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Die Sage des Captain Lomer

Der Wechsel von nicht wiederaufladbaren Batterien zu Photovoltaik war für die US-Küstenwache Coast Guard wirtschaftlich noch relevanter als für die Ölindustrie. Ihre größeren Tonnen waren zwölf Meter hoch, und deren Rümpfe enthielten riesige Batteriebehälter. Immer wenn eine Batterie ausfiel, so ein Coast-Guard-Offizier, musste ein spezielles Schiff, ein Tonnenleger, hinausgeschickt werden, „um die Tonne auf Deck zu schaffen, damit die Batterien entfernt werden konnten“, was die Behörde etwa 1.000 Dollar die Stunde kostete. Auf diese Weise überschritt der Preis der Batteriewartung bei weitem die ursprünglichen Kosten der Tonne. Nach Meinung von Steve Trenchard, der seine Karriere bei der Coast Guard begann, machte dies die Suche nach einer Energiequelle mit höherer „Zuverlässigkeit und längerer Lebensspanne absolut entscheidend“. Da die Bundesbehörde jedoch von den Kräften der Konkurrenz isoliert war, war Photovoltaik auf den Ölplattformen schneller im Einsatz, erklärt Trenchard. „Wir hätten sie noch ein Jahrzehnt weiter erforscht, wäre da nicht Kapitän Lomer gewesen“.

Lloyd Lomer war Absolvent der Coast Guard Academy und als wissenschaftlicher Mitarbeiter auf den Gebieten Physik und Optik tätig. Als er sich 1973 mit Navigationshilfen beschäftigte, begann er sich für Photovoltaik zu interessieren. Auf eigene Initiative beschaffte er einige ausgemusterte Zellen. Er und John Goldsmith, der in den 1970ern als Solaringenieur am Jet Propulsion Laboratory, dem Forschungszentrum der US-Raumfahrtbehörde Nasa, arbeitete, „machten einen kleinen Kuhhandel zum Wohle der Regierung“, um sie zu bekommen.

Tests ohne Auftrag

Lomer testete die Zellen im Coast-Guard-Forschungslabor, obwohl er keinen formalen Auftrag für die Testreihe hatte, in der Annahme, er und sympathisierende Kollegen könnten „die Arbeit untereinander aufteilen, so dass unsere Vorgesetzten nicht sauer auf uns werden würden“. Die Ergebnisse überzeugten Lomer: Die Solarzellen waren „genau das, was die Coast Guard brauchte“. Seine Vorgesetzten waren jedoch weniger enthusiastisch und reagierten immer wieder ablehnend auf seine Anträge auf ein offiziell finanziertes Programm zur Beschaffung von Solarzellen-Hardware. Ihre Absagen konnten Lomers Selbstvertrauen und Beharrlichkeit nicht erschütterten. „Ich wusste einfach, dass Photovoltaik für die Küstenwache früher oder später Realität werden würde.“ Sein Glaube an die Technologie trieb Lomer dazu, nicht locker zu lassen, trotz des Risikos, dadurch möglicherweise seine Karriere aufs Spiel zu setzen.

Die einzige technische Barriere für den Erfolg, die Lomer vorhersehen konnte, war die Notwendigkeit, die Zellen und ihre zahlreichen elektrischen Anschlüsse vor dem beständigen Seegang und dem korrodierenden Salz des Meeres zu schützen. Solarzellen auf Tonnen benötigen mehr Schutz als die auf Ölplattformen, da sie dem Wasser näher sind. Geeignete Module für die hohe See herzustellen erschien jedoch nicht als unlösbare Aufgabe. „Wenn man nicht jeden Pfennig einzeln umdreht“, meinte Lomer, „könnte man sie gegen alle Einflüsse abdichten, denen die Natur sie aussetzt.“ Als Experte für Meerestechnik, verantwortlich für die Verbesserung der Navigationshilfen der ganzen Nation, war sich Lomer bewusst, wie teuer die großen Batterien und ihre Wartung waren. Er wusste daher von vornherein, „dass man richtig viel für diese Solarzellen ausgeben konnte und dennoch sein Geld sehr schnell zurückbekommen würde“.

Kalkuliertes Glücksspiel

Am Ende bekam Lomer die Bewilligung, eine Solareinheit auf einer Tonne in Ketchikan (Alaska) zu installieren. Die Unterbringung an diesem sonnenarmen Standort mit jährlicher Niederschlagsmenge von über 180 Inches (4,6 Meter) war ein kalkuliertes Glücksspiel mit hohen Einsätzen. Wenn die Photovoltaik da oben funktionierte, würde sie überall funktionieren, wo die Coast Guard Navigationshilfen hatte. „Das Risiko lohnte sich“, erinnert sich Lomer. Die erfolgreiche Betreibung der Solareinheit an einem so herausfordernden Standort kurbelte das Interesse an Solarzellen in der ganzen Küstenwache an.

Alle Beweise sprachen für den damaligen Kapitänleutnant. Lomer übergab seinem Vorgesetzten vertrauensvoll einen Finanzierungsantrag, um ein Konvertierungsprogramm von Primärbatterien auf Photovoltaik zu beginnen – aber er konnte ihn immer noch nicht überzeugen. Die Absage war, nach Lomers Einschätzung, „eine der schwierigsten Situationen, die mir in meiner Karriere passiert sind. Ich hatte die Daten, die Information, doch ich konnte meine Finanzierungsanträge nicht über den Tisch meines Chefs bringen, und das war das Ende der Geschichte.“

Zum Glück gab es noch eine andere Finanzierungsquelle, an die sich Lomer wenden konnte. Als sich die Energiekrise der 1970er entfaltete, begann die Energy Research and Development Agency (ERDA), die später zum Energieministerium der USA (Department of Energy) wurde, Demonstrationsprojekte zu finanzieren, um der amerikanischen Bevölkerung die praktische Seite von alternativen Energietechnologien zu zeigen. Anders als die Coast Guard nahm das Department of Energy Lomers Antrag wohlwollend auf. „Wenn wir nicht die beste Anwendung für Solarzellen hatten, dann würde ich gerne wissen, wer sie jemals haben sollte“, erinnert sich Lomer. Die Verantwortlichen ermutigten ihn, einen Projektplan zu entwickeln. Unglücklicherweise musste der Plan von seinem Vorgesetzten unterschrieben werden. Lomer erinnert sich lebhaft an das Treffen. „Ich ging in sein Büro und sagte: ‚Schauen Sie mal, Chef, Sie haben mir jahrelang gesagt, dass es dafür kein Geld gibt, doch jetzt habe ich das Problem gelöst.’ Er schaut mich überrascht an und sagt: ‚Was meinen Sie?’ Ich berichtete ihm dann vom Interesse des Energieministeriums. ‚Nein, das können wir nicht machen’, sagte er und schüttelte entrüstet den Kopf, ‚wir sind die Küstenwache, eine unabhängige Behörde, und wir werden nicht bei irgendeiner anderen Regierungsbehörde betteln gehen.’“

Neuer Chef, neues Glück

Lomer tat dann etwas Drastisches, weigert sich aber, es zu enthüllen. „Sagen wir einfach, dass ich eines Tages das O.k. bekam, einen Antrag auf über eine Million Dollar beim Energieministerium einzureichen, von dem ich schon wusste, dass er angenommen werden würde.“ Kurz danach, im Jahr 1977, hatte der mutige Coast-Guard-Offizier eine Projektfinanzierung und einen neuen Chef, den Lomer als „wunderbar“ beschrieb. „Er sagte, wir werden das nicht nur machen, sondern uns auch ein Team holen“, das sich ganz diesem Projekt widmet. Die Solarisierung der Küstenwachenausrüstung wurde nun Realität, mit Lomer als Projektleiter. In seiner neuen Position, berichtet Admiral Yost, damals Oberstleutnant der Coast Guard, „erarbeitete Lomer einen Projektplan, um alle Aspekte zu berücksichtigen, unter anderem Ausrüstungsbeschaffung, Standortselektion, Berichte, Management, Ausbildungsprogramme, Designs, logistische Unterstützung, Durchführungsplanung“.

Um doppelt abzusichern, dass die Ausrüstung den Herausforderungen standhalten würde, schlug Lomer ein beschleunigtes Testverfahren vor, eine Versuchseinrichtung, die als „die Grube“ bekannt wurde. Hier wurden Module in Salzwasser getaucht, extremem Druck sowie heißem und kaltem Wasser ausgesetzt. Nur ein sehr robustes, gut geschütztes Modul mit einer Glasfront und einer stabilen Rückseite konnte überleben. Die Coast Guard teilte dann der Photovoltaikindustrie in einer Ausschreibung mit, welchen hohen Standards die Module entsprechen müssten. Der Wettbewerb um den Multimillionen-Dollar-Auftrag war hart. Solarex, einer der jungen Solarzellenhersteller der USA in den 70ern, gewann die Ausschreibung.

Schon vor Beginn der 1980er Jahre hatte sich die Coast Guard entschieden, all ihre Navigationshilfen mit Photovoltaik zu versorgen. Admiral Yost bezeichnete Lomer als „die Antriebskraft für die Umstellung der Coast-Guard-Navigationshilfen auf Solarenergie und als den führenden Photovoltaikexperten des Dienstes“. Auch Präsident Ronald Reagan lobte Captain Lomer für „beispielhaften Dienst und außerordentliche Leistung“ und dafür, dass er „als Projektmanager für die Umrüstung der Navigationshilfen von Batterien auf Solarenergie einen wesentlichen Betrag an Steuergeldern einsparte, und zwar durch Initiative und wirksames Management“. Trotz des Lobes von Seiten seines Oberbefehlshabers und einiger Orden der Coast Guard für seine Pionierarbeit mit Solarzellen „kostete Lomer sein hartnäckiges Eintreten für Photovoltaik seine Beförderung zum Admiral“, sagte Steve Trenchard, einer von Lomers Mitarbeitern. „Man kommt zu dem Ergebnis, dass es manchmal keine Gerechtigkeit gibt in der Welt.“ Captain Lomer lebt heute im Ruhestand in Florida und kann sich jederzeit die Früchte seines Kreuzzugs anschauen, wenn er mit seinem treffend benannten Boot „Don Quijote“ hinaussegelt. Photovoltaisch betriebene Navigationshilfen werden heute in der ganzen Welt verwendet.

Abschied vom Acetylen

Bevor sie auf Solarenergie umstiegen, nutzten die meisten Länder, anders als die Vereinigten Staaten und Kanada, für ihre Schifffahrtszeichen Acetylen als Treibstoff für eine offene Flamme, die in einem laternenartigen Gehäuse brannte.

Ein von einer Uhr gesteuerter Mechanismus bestimmte, wann das Gas angezündet wurde. Investitionen und Wartungskosten für solche Ausrüstungen waren enorm, noch teurer und problematischer als für Batterien. Der französische Leuchtturmdienst begann 1981, Acetylen-Systemen durch Solarmodule zu ersetzen, vor allem aus wirtschaftlichen Gründen. Analysten berichteten, dass „die Amortisationszeit der Investition bei Photovoltaik bei weniger als einem Jahr liegt“.

Auch Griechenland fand diese Wirtschaftlichkeit unwiderstehlich. 1983 kostete es 15.300 US-Dollar, eine gasbetriebene Einheit aufzustellen und zu betreiben, während die Erstinvestition für ihr photovoltaisches Äquivalent nur 2.000 Dollar kostete. Und auch die Wartungskosten wurden reduziert. Bis 1983 hatte Griechenland Photovoltaik in den meisten der 960 Leuchttürme und Tonnen des Landes installiert. Griechische Solarzellenexperten nannten das Programm „die erfolgreichste photovoltaische Anwendung, die es in Griechenland gibt“. Überall in der Welt „waren die Schifffahrt-Anwendungen der Präzedenzfall im Denken vieler Menschen“, behauptet John Goldsmith. Die Bewährungsprobe unter härtesten Umweltbedingungen – auf See – war ein hervorragender Test für das Potenzial der Technologie. Die Menschen begannen, über Photovoltaik auch bei harmloseren, terrestrischen Anwendungen nachzudenken.

johnperlin@physics.ucsb.edu

Das nächste Kapitel erzählt, warum sich so viele Eisenbahnunternehmen Mitte der 1970er der Photovoltaik zuwandten.

John Perlin

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