer zur Auswahl haben.

Suche nach der Strategie

Den üblichen Marktregeln folgend sollte das vor allem die Kosten für die Prüfung und die Zertifizierung reduzieren. Doch das ist bisher nicht passiert. „Eine Prüfung und Zertifizierung liegt im Durchschnitt bei etwa 30.000 Euro für kristalline Module und bei etwa 35.000 bis 37.000 Euro für Dünnschichtmodule“, sagt Fredrich von Solon. Die Kosten sind jedoch momentan nicht entscheidend, schon eher die Zeit, in der Unternehmen die neuen Module auf den Markt bringen können, das „time to market“. „Für uns ist das wichtigste Kriterium neben der Prüfqualität ganz klar die Durchlaufzeit der Qualifizierung. Mit jedem Monat, den wir durch die Qualifizierung verlieren, verlieren wir auch Umsatz“, erklärt Fredrich. Das haben auch die Prüf- und Zertifizierungslabore erkannt, und so entbrennt gerade ein Wettbewerb, wer die schnellsten Durchlaufzeiten anbieten kann – mitunter mit schwerwiegenden Auswirkungen für die Kunden: „Wer Durchlaufzeiten von zwei Monaten angibt, arbeitet einfach unseriös“, wettert Axel Schwalm vom VDE. „Die Kunden müssen wissen, dass die physikalischen Grenzen der Testverfahren die Gesamtzeit bestimmen.“

TÜV Süd mit dem Eurotest Laboratori in Brugine (Italien) und PI aus Berlin, TÜV Thüringen mit dem Solartestlab des CiS in Erfurt – der Markt ist in Bewegung, es bilden sich immer wieder neue Kooperationen. Das ist gut für die Modulhersteller, die nun mehr Auswahl und dadurch eine stärkere Position haben, doch für den Markt der Zertifizierer bedeutet das eine Neuverteilung der Marktanteile. Diese müssen sich nun differenzieren, ihre Geschäftsstrategie und -modelle so einstellen, dass sie in einem umkämpften Markt nicht geschluckt werden und Marktanteile ausbauen können. Dabei gehen die Unternehmen verschiedene Wege. Die vergleichsweise kleineren Institute bewegen sich stärker in die Forschung, bilden Kooperationen mit größeren, globalen Partnern oder sehen sich als begleitende Partner wie zum Beispiel der TÜV Süd: „Wir arbeiten mit einem weltweiten Netzwerk von Prüflaboren. Dabei übernimmt TÜV Süd die Koordination, die Beratung, das Projektmanagement sowie die Zertifizierung und Überprüfung der Produktionsstätten“, sagt Jens Drobek, Leiter des Geschäftsbereichs Industrieprodukte der TÜV Süd Product Service GmbH.

Der TÜV Rheinland, eigenen Angaben zufolge weltweiter Marktführer in der PV-Modulprüfung und -zertifizierung, will sich auch in Europa nicht die Butter vom Brot nehmen lassen: Vier Millionen hat der Zertifizierer in das Ende Juni eröffnete Solarzellen-Prüfzentrum in Köln investiert. Damit sieht sich der TÜV Rheinland langfristig gut gerüstet. Willi Vaaßen, Geschäftsstellenleiter Erneuerbare Energie vom TÜV Rheinland in Köln, erklärt die Ziele: „Wir haben uns technisch so aufgestellt, dass wir mit einer qualitativ sehr hohen Ausstattung schnelle Durchlaufzeiten erreichen, auch personell haben wir die Kapazitäten.“ Allein im letzten Jahr hat der TÜV Rheinland 18 weitere Mitarbeiter für das Testlabor eingestellt. Damit arbeiten nun 50 Mitarbeiter im Prüflabor in Köln. Weltweit sind in den Laboren des TÜV Rheinland in den USA und Asien etwa 100 Mitarbeiter angestellt. Unter Volllast könne das Labor in Köln etwa 200 Vollzertifizierungen pro Jahr durchführen, so Vaaßen. Um Kunden zu halten und um neue zu gewinnen, setzt Vaaßen auf die Reputation und die Erfahrung des TÜV Rheinland: „Wir wollen die Kunden ansprechen, die eine fachliche Aussage haben wollen, ob das Produkt über 20 Jahre geeignet ist. Ein wichtiger Aspekt ist hier die Minimierung des Risikos, aufgrund fehlerhafter Module und daraus folgender Garantieansprüche später in den Konkurs zu rutschen.“

Die Masse an Kapazitätserweiterungen der Modulhersteller wird sich bei gleichen Produkten abspielen. Die Fertigungsstätten werden ausgebaut, auf den Zertifizierungsbedarf wird sich das aber nicht unbedingt auswirken, glaubt Vaaßen. Schon eher ergebe sich ein Prüf- und Zertifizierungsbedarf aufgrund neuer Entwicklungen und neuer Materialien. Gerade hier sehen sich die etablierten Labore wie der TÜV Rheinland und das VDE Prüf- und Zertifizierungsinstitut im Vorteil: „Wir sehen uns als Premiummarke. Wir wollen uns nicht verzetteln, lieber unsere hohen Qualitätsansprüche halten. Das wissen auch unsere Kunden zu schätzen“, so Axel Schwalm.

Das PI Photovoltaik-Institut Berlin setzt auch auf die Erfahrung und auf Kooperationen mit den verschiedenen Zertifizierern. PI kooperiert derzeit mit dem TÜV Süd und mit Intertek (UL 1703) und führt jährlich etwa 60 Vollzertifikationen durch. Laut Paul Grunow, Senior Consultant und PI-Vorstand, generiere das PI derzeit etwa 80 Prozent des Umsatzes aus Prüfungen und 20 Prozent aus Consulting. Grunow schätzt, dass sich der Umsatz des PI im Jahre 2009 leicht erhöhen werde. 2008 betrug der er 1,9 Millionen Euro. Nach Angaben von Grunow will sich das PI insbesondere durch seine geballte Kompetenz von den Mitbewerbern differenzieren: „Wir sehen zunehmenden Zertifizierungsaufwand für neue Modulkomponenten und Prozesse. Immer stärker nachgefragt werden eine Qualifizierung der Module nach Energieertrag, Zellenqualifizierung, Anlagenbegutachtung und Qualitätsmanagement in der Produktion. Dafür ist das PI gut vorbereitet und wird sich weiter verstärken.“

Preiskampf nicht ausgeschlossen

Auch das bringt der größere Wettbewerb: Wenn es um Sonderwünsche geht, beispielsweise um höhere Normierung als die gängigen Standards, kommen die Prüfer und Zertifizierer den Herstellern immer weiter entgegen. „Für die Modulhersteller wird es immer wichtiger, die hohe Qualität der Module zu beweisen, oftmals reichen da die gängigen Normen nicht aus. Es besteht eine Nachfrage nach Überzertifizierung, die in der Vergangenheit nur wenige Zertifizierer bedienten“, weiß Fredrich von Solon. Das betrifft nicht nur europäische Hersteller, die sich auf diese Weise von der Konkurrenz aus Asien absetzen wollen. Auch die Mitbewerber aus Asien haben inzwischen erkannt, dass Sie durch eine garantiert hohe Qualität den Kunden mehr Kaufargumente geben.

Verschiedene Institute bieten deshalb schon Überzertifizierungen an: „Auf Wunsch qualifizieren wir über die gängigen Normen hinaus, beispielsweise bei Fragen der mechanischen Belastung von Modulen. Auch garantieren wir eine strenge Fertigungsüberwachung“, sagt Schwalm. Ähnliches wird auch die SGS-Gruppe in Hartha anbieten. Vor allem in Kombination mit den Erfahrungen von SGS Fresenius aus dem Halbleitergeschäft will SGS punkten: „Wenn bei den Modulen ein Problem auftritt, dann können wir es verfolgen, bis wir es aufgeklärt haben. Dabei können wir uns durch unsere Halbleitertochter bis hinunter in die Zellqualität bewegen“, sagt Jörn Brembach.

Auf dem Markt der Prüflabore und Zertifizierer ist viel Bewegung. Global verschieben sich die Kapazitäten nach Asien, dort werden auch die meisten Module – auch viele der Europäer – produziert. Für die Modulhersteller und letztendlich für die Kunden wird die Auswahl der Zertifizierer und der Module komplizierter: Hinter dem TÜV-Siegel verbergen sich verschiedene Unternehmen, nicht mehr nur der TÜV Rheinland; und die Neueinsteiger müssen zunächst die nötige Erfahrung sammeln.

Zu einem Preiskampf scheint es vorerst nicht zu kommen, obwohl Vertreter der Modulhersteller es für realistisch halten, dass Vollzertifizierungen auf etwa 20.000 Euro sinken. Erst wenn die Institute die Durchlaufzeiten nahe an die physikalischen Grenzen gebracht haben, wird sich ein Teil der Prüfer und Zertifizierer auf einen Preiswettbewerb einlassen. Ein anderer Teil könnte sich neben der Standardzertifikation den Sonderwünschen der Hersteller widmen. Auch eine Marktbereinigung ist absehbar, möglicherweise teilen sich die Schwergewichte mittelfristig den Markt auf. In Hartha jedenfalls, ist man sich sicher, wird der „Bunker“ nie wieder leer stehen.

Reiner Gärtner

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