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Sinkende Leistung

Gerade noch rechtzeitig zum Jahreswechsel hatten die Monteure den Drei-Megawatt-Solarpark in der Nähe Berlins fertig gebaut – da begannen für den Investor harte Zeiten. Die Module verloren innerhalb von nur zwei Monaten bis zu drei Prozent ihrer Leistung und lagen damit unter den Datenblattangaben. Ein klassischer Garantiefall, sollte man meinen. Doch der Modulhersteller sah das anders. Schuld sei die Anfangsdegradation. Man wisse als Experte doch, dass die Module schlechter werden. „Ein Garantiefall tritt ein, wenn die Leistung unter 90 Prozent fällt“, behauptet der Hersteller. Aus Sicht des Investors ist das ein schlechter Scherz. Er geht davon aus, dass die Anfangsdegradation in der Leistungsangabe berücksichtigt ist. Dementsprechend macht er auch seine Kalkulation. Drei Prozent weniger Einnahmen reduzieren die Rendite einer Anlage um einen deutlich höheren Prozentsatz und sind damit sehr ärgerlich.

„Eines ärgert mich besonders“, sagt Ralf Haselhuhn, Vorsitzender des Fachausschusses Photovoltaik der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie und Gutachter beim Berliner Landesverband. „Bei Großprojekten wird das oft extra vertraglich geregelt. So wird zum Bei-spiel eine repräsentative Stichprobe der Module nach der Anfangsalterung vermessen. Bei kleinen Anlagen kaufen die Installateure im Handel und haben nicht diese Möglichkeit.“ Haselhuhn weiß, dass die Hersteller unterschiedlich mit diesem Thema umgehen und wie er derenLeistungsangaben einschätzen muss. Auch dieses Wissen ist den kleineren Kunden versagt.

„Ich will kein Modul kaufen, bei dem die Leistung nach ein paar Tagen um vier oder fünf Prozent unterschritten wird“, sagt auch Winfried Wahl, Product Marketing Manager bei Suntech. „Das ist eine Sache, die man dem Kunden nicht zumuten sollte.“ Suntech wirbt derzeit damit, die Anfangsdegradation bei der Leistungsangabe auf seinen Modulen zu berücksichtigen. Vor Oktober 2010 war das noch nicht der Fall, und auch bei anderen Herstellern wird die Anfangsdegradation bei der Leistungsangabe auf dem Modul bis heute nicht unbedingt berücksichtigt. „Der Großteil der internationalen Hersteller macht nichts dagegen“, so weit die Einschätzung von Wahl. Eine Umfrage unter Modulherstellern, zeigt zwar ein differenziertes Bild, doch in einem hat Wahl recht: Selbstverständlich ist das Vorgehen nicht.

Übeltäter Bor-Sauerstoff-Komplex

Dabei ist das Problem schon länger bekannt. „Zum einen liegt es an der Basisdotierung, also wie viel Bor im Basismaterial zu finden ist, und zum anderen an weiteren Verunreinigungen wie Sauerstoff und Eisen“, erklärt Sebastian Pingel, Team-Manager Forschung und Entwicklung im Bereich Solarzellen bei Solon. Wegen der Verunreinigungen bilden sich Eisen-Bor- beziehungsweise Bor-Sauerstoff-Verbindungen, die bei Lichteinstrahlung in den ersten Betriebstagen der Module Defekte ausbilden. Diese Defekte können dann freie Elektronen binden und sie so daran hindern, in die Elektrode zu gelangen. Dies mindert den Stromfluss und die Leistung des Moduls. Der Degradationseffekt durch Bor-Sauerstoff-Verbindungen ist besonders nachteilig, da er sich nicht über Nacht regeneriert, wie dies teilweise bei Eisen-Bor-Verbindungen der Fall ist.

Die Degradation ist dabei nicht so klein, dass man sie einfach vernachlässigen könnte. Es hängt sehr vom Wafermaterial ab, um wie viel Prozent die Zellen wirklich schlechter werden. Pingel hat das im Detail für einen Artikel für die letzte EU PVSEC im Labor untersucht. Er kam zu dem Ergebnis, dass sehr gute monokristalline Zellen zwar nur um 0,3 Prozent degradieren. Es gab aber auch schwarze Schafe, die um 5,1 Prozent schlechter wurden. Im Mittel lag dieDegradation immer noch bei 2,1 Prozent (siehe Tabelle Seite 86).

Degradation vermeidbar

Wenn Hersteller die Anfangsdegradation ihrer monokristallinen Zellen gering halten möchten, können sie verschiedene Strategien verfolgen. Für standardmäßige p-Typ-Zellen mit Bor-Dotierung ist es vor allem wichtig, die Qualitätssicherung bei den Zulieferern von Wafern und Zellen im Auge zu behalten. „Wir haben eine relativ enge Spezifikation, wie groß die Anfangsdegradation sein darf. Das prüfen wir bei der Qualifizierung von Zellen und auch stichprobenartig nach“, sagt Sebastian Pingel von Solon. „Außerdem fordern wir von den Zellherstellern ein, dass sie in ihrer Produktion regelmäßig Prüfungen machen, um die Qualität konstant zu halten.“ Auch durch eine Änderung der Basisdotierung ist es möglich, die anfängliche lichtinduzierte Degradation zu verhindern. „Wenn der Wafer nicht mehr p-leitend, sondern n-leitend ist, dann hat man nach bisherigen Erkenntnissen keine Anfangsdegradation mehr“, erklärt Pingel. Verschiedene Hersteller von Hocheffizienzzellen wie Sanyo oder Sunpower verfolgen diesen Ansatz und bauen Zellen aus n-Typ-Wafern. „Das ist aber ein teurer Prozess und daher für Hersteller immer eine Abwägung, was sie kostenmäßig erschließen können“, so Pingel.

Hersteller können die Anfangsdegradation ebenfalls umgehen, indem sie in p-Typ-Wafern das Bor durch Gallium ersetzen. Winfried Wahl von Suntech sagt: „Wir haben bei Mono auch mit Gallium gearbeitet, weil sich Gallium hinsichtlich der Rekombination mit Sauerstoff wesentlich besser verhält als Bor.“ Aufgrund ungünstiger Preisentwicklungen und begrenzter Verfügbarkeit von Gallium habe Suntech sich aber wieder von der Idee verabschiedet, Gallium statt Bor zu verwenden. Die japanische Firma Shin-Etsu hat außerdem ein internationales Patent auf galliumdotierte Wafer. Daher gibt es eine Diskussion darüber, inwieweit andere Zellhersteller diese Methode überhaupt verwenden dürfen (siehe photovoltaik 01/2011, Seite 26).

Da die meisten Monomodule jedoch aus Standardzellen bestehen, bei denen eine mehr oder weniger große lichtinduzierte Degradation auftritt, sollten Projektierer und Installateure darauf achten, wie die Hersteller damit umgehen.

„Wir bestimmen bei der Einführung von Modulen den Degradationswert“, erklärt Marco Siller, Director Product Management und Product Development bei IBC Solar. „Dieser Wert wird dann vom geflashten Wert nach der Produktion abgezogen, und erst danach wird das Produkt mit der entsprechenden Leistungsangabe gelabelt.“ Dadurch bezahlt der Kunde tatsächlich nur die Leistung, die nach der Anfangsdegradation übrig bleibt. Bei Systemanbieter IBC gilt dies allerdings nur für die hauseigenen Module mit IBC-Label und nicht zwangsläufig auch für die Produkte anderer Hersteller, die IBC anbietet. Suntech schlägt für seine Module mit dem sogenannten Trupower-Prozess jetzt denselben Weg ein und berücksichtigt den anfänglichen Leistungsverlust bei der Angabe der Wattleistung auf dem Label.

Auch Q-Cells gibt an, den Effekt mit einem pauschalen Degradationsabschlag von 2,5 Prozent auf seine monokristallinen Zellen und Module zu kompensieren. Bei Conergy und Schott Solar verhält es sich ähnlich. Sie rechnen nach eigenenAngaben beim Flashen einen Sicherheitsaufschlag ein, der sicherstelle, dass der Kunde die zugesicherte Leistung auch wirklich erhalte.

Anders bei Canadian Solar. Der Prodzent verkauft seine Module zwar nach eigenen Angaben ausschließlich mit positiven Leistungstoleranzen. Aber auf besonderen Wunsch werde die Anfangsdegradation bei der Leistungsangabe berücksichtigt. Diese Module, die das Label „plus only LID pre-adjusted“ tragen, seien dann teurer als die herkömmlichen Module. Die Experten von Yingli Solar antworten dagegen nicht direkt auf die Nachfrage. Sie erklären nur, dass sie sich keine Sorgen machen, ihre Module könnten einer Überprüfung der Peakleistung nicht standhalten. Denn Yingli hat das Zertifikat „power controlled“ des TÜV Rheinland implementiert, das die Güte der Leistungsmessung sicherstellen soll. Das Verfahren verringert allerdings nur die Messunsicherheit, so dass bei Yinglis Leistungsangaben der Puffer für die auftretende Anfangsdegradation eventuell größer ist als bei anderen Herstellern. Das Label kann aber nicht 100-prozentig sicherstellen, dass die Nachmessung erfolgreich ist. Auch Trina Solar gibt keine eindeutige Antwort. Das Unternehmen erklärt auf Anfrage lediglich, der Anfangsdegradation mit positiven Leistungstoleranzen zu begegnen.

Es ist erstaunlich, wie ausweichend manche Hersteller antworten. Sie reden von „power controlled“, von positiven Leistungstoleranzen oder davon, dass die Anfangsdegradation in der Messungenauigkeit der Flasher untergehe. Diese Maßnahmen sind zwar positiv zu bewerten, sie helfen dem Kunden aber nicht, wenn er die Anfangsdegradation nicht mitbezahlen möchte.

Polykristalline Module betroffen

Bei polykristallinem Material halten viele Experten die Anfangsdegradation für unbedeutend und schenken ihr daher wenig Beachtung. Klar ist aber, dass der Effekt auch bei polykristallinen Modulen auftritt, auch wenn er kleiner ist als bei den monokristallinen. „Das liegt am Kristallzuchtverfahren“, erklärt Winfried Wahl. „Die monokristallinen Zellen wachsen langsamer, und in diesem Prozess kommt es immer wieder zu Sauerstoffeinschlüssen. Bei einem Polyprozess wird das heiße Silizium in eine Form geschüttet und ausgehärtet – die Möglichkeit, Sauerstoff zu binden, ist dann eigentlich nur an den Außenstellen gegeben.“ Dadurch sei die Sauerstoffkonzentration in polykristallinem Material geringer und damit bilden sich weniger Bor-Sauerstoff-Komplexe.

Ob der Effekt aber so gering ist, dass er vernachlässigbar ist, ist strittig. Bei IBC Solar wird die Anfangsdegradation von Polymodulen nicht bei der Leistungsangabe berücksichtigt. Marco Siller von IBC erklärt: „Für uns ist das ein monokristallines Problem. Eine Degradation stellen wir in dem Maße bei polykristallinen Modulen nicht fest.“ Klaus Kiefer vom Fraunhofer ISE sagt: „Bei polykristallinem Material haben wir im CalLab PV Modules noch keine lichtinduzierte Anfangsdegradation gemessen, die deutlich über einem Prozent liegt. Meistens sind die Werte wesentlich kleiner.“ Sebastian Pingel nennt in seinem Artikel jedoch einen Mittelwert von 1,4 Prozent Degradation für polykristalline Zellen, maximal seien sogar bis zu 3,5 Prozent möglich. Damit kommt Pingel auf Werte, die für die Wirtschaftlichkeit einer Solaranlage durchaus relevant sein können. Die unterschiedliche Höhe der Anfangsdegradation von polykristallinen Produkten könnte laut Pingel an den unterschiedlichen Testverfahren liegen. Es sei beispielsweise ein Unterschied, ob die Anfangsdegradation auf Zell- oder auf Modulebene gemessen werde.

Auch wenn noch keine Einigkeit darüber herrscht, wie bedeutend die anfängliche Degradation bei polykristallinem Material ist. Es gibt schon Hersteller, die auch bei Polymodulen einen Abschlag für die Anfangsdegradation einrechnen, Suntech zum Beispiel. „Bei unseren Polyprodukten liegt die typische Anfangsdegradation bei ungefähr 0,3 bis 0,4 Prozent. Diese wird dann auch im Prozess berücksichtigt“, sagt Winfried Wahl.

Die Norm ist eindeutig

Eigentlich sollte es allerdings eine Selbstverständlichkeit sein, dass Kunden nicht für den anfänglichen Leistungsverlust aufkommen müssen, egal bei welchem Modultyp. In der Norm für Datenblatt- und Typenschildangaben von Photovoltaikmodulen DIN EN 50380 heißt es: „Die elektrischen Kennwerte (…) müssen nach einer Voralterung mit größer/gleich 20 Kilowattstunden pro Quadratmeter eingestrahlter Energie in der Modulebene (…) nachweisbar sein.“ Klaus Kiefer vom Fraunhofer ISE ist der Meinung, dass sich Hersteller, die den Wert der Anfangsdegradation bei ihrem Labeling nicht berücksichtigen, nicht normenkonform verhalten. „Der Flasherwert des Herstellers dient als Basis für die Bestimmung der Nennleistung“, sagt Kiefer. „Dabei müssen Messunsicherheiten und eben auch die Anfangsdegradation entsprechend berücksichtigt werden.“ Allerdings bezieht sich die Norm auf die Datenblattangabe, nicht auf den Flasherwert. Man darf also auch die unkorrigierten Flasherwerte herausgeben, muss dann aber vor der Sortierung in Leistungsklassen den Abschlag machen.

Immerhin scheinen sich Hersteller zunehmend nach der Norm zu richten. „In letzter Zeit sind viele Modulher-steller der Problematik lösungsorientiert gegenübertreten“, sagt auch Ralf Haselhuhn. Der Experte von der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie arbeitet im entsprechenden Normungsgremium an einer Neufassung der Norm mit.

„Wir wollen die Norm in Zukunft genauer fassen, so dass Hersteller weniger Interpretationsspielraum haben, welche Abschläge sie berücksichtigen müssen.“ Andererseits hilft das nur wenig, wenn sich Hersteller nicht daran halten. Haselhuhn sagt dazu: „Wenn sich die Hersteller nicht an die Norm halten, kann auch ein Normungsgremium nichts tun. Eine Norm wird nur gelebt, wenn der entsprechende Industriezweig sie auch leben will.“ Allerdings schreibe die europäische Niederspannungsrichtlinie, die auch für PV-Module gilt, gesetzlich vor, dass diese die europäischen Normen einhalten müssen. Dies gelte dann auch für die Moduldatenblattnorm.

Statistische Daten für die lichtinduzierte Anfangsdegradation
MittelwertMedianMinimaler WertMaximaler Wert
Monokristalline Zellen2,1%1,8%0,3%5,1%
Polykristalline Zellen1,5%1,4%0,6%3,5%
Die Anfangsdegradation hängt von den Verunreinigungen im Wafer und der Dotierung der Zellen ab. Die Werte sind das Ergebnis einer Studie an mehr als zehn Wafern von 24 verschiedenen Herstellern (Initial degradation of industrial silicon solar cells in solar panels, S. Pingel et al., 25th EU PVSEC 2010).

Mirco Sieg

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