Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch

Gas aus Ökostrom

Vor nur wenigen Monaten saßen in der größten Demokratie der Welt 700 Millionen Menschen im Dunkeln. Drei der fünf Stromnetze in Indien fielen zur Mittagszeit nacheinander aus. Infolgedessen waren 20 der 28 Bundesstaaten von der Stromversorgung abgeschnitten. Auch die Hauptstadt wurde nicht verschont, und Geschäfte, Krankenhäuser und das Transportwesen, praktisch alle Lebensbereiche, waren betroffen. Der Energieminister sah die Schuld bei den Bundesstaaten, die mehr Strom verbraucht hätten, als ihnen zugedacht war.

Indien tritt in die Fußstapfen der deutschen Energiewende und setzt nun auch auf erneuerbare Energien. Damit steht das Land nicht allein. Eine Bewegung für erneuerbare Energien geht um den ganzen Planeten. Während immer mehr Wind- und Solaranlagen entwickelt werden, ist auch die Frage aufgekommen, inwieweit die bestehenden und oft veralteten Stromnetze den zusätzlichen Strom aufnehmen können. Bisher dient Deutschland bei der Einbindung als Vorzeigebeispiel. Politiker bremsen Ökostrom jedoch aus. Einige meinen, dass die Belastung für das Versorgungsnetz zu groß sei und Speicher gegenwärtig zu viel kosteten. Eine unkonventionelle Möglichkeit hat nun die Aufmerksamkeit auf sich gezogen und könnte eine Lösung bieten: die Umwandlung von Strom zu Gas (Power to Gas). Solarfuel aus Stuttgart nutzt diese praktische Lösung für überschüssigen Ökostrom, der weder ins Stromnetz eingespeist noch in Akkus gespeichert werden kann: Mit dem Strom wird Gas erzeugt.

„Eine gute Idee hat viele Väter“, so Solarfuel-Geschäftsführer Gregor Waldstein. Das Unternehmen arbeitet eng mit anderen Vätern der Idee zusammen: dem Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung (ZSW) und dem Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES). „Wir haben nach der attraktivsten und effizientesten Lösung gesucht, um erneuerbare Energie in nachhaltigen Kraftstoff umzuwandeln“, erklärt Waldstein. „Die Nutzung von Elektronen zum Trennen von Wasser zur Gewinnung von Wasserstoff und die anschließende Reduktion von Kohlendioxid (CO2 ) zu Methan (CH4 ) durch Hydrierung ist die beste technische Lösung und dazu sehr effizient.“ Bei dem von Waldstein beschriebenen Konzept wird mit Hilfe erneuerbarer Energie synthetisches Erdgas (SNG) hergestellt. Überschüssiger Solar- oder Windstrom wird dazu verwendet, Wasser per Elektrolyse in Wasserstoff und Sauerstoff aufzuspalten. Im Anschluss wird der Wasserstoff durch Methanisierung mit Kohlendioxid zu Methan umgewandelt, einem synthetischen Erdgas, das im häuslichen Bereich, zum Heizen und zum Antrieb von Fahrzeugen eingesetzt wird. Solarfuel und seine Partner haben nach der effizientesten Methode zur Erzeugung von synthetischem Erdgas geforscht. Michael Specht vom ZSW teilte kürzlich in den deutschen Medien mit, dass er zwei Herausforderungen sehe: Das Konzept müsse so weiterentwickelt werden, dass erstens der Strom intermittierend und dynamisch verwendet werden kann, also ein dynamischer Ablauf des chemischen Prozesses in Abhängigkeit vom Leistungsprofil entsteht, und zweitens die Kosten optimiert werden.

Gasnetz einfach besser

Nach dem Stromausfall in Indien haben viele Länder damit begonnen, sich über ihre eigenen Stromnetze Gedanken zu machen. Es gibt die Skeptiker, die stets infrage stellen, ob die bestehenden Stromnetze den gesamten gegenwärtig und zukünftig erzeugten erneuerbaren Strom aufnehmen können. Ist das Gasnetz einfach geeigneter als das Stromnetz, um erneuerbare Energien einzubinden?

Laut einer viel zitierten Studie der Brattle Group in den USA werden die Energieversorger bis 2030 zwischen 1,5 und 2 Billionen US-Dollar in Infrastruktur investieren müssen. Das Netz in den USA gilt bereits als „alternd und voll ausgelastet“, befand kürzlich die Washington Post. In einem Bericht der American Society of Civil Engineers (ASCE), der 2012 erschien, hieß es, dass sich „die Kosten für Leistungsunterbrechungen bis 2020 auf 71 Milliarden US-Dollar belaufen werden“, wenn das Stromnetz nicht modernisiert werde.

Beim Gasnetz sehen die Zahlen anders aus: Nach einem Bericht des Gas Technology Institute versorgt das nordamerikanische Erdgasnetzwerk über 75 Millionen Kunden mit fast 100-prozentiger Zuverlässigkeit. In Deutschland hat das Erdgasnetzwerk eine Kapazität von 23,5 Milliarden Kubikmetern verteilt auf 47 natürliche Erdgasspeicher, erklärt die Deutsche Energie-Agentur (DENA). Marktexperten erwarten bis zum Jahr 2025 weitere 9 Milliarden Kubikmeter. Nach Angaben der DENA versorgt das Erdgasnetz bereits etwa 2,1 Millionen Industrie- und 11,4 Millionen Privatkunden. Wenn überschüssiger Ökostrom also in synthetisches Erdgas umgewandelt und in das wachsende Gasnetz gespeist werden kann, dann lässt sich damit die den Kunden zur Verfügung stehende gespeicherte Energie erhöhen.

Wie gestalten sich jedoch die rechtlichen Rahmenbedingungen für solch ein Konzept? Wird es eine Einspeisevergütung geben? Das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz für Biogas enthält sehr komplexe Bestimmungen. Waldstein zielt jedoch nicht auf eine Einspeisevergütung ab. Bei der Entwicklung der Technologie habe man die „Anreize außer Acht“ gelassen: „Wir waren nicht auf Subventionsschlupflöcher aus, sondern suchten nach der günstigsten Methode, dem Endkunden auf erneuerbaren Energien basierenden sicheren und bei Bedarf verfügbaren Strom zu bieten.“

Wechselseitiges System

Beide Netze hängen voneinander ab. Das Erdgasnetz benötigt Strom, um den Druck im System mit Hilfe von Kompressoren und Pumpstationen aufrechtzuerhalten. Das Power-to-Gas-Prinzip ist ein wechselseitiges System. Im Erdgasnetz gespeichertes synthetisches Erdgas kann auch wieder in die entgegengesetzte Richtung fließen, also in den Kraftwerken wieder zu Strom umgewandelt werden. Solch ein System kann so konzipiert werden, dass überschüssiger Photovoltaikstrom die Elektrolyse initiiert und Transport und Speicherung von konvertiertem synthetischem Gas im Erdgasnetz ermöglicht. Wenn bei abnehmender Sonneneinstrahlung weniger Solarstrom erzeugt wird, kann die Elektrolyse deaktiviert oder systematisch gedrosselt werden. Dasselbe Prinzip gilt für die Windkraft. Der Nachteil ist zweifellos der auftretende Energieverlust bei Wirkungsgraden von 60 Prozent. Jedoch ist diese Lösung wohl besser, als die Sonnengeneratoren und Windturbinen abzuschalten, wenn das Stromnetz keinen überschüssigen Strom aufnehmen kann.

Somit kommt das Konzept auch für Indien infrage, wo das Stromversorgungsnetz vor großen Problemen steht. Der indische Premierminister Manmohan Singh hat auf dem Asia Gas Partnership Summit im März vergangenen Jahres bereits einen ehrgeizigen Plan zur Erweiterung des bestehenden Gasnetzes angesprochen. Er sagte: „Im Rahmen des zwölften Fünfjahresplans verfolgen wir das Ziel, bis 2017 über ein landesweites Gasnetzwerk von rund 30.000 Kilometern zu verfügen.“ Nach Aussage der US-amerikanischen Energy Information Administration (EIA) verfügen die Vereinigten Staaten über die größte Erdgas-Speicherkapazität der Welt. Damit ist die Infrastruktur für Power to Gas bereits vorhanden. „Grundsätzlich findet eine Umwandlung zu Gas statt. Da dieser speicherbare Energieträger zur Stromerzeugung sowie zum Heizen und zum Antrieb von Fahrzeugen als Kraftstoff eingesetzt werden kann, handelt es sich also um ein offenes System. Gespeichertes Erdgas kann nach Bedarf zur Stromerzeugung eingesetzt werden. Dieser umgekehrte Vorgang ist bereits möglich“, so Waldstein.

Die Speicherung

Das ZSW ließ sich laut Michael Specht bei der Entwicklung des Projekts von zwei Kernthemen leiten: welche Speicherlösungen für die Schwankungen unterworfenen erneuerbaren Energien ausreichend Kapazität bieten und welche Speichersysteme am einfachsten in die bestehende Infrastruktur integriert werden können.

Waldstein erklärt: „Vergleicht man das Stromnetz mit dem Erdgasnetz, dann fällt auf, dass das Erdgasnetz viel mehr Energie transportiert, als in elektrischer Form verbraucht wird. Es besteht also bereits eine Infrastruktur, die überschüssigen Wind- und Solarstrom aufnehmen kann.

Gegenwärtig dient Wasserkraft aus Pumpspeichern den Stromnetzen als

größter Energiespeicher. Das Electrical Power Research Institute (EPRI) gibt an, dass Wasserkraft aus Pumpspeichern mehr als 99 Prozent der weltweiten Massenspeicherung ausmache. Der Ausbau dieser Speicherart stößt jedoch an geografische und Kapazitätsgrenzen. Solche Einschränkungen gelten für das Erdgasnetz nicht. Die Erdgasspeicher in Deutschland etwa übersteigen laut Germany Trade & Invest 200 Terawattstunden beziehungsweise die 3.000-fache Kapazität der gegenwärtig in Deutschland genutzten Pumpspeicher – bei einem Basiswirkungsgrad von 55 Prozent. Waldstein fügt hinzu, dass die im deutschen Erdgasnetz gespei- cherte Energie der Hälfte des jährlichen Gesamtstromverbrauchs in Deutschland entspricht.

Bei Zykluszeiten zwischen Tagen und Monaten kann Ökostrom in Form von Gas im Terawattbereich gespeichert werden. Waldstein sieht für die Gasspeicherung zwei Grundkonzepte: Kavernen und poröses Gestein. Unterirdische Salzkavernen werden als Gasspeicher verwendet. Laut Eon fassen die meist zylindrischen Kavernen jeweils zwischen 40 und 100 Millionen Kubikmeter. Poröses Gestein sorgt für gute Speichereigenschaften. Erschöpfte Gasvorkommen und Grundwassersohlen bieten Lagermöglichkeiten. Laut Waldstein kann ein halbes Jahr lang Gas in diese alten Brunnen gepumpt werden, bis der Speicher voll ist. „In ganz Europa gibt es eine enorme Lagerkapazität“, fügt er hinzu.

Von der Alpha- zur Betaphase

Der Probebetrieb der 25-Kilowatt-Alpha-Anlage von Solarfuel vom November 2009 war erfolgreich. Die Anlage zeigte bei der Umwandlung von Strom zu Gas ohne Optimierungsmaßnahmen einen Wirkungsgrad von 40 Prozent. Das Alpha-Projekt griff auf Kohlendioxid aus der Umgebungsluft zurück, und das entstandene synthetische Erdgas wurde direkt zum Antrieb von Autos verwendet.

Obwohl Kohlendioxid direkt aus der Umgebungsluft verwendet werden kann – wie bei der Alpha-Anlage von Solarfuel – erhöht sich in diesem Schritt der Energieaufwand. Effizienter ist es, wenn man bei zukünftigen Projekten auf Kohlendioxid aus Biogasanlagen zurückgreift, so Waldstein. Laut Solarfuel können jährlich mehr als 25 Terawattstunden speicherbares synthetisches Erdgas hergestellt werden unter Verwendung von Kohlendioxid aus Rohbiogas aus circa 6.000 Biogasanlagen, die derzeit in Deutschland in Betrieb sind.

Zusammen mit dem Umweltministerium entwickeln Solarfuel, ZSW und das IWES in Stuttgart eine 250-Kilowatt-Forschungsanlage. Solarfuel plant für dieses Jahr zudem eine Anlage von sechs Megawatt mit einem Wirkungsgrad von über 54 Prozent. Diese Demonstrationsanlage wird verschiedene Kohlendioxidquellen testen. Waldstein führt bezüglich der Effizienz des gesamten Prozesses aus, dass 100 Kilowattstunden Elektrizität in mehr als 60 Kilowattstunden an Gas mit einem niedrigeren Heizwert umgewandelt werden können. Das entspricht 65 Kilowattstunden bei einem höheren Heizwert. Ein Wirkungsgrad von 80 Prozent ist möglich, wenn die Prozesswärme ebenfalls intelligent genutzt wird.

Das Ziel ist ein anwendbarer Maßstab unter echten wirtschaftlichen Bedingungen. „Zunächst war es wichtig, die Alpha-Anlage innerhalb des geplanten Budgets und der geplanten Zeit fertigzustellen, und das ist uns gelungen“, so Waldstein. „Solch eine Erfahrung habe ich zum ersten Mal gemacht. Wir haben die Technologie und die Thermodynamik der einzelnen Schritte bis ins Detail verstanden. Die Chemie ist durchschaut, und das macht den Unterschied.“ Die ideale Größe bei der Skalierung, so Waldstein, liegt bei zehn Megawatt. „Hier ist die Technologie bei Erfüllung der Netzanforderungen optimal einsetzbar“, erklärt er.

Mit Blick auf die Pilotanlage aus dem Jahr 2009 erwartet Solarfuel kommerzielle Power-to-Gas-Anlagen bis 20 Megawatt ab 2015. Obwohl die Technologie noch recht neu ist, zeigt sie bei ersten Prototypen bereits durchgehend Erfolge. Während Solarfuel wirtschaftlich und technisch nach weiterer Optimierung strebt, ist das Power-to-Gas-Prinzip gut als Lösung zur Speicherung erneuerbarer Energien positioniert. Indien bietet sich eine alternative Absicherung gegen die Stromausfälle.

Audi verwandelt Strom zu Gas

In Werlte im Nordwesten Deutschlands befindet sich die sogenannte E-Gas-Anlage von Audi in der Entwicklung. Audi bezieht dort von Solarfuel klimaneutral produziertes E-Gas, mit dem der neue Audi A3 betrieben werden kann. Fahrer dieses Fahrzeugs können sich für die E-Gas-Variante entscheiden. Die Menge an Erdgas, das in die Autos fließt, wird von Audi kompensiert werden. Das Unternehmen plant, die entsprechende Menge ins Gasnetz einzuspeisen. Audi verfolgt damit das Ziel klimaneutralen Fahrens.

Reiner Mangold, Leiter nachhaltige Produktentwicklung bei Audi, erklärt, dass sein Unternehmen so den Weg hin zu dieser sauberen Technologie ebnen wolle. Die Sechs-Megawatt-Anlage wird überschüssige Energie aus erneuerbaren Energiequellen nutzen und 2013 etwa 1.000 Tonnen Methan pro Jahr produzieren. Das benötigte Kohlendioxid wird von Biogasanlagen vor Ort bezogen werden. Das Ziel ist, dass die Fahrzeuge von Audi mit Solar- oder Windenergie fahren.

7,51 Eurocent pro Kilowattstunde für Windgas

Greenpeace Energy bietet Kunden in Deutschland bereits die Möglichkeit, an der Power-to-Gas-Revolution teilzuhaben. Mit Prowindgas können die Kunden auf sauberes Gas aus Windenergie zurückgreifen. Somit wird den Kunden eine ökologisch sinnvolle Alternative zu Biogas geboten. Greenpeace Energy ist überzeugt, dass bei einer starken Lernkurve die Kosten der Technologie und somit die Kosten für Windgas sinken werden. Die Prowindgas-Privatkunden können Gas zum Preis von 7,51 Eurocent pro Kilowattstunde beziehen.

Weitere Informationen unter:

www.greenpeace-energy.de/windgas.html

Shamsiah Ali-Oettinger

Jetzt weiterlesen und profitieren.

+ PV E-Paper-Ausgabe – jeden Monat neu
+ Kostenfreien Zugang zu unserem Online-Archiv
+ Fokus PV: Sonderhefte (PDF)
+ Weiterbildungsdatenbank mit Rabatten
+ Webinare und Veranstaltungen mit Rabatten
+ Adresseintrag im jährlichen Ratgeber
uvm.

Premium Mitgliedschaft

2 Monate kostenlos testen