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Weniger interpretieren, mehr regeln

Von den rund 4.200 Schäden, die nach statistischen Erhebungen der Versicherer im Jahr 2008 an Photovoltaikanlagen gemeldet wurden, sind bis zu 14 Prozent auf hohe Schneelasten zurückzuführen. Inzwischen dürften in absoluten Zahlen schon deutlich mehr Anlagen betroffen sein, da mit der Vielzahl neu installierter Photovoltaikanlagen auch die Zahl der Beschädigungen steigt. Neben einer fehlerhaften Montage haben die Versicherer dabei die unzureichende Planung als häufigste Ursache für Schäden ausgemacht. Die Planer haben dann meist zu wenig Dachhaken, Profilschienen oder Dreieckskonsolen für die Befestigung der Module eingeplant.

„Wenn ein Wettbewerbsangebot deutlich günstiger abgegeben wird als alle anderen, muss sich der Kunde schon fragen, ob der Anbieter hier weniger Sicherheit angesetzt hat“, sagt Udo Geisel, Produktmanager für das Montagesystem bei Wagner & Co. Da es zum Service vieler Montagesystemhersteller gehört, dem Handwerker eine Auslegungssoftwarezum Montagesystem mit an die Hand zu geben, seien aber auch die Hersteller in der Pflicht, ihre Lastannahmen zu überprüfen.

Eine für die Widerstandskraft wichtige Frage ist, wie viele Dachhaken und Montageschienen ein Modul braucht, um sicher auf dem Dach befestigt zu sein, und wie viele Dreiecksstützen für eine Modulaufständerung auf dem Flachdach notwendig sind. Die Dimensionierung hängt naürlich immer von den Lasten ab, denen die Solaranlage im Laufe ihresLebens ausgesetzt sein wird. Die Frage ist nur: Wie groß sind die Lasten?

Welcher Dachtyp darf es sein?

In der Deutschen Industrienorm (DIN) 1055 Teil 4 und 5, die die Einwirkungen von Wind und Schnee auf Gebäude regelt, werden die Bauarten von Solaranlagen mit keiner Silbe erwähnt. Dort sind Rechenwege für bestimmte Dachtypen und -aufbauten beschrieben. Um aber die Lasten richtig ansetzen zu können, bedarf es auch für Solaranlagen klarer Regeln für deren Berechnung. Für Reihen aufgeständerter Module beispielsweise steht der Planer vor der Wahl, in ihrer Anordnung Ähnlichkeiten zu Stadienanzeigetafeln, Carports oder Sheddachkonstruktionen zu erkennen. Den in der Norm dafür angegebenen Rechenweg muss er dann auf die Geometrie der geplanten Solaranlage umdeuten.

Um diesem Dilemma zu begegnen, haben sich neun große Hersteller von Solarthermiekollektoren zusammengefunden. Seit drei Jahren beschäftigen sich deren Produktmanager und Statiker mit der Interpretation der Lastannahmen in der DIN 1055, Teil 4 und 5, und deren Übertragbarkeit auf Solaranlagen. Ziel sei es, die Interpretations- und Anwendungslücken innerhalb der Norm zu schließen und damit einen Stand der Technik zu schaffen, der innerhalb der gesamten Branche akzeptiert werde. Die Ergebnisse zur Schneelast sollen in Kürze vom Bundesverband Solarwirtschaft (BSW-Solar) gemeinsam mit dem Bundesindustrieverband Deutschland Haus-, Energie- und Umwelttechnik (BDH) als Arbeitsblatt veröffentlicht werden.

Obwohl das Augenmerk auf solarthermischen Kollektoren liegt, sind die Ergebnisse auch für Photovoltaikinstallationen interessant. Denn in dem Arbeitsblatt nehmen die Unternehmen sechs Punkte der Schneelastnorm unter die Lupe, die für beide Technologien relevant sind. Die beiden wichtigsten Themen sind sogenannte lineare Kräfte an der Oberkante dachparalleler Anlagen und Schneeverwehungen auf Flachdächern.

Bei Aufdachanlagen, die parallel auf Schrägdächern installiert werden, scheint der Fall klar und einfach. Auf den Kollektoren oder Modulen lastet das Gewicht des daraufliegenden Schnees wie vorher auf dem Ziegeldach – die Belastung verläuft vertikal. Auch nach DIN 1055-4 scheint die Sache eindeutig. Doch das seinoch nicht alles, finden die neun Kollektorhersteller. „Fakt ist, dass die abrutschenden Schneelasten, die von weiter oben am Dach kommen, häufig nicht miteinbezogen werden“, sagt Udo Geisel, der für Wagner & Co in der Projektgruppe sitzt. „Modul und Kollektor wirken hier wie ein Schneegitter und halten Schnee zurück, der an dieser Stelle drückt.“

Berechnen wie Schneefanggitter

Deshalb steht in dem neuen Arbeitsblatt, dass „solarthermische Anlagen als Aufbauten auf Dachflächen gemäß DIN 1055-5:2005-07 – 5.2 zu interpretieren“ sind. Dafür soll die Last an der oberen Modulreihe wie die an einem Schneefanggitter berechnet werden. Sie resultiert dann aus der maximalen Schneemenge, die sich oberhalb der Anlage ansammeln kann, und dem Neigungswinkel des Dachs. Je größer der Abstand zum First, umso größer die Last.

Dazu gibt es allerdings auch Widerspruch. Kann zwar sein, komme aber so gut wie nie vor, hält Jörg Deißner, Produktmanager für Montagesysteme bei Energiebau in Köln, dagegen. „Wer ein Dach hat, der belegt es bis oben zum First.“ Da bleibe gar kein Platz für das Aufstauen von Schneemassen an der Oberkante der Anlage. Außerdem rutsche der Schnee unter die Module und bleibe an der schmalen Kante gar nicht hängen.

Ein Beispiel aus dem Allgäu zeigt allerdings, dass dieser Fall durchaus realistisch ist. Auf dem Dach eines Einfamilienhauses mit 28 Grad Neigung ist direkt unterhalb des Firsts eine Reihe thermischer Solarkollektoren eingelassen. Deren Oberfläche befindet sich in einer Ebene mit der Dacheindeckung. Eine Photovoltaikanlage füllt den Rest des Süddachs aus. Die Module liegen ebenfalls parallel zur Dacheindeckung, aber etwa zehn Zentimeter darüber. Taut nun die Schneedecke, die das gesamte Dach bedeckt, an, so rutscht die Schneeschicht von den Modulen herunter, während der Schnee oberhalb der Module an dessen Kante hängen bleibt.

Das ist schade für die thermischen Kollektoren, die nun kein warmes Wasser produzieren können. Und schade für die Photovoltaikmodule, die zusätzlich die Last einer drei Meter breiten und bis zu 40 Zentimeter hohen Schneedecke aufnehmen müssen, die parallel zurDachfläche gegen deren Oberkante drückt.

Dachstatik beachten

Rechnerisch verdoppelt sich die anzusetzende Schneelast auf der oberen Modulreihe. „Es ist zweifelsfrei so, dass da eine Linienlast auf die Anlage drückt“, bestätigt Michael Kitzlinger, Sachverständiger für Bauschäden aus Freudenstadt im Schwarzwald. Schnee könne sich durchaus zu einer dickeren Schicht verbinden, die über die Moduloberkante hinausgehe. Dafür die Maximallast anzusetzen, hält Kitzlinger allerdings für überzogen, da ein Teil des Schnees an der recht niedrigen Kante abrutschen werde. „Die Last auf ein Schneehöhenäquivalent von 40 Zentimetern zu begrenzen, wäre gewiss wünschenswert“, sagt Udo Geisel dazu, „es ist aber davon auszugehen, dass bei entsprechender Wetterlage die Last doch voll anzusetzen ist.“ Nämlich dann, wenn bei Tauwetter ein schweres, nasses Schneebrett, möglicherweise auch noch gestaucht, an der Oberkante hänge.

Um die Anlage zu schützen, schlägt die Arbeitsgruppe der Thermiehersteller ein Schneefanggitter oberhalb der Solaranlage vor. Christian Negele vom Solarzentrum Allgäu sieht hier grundsätzlich eher das Gebäude in Gefahr als die Solaranlage. „Eine Photovoltaikanlage ist stabiler als ein Schneefanggitter“, meint Negele. Wenn sich aber an einer Stelle des Daches Schnee anstaut, muss die Dachkonstruktion das aushalten können.“ DasSolarzentrum Allgäu ist bekannt für seine besonders stabilen Dachhaken für schneereiche Gegenden. „Ob Solaranlagen stabiler sind als Schneefanggitter, hängt von der Anlage und dem Schneefanggitter ab“, sagt Udo Geisel, „dass aber aus diesem Grund die Linienlast zu vernachlässigen wäre, kann ich leider nicht erkennen.“ Die Last unterscheide nicht zwischen stabilen und unstabilen Abrutschhindernissen. Geisel sieht darin die Annahme der Arbeitsgruppe bestätigt, dass bislang einige Lastfälle noch gar nicht berücksichtigt werden.

Ähnlich einem Sheddach

Viel mehr Schnee als auf geneigten Dächern bleibt auf Flachdächern liegen. Manchmal sogar so viel, dass die darunterliegende Halle einstürzt. Deshalb behandeln die Kollektorhersteller auch Schneeverwehungen bei aufgeständerten Solaranlagen auf Flachdächern in ihrem Arbeitsblatt. Die Frage lautet: Wie viel Schnee wird gegen die Modul- oder Kollektorreihen geweht und wo bleibt am meisten liegen? Der Interpretationsspielraum hierfür ist groß. „Schneeanwehungen auf mehrreihigen Anlagen auf Flachdächern werden nach diversen Ansätzen gerechnet“, sagt Udo Geisel von Wagner & Co. aus Erfahrung. „Es gibt wenigstens drei verschiedene Interpretationsansätze in der Norm.“ Je nach Rechenweg komme der Planer auf unterschiedliche Lasten. „Da kann man sich die Anlage schönrechnen oder das Dach kaputtrechnen“,sagt Geisel. Der Konflikt bestehe häufig auch zwischen dem Planer und dem Prüfstatiker. Der Planer erstellt eine Statik für die Anlage, und der Prüfstatiker lässt ihn alles noch mal rechnen, weil er die DIN anders auslegt. Die Arbeitgruppe hat sich auf das Bild des Sheddachs für diesen Fall geeinigt. „Es scheint uns am passendsten, dafür haben wir uns entschieden“, sagt Geisel. Das Sheddachbild geht davon aus, dass der Schnee vom oberen Bereich der Module nach unten geweht wird und sich dadurch eine besonders hohe Last im unteren Drittel bildet, die auf das Modul drückt. „Diese Variante bedeutet nicht, dass immer die höchsten Lasten angesetzt werden müssen“, sagt Geisel. „Ziel war es nicht, die konservativste Lastermittlung aufzustellen, sondern eine Vereinheitlichung der Lastannahmen zu erzielen.“ Allerdings sind die Überlegungen der neun Experten nur dann relevant, wenn die Dachaufbauten höher als 50 Zentimeter sind. Denn in der DIN werden Aufbauten auf Flachdächern erst ab einem halben Meter Aufbauhöhe erfasst. Niedrigere Installationen werden so behandelt, als ob gar nichts auf dem Flachdach stünde.

Der Grund: Bei einer Schneedecke von 50 Zentimetern – das entspricht beispielsweise der Grenzschneelast in Schneelastzone 2 – sind die Module komplett bedeckt und bieten keine Angriffsfläche mehr für angewehten Schnee. Diese Regel wollen die Thermiehersteller beibehalten. „Bei Photovoltaikinstallationen auf Flachdächern achten wir darauf, dass unsere Aufbauhöhe unter 0,5 Metern bleibt, so dass wir damit aus dem Schneider sind, was Anwehungen angeht“, sagt Geisel. Die meisten Montagesysteme für Flachdächer mit Aufständerungswinkeln bis 25 Grad und horizontal angeordneten Modulen bleiben unterhalb dieser Marke. Wer höher baut, etwa weil er die Dachfläche darunter zugänglich halten möchte oder weil die Module senkrecht angeordnet sind, sollte die vorgeschlagene Sheddachregelung anwenden.

Wie die Richtlinien für die Anwendung der Schneelast-DIN in der Branche aufgenommen werden, bleibt abzuwarten. Udo Geisel von Wagner & Co. nimmt mögliche Kritik bereits vorweg: „Es wird viele geben, die daran etwas auszusetzen haben.“ Es wird sich zeigen, ob das gerade diejenigen sind, die preiswerte Angebote machen.

Anja Riedel

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