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Störfeuer aus dem Backyard

Wenn das eigene Kind Erfolg hat, ist das gewiss ein Grund zur Freude. Doch bei Ray Noble mischt sich darunter verständlicherweise etwas Wehmut. Er hat erst bis 2006 als Manager bei BP Solar darunter gelitten, dass der britische Solarmarkt darniederlag. Dann hat er bei der Renewable Energy Association (REA), dem Äquivalent zum deutschen Bund für erneuerbare Energien, für die britischen Einspeisetarife agitiert, als deren Vater er gilt. Jetzt muss er es mit Humor nehmen, dass er nicht mehr so von ihnen profitieren kann wie der Manager einer Solarfirma: „Warum konnte das nicht vor zehn Jahren passieren – ich gehe bald in Rente“, witzelte er am Rande einer Tagung im Sommer. Die Erwartungen an den britischen Markt sind inzwischen hoch. Dabeisein ist alles.

Die Förderung auf der Insel ist sehr gut. Entsprechend dem sogenannten „Clean Energy Cash Back Scheme“ werden seit April bis zu rund 48 Eurocent pro Kilowattstunde bezahlt, und zwar für 25 Jahre. Es gibt zwar eine Degression alle zwei Jahre, die ist aber an die Inflation gekoppelt. Die Vergütung könnte also sogar steigen.

Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Im April wurden knapp 3.500 Solardächer installiert. In der hohen Zahl zeigte sich zwar ein Rückstau, der sich löste, denn die Zahl der Installationen fiel im Mai auf knapp 1.200 Dächer zurück. Seitdem steigt sie aber wieder deutlich an. Im Juni wurden rund 1.400 installiert, im Juli 1.700 und im August 2.257. Insgesamt sind sogar schon rund 20 Megawatt an kleinen Dachanlagen in weniger als einem halben Jahr gebaut worden. Zum Vergleich: Im ganzen Jahr 2009 wurden dagegen nur mickrige vier Megawatt installiert.

Der Aufschwung in Großbritannien ist besonders für Firmen vom Kontinent interessant, wo die Einspeisetarife zurzeit in etlichen Ländern wie Deutschland, Frankreich und Tschechien gesenkt wurden oder eventuell gesenkt werden sollen. Die Firmen, die in Großbritannien mitmischen wollen, haben aber noch einige scheinbare und einige reale Hürden vor sich.

Registrierung nötig

Wie man sieht, sammelt das Königreich die Daten so zeitnah, dass es schon jetzt exakte Zahlen über den Zubau der letzten Monate gibt. Photovoltaikanlagen unter 50 Kilowatt Leistung sind sogenannte Mikrogeneratoren. Solche Kleinanlagen, für die Betreiber den Einspeisetarif in Anspruch nehmen wollen, müssen nach dem sogenannten Microgeneration Certification Scheme, oder kurz MCS, registriert werden. Deutschland hat auch ein solches Register, aber in Deutschland melden sich die Energieversorger lediglich mit den letzten Zahlen zu Neuanschlüssen bei der Netzagentur – man sammelt also reine Statistiken. Im britischen Register wird aber erst überprüft, ob die Neuanschlüsse britische Auflagen erfüllen, damit sie die Einspeisetarife bekommen können. Das ist dann der Fall, wenn sich der Installateur hat zertifizieren lassen und er nur zertifizierte Produkte verbaut hat. Falls nicht, darf die Anlage zwar auf dem Dach bleiben, der erzeugte Strom wird aber nicht mit dem Einspeisetarif vergütet. Das Marktforschungsinstitut EuPD Research, das auch in Großbritannien Installateure befragt, hält es deshalb für möglich, dass eine große Zahl vor allem kleiner Betriebe die Zertifizierung scheut.

Hat die Anlage UL- und TÜV-Etiketten, ist sie nicht automatisch nach MCS qualifiziert. Allerdings dürfte die Prüfung eine Formalität sein. „MCS ist quasi eine Qualitätssicherungsmaßnahme wie ISO 9001 – und zwar eine, die älter ist als die neuen Einspeisetarife“, sagt etwa Steve Pester vom Building Research Establishment. Allzu lange dauert es wohl auch nicht, die Zertifizierung zu bekommen, Suntech hatte sie zum Beispiel für die von der Firma produzierten Module schon vor der Intersolar in München. Wechselrichter sind übrigens noch nicht Teil des MCS, auch Aspekte wie Windfestigkeit und Wasserdichtheit würden nicht geprüft. Doch das könnte sich noch dieses Jahr ändern. Für bereits installierte Anlage bestehe selbstverständlich Bestandsschutz.

Um die Bedenken vor dem MCS-System zu zerstreuen, betont Pester das Alter von MCS. Manche – auch manche Briten – verstehen das MCS auf den ersten Blick seiner Meinung nach fälschlicherweise als Protektionismus. Doch beim MCS ist diese Annahme auch nach Ansicht von Ray Noble falsch. „Das Label wurde nicht erfunden, um den einheimischen Mittelstand zu schützen, sondern damit wir die Fehler aus der Vergangenheit nicht wiederholen“, sagt er. In den letzten Jahrzehnten haben nämlich Solarpioniere und Bastler auf eigene Faust etliche Anlagen installiert – sowohl thermische als auch Photovoltaik –, und der gerade bei den thermischen Anlagen oft anzutreffende Murks am Bau hat dem Image der Solarwirtschaft ziemlich geschadet. Die Situation flammte kürzlich wieder auf, als eine Verbraucherzeitung anlässlich der neuen Gesetzgebung über die alten Probleme mit „solar“ berichtete. „Es wurde aber nicht einmal zwischen Thermie und Photovoltaik unterschieden. Wir müssen noch viel Aufklärungsarbeit in Großbritannien machen“, sagt Ray Noble.

Aber trotzdem ist für einige Betriebe aus dem britischen Mittelstand MCS lästig. „Wieso müssen wir MCS haben, wenn wir schon durch UL und IEC gelaufen sind? Das ist ja alles nur ein weiterer Versuch von Premierminister Cameron, die Kassen zu füllen“, rief Reza Shaybani von Photonics UK aus dem Publikum dem Podium bei einer Konferenz entgegen, die in München im Sommer stattfand. Auf dem Podium saß Martin Cotterell, Mitglied der MCS-Arbeitsgruppe und der britische Vertreter in der IEC-Arbeitsgruppe, die Photovoltaik-Installationsstandards aufarbeitet. Cotterell verteidigte das MCS dagegen tapfer. Viele britische Firmen hätten sich freiwillig fürs MCS angemeldet, um ihre Qualität zu unterstreichen. Die Kosten für die Zertifizierung seien mit rund 2.400 Euro zu Beginn und rund 1.200 Euro pro Jahr danach durchaus tragbar. Was man vor allem beim MCS bedenken soll: Es gilt sowieso nur für Anlagen kleiner als 50 Kilowatt. „Bei größeren Anlagen geht man von der kaufmännischen Sorgfalt aus“, stellt Ray Noble von der REA klar.

Solar gegen EU-Strafen

MCS ist nicht die einzige psychologische Hürde vor dem solaren Aufschwung in Großbritannien. Gerade angesichts des zähen Kampfes von Noble und anderen um die Einspeisetarife fragen sich viele, wie dauerhaft die Vergütung sein wird. Die Beispiele Spanien, Frankreich und Deutschland zeigen, dass die Diskussion um die Tarife leicht zum Dauerbrenner wird und das aktuelle politische Kräfteverhältnis eine große Rolle spielt.

Das Clean Energy Scheme wurde unter der Vorgängerregierung aufgearbeitet und die neue Cameron-Regierung machte im Sommer eigentlich klar, dass sie nicht gedenkt, das Programm zu kippen. Im Gegenteil: Die neue Koalition hob gleich hervor, dass sie eher die Renewable Obligation Credits (ROCs) durch eine Ausweitung der Einspeisetarife abschaffen möchte.

Allerdings gab es Anfang September dann doch die ersten Gerüchte, dass die Regierung daran denke, die Förderung zu kürzen. Außerdem könnte Widerstand aus der Öffentlichkeit kommen.

Ist es also denkbar, dass sich wie in Deutschland Verbrauchergruppen wegen der angeblich hohen Kosten des Solarstroms gegen die Einspeisetarife wenden? „Unwahrscheinlich“, sagt Noble: „Wir sind so weit entfernt von unseren EU-Zielen für erneuerbare Energien, dass uns die Strafen weit mehr kosten würden.“ Von 1990 bis 2008 wuchs nämlich der Stromverbrauch Großbritanniens von 309 auf 379 Terawattstunden. Und obwohl das Land die besten Windbedingungen Westeuropas hat, deckte es 2009 immer noch bloß zwei Prozent des Bedarfs durch Windenergie. Anfang September ging eine Meldung durch die Presse, als die Windkraft einen neuen Rekord aufstellte: Sie deckte am ersten Montag jenes Monats fünf Prozent der Stromvorsorgung, vor allem mit Windenergie aus Schottland. Der Anteil des Solarstroms ist noch geringer.

Hinzu kommt die blanke Notwendigkeit, mehr Erzeugungskapazitäten zu bauen: Ab 2016 fürchten Experten Engpässe, und es gibt keine leichte Alternative mehr, seit die Gasförderung aus der Nordsee zurückgeht (die installierte Leistung in den 1990ern bestand fast nur aus Gasturbinen). Auch die Atomkraft ist keine Option, denn man könnte so schnell kein neues Kraftwerk bauen, „und außerdem wurde kein Kernkraftwerk

in Großbritannien jemals im Plan fertiggestellt – weder zeitlich noch finanziell“, fügt Nicholas Doyle von Places for People hinzu. Seine Baugesellschaft ist auf Sozialwohnungen spezialisiert und betreut rund acht Prozent der Haushalte des Landes. Der Immobilienexperte kennt deshalb einen anderen Grund, weswegen der Photovoltaikmarkt langfristig erfolgreich sein wird: „Nullenergiehäuser werden wohl in einer kommenden EU-Baurichtlinie innerhalb der nächsten zehn Jahre Pflicht, und Photovoltaik wird immer Teil vom Nullenergiekonzept sein.“

Wenn also jemand argumentiert, der Solarstrom sei zu teuer, wird eine große britische Sozialwohnungsgesellschaft dagegenhalten. Und Daniela Schreiber von EuPD Research weiß von noch einer Besonderheit, die das Königreich interessant für Solardächer macht: Rund 69 Prozent der Briten besitzen ihr eigenes Domizil und können deswegen schon mal über eine Solaranlage nachdenken. Im Vergleich: Weit weniger als 50 Prozent der Deutschen besitzen die eigenen vier Wände.

Die echte Hürde NIMBY

Die problematischste Hürde kommt aber nicht aus der Politik, sondern ist ganz praktischer Art: NIMBYism. Das Syndrom „not in my backyard“ bedeutet, dass manche Leute die Erneuerbaren zwar furchtbar gerne haben, aber am liebsten in der Sahara, denn dann sieht man nichts davon vom eigenen Strohdach-Cottage aus. Jonathan Scurlock vom britischen Bauernverband sagt, sein Verband habe die Einspeisetarife befürwortet, doch er könne „nicht sicher sagen, wie die Menschen auf Solarparks auf Ackerland reagieren werden“. Die Windbranche habe das Problem des „visual impact“ (etwa „Sichtverschmutzung“) unterschätzt, und man dürfe diese Fehler mit der Photovoltaik nicht wiederholen.

Der Deutsche Michael Bartoschek von Solaris-Developments Ltd. weiß auch ein Lied davon zu singen: „Die Entscheidung, eine Freilandanlage in Großbritannien aufzustellen, ist sehr politisch. Man muss Kontakte haben.“ Ray Noble hat einen anderen Ratschlag für Planer von Freilandanlagen: Die Ständer sollten nicht höher als die Hecke sein, und man sollte gut sichtbare Südhänge erst mal außen vor lassen. Bartoschek bestätigt, dass das Visuelle generell eine große Rolle bei den Engländern spielt: In Reding möchte seine Firma eine Kirche mit Solar bestücken, „aber die Anlage soll die gleiche Farbe haben wie die alten Dachziegel – das heißt Rot“, was eben mit Effizienzeinbußen einherginge.

Die sonnigste Gegend ist Cornwall im Südwesten Englands. Tim German vom Green Cornwall Programme weiß aus Erfahrung: „Die Gemeinden blockieren manchmal gerne ‚grüne‘ Projekte.“ Die zögerliche Unterstützung seitens des örtlichen Energieversorgers dürfe man aber nicht missverstehen: „Die Firma ist bereit zu helfen, aber sie haben noch nie so viele Anfragen bewältigen müssen.“

Trotzdem lohnt sich der britische Markt anscheinend für viele Firmen, auch aus Deutschland. Die European Photovoltaic Industry Association (EPIA) schätzt, dass der Markt auf 250 bis 500 Megawatt pro Jahr bis 2014 anwächst. Pricewaterhouse Coopers kam auf rund 160 Megawatt. Noble meint: „Vielleicht werden es 750 – keiner weiß es genau!“

Cornwall könnte auch der Ort sein, wo die erste große Feldanlage gebaut wird. Solon hofft, bis Ende September eine Genehmigung für einen 1,3-Megawatt-Park zu bekommen. Andere deutsche Firmen haben den Sprung über den Ärmelkanal auch schon gewagt. Centrosolar hat zum Beispiel schon eine britische Tochterfirma gegründet. Doch die britische Konkurrenz schläft nicht: Homesun gab neulich bekannt, Solaranlagen im Wert von „einer Milliarde Pfund“ kostenlos installieren zu wollen. Im Gegenzug bekommt die Firma allerdings den Einspeisetarif – kostenlos ist das also keineswegs, aber die britische Öffentlichkeit hat offenbar das Prinzip der Einspeisevergütung noch nicht ganz verstanden – ebensowenig die Medien.

Auch für deutsche Geschäftsleute, die noch nicht über den Ärmelkanal gehen wollen, könnte der britische Markt interessant sein. Laut Martin Cotterell könnten nämlich manche Neuerungen im MCS irgendwann als Teil von IEC-Normen auftauchen. Und für Ray Noble werden die nächsten Jahre sowieso schön sein, denn er kann bald als Architekt von einer prächtigen Bühne abtreten, die ohne ihn so gar nicht gebaut worden wäre.

Craig Morris

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