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Land der Visionen

Vollmundige Versprechungen waren aus Saudi-Arabien von der Arabischen Halbinsel zu hören. Öl- und Rohstoffminister Ali Al-Naimi hatte im vergangenen Jahr angekündigt, das Königreich wolle die Sonnenenergie in den nächsten fünf bis zehn Jahren zu einem der größten Energiesektoren des Landes aufbauen: „Auf lange Sicht will Saudi-Arabien so viel Sonnenstrom exportieren wie heute Öl“, sagte Al-Naimi bei der Einweihung der King Abdullah University of Science and Technology. Bereits in 15 Jahren soll das Land also Solarstrom in Mengen exportieren, die umgerechnet einem täglichen Fördervolumen von acht Millionen Barrel Öl entsprechen.

Gemessen an der bisherigen Rolle von Sonnenstrom und regenerativen Energien auf der Arabischen Halbinsel ist diese Vorstellung ein echter Paukenschlag. Denn bisher war das Interesse an solarer Energie denkbar gering. Kein Wunder, denn im Boden Saudi-Arabiens lagern die größten Erdölvorkommen der Welt. Der Wüstenstaat erlaubt sich sogar den Luxus, seinen Strombedarf nahezu ausschließlich aus der Verbrennung des weltweit begehrten Rohstoffes zu decken. Bereits heute werden nach Expertenschätzungen zwölf bis 15 Prozent des geförderten Rohöls in Kraftwerken verbrannt. Berücksichtigt man den jährlich steigenden Energiebedarf des Landes, könnte dieser Anteil bis 2020 auf 40 Prozent steigen.

Doch bei steigenden Ölpreisen ist es deutlich lukrativer, das Öl auf dem Weltmarkt feilzubieten, als es im Land zur Stromerzeugung zu verfeuern. Und so kommt es, dass mit dem staatlichen Unternehmen Saudi-Aramco ausgerechnet der größte Öllieferant der Welt eine treibende Kraft beim Ausbau der Solarenergie ist. Sie soll dabei helfen, die vorhandenen Erdölreserven Saudi-Arabiens für den Export zu sichern. Auch der erste Mann im Staat, König Abdullah, möchte sein Reich fit für die Zukunft machen und schmiedet Pläne für die Zeit nach dem Öl. Er hat mehrere Forschungszentren und Universitäten ins Leben gerufen und mit großzügigen Etats ausgestattet. Sie widmen sich Zukunftstechnologien wie der Photovoltaik.

Erste Leuchtturmprojekte

So soll etwa die King Abdullah University of Science and Technology (KAUST) in Thuwal, 80 Kilometer nördlich von Jeddah, die Nutzung und Entwicklung von Solarenergie vorantreiben. In der im September 2009 eröffneten Vorzeige-Universität betreiben etwa 400 internationale Studenten naturwissenschaftliche und technologische Studien. Ihre Zahl soll in den kommenden Jahren auf 2.000 steigen. An der Universität kommen alternative Energielösungen auch in der Praxis zum Einsatz: Die Conergy Group errichtete eine Zwei-Megawatt-Solarstromanlage auf der 11.577 Quadratmeter großen Dachfläche des Universitätslabors. Die Photovoltaikanlage ist nach Conergy-Angaben die erste große Solarstromanlage innerhalb der Golfregion. Sie soll jährlich 3.332 Megawattstunden Energie liefern. „Dieses Projekt zeigt, wie sehr Saudi-Arabien das Thema Solarenergie bereits auf der Agenda hat“, sagt Hendrik Bohne, Director Sales South East Asia & Middle East bei der Conergy Group. „Die Regierung hat das Energieproblem des Landes erkannt und sucht nach Lösungen. Da hat die Anlage eine wichtige Signalwirkung.“ Conergy errichtete die Anlage in Zusammenarbeit mit dem lokalen Systemintegrator National Solar Systems.

Eine weitere Pilotanlage entsteht in der Stadt Al Khafji. Dort errichtet das US-amerikanische Unternehmen IBM zusammen mit der King Abdulaziz City for Science and Technology (KACST), einer nationalen Forschungsbehörde, eine Meerwasserentsalzungsanlage, die mit Sonnenenergie betrieben wird und sauberes Wasser für 100.000 Menschen liefern soll. Für die Solaranlage, die eine Leistung von zehn Megawatt erbringen soll, entwickelte IBM eigens eine neuartige Konzentrator-Technologie. Dabei bündeln und verstärken Linsen das einfallende Sonnenlicht um das 1.500-Fache, es trifft mit höherer Intensität auf die Zellen und erhöht so deren Leistung. Die Anlage soll bis 2012 fertiggestellt sein. Die Entsalzung von Meerwasser ist in vielen Regionen der Arabischen Halbinsel die einzige Möglichkeit, um an Frischwasser zu kommen. Sie ist allerdings sehr energieintensiv. Gerade in diesem Bereich könnte die Solarenergie sich als Lösung bewähren, so die Hoffnung des Forscherteams.

Solarindustrie im Wartestand

Abgesehen von diesen prestigeträchtigen Pilotprojekten herrscht jedoch weitgehend Schweigen im Walde. „Es existiert noch kein etablierter Photovoltaikmarkt in Saudi-Arabien“, sagt Klaus Friedl, Managing Director bei Phoenix Solar. Der international tätige Photovoltaik-Systemanbieter hat Ende 2009 im benachbarten Sultanat Oman eine Tochtergesellschaft gegründet, von der aus die sechs Golfstaaten bedient werden. „Es war uns wichtig, früh in den Markt einzusteigen.“ Er rechnet mit einem Markt von 100 Megawatt Kapazität, „sobald sich in Saudi-Arabien Solarenergie für 0,15 US-Dollar pro Kilowattstunde produzieren lässt.“ Eine Marke, die innerhalb der nächsten Jahre durchaus erreichbar ist, schätzt Friedl. Bis dahin seien Pilotprojekte mit „Vorführcharakter“ von großer Bedeutung.

Die saudische ACWA-Holding, spezialisiert auf Wasser- und Energieversorgung, hat mit der Sun and Life LLC bereits eine Solartochter gegründet, die noch in den Startlöchern verharrt. „Wir warten auf ein entsprechendes Regel werk, um überhaupt ein Power Purchase Agreement abschließen zu können“, berichtet Alexandre Allegue, General Manager bei Sun and Life. Seine Hoffnungen beruhen auf den Beratungen eines staatlichen Gremiums über ein Regelwerk zur Einspeisung erneuerbarer Energien. Das Gremium könnte laut Allegue die Tarife festlegen, zu denen der Stromversorger SEC Solarenergie abnimmt, und soll noch in diesem Jahr Ergebnisse präsentieren. „Sobald die Abnahmeregelungen für Solarstrom feststehen, wird der Markt in Bewegung geraten“, ist Allegue überzeugt. Das Unternehmen hat nach eigenen Angaben zusammen mit dem Energieversorger SEC bereits Pläne für Projekte in einer Größenordnung von 75 Megawatt entwickelt, die nun nur darauf warten, dass die Abnahmeregelung in Kraft tritt.

Alexandre Allegue schätzt, dass der saudi-arabische Markt für Photovoltaik mittelfristig auf eine Größenordnung von drei Gigawatt wachsen könnte. „Saudi-Arabiens Energiebedarf hängt vor allem mit den weit verbreiteten Klimaanlagen zusammen, die für 65 Prozent des Stromverbrauchs verantwortlich sind. Glücklicherweise ist der Bedarf während des Tages besonders hoch, wenn auch die Sonne scheint. Daher kann die Photovoltaik für diesen Bereich schon jetzt auf dem Markt bestehen.“ Pläne für eine eigene Produktion schlummern auch schon in den Schubladen von Sun and Life. „Sobald die örtlichen Regelwerke feststehen, werden wir Produktionslinien für unsere geplanten Projekte errichten – der Bereich soll organisch wachsen“, kündigt Allegue an.

Hohe Hürden für Solarenergie

Als größte Hürde für eine solche Entwicklung könnten sich die niedrigen Strompreise des Landes erweisen. Denn der Staat hält den Strompreis durch Subventionen künstlich niedrig, er liegt mit etwa vier US-Cent pro Kilowattstunde deutlich niedriger als in westlichen Ländern. „Wenn die Solarenergie ebenso stark subventioniert würde wie die fossilen Energien, wäre die Photovoltaik durchaus erschwinglich“, sagt Allegue.

Daneben stellen die natürlichen und klimatischen Gegebenheiten des Wüstenlandes die Photovoltaik vor spezielle Herausforderungen. „Vor allem die Hitze macht zu schaffen“, bestätigt auch Hendrik Bohne von Conergy, der mit der KAUST-Großanlage erste Erfahrungen sammeln konnte. „Allein schon die Installationsarbeiten auf den Dachflächen bei über 50 Grad Celsius waren ein Kraftakt.“ Zudem wirkten sich die hohen Temperaturen negativ auf den Wirkungsgrad der Photovoltaikmodule aus. „Wir haben Hitzeverluste von etwa zehn Prozent bei der Leistung unserer Solarmodule. Dennoch stellt die Anlage aufgrund der sehr hohen Einstrahlung in der Region eine sehr wirtschaftliche Lösung für KAUST dar.“

„Die klimatischen Herausforderungen für die Solarindustrie sind in Saudi-Arabien erheblich“, bestätigt auch Klaus Friedl von Phoenix Solar. „Die hohen Temperaturen sprechen aufgrund des geringeren Temperaturkoeffizienten aus technischer Sicht eher für den Einsatz von Dünnschichttechnologien.“ Auch die

Masdar City in Abu Dhabi:

Im Wettlauf um die Zukunftsfähigkeit auf der Arabischen Halbinsel hat das benachbarte Emirat Abu Dhabi mit der Masdar-Initiative vorgelegt. Masdar City soll die erste CO2-freie Stadt der Welt werden. Die auf sechs Quadratkilometer Fläche von Stararchitekt Sir Norman Foster konzipierte Stadt soll nach ihrer Fertigstellung im Jahr 2016 ausschließlich mit Strom aus regenerativen Quellen versorgt werden. In zehn Jahren soll Masdar City von 50.000 Menschen bewohnt werden. Geplant ist die Ansiedlung von rund 1.500 internationalen Firmen aus dem Bereich der erneuerbaren Energien. Die bisherigen Kosten werden mit insgesamt 17,5 Milliarden Euro beziffert. Die Öko-Stadt soll auch künftiger Sitz der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien (Irena) werden.

Für die Energieversorgung von Masdar soll auch ein großes Konzentrator-Photovoltaik-kraftwerk sorgen, dessen Bau ein Konsortium aus dem Energiekonzern Total und der spanischen Abengoa Solar angekündigt hat. Die Anlage „Shams 1“ in Madinat Zayed, südwestlich von Abu Dhabi, soll mit einer Leistung von 100 Megawatt das weltgrößte Konzentrator-Photovoltaikkraftwerk und das erste dieser Art in der Golfregion werden.

Zuletzt machte Masdar aber hauptsächlich negative Schlagzeilen. Zuletzt deuteten mehrere Rücktritte und Personalwechsel in der Führungsriege bei Masdar auf zunehmende Unstimmigkeiten. Beispielsweise hat Tariq Ali, Head of Research am Masdar Institute of Science and Technology (MIST), seinen Posten geräumt. Zudem mussten die Initiatoren einräumen, dass es aus finanziellen Gründen zu Verzögerungen im Bau komme. Die Verantwortlichen versicherten aber, dass die Arbeiten in Masdar weitergingen: „Der Bau von Masdar City geht weiter, wir behalten den Kurs bei“, stellte Fares Ghneim, Head of Corporate Communications bei Masdar, klar. Auch wenn der Zeitplan aus den Fugen geraten sei, sollen die ersten Gebäude noch in diesem Jahr fertiggestellt und die erste Bauphase zum Jahresende 2013 abgeschlossen werden.

saudi-arabischen Solarpioniere von Sun and Life hatten sich in ihren Plänen ursprünglich auf Dünnschicht fokussiert. „Aber angesichts des starken Falls der Siliziumpreise denken wir jetzt über spezielle kristalline Module nach, die einen günstigen Temperaturkoeffizienten haben“, sagt Allegue.

Sandstürme, Hitze, Feuchtigkeit

Auch Sandstürme und die hohe Luftfeuchtigkeit in den Wintermonaten schränken die Effizienz von Solarmodulen erheblich ein. Laut einer Studie der King Fahd University of Petroleum & Minerals in Dhahran kann der Wüstensand die Leistung von Solarmodulen um bis zu 20 Prozent einschränken. Dieses Problem lässt sich allerdings in Handarbeit lösen, berichtet Hendrik Bohne: „Nach unserer Erfahrung reicht es, Staub und Wüstensand regelmäßig von den Modulen abzufegen.“

Hoffnung für die Solarbranche bietet eine Vielzahl von Bau- und Infrastrukturvorhaben im Land, denn es öffnet der Solarindustrie gleich mehrere Tore. Zum einen plant das Königreich mehrere groß angelegte Siedlungsprojekte, um dem Bedarf an wachsender Wohnfläche nachzukommen. Bei einigen dieser groß angelegten Bauprojekte geht es um hochmoderne, am Reißbrett entworfene Städte, die neue Zentren für Wirtschaft und Industrie werden sollen. Darunter etwa das Milliardenprojekt King Abdullah Economic City am Roten Meer nördlich von Jeddah, das in einer noch fernen Zukunft einmal zwei Millionen Saudis eine Heimat bieten soll. Die Retortenstadt soll für das neue, moderne und weltoffene Image Saudi-Arabiens stehen und entsprechend auch Zukunftstechnologien wie die Solarenergie anlocken. Bei der Entwicklung solcher ultramoderner Städte der Superlative sollen nachhaltige Bauweisen und Umwelttechnologien eingesetzt werden.

Projekte und Programme

Daneben befinden sich weitere Programme in der Planung, die erneuerbare Energien vorantreiben sollen. Das King Abdullah Petroleum Studies and Research Center (KAPSARC), eine Art Think-Tank für Energie- und Umwelttechnologien, befindet sich in einer ersten Bauphase. In dem Forschungszentrum in der Hauptstadt Riad sind bereits die ersten Projekte angelaufen, darunter eine Studie, welche die Anwendbarkeit eines Förderprogramms für erneuerbare Energien für Saudi-Arabien überprüfen und entwickeln soll. Der futuristisch entworfene Campus soll komplett mit Hilfe von Solarenergie beleuchtet werden.

König Abdullah hat sein Land mit großen Visionen für die Entwicklung von Solarenergie ausgestattet, die aufhorchen lassen. Doch inwieweit er diese Visionen auch wirklich umsetzen kann, erscheint fraglich. Das konservative Königreich hat seinen Reichtum auf den immensen Erdölressourcen aufgebaut. Ein plötzliches Umschwenken auf erneuerbare Ressourcen käme einem beispiellosen Bruch gleich und würde im Land auf Widerstände treffen. Es muss sich erst noch zeigen, ob die Visionen vom Solarenergie-Export nicht doch wirkungslos im Wüstenwind verpuffen.

Rouben Bathke

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