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Bergkristall am Monte Rosa

2.883 Meter über dem Meeresspiegel steht sie wie ein Kristall in der Gletscherlandschaft – die neue Monte-Rosa-Hütte. Von hier schweift der Blick zu den Viertausendern ringsumher, im Hintergrund zeigt sich sogar das Matterhorn. Diesen spektakulären Ort wählten die Architekten der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich, um ihr Können in Sachen Architektur und Energieautarkie unter Beweis stellen. Die Hütte ist ein Gemeinschaftsprojekt mit dem Schweizer Alpenclub. „Die Außenwirkung des Projekts ist unglaublich“, sagt Urs Muntwyler. Geschäftsführer des Solarcenters in Zollikofen bei Bern, der die Stromversorgung für die Schutzhütte entworfen hat. „Es wird auf jeder Messe gezeigt und in jeder Architekturzeitschrift in der Schweiz vorgestellt.“ Und der Lerneffekt ist gewaltig.„Wie im Hochleistungssport beziehen wir Erkenntnisse unter Extrembedingungen“, sagt Marcel Baumgartner, Architekt und Projektleiter an der ETH. Seine Studenten haben über mehrere Semester den ungewöhnlich geformten Baukörper entworfen, im Dialog mit Energietechnikern und dem Schweizer Alpenclub. 90 Prozent ihrer Energie produziert die Hütte selbst – durch eine Kombination aus Photovoltaik und Solarthermie.

Das Herzstück bildet die Photovoltaikfassade auf der Südseite – in energetischer wie in gestalterischer Hinsicht. Gerade wegen der Kälte sind die Bedingungen hier oben sehr gut. Bei Einstrahlungen bis 1.500 Watt pro Quadratmeter und Temperaturen zwischen plus 15 und minus 30 Grad Celsius können die Module nie überhitzen . Anhand der aktuellen Strahlungswerte, kombiniert mit Informationen über den Ladezustand der Energie- und Wasserspeicher und der Besucherzahl, steuern die Wissenschaftler der ETH Zürich das Energiesystem der Hütte aus der Ferne.

Energiesparende Glühbirnen und Elektrogeräte sollen ihren Teil dazu beitragen. An trüben Tagen kann im Notfall ein Biodiesel-Blockheizkraftwerk zugeschaltet werden. Das wird aber wohl selten nötig sein, denn wenn das schlechte Wetter länger andauert, kommen die meisten Bergsteiger erst gar nicht herauf, glaubt Urs Muntwyler. Falls das Niveau der Stromproduktion und der Batterieleistung auf längere Sicht zu niedrig bleibt, werden ein bis zwei Verbraucherkreise heruntergefahren. Dann zeigt die Autarkie ihre Schattenseiten: Die Alpinisten müssen auf Komfort verzichten, wie beispielsweise elektrisch beleuchtete Schlafräume. Dahinter steckt auch ein pädagogischer Gedanke. Erst wenn die Besucher sparsam mit der kostbaren Energie umgehen, ist eine ununterbrochene Stromversorgung möglich. 120 Betten stellt die Monte-Rosa-Hütte für Alpinisten bereit.

Damit auf den Dieselgenerator möglichst verzichtet werden kann, soll die Photovoltaikfassade den gesamten Strombedarf des Hüttenbetriebs sicherstellen. Die Größe der Fläche bestimmte Solarplaner Urs Muntwyler mit simulierten Bedarfszahlen. Dabei musste er die Fläche um ein schräges Fensterband herum planen, das die Südfassade teilt. „Photovoltaisch betrachtet ist das Glasband in der Fassade unsinnig“, sagt er, „aber architektonisch ist es toll.“ Denn es bietet den Besuchern einen vollständigen Panoramablick und ist ein Highlight beim Besuch der Berghütte.

Faszination Hochleistung

Architekt Marcel Baumgartner war anfangs mit photovoltaischen Bauelementen noch nicht vertraut. Und das war vielleicht ein Glücksfall. Er ließ seinen Ideen freien Lauf, ohne über die technische Machbarkeit nachzudenken. So wollte er buchstäblich jeden Quadratzentimeter der Fassade für die Stromgewinnung ausnutzen, und das obwohl der Wind mit 250 Stundenkilometern um die Fassade pfeift. Mit Standard-Solarmodulen stieß er schnell an statische und gestalterische Grenzen. Solarplaner Muntwyler half, eine Lösung zu finden. Der Schweizer Modulproduzent 3S in Lyss fertigt maßgeschneiderte Glas-Glas-Module, die konnten die technischen und gestalterischen Probleme lösen. Die monokristallinen Zellen von Sunpower mit 21 Prozent Wirkungsgrad hatten es Baumgartner besonders angetan. Und so wurde der Architekt plötzlich zum Hochleistungsfreak. Sein Ehrgeiz wurde, so viel Ertrag wie möglich aus der begrenzten Fassadenfläche herauszuholen. „Es hat einfach Spaß gemacht, mit hochwertigen Komponenten zu arbeiten“, sagt der Architekt.

Natürlich spielte die Optik auch eine Rolle. Weil die Sunpower-Zellen ihre Kontakte auf der Rückseite haben, bilden sie eine gleichmäßig dunkelblaue Fläche im Modul, die nicht durch silberne Leiterbahnen unterbrochen wird. Um sie zu erden, war allerdings ein aufwändiges Blitzschutzkonzept notwendig, das Muntwyler mit seinen Berner Kollegen eigens für die Monte-Rosa-Hütte entwickelte. Hochleistung war auch auf der Baustelle gefragt. Nur viereinhalb Monate Zeit hatten die Handwerker für die Montage – fernab von Straßen, Strom- und Wasseranschlüssen. Am Gletscher kann man nur im Sommer bauen. Deshalb musste der Bauablauf logistisch perfekt vorbereitet sein. Ein Helikopter transportierte im Dauereinsatz alle Materialien zur Baustelle am Steilhang. Für die Module wurden spezielle Transportrahmen hergestellt, um sie an den Hubschrauber anzuhängen. Muntwyler wählte für den Betrieb in der Gletscherlandschaft nicht die üblichen 30 Grad, sondern einen Neigungswinkel von 66 Grad. So fallen auf die mit einer Gesamtleistung von 16 Kilowattpeak ausgestattete Fassade zusätzlich zur direkten Einstrahlung auch die Reflexionen der Sonnenstrahlung von den umliegenden Schneefeldern. Die Monte-Rosa-Hütte verfügt damit über die größte autonome Stromversorgung der Schweiz. „Wir konnten zeigen, dass eine 100-prozentige Autonomie bei gutem Komfort technisch möglich ist“, sagt Muntwyler zufrieden.

Anja Riedel

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