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Rumoren im Recyclingverbund

Es knirscht im Branchenverband PV Cycle. Vier Jahre lang hatten Photovoltaikunternehmen versucht, gemeinsam ein Recyclingkonzept für Altmodule auf die Beine zu stellen – doch jetzt klinken sich erste Unternehmen bereits wieder aus. Besonders brisant ist der Austritt von Solarworld. Denn das Unternehmen kann als einziges bisher eine funktionierende Pilotanlage zum Recycling kristalliner Siliziummodule vorweisen. „Unser Ziel ist es, möglichst weitgehendes Recycling anzubieten, und es ist für uns nicht erkennbar, dass das mit PV Cycle gelingen wird“, sagt Solarworld-Sprecher Milan Nitzschke. Das Unternehmen will das Thema daher nun ohne den Industrieverbund voranbringen. Die Recyclingorganisation selbst, die ihren Sitz in Brüssel hat, gibt sich nach dem Austritt des Bonner Solarkonzerns betont gelassen: „Wir haben 200 Mitglieder, da machen wir auch weiter, wenn ein Mitglied austritt“, sagte PV-Cycle-Geschäftsführer Jan Clyncke unmittelbar nach der Abkehr der Firma Solarworld. Aber er musste sehr wohl eingestehen, dass er „überrascht und schockiert“ war von dem Schritt des prominenten und auch aus technologischer Sicht so wichtigen Mitglieds.

Dabei hatte alles so erfolgversprechend angefangen, als die internationale Photovoltaikbranche sich im Juli 2007 zusammen fand. Die Solarindustrie erklärte damals, sie wolle künftig umweltfreundlich im doppelten Sinne sein: „Erstens erzeugen wir umweltfreundliche Energie, und zweitens werden wir künftig unsere Module recyceln.“ Firmen- und technologieübergreifend werde sie künftig die Wiederverwertung der Module organisieren. PV Cycle setzte das Schlagwort „Double Green“ in die Welt.

Alle großen Hersteller aus Europa, USA und Japan stiegen in das Projekt ein. Sie setzten sich gemeinsam das Ziel, künftig 65 Prozent der von ihnen auf den Markt gebrachten Module einzusammeln und davon 85 Prozent zu recyceln. Zugleich verpflichtete sich der Industrieverbund, Photovoltaikabfälle kostenfrei zurückzunehmen und zu entsorgen – eine typische Selbstverpflichtung eben, wie man sie, mit leider oft nur mäßigen Erfolgen, auch aus anderen Industriezweigen kennt. Wie ambitioniert das Ziel am Ende sein würde, blieb über die Jahre hinweg stets offen, denn der Zeitplan der Solarbranche in dieser Sache war nie so richtig klar.

Nach gut vier Jahren wächst nun die Unruhe – denn Solarworld ist mit seiner Kritik nicht mehr alleine. Die Solar-Fabrik aus Freiburg hat dem Verband inzwischen ebenfalls den Rücken gekehrt. Denn auch für den südbadischen Solarpionier steht fest, „dass es dem Verein bis heute nicht gelungen ist, ein System zu entwickeln, das von allen Mitgliedern getragen und von der EU-Kommission akzeptiert wird“, wie Firmensprecherin Andrea Ocker sagt. Vor diesem Hintergrund habe die Solar-Fabrik beschlossen, ihre Mitgliedschaft bei PV Cycle mit dem Jahr 2011 zu beenden.

Recycling in Eigenregie

Bereits im Januar hatte die Solar-Fabrik die kostenlose Rücknahme ihrer Module eingeführt. „Durch sorgfältiges fachmännisches Recycling können wertvolle Bestandteile wie Silizium, Aluminium, Solarglas, Kupfer und Zinn in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt werden“, heißt es bei der Solar-Fabrik. Vorgesehen ist, dass Kunden ihre Module an die Solar-Fabrik zurückliefern, die sie an ein Entsorgungsunternehmen weitergibt. Dort werden dann zunächst Alurahmen und Kunststoffdose entfernt. Beide Materialien würden dann weiterverarbeitet, heißt es in Freiburg. Das eigentliche Laminat – Glas, Folien, Zellen und Lötbändchen – werde derzeit als Elektronikschrott entsorgt. Das Entsorgungsunternehmen schreddert die Laminate und sortiert sie anschließend in die Fraktionen Metalle, Glas und Kunststoff.

Unterdessen ist nicht auszuschließen, dass weitere Unternehmen abspringen werden. Zum Beispiel ist auch Solon aus Berlin bereits am Schwanken: „Wir haben den Austritt von Solarworld mit Interesse beobachtet und teilen die Kritik an PV Cycle“, sagt Firmensprecherin Sylvia Ratzlaff. Gleichwohl sei aber bei Solon noch nichts entschieden.

Andererseits ist sich die Solarbranche in ihrer Kritik an PV Cycle aber keineswegs einig. Es gibt nämlich auch einigeFirmen, die unvermindert an dem gemeinsamen Recyclingverbund festhalten. Zum Beispiel steht Schott Solar als Gründungsmitglied noch immer fest zu PV Cycle. Das Unternehmen ist schließlich auch personell im dortigen Vorstand vertreten. Und bei Bosch sagt Sprecherin Heide Traemann knapp und bestimmt: „Bosch Solar Energy wird im PV Cycle bleiben.“ Sogar Neueintritte gibt es derzeit: Saint-Gobain Building Distribution Deutschland zum Beispiel wurde soeben Mitglied wie auch LG Electronics Deutschland.

PV Cycle fehlt das Aushängeschild

Aber das Aushängeschild Solarworld fehlt eben jetzt. Der Konzern geht nun auf eigene Faust voran, nachdem er seit 2002 bereits im sächsischen Freiberg eine Pilotanlage betreibt, die pro Jahr 200 Tonnen Modulschrott verarbeiten kann. Sie gewinnt Silizium, das so rein ist, dass es zu neuen Zellen verarbeitet werden kann, und auch Glas, das zur Fertigung von neuem Solarglas taugt. Das Projekt wurde zusammen mit der TU Bergakademie Freiberg realisiert und auch vom Bundesumweltministerium gefördert.

In der Anlage steckt viel Know-how, was den Alleingang von Solarworld für den Verband doppelt bitter macht. Der Bonner Konzern hat in Freiberg viele Erfahrungen gesammelt, auch weil Veränderungen der Technik in den letzten Jahren eine komplette Neuausrichtung der Strategie nötig machten.

Anfangs ging es nur darum, aus unbeschädigten Zellen die Wafer zurückzugewinnen, um sie neu prozessieren zu können. Dieses Verfahren überlebte sich jedoch bald, weil neue Wafergenerationen immer dünner wurden – mit der Folge einer steigenden Bruchrate. Bei einer Dicke der Zellen von weniger als 240 Mikrometern war das angestrebte Verfahren dann nicht mehr praktikabel. Heute liegt die Waferdicke in der Regel bei rund 180 Mikrometern, weshalb die Bemühungen nun ausschließlich in Richtung eines stofflichen Recyclings des Siliziums gehen, das dann erneut in den Kristallisationsprozess eingespeist werden kann.

Aktuell ist die Anlage allerdings nicht mehr in Betrieb. Denn Solarworld will sich auf den nächsten Schritt konzentrieren: Das Unternehmen hat ein Joint Venture gegründet, das nun in das Recycling von Solarmodulen einsteigt.Solarcycle nennt sich das Unternehmen, an dem Solarworld mit 24 Prozent beteiligt ist; zweiter Hauptgesellschafter ist der Preiss-Daimler-Chemiepark. Noch im Herbst soll mit dem Bau der weitgehend automatisierten Anlage im Chemiepark Bitterfeld Wolfen begonnen werden. Inzwei Stufen werden 12,7 Millionen Euro investiert. Der erste Bauabschnitt soll Ende 2012 fertiggestellt sein. Das technische Konzept stammt von Sunicon, einer Solarworld-Tochter, die in Freiberg bisher die Pilotanlage betrieb. Ziel des neuen Unternehmens sei „die Herstellung vonMetallprodukten und anderen wertvollen Materialien, die auch aus recycelten Solarmodulen gewonnen werden“. Neben kristallinen Solarmodulen könnten auch andere Solarmodultypen verwertet werden, heißt es bei Solarworld. Pro Jahr soll die Anlage bis zu 30.000 Tonnen Material verarbeiten. Die wiedergewonnenen Rohstoffe sollen dann in ihrer Qualität der Neuware vergleichbar sein. Das betreffe auch und vor allem das Silizium, heißt es bei Solarworld: „Wir praktizieren das Prinzip ‚Cradle to Cradle‘“ – also „von der Wiege zur Wiege“. Solarworld geht davon aus, dass sich Solarsilizium auf diese Weise wirtschaftlich gewinnen lässt.

Das kristalline Silizium deckt zwar den größten Teil des Marktes ab, aber es gibt eben auch andere Technologien. Aus diesem Grund hat auch die Firma First Solar, die Dünnschichtzellen auf Basis von Cadmiumtellurid verkauft, ein eigenes Recyclingkonzept entwickelt. Dieses basiert darauf, dass die Module erst im Schredder, dann in einer Hammermühle in Stücke von vier bis fünf Millimeter Größe zertrümmert werden. Anschließend werden die Feststoffe maschinellgetrennt. Die Halbleiterschicht wird mit Schwefelsäure und Wasserstoffperoxid gelöst und später ausgefällt. Das Material wird anschließend zur Rückgewinnung der Halbleiterrohstoffe an andere Unternehmen weitergegeben. Recyclinganlagen gebe es an allen drei Produktionsstandorten, heißt es bei First Solar. Außerdem wird das „vollkommen vorfinanzierte Rückhol- und Recyclingmodell“ hervorgehoben.

Während First Solar mit seinen Cadmiumtellurid-Modulen in einer eigenen Nische operiert, sind die Aktivitäten von Solarworld für den Großteil der Hersteller von Interesse, denn das kristalline Silizium dominiert mit einem Anteil von rund 85 Prozent den Modulmarkt. Dass außer Solarworld noch kein Herstellereine funktionsfähige Recyclinganlage für kristalline Siliziummodule gebaut hat, dürfte damit zusammenhängen, dass das Metier ein unsicherer Markt ist.

Neuregelung der WEEE-Direktive

Es ist nur schwer abzuschätzen, welche Mengen an Altmodulen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten tatsächlich anfallen werden. „Wir wissen natürlich genau, welche Mengen an Modulen installiert sind, aber es ist schwer abzuschätzen, nach welcher Lebensdauer die Module zurückkommen“, sagt PV-Cycle-Geschäftsführer Clyncke. Denn es gibt Module, die auch nach 40 Jahren noch Strom liefern – und je länger die Module in Gebrauch sind, umso geringer sind die zur Entsorgung anfallenden Mengen.

Trotz dieser Unwägbarkeiten steht die Solarindustrie unter dem Druck, das Thema Recycling voranzubringen. Schließlich hat die Europäische Union längst ein Auge auf die Solarbranche geworfen: In Artikel 13 der geltenden EU-Richtlinie über Elektro- und Elektronik-Altgeräte, kurz Elektroschrott-Richtlinie genannt, ist festgeschrieben, dass eines Tages auch „photovoltaische Erzeugnisse, das heißt Solarpaneele“ unter diese Richtlinie fallen könnten – womit ihre Entsorgung dann gesetzlich umfassend geregelt wäre. „Anpassung an den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt“ heißt der entsprechende Absatz. Bislang sind in dem Papier mit dem Kürzel 2002/96/EG die Solarmodule noch explizit ausgeklammert.Ein Ziel von PV Cycle ist es nun immer gewesen, durch Eigenaktivitäten der Branche die EU davon zu überzeugen, dass Photovoltaik-Schrott auch ohne Aufnahme in die sogenannte WEEE-Direktive (Waste Electrical and Electronic Equipment Directive) angemessen verwertet wird. Im August hat die Industrievereinigung nun eine neue, verschärfte Selbstverpflichtung verfasst, die vorsieht, künftig mindestens 85 Prozent der Photovoltaikmodule, die ihr Lebensende erreicht haben, in Europa einzusammeln. Hierfür werde ein dichtes Netzwerk von Sammelstellen aufgebaut, die Abgabe der Altmodule sei für die Eigentümer kostenfrei. Ob damit ein Auseinanderbrechen des Recyclingverbundes verhindert werden kann?

Wenn nicht, wäre damit wohl eine Aufnahme der Solartechnik in die WEEE-Direktive zwingend. Im Moment ist die Entwicklung noch offen. PV-Cycle-Geschäftsführer Jan Clyncke jedenfalls sagt, er sehe nicht, dass sich durch den Austritt von Solarworld im Hinblick auf die EU-Gesetzgebung irgendetwas geändert habe. Doch die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die EU die Eigenaktivitäten der Branche bald nicht mehr als ausreichend anerkennen und das Recycling künftig vorschreiben könnte. Dieses Szenario hält man bei Solarworld jedenfalls für denkbar: „Wir müssen damit rechnen, dass Photovoltaik künftig unter die WEEE-Direktive fallen wird“, sagt Firmensprecher Milan Nitzschke.

Bernward Janzing

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