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Lithiumzellen made in Germany

Dass die Massenfertigung von großformatigen Lithiumzellen noch alles andere als Standard ist, zeigt das Beispiel von Leclanché. Nach zwei Jahren Vorbereitungszeit wollte das Schweizer Unternehmen, das seit über 100 Jahren Zellen und daraus Batteriesysteme fertigt, im Juli seine neue Anlage zur Produktion von Lithium-Titanat-Zellen in Betrieb nehmen. Rund eine Million Zellen in DIN-A4-Format für Solar- und Windstromspeichersysteme sollen darauf jedes Jahr erzeugt werden. Die Produktion dieses Zelltyps ist allerdings auch für Leclanché noch neu. Die Inbetriebnahme der Großanlage gestaltete sich entsprechend schwierig. Mittlerweile läuft die Anlage zwar, aber die angestrebte Jahreskapazität wird noch nicht erreicht.

Dass das Unternehmen aus der französischsprachigen Schweiz in Deutschland Lithiumzellen produziert, liegt unter anderem an der Historie. Leclanché hatte eine Ausgründung des ISET-Innovationszentrums in Itzehoe übernommen. Die Forscher siedelten sich auf einem alten Industriegelände von BASF im badischen Willstätt an und errichteten hier eine Pilotanlage für Lithiumzellen im DIN-A5-Format. Neben dem deshalb hier vorhandenen Beschichtungs-Know-how sprechen laut Leclanché aber noch weitere Argumente für Deutschland als Produktionsstandort. Der Meinung sind auch andere Hersteller und der Firmenverbund „Kompetenznetzwerk Lithium-Ionen-Batterien“ (KLiB). Im Bereich der kleinen Lithiumbatterien für mobile Anwendungen wie Laptops, Smartphones und Digitalkameras sind asiatische Hersteller unangefochten die Marktführer. Für große Lithiumbatterien gab es bis vor kurzem noch kaum Bedarf. Seitdem der Umbau der weltweiten Energieversorgung beschlossene Sache ist und der Zubau an regenerativen Anlagen boomt, steigt jedoch auch die Nachfrage nach hocheffizienten Speichersystemen. Jetzt sind sichere und leichte Speicherlösungen für Elektrofahrzeuge gefragt. Ebenso wächst der Bedarf an stationären Systemen für die Speicherung von Solar- und Windstrom.

Zelle vs. Batterie

Um Missverständnisse zu vermeiden, sollen hier kurz die Begriffe Zellen, Batterien und Batteriesysteme voneinander abgegrenzt werden. Der Begriff „Zelle“ ist klar definiert: Eine Zelle ist eine Einheit, die Energie speichert beziehungsweise Energie abgibt. Jede Zelle besteht aus einem Plus- und einem Minuspol (Anode und Kathode) und einem Separator. Bei Batterien hingegen handelt es sich immer um Systeme. Sie bestehen entweder aus mehreren Zellen – von wenigen Zellen bis zu hin zu ganzen Containern – oder auch nur aus einer Zelle. Batterien werden zudem in Primär- und in Sekundärbatterien unterteilt. Bei ersteren handelt es sich um Einmal-Wegwerf-Batterien. Sekundärbatterien sind wiederaufladbar, also Akkumulatoren. In diesem Artikel dreht es sich also um die Massenfertigung von Lithiumzellen für wiederaufladbare Akkus.

Die Hersteller großer Lithiumzellen und -batterien verteilen sich momentan auf Asien, Nordamerika und Europa. In Korea gibt es zum Beispiel LG, Samsung und Kokam. In Japan produzieren Sony, Toshiba, Panasonic und National. Chinesische Hersteller sind BYD, Winston Battery, Calb und Sinopoly. In Europa gibt es unter anderem Saft, Li-Tec, European Batteries, Leclanché und seit kurzem auch ECC Repenning.

„Die Pfründe sind noch nicht verteilt“, sagt Michael Krausa, Geschäftsführer des KLiB. Bei der Herstellung von großformatigen Lithiumzellen gebe es bisher noch keine Region, die die Marktführerschaft für sich beanspruchen könne. Dabei liegt gerade hier das Potenzial. „Die höchste Wertschöpfung in der Herstellung von Batteriesystemen liegt in der Zellfertigung“, erklärt Krausa. Die Weiterverarbeitung zu Batteriesystemen sei dann nicht mehr so schwierig. Deshalb hat KLiB sich zum Ziel gesetzt, insbesondere die Zellfertigung in Deutschland zu stärken.

Das Kompetenznetzwerk wurde Mitte 2011 gegründet. Ziel ist es, den „vorwettbewerblichen Diskurs“ zu ermöglichen, um so das Know-how zum Hightech-Thema Lithiumbatterien zu stärken und Deutschland letztlich als „Leitanbieter“ für Lithiumzellen und -batterien zu entwickeln.

Gesamte Wertschöpfungskette

Die aktuell 47 Mitglieder des Kompetenznetzwerks decken die gesamte Wertschöpfungskette ab. Das beginnt bei Forschungsinstituten und reicht über Zulieferer von Batteriematerialien und -komponenten, Anbieter von Produktions- und Automatisierungstechnologie sowie Zell- und Batteriehersteller bis hin zu OEM-Anbietern.

Unter den Zellherstellern befinden sich aktuell fünf Unternehmen, die Lithiumzellen für stationäre Anwendungen produzieren: Gaia, Leclanché, Li-Tec, Varta und Dow. Mitgliedsfirmen, die die Zellen zu Batterien weiterverarbeiten, sind ADS-Tec, Deutsche Accumotive, Hoppeke und Dow.

„In Deutschland sind alle wichtigen Industriezweige vertreten“, sagt Krausa und benennt den seiner Meinung nach wichtigsten Standortvorteil. Dazu zählt er auch die chemische Industrie. Einige wichtige Rohstoffe wie Lithium müssen gleichwohl aus dem Ausland bezogen werden. Hier habe sich das Netzwerk aber abgesichert, indem es Rockwood Lithium, einen der weltweit führenden Lieferanten für Lithiumverbindungen, als Lieferanten im Verbund habe, sagt Krausa.

Hier spielt die Musik

Eine besondere Stärke hierzulande sei der Anlagen- und Maschinenbau, fährt er fort, wobei die Unternehmen derzeit aber noch an Produktionsanlagen für Lithiumzellen und -batterien feilten. In diesem Industriezweig sieht auch Dirk Morbitzer, Managing Director der Renewable Analytics in San Francisco, ein beträchtliches Potenzial. „Die Herstellung von Lithium-Ionen-Batterien ist ein weitgehend automatisierter Prozess, bei dem vor allem die Herstellung von großen Zellen ein erhebliches Innovationspotenzial zeigt“, erklärt er. „Insbesondere für den Maschinenbau ergeben sich hier sehr gute Marktchancen.“ Auch die Tatsache, dass in Deutschland derzeit der erste Massenmarkt für stationäre Speichersysteme entsteht, hält Morbitzer für eine gute Ausgangsvoraussetzung. Dem pflichtet Udo Wichert, Marketingdirektor bei Leclanché, bei. Für das Schweizer Unternehmen seien die im Vergleich zur Schweiz günstigeren Lohnstückkosten in Baden zwar ein Vorteil, sagt er. Viel wichtiger aber noch sei es, dass man hier ein „ungeheures technisches Know-how“ und den „direkten Marktzugang“ habe. „In Deutschland befindet sich der weltweit größte Markt für stationäre Anwendungen. Da spielt die Musik.“Diese Geschäftschancen will auch Detlev Repenning nutzen. Er ist seit 30 Jahren in der Batteriebranche tätig und gründete 2011 zusammen mit dem Montagesystemhersteller Schletter die ECC Repenning GmbH. Die neu errichtete Halle mit etwa 6.000 Quadratmeter Fläche steht in Geesthacht bei Hamburg. Seit November produziert ECC Repenning Rundzellen auf Lithium-Eisen-Phosphat-Basis für stationäre und mobile Anwendungen. Zunächst sollen Zellen mit einer Speicherkapazität von 40 Megawattstunden produziert werden, die Gesamtkapazität liegt bei 240 Megawattstunden im Jahr. Repenning fallen noch weitere Standortvorteile ein, zum Beispiel die „sehr gute Vernetzung mit Hochschulen“, das duale Ausbildungssystem, das für exzellente Fachkräfte sorgt, die „sehr gute Zulieferindustrie“ und das Qualitätsbewusstsein in Deutschland.

Das Ingenieurpotenzial und das Qualitätsbewusstsein hebt auch Analyst Morbitzer hervor. „Von Vorteil ist aber auch, dass die Entwicklungen im deutschen Automobilbau schnell voranschreiten“, sagt er. „Die Autohersteller haben Ingenieurkapazitäten auf das Thema Speicher angesetzt.“ Davon könnten auch die stationären Speicher nun profitieren.

Wenig Erfahrung

Einschränkungen und Hindernisse gibt es natürlich auch. So ist für den Aufbau einer neuen Industrie Erfahrung in der Produktion hoher Stückzahlen von Vorteil. Laut Dirk Morbitzer fehle den deutschen Unternehmen aber die Erfahrung mit der Herstellung von kleinen Speicherzellen und der damit verbundenen Massenfertigung.

Die Massenfertigung ist in der Tat das Nadelöhr. Warum, schildert Wichert von Leclanché. „Einzelne Zellen zu bauen ist grundsätzlich nicht schwer. Aber die Abweichungen dürfen nicht zu groß sein.“ Denn die Speicherkapazität in der schwächsten Zelle bestimmt die Kapazität der Batterie beziehungsweise des Systems. Bei vielen Herstellern sei die Produktion deshalb noch „handverlesen“.

Morbitzer, der von Kalifornien aus den Weltmarkt beobachtet, nennt noch einen weiteren Standortnachteil: „Der Zugang zu Risiko- und Expansionskapital ist in Deutschland vergleichsweise beschränkt. Deshalb dauert es länger, hier neue Ideen und Vorgehensweisen zur Massenproduktion zu entwickeln.“ Dass die Kosten für Lithiumbatterien sinken müssen, damit die Speichersysteme wirtschaftlich werden, ist eine oft gehörte Forderung. Eine Stellschraube ist die Senkung der Materialkosten. Daran arbeitet unter anderem Leclanché, wie Wichert berichtet: „Wir haben den ersten Schritt bereits getan, indem wir mit einem chinesischen Anbieter kooperieren, der uns einen Zugang zu den lokalen Beschaffungsquellen für die Lithium-Ionen-Produktion schafft.“ Dabei spielt natürlich auch die Qualität eine Rolle. Laut Branchenkennern ist die Qualität der Rohstoffe aus Hochtechnologieländern wie den USA oder Japan im Moment noch etwas besser als aus China. „Aber die chinesischen Rohstofflieferanten holen deutlich auf“, betont Udo Wichert. „Und sie werden immer besser.“

Chancen bei der Steuerung

Morbitzer sieht noch andere Schrauben, an denen deutsche Hersteller drehen können. „In der Batteriesteuerung, die derzeit 50 Prozent der Kosten beträgt, kann Deutschland sein ganzes Innovationspotenzial einbringen und schnell wirkliche Fortschritte erzielen“, meint er. Gefordert sei auch der Maschinenbau. „Schnellere Produktionsgeschwindigkeiten und geringere Fehlerraten sind der Schlüssel, um die Kosten je Zelle zu senken.“ Der US-amerikanische Hersteller A123, der im vergangenen Jahr Konkurs anmeldete, sei genau daran gescheitert. Er konnte die Ausschussrate nicht schnell genug senken.

Chancen gebe es auch im Vertrieb: „Aus meiner Sicht wird sich in Deutschland der Markt für kleine Speichersysteme sehr schnell entwickeln“, sagt der Marktkenner. „Das dabei entstehende Vertriebs-Know-how können die Unternehmen dann in ausländische Märkte übertragen.“ Sein Fazit auf die Frage, welches Potenzial Deutschland als Leitland der Batterieproduktion hat, bringt Morbitzer mit zwei Sätzen auf den Punkt: „Für die Systemproduktion, die Entwicklung der Systemsteuerung und verschiedene Zulieferer sehe ich sehr gute Chancen. Die reine Massenzellfertigung in Deutschland langfristig zu etablieren, wird sehr schwer werden.“ An den Herstellern liegt es nun, ihm in den kommenden Jahren das Gegenteil zu beweisen.

Ina Röpcke