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Mit Taxi Seibert ins Jobparadies

Vor seinem größten Standortnachteil warnt Juwi Besucher groß und deutlich auf der eigenen Homepage: „Wörrstadt wird regelmäßig mit Zügen des Regionalverkehrs angefahren. Die Züge verkehren ab Mainz in der Regel alle 30 Minuten, die Fahrtzeit beträgt ebenfalls circa 30 Minuten. Vom Bahnhof bis zum Firmensitz sind es rund 2,5 Kilometer, teilweise ansteigend. Deshalb empfiehlt es sich, ein Taxi zu nutzen und dieses vorab (!) zu bestellen (zum Beispiel Taxi Seibert unter Telefon …).“ Seit seinem Umzug von Mainz in die rheinland-pfälzische Provinz liegt Juwi, zurückhaltend formuliert, etwas ab vom Schuss.

Laut Firmensprecher Ralf Heidenreich war die Abschreckungswirkung dennoch nicht allzu groß: 18.000 Bewerber haben im letzten Jahr ihre Unterlagen für eine Stelle bei dem Projektierer eingereicht.Inmitten der düsteren Untergangsszenarien, die nicht nur Solarworld-Chef Frank Asbeck für die deutschen Solarunternehmen entwirft („nur zwei bis drei Modulhersteller werden überleben“), symbolisiert Juwi einen der möglichen Zukunftsentwürfe für die einheimische Solarwirtschaft: Konzentration auf internationale Märkte – und die Projektierung von Anlagen anstelle der Produktion der Komponenten. Alleine im Solarbereich hatte Juwi Anfang Januar 50 Stellen ausgeschrieben, vom Anlagenplaner für Mittelspannungstechnik bis hin zum Vertriebsmanager für die deutschen Regionalbüros. Und der Trend soll anhalten: In diesem Jahr will das Unternehmen, das auch im Wind- und Biomassebereich aktiv ist, weltweit 500 neue Arbeitsplätze schaffen, 300 davon im Solarbereich. Anfang 2012 hätte Juwi dann 1.600 Mitarbeiter. Ende 2009 waren es noch 750. Auch Projektierer wie Phoenix Solar wollen 2011 ihr Personal aufstocken, ebenso Solarworld oder der Maschinenbauer Centrotherm. Überall geht die Tendenz Richtung Auslandsgeschäft: Centrotherm in Blaubeuren macht schon jetzt 90 Prozent seines Umsatzes außerhalb des heimischen Marktes.

Die Unternehmen bestätigen damit zumindest teilweise die Studie „Erneuerbar beschäftigt“ des Bundesministeriums für Umwelt vom Herbst 2010. Die Branche müsse „ihr Augenmerk besonders auf die in Zukunft überdurchschnittlich wachsenden Regionalmärkte richten, da der Inlandsmarkt zukünftig mit geringeren Raten wachsen wird“, heißt es darin.

Und: „Letztlich wird es das Handelsvolumen sein, das die Marktchancen der deutschen Unternehmen bestimmt, und nicht die in der Weltregion für die heimische Installation produzierte Anlage.“ Allerdings geht die Studie noch von guten Chancen auch für die deutschen Solarhersteller aus. Pessimistischer äußerte sich da schon eine Studie der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) im Auftrag der Wirtschaftswoche: Insbesondere Conergy, Solon und Q-Cells hätten nur geringe Chancen, die Krise der deutschen Solarindustrie zu überstehen. Hohe Schulden und eine geringe Finanzkraft ließen zu wenig Spielraum für Wachstum und Expansion im Ausland. Gute Chancen hätten neben einigen Modulherstellern wie Solarworld auch Maschinenbauer wie Centrotherm, Manz Automation und Roth & Rau, so die Studie.

Weltweiter Einsatz

So ähnlich werden die Trends von zwei der wichtigsten Personalvermittler im Erneuerbaren-Bereich bestätigt. „Die Firmen treiben derzeit die Internationalisierung voran“, so Christian Röther von Sunjob Consult in Wiesbaden. Entsprechend würden derzeit Personen gesucht, die die Auslandsexpansion unterstützen. „Die Kürzungen im EEG merkt man am Markt, aber nicht bezüglich der Anzahl der Positionen, die derzeit gesucht werden“, sagt Axel von Perfall vom Münchner Personalberater Alingho. „Allerdings sind in Deutschland derzeit weniger technische Positionen gefragt, weil sich Firmen mit Mitarbeitern in den technischen oder Entwicklungsabteilungen schon sehr gut ausgestattet haben.“ Insbesondere im Vertrieb werde derzeit gesucht. „Der Hintergrund ist klar: Die Firmen verspüren zunehmend den Druck des Wettbewerbs, und da kommt es nicht nur auf das Produkt an, sondern auch auf die geschickte Vermarktung des Produkts und die Pflege von Kundenbeziehungen.“

Kann das den Abbau von Produktionskapazitäten in Deutschland verhindern oder nur verzögern? „Es wird schwer für die Hersteller, das merken wir schon“, sagt Röther. „Tendenziell werden es in Deutschland weniger Hersteller. Zwei oder drei werden überleben, die Module im Hochpreis-Segment anbieten werden“, glaubt er. „Mit dem Preis braucht man gegen die Chinesen nicht zu kämpfen.“ Was nicht unbedingt heißt, dass Sunjob Consult weniger Personal für Hersteller rekrutiert: „Bei uns gleicht sich das im Prinzip aus. Wenn Werksverlagerungen von Deutschland aus stattfinden, dann können wir entsprechend Leute vermitteln, die in China oder Taiwan die Werke wieder errichten.“ Alingho vermittelt zunehmend an ausländische Firmen in China, Indien oder Taiwan, die dort Produktionskapazitäten aufbauen und dazu gerne Experten nehmen, die schon in der deutschen Solarindustrie gearbeitet haben: Gesucht wird meist für Festanstellungen oder für freiberufliche Projekteinsätze zwischen drei und zwölf Monaten. „Relativ selten sind dagegen Festanstellungen mit einem befristeten Vertrag für ein oder zwei Jahre“, sagt von Perfall.

Landessprache zweitrangig

Mehr Internationalisierung, mehr Professionalisierung – so könnte man den Trend in der Solarindustrie zusammenfassen. Wobei für die Bewerber beides oft zusammenhängt: Englisch gilt als Standard bei den Jobs auf der mittleren und oberen Ebene, die Röther und von Perfall vermitteln (Jahresgehalt: 60.000 bis 200.000 Euro) – eher fraglich ist dagegen, wie viel es bringt, angesichts der fluktuierenden Märkte gezielt weitere Sprachen zu lernen: „Ich würde nicht sagen, dass es sinnvoll ist, Französisch zu können, wenn man in den Bereich erneuerbare Energien möchte – auch wenn das aktuell ein guter Markt ist“, sagt Röther. Im asiatischen Bereich reicht im Allgemeinen Englisch aus. Mehr Kenntnisse schaden aber auch nicht: Bewerber „mit hoher Asienaffinität, die sich sogar in der Landessprache ausdrücken“ können, „sind bei uns herzlich willkommen“, so Centrotherm-Sprecher Torsten Knödler.

Ein Programm, das auch die Familie bei einem Umzug für längerfristige Auslandseinsätze betreut, ist übrigens nur bei Führungspositionen üblich. Ansonsten gilt, so von Perfall, „dass sich nur diejenigen bewerben, die ungebunden sind und die persönliche Herausforderung darin sehen, mal ein paar Jahre im exotischen Ausland zu arbeiten“.

Dass die Erneuerbaren-Branche boomt, hat sich mittlerweile auch bis zu zahlreichen Bildungsträgern herumgesprochen, die gezielt Umschulungen oder Weiterbildungen für den Umstieg anbieten. Allerdings ist die Pionierzeit, in der solche Quereinsteiger große Chancen besitzen, oft genau dann vorbei, wenn die Bildungsträger einen solchen neuen Markt entdeckt haben. Röther spricht etwa von 100 Bewerbungen im Schnitt auf eine Stellenausschreibung als Salesmanager: „Das sind natürlich viele Bewerber, aber die meisten sind qualitativ nicht ausreichend – darunter viele aus dem Automobil- oder IT-Bereich, die glauben, sie würden gut in die Photovoltaikbranche passen.“

Mehr Berufserfahrung nötig

Damit bleibt die Frage: Gibt es einen Fachkräftemangel oder nicht? Ralf Heidenreich von Juwi spricht davon, dass „berufserfahrene Projektmanager, Auslandsbauleiter, Elektroingenieure und mitunter sogar Assistenzen manchmal schwer zu finden“ seien. Ein Indiz könnte auch die steigende Zahl der Personalfirmen für die Vermittlung von Fach- und Führungskräften und die Länge der Suche nach geeigneten Bewerbern sein. „Wir brauchen im Schnitt länger und betreiben mehr Aufwand für eine Stellenbesetzung“, sagt Solarworld-Personalreferentin Agnieszka Marszalek. Bei Ausschreibungen auf eine Stelle als technischer Redakteur kämen oft nur wenige Bewerbungen.

Übereinstimmend heißt es bei Röther und von Perfall, aber auch beim Hamburger Hersteller Conergy, dass zunehmend Personal mit Branchenerfahrung gesucht wird. Mit wenigen Ausnahmen: Bei der Anlagentechnik oder in der Produktion sind auch Bewerber aus der Halbleiterindustrie erwünscht. „An unserem Produktionsstandort Frankfurt/Oder haben wir auch viele Kollegen eingestellt, die früher bei Siemens, Infineon oder Qimonda gearbeitet haben“, so Conergy-Sprecher Alexander Leinhos. „Die haben ein Produktionswissen, das dem, was wir dort brauchen, sehr ähnelt.“ Röther zählt eine weitere Ausnahme auf: Ein Kunde, der Projektleiter im Freiflächenbereich gebraucht habe, habe nach „Leuten aus der Baubranche gesucht, die ähnlich große Projekte gemacht haben und deren Komplexität kennen und beherrschen können“.

Karriere auf der Titanic

Interessanterweise finden sich auch auf den Webseiten von Conergy, aber auch von Solon und Q-Cells, Dutzende Neuausschreibungen – also jenen drei Firmen, die in den letzten Jahren in Turbulenzen gerieten und denen von der HTW-Studie der Untergang prophezeit wird. Conergy suchte Anfang Januar unter anderem einen Senior Product Manager im Photovoltaikbereich und einen International Business Controller, Q-Cells einen Projektmanager für Photovoltaikanlagen sowie einen Ingenieur für die Qualitätssicherung. „Wir haben eine normale Fluktuation, bauen aber in manchen Bereichen aus“, sagt Conergy-Sprecher Leinhos.

Die Frage ist nur: Wie sinnvoll ist es, auf der Titanic anzuheuern? „Solche Bedenken räumen wir normalerweise erfolgreich aus dem Weg“, sagt Leinhos. „Denn wenn ein Bewerber nicht nur die Zeitung von gestern aufschlägt, sondern die Ausgaben der letzten Jahre, sieht er, dass Conergy in den letzten Jahren schon öfters in solchen Situationen gewesen ist.“ Manchen sei das zu unsicher, andere fänden es interessant, bei einem „Unternehmen im Wandel“ zu arbeiten.

Auch von Perfall will nicht abraten: „Wenn interessante Positionen offen sind, würde ich mich immer darauf bewerben.“ Ausschreibungen, die nur im Netz stünden, um das Unternehmen besser aussehen zu lassen, und nicht real seien, seien selten, heißt es bei den Personalberatern. Ob man ein gutes Gefühl bei dem Unternehmen habe, könne man nach einem Gespräch immer noch entscheiden, sagt von Perfall. Und schließlich: „Auch bei einem scheinbar guten Unternehmen kann es Ihnen passieren, dass nach zwei Jahren der Job obsolet oder die Struktur verändert wird und man dort keinen guten Einsatz mehr hat.“

Martin Reeh