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Von Multis und Minis

Als die Regierungen der Industrieländer Mitte der 1970er und Anfang der 1980er Jahre mit der Finanzierung von Solarstromprojekten begannen, zogen sie zentralisierte Photovoltaik-Großanlagen kleineren, autonomen Aufdachanlagen vor. Schließlich war die Stromerzeugung mit anderen Energiequellen auch immer so gehandhabt worden. „Man hatte die Vision riesiger Solarfarmen mit Gigawatt-Leistung“, so einer der Verantwortlichen für den Bau derartiger Photovoltaik-Großanlagen.

Im Gegensatz dazu war schon Solarpionier Charles Fritts, der in den 1880ern die ersten Selenmodule herstellte, der Überzeugung, dass die Photovoltaik sich besser als Vor-Ort-Lösung eigne. Als Fritts kühn voraussagte, dass seine Selen-Solarmodule bald mit den Kohlekraftwerken von Thomas Edison mithalten könnten, verfolgte er nicht das Ziel, Großanlagen zu errichten. Vielmehr war er überzeugt, Solarmodule seien „hauptsächlich für Inselanlagen geeignet, wobei jedes Gebäude mit einer eigenen Anlage ausgestattet ist“. 92 Jahre später brachte die Shell Oil Company, die von Lester Brown, dem Präsidenten des Worldwatch Institute, als einer der Erdölkonzerne mit der größten Weitsicht beschrieben wurde, Fritts‘ Sichtweise erneut zur Sprache: „Wir sind der Meinung, dass die verteilte Stromerzeugung – auf Einkaufszentren, kleinen Fabriken, Häusern und Wohnanlagen – der Photovoltaik unmittelbar die Möglichkeit bietet, einen Beitrag zu Amerikas wachsendem Energiebedarf zu leisten.“ Die Fachzeitschrift Science war derselben Auffassung und legte nahe, dass die Regierung „photovoltaischen Vor-Ort-Lösungen“ mehr Aufmerksamkeit schenken sollte.

Die Debatte bezüglich des Einsatzes von Photovoltaikanlagen verschärfte sich, nachdem mehrere kalifornische Energieversorger in den 1980er Jahren mit staatlicher Finanzierung Multi-Megawatt-Photovoltaikanlagen bauten. Zu jener Zeit nahm der Schweizer Ingenieur Markus Real die Dinge selbst in die Hand, um zu demonstrieren, dass verteilte Photovoltaikeinheiten auf bereits bestehenden Gebäuden eine Alternative zu zentralisierten Photovoltaikanlagen sein konnten. Real gründete in der 1980ern ein kleines Unternehmen namens Alpha Real für die Installation von Photovoltaikanlagen. In der Schweiz, Reals Heimatland, machte sich das Unternehmen einen Namen, als es im Juni 1985 das in Europa stattfindende weltweit erste Solarautorennen gewann. So gut wie jeder Schweizer erlebte mit, wie der „von Alpha Real betriebene Mercedes Benz“ die Konkurrenz vernichtend schlug.

Photovoltaik-Tunnelbeleuchtung in den Alpen

In seinem Heimatland profitierte Alpha Real vom hohen Bekanntheitsgrad und setzte mit seinen Photovoltaikanlagen Meilensteine. So produzierte das Unternehmen zum Beispiel die weltweit erste Photovoltaik-Tunnelbeleuchtung in den Alpen. Mit wachsender Erfahrung wurden Real und dem Unternehmen deutlich, dass die Zentralisierung bei Solarzellen – im Gegensatz zu herkömmlichen Kraftwerken – keinen wirtschaftlichen Vorteil bringt. Bei einem herkömmlichen Kraftwerk führt jede stufenweise Erweiterung des Turbogenerators zu einem dreifachen Stromzuwachs. Daher ist die Größe ein Hauptkostenfaktor bei der Stromerzeugung und begünstigt den Bau größerer Kraftwerke. Das gilt jedoch nicht für Solarstrom. Der Preis für Photovoltaik sinkt lediglich aufgrund steigender Modulstückzahlen.

Um Skeptikern zu beweisen, dass sich die Installation von Photovoltaik-Aufdachanlagen anstelle von entlegenen Großanlagen lohnt, startete Alpha Real sein revolutionäres Projekt „Megawatt“. Real nannte das Programm „die Antwort auf die großen Multi-Megawatt-Installationen“, die auf der ganzen Welt vorgezogen wurden. 1987 warb Alpha Real im Schweizer Radio und in den nationalen Zeitungen um „333 Kraftwerksbetreiber. Die einzige Voraussetzung ist ein Dach unter der Sonne.“ Die Menschen reagierten mit Begeisterung. Kurz darauf waren 333 Dächer mit Photovoltaikanlagen mit einer Leistung von je drei Kilowatt ausgestattet, was in der Summe ein Megawatt ausmachte. Spezielle Elektronik, nämlich Wechselrichter, wandelte den von den Modulen gelieferten Gleichstrom in Wechselstrom um. Das von Alpha Real entwickelte neue Gerät erlaubte es Hausbesitzern und dem Stromversorgungsunternehmen, bei der Stromerzeugung zu interagieren: Die Häuser wurden nicht bloß mit Sonnenenergie betrieben, sondern die Hausbesitzer speisten überschüssigen Strom ins Versorgungsnetz ein und wurden dafür bezahlt. Wenn die Module nachts oder aufgrund der Wetterverhältnisse nicht genügend Strom erzeugten, kauften die Hausbesitzer Strom vom Stromversorger. Durch diese Lösung kamen auf den Kunden keine zusätzlichen Ausgaben für Batterien zu, um auch bei fehlendem Sonnenlicht mit Strom versorgt zu werden.

In der Schweiz wurde die in der Photovoltaik heute am weitesten verbreitete Variante – Rasterfeldriegel – entwickelt und optimiert. Die Installationen waren zu jener Zeit das größte Anschauungsbeispiel von Photovoltaikanlagen auf Gebäuden. Die Logik war ersichtlich: Die Dächer in der Schweiz hatten zur Nutzung von Sonnenenergie die optimale Neigung, und die Installationen zur Stromerzeugung befanden sich direkt an den elektrischen Anschlüssen der Gebäude.

Zeit, Geld und Mühe sparen

Wenn die Solarmodule an den Gebäuden, in denen der Strom verbraucht wird, angebracht sind, spart man Zeit, Geld und Mühe. „Es macht Sinn, absolut“, meinte Real. „Das Dach ist schon da, frei verfügbar, und die elektrischen Anschlüsse sind vorhanden.“ Zudem sind die Grundstückspreise in dicht besiedelten Ländern, wie etwa in den europäischen Ländern oder in Japan, so hoch, dass der Einsatz der Photovoltaik auf Gebäuden sinnvoll ist. Die Schweiz zum Beispiel kann es sich nicht leisten, auf große Landflächen zugunsten der Photovoltaik zu verzichten. Genauso trifft dies größtenteils auf Europa und Japan zu.

Das Projekt „Megawatt“ trug auch zur Revolutionierung beim Stromkauf und -verkauf zwischen den Mini-Strom erzeugern und den Stromversorgungsunternehmen bei. Was die Teilnehmer am Projekt „Megawatt“ über ihren Bedarf hinaus an Strom erzeugten, verkauften sie an den örtlichen Stromversorger für umgerechnet zwei US-Cent pro Kilowattstunde. Wenn sie jedoch zum Beispiel nachts Strom benötigten, wurde ihnen vom örtlichen Stromversorger der sechsfache Betrag berechnet. Real führte die ungleichen Gebühren darauf zurück, dass „das Konzept, dass Strom nicht nur in die eine Richtung vom Stromversorgungsunternehmen zum Kunden fließt und dass die Kunden nun auch Stromerzeuger waren, eine Neuerung war, die die Stromversorgungsunternehmen noch verdauen mussten.“

Die unfaire Preisgestaltung sorgte für Wut unter den Kunden von Alpha Real, die Real als Menschen mit Einfluss beschrieb: „Die Kunden waren nicht Grüne oder Linke, sondern Ärzte und Anwälte.“ Als diese Berufsgruppen protestierten, erinnerte sich Real, „wurde der öffentliche Druck so groß, dass das Stromversorgungsunternehmen nachgab.“ Man einigte sich auf den selben Preis für den Kauf und Verkauf von Strom. Netzstromzählung, die Einführung einer gerechten Preisgestaltung bei der Interaktion kleiner und großer Stromerzeuger, wird inzwischen in vielen Staaten der USA akzeptiert. Dadurch sind Photovoltaiksysteme für Haushalte wirtschaftlicher, weil die Amortisationszeit reduziert wird. Zudem erhalten Hausbesitzer, die Solarmodule auf ihrem Dach installieren, hierdurch einen Motivationsschub. „Den Stromzähler rückwärts drehen zu können – also Strom an den Stromversorger zu verkaufen – ist für die Menschen äußerst ansprechend“, bemerkte ein Photovoltaikingenieur.

Donald Osborn, ehemaliger Leiter des Programms für alternative Energie beim Sacramento Municipal Utility District (SMUD), nannte weitere Vorteile bei der Photovoltaik-Stromerzeugung vor Ort für Verbraucher und Stromversorger. „Man vermeidet den Stromverlust, der bei der Fernübertragung auftritt und im besten Fall 30 Prozent ausmacht“, so Osborn. Bei Gebäuden mit eigenen Photovoltaikanlagen ist der Stromfluss an den Umspanntransformatoren geringer, „was die Lebensdauer der Transformatoren erhöht“. Osborn fügt hinzu: „Und bei Höchstauslastung im Sommer können die Stromversorger die Last auf dieses System verlagern, wenn die Nachfrage nach Strom am größten ist, und somit Spannungsabfällen im Sommer und Frühherbst vorbeugen.“ Vor Ort erzeugter Photovoltaikstrom macht erneuerbare Energie auch wirtschaftlich attraktiver als Strom aus Solargroßanlagen, weil der Wettbewerb mit anderen Stromerzeugern nicht auf der Großhandelsebene, sondern auf der Verbraucherebene stattfindet.

Als Real gerade sein Programm für Aufdachanlagen abschloss, kam zufällig S. David Freeman, der damalige SMUD-Direktor, in die Schweiz, um ein paar Tage in einem Chalet zu verbringen, das einem engen Freund von Real gehörte. Freeman hatte die Schließung des Atomkraftwerks Rancho Seco geleitet und sich damit einen Namen gemacht. SMUD war das weltweit erste Stromversorgungsunternehmen, das ein Atomkraftwerk vom Netz nahm. Freeman stieg unter Umweltschützern zu einer noch größeren Persönlichkeit auf, als während seiner Amtszeit neben den großen Kühltürmen des einstigen Atomkraftwerks Rancho Seco eine Photovoltaikanlage mit einer Kapazität von zwei Megawatt installiert wurde – die damals größte Photovoltaikanlage der Welt. Im Chalet sprach Freeman von Plänen, größere Photovoltaikanlagen zu bauen mit dem Argument, dass die Technologie bei wachsender Größe erschwinglicher würde. Real sagte, dass Freeman Rechte hätte, würde es sich um Turbinen handeln. In Sachen Photovoltaik liege er jedoch falsch. „Mit der Photovoltaik wird für eine Kapazität von einem Megawatt eine Fläche von 10.000 Quadratmetern benötigt“, ließ Real Freeman wissen. „Ob man Solarmodule auf einer zusammenhängenden Fläche von 10.000 Quadratmetern installiert oder die Module auf 100 Dächer verteilt, spielt für die Materialkosten keine Rolle.“ Er berichtete dann über das erfolgreich laufende Programm mit Aufdachanlagen von Alpha Real.

Impuls für Kalifornien

Real hatte erwartet, dass sein revolutionäres Experiment mit seiner großen Tragweite Freeman zum Umdenken bewegen würde und für ihn der Auslöser wäre, seine Errungenschaft auch in Kalifornien umzusetzen. „Ich erwartete, dass David Freeman sagen würde: ‚Wow! Ja, das stimmt‘“, erinnerte sich Real. „Freemans Kommentare und sein Verhalten ließen jedoch noch nicht einmal Interesse erkennen. Ich hatte bei unserem Gespräch den Eindruck, noch nie so schlecht verstanden worden zu sein.“ Für Real war es die Überraschung seines Lebens, als er nach Freemans Rückkehr in die USA einen Anruf seines Freundes David Collier erhielt, der eng mit Freeman zusammenarbeitete. „Was hast du Dave Freeman erzählt?“, fragte Collier. „Er hat mir gesagt, wir sollten Photovoltaikanlagen in Wohngebieten installieren, erst 100 und dann jedes Jahr mehr.“

So begann 1993 in Sacramento das innovative „Photovoltaic Pioneer Program“ – die erste öffentliche Initiative für Dachanlagen –, in dessen Rahmen Vier-Kilowatt-Anlagen auf die Dächer freiwillig teilnehmender Hausbesitzer montiert wurden. Es wurden 440 Photovoltaik-Systeme mit einer Gesamtkapazität von fast zwei Megawatt installiert. Seitdem war der Stromversorger an der Installation von 1.503 netzgekoppelten Photovoltaiksystemen mit einer Gesamtkapazität von 14 Megawatt beteiligt. SMUD nennt diese Installationen „Low-Cost-Kraftwerksstandorte“.

johnperlin@physics.ucsb.edu

Dieses Kapitel wird in der nächsten photovoltaik-Ausgabe fortgesetzt.

John Perlin

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