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Wo Europa für Asien arbeitet

Verkehrte Welt, so könnte man meinen. Während noch vor wenigen Jahren Solarfabriken in Asien für den europäischen Markt produziert haben, haben sich die Verhältnisse zumindest in Tschechien gedreht. Der japanische Mischkonzern Kyocera lässt dort seit einigen Monaten Solarmodule vor allem für den Absatz in Asien fertigen. Damit entzieht sich die Solarmodulfabrik im westtschechischen Kada? – rund 20 Kilometer von der Grenze zu Deutschland entfernt – dem extremen Konsolidierungsdruck, der in Europa zur Schließung von immer mehr Fabriken führt. Nachdem der Glashersteller Schott im Rahmen seines Rückzugs aus dem kristallinen Solargeschäft die 200-Megawatt-Fabrik im osttschechischen Valašské Mezi?í?í zur Disposition gestellt hat, ist die Kyocera-Fertigung das letzte Solarwerk von internationaler Bedeutung in dem osteuropäischen Land.

Dabei war es 2005 mit der Absicht gegründet worden, den europäischen und nordafrikanischen Markt zu bedienen. „Wegen der Schwäche des europäischen Marktes haben wir aber im letzten Jahr unsere Strategie geändert“, erklärt Shigeru Koyama, europäischer Präsident von Kyocera Fineceramics, bei einem Besuch der Fertigung. „Nun fokussieren wir uns auf Südostasien und Japan.“ Seit in der Heimat des Kyocera-Konzerns Anfang Juli eine neue und lukrative Einspeisevergütung in Kraft ist, „stapeln sich die Aufträge für neue Multi-Megawattprojekte in Japan“, so der seit anderthalb Jahren für das europäische Solargeschäft zuständige Kyocera-Manager. Die Auslastung der tschechischen Fabrik, die über eine Kapazität von rechnerisch mehr als 200 Megawatt verfügt, steige kontinuierlich an. Von zehn im Monat produzierten Megawatt würden aktuell sechs nach Japan verschifft, verrät Koyama. „Im Januar könnte das Volumen allein für Japan auf zehn Megawatt steigen.“ Der Inselstaat im Nordpazifik zahlt aktuell für neu installierte Anlagen einen Einspeisetarif von 42 Yen (rund 40 Eurocent) je Kilowattstunde. Der Vergütungssatz gilt für alle Photovoltaiksysteme, die bis März 2013 in Betrieb gehen, und wird je nach Anlagentyp für 10 oder 20 Jahre gewährt.

Niedrige Löhne

„Unsere Fabrik in Tschechien ist trotz der Distanz und der Transportkosten so wettbewerbsfähig, dass wir günstiger als in Japan produzieren und auch mit der Fertigung in China konkurrieren können“, freut sich Koyama. Und das, obwohl für das tschechische Modulwerk die Transportkosten zweimal anfallen. Denn die Zellen zur Weiterverarbeitung stammen sämtlich aus Japan. Von dort werden sie an die vier internationalen Modulstandorte in China, Europa, Mexiko und den USA geliefert.

Gründe des Erfolgs für den Standort am Elbzufluss Eger ist unter anderem das im Vergleich zu den westlichen Nachbarn Europas deutlich niedrigere Lohnniveau. So verdienen die zumeist weiblichen Arbeiter in der Kada?er Produktion mit umgerechnet 600 bis 700 Euro kaum die Hälfte dessen, was Kollegen in Deutschland erhalten, wo viele Solarfabriken vor dem Aus stehen. Zwar sind die Gehälter damit noch rund doppelt so hoch wie in China. Doch die Kyocera-Fertigung im chinesischen Tianjin produziert ohnehin vor allem für den dortigen Markt, weshalb der Vergleich mit der japanischen Modulfabrik entscheidend ist. Dabei haben sich auch die Wechselkurs-Paritäten positiv entwickelt. Der Euro ist gegenüber dem Yen in den letzten beiden Jahren um mehr als zehn Prozent gefallen. Die für die Berechnung der Kosten entscheidende Tschechische Krone hat sich um weitere zwei Prozent verbilligt, wodurch sich noch ein weiterer Wettbewerbsvorteil gegenüber Produktionen aus dem Euroraum ergibt.

Auf Wachstumskurs

Für die rund 400 Mitarbeiter in der ansonsten strukturschwachen Region sind das positive Nachrichten. Denn der asiatische Boom sichert nicht nur ihre Jobs, es könnten mittelfristig sogar neue hinzukommen. „Wenn wir an sieben statt an bisher fünf Tagen produzieren, könnten wir mit dem identischen Maschinenpark monatlich statt 16,5 mehr als 18 Megawatt produzieren“, erläutert Michal Vafka, Production Department Manager aus Kada?. Und dann ist da noch die zweite Fabrikhalle, die Kyocera vor zwei Jahren in Erwartung eines weiter expandierenden Europageschäfts hat bauen lassen. Dort könnten auf einer mehr als doppelt so großen Grundfläche Module für 30 Megawatt pro Monat gefertigt werden. Noch sind die Hallen leer, doch mittelfristig, so lassen Koyama und Vafka durchblicken, sollen auch sie mit Maschinen ausgerüstet werden. Dort könnten dann nicht nur noch mehr Module für Japan und Südostasien zusammengebaut werden, sondern auch Komponenten für das Energy-Management-Geschäft des Konzerns. Dabei handelt es sich um ein Gesamtpaket zur Energieversorgung von Privathäusern. Dafür wird eine Dachanlage mit einer Lithium-Ionen-Batterie zur Stromspeicherung kombiniert. Eine Brennstoffzelle erzeugt Strom und Wärme aus Erdgas. Das Energy-Management-System regelt die Energieströme zwischen Energieproduzent, Endbenutzer und nationalem Stromnetz.

„Aktuell können wir unser Geschäft in Europa nicht ausbauen“, sagt Koyama.„Aber Japan ist sehr geschäftig.“ Zwar produziert Kyocera in Kooperation mit anderen Firmen die Batterien und Brennstoffzellen selbst. Doch die Nachfrage in Japan sei so groß, dass „wir für Europa einfach keine Systeme bekommen“. Grundsätzlich aber will Kyocera das Geschäft in Europa voranbringen, besonders für die Zeit der Netzparität. Brennstoffzellen und Lithium-Ionen-Batterien sollen dann in Kada? produziert werden.

Kontrolle über die Komponenten

Doch bis dahin geht es für Koyama vor allem um die Optimierung des laufenden Betriebs. Dabei profitiere Kada? von der Erfahrung aller solaren Produktionstöchter: „In jeder der konzerneigenen Modulfabriken arbeitet ein identischer Maschinenpark. Etwaige Fehler an einem Standort werden direkt an die anderen gemeldet.“ Kyoerca verfügt über ein weitläufiges Nachverfolgungssystem, wie die vielen Barcodes an den Maschinen und Vorratsboxen zeigen.

Damit ließen sich etwaig auftretende Fehler bis zum Ingot zurückverfolgen, ergänzt Stefan Wiebach, stellvertretender Produktlinienmanager für Kyoceras europäische Solarsparte. Für den Deutschen in Diensten des japanischen Konzerns ist die vertikale Integration des Konzerns – vom Ingot bis zum Solarmodul – ein entscheidender Vorteil, um „die Kosten im Griff zu halten“. Teil dieser Strategie ist die Kooperation mit Zulieferern aus dem Heimatland des Konzerns. Die Maschinen in Kada? stammen fast ausnahmslos von japanischen Herstellern, allen voran NPC, das die Laminatoren und Tabber lieferte. Das Konzept der japanischen Technologiegemeinschaft stand schon am Beginn der solaren Unternehmensgeschichte. Zusammen mit vier weiteren Firmen, darunter Sharp, gründete Kyocera 1975 die Japan Solar Energy Corp. – das erste japanische Solarindustrieunternehmen überhaupt.

„Angesichts des Preisdrucks versuchen viele Hersteller, überall Kosten zu sparen, auch wenn es zu Lasten von Haltbarkeit und Qualität geht“, bemängelt Wiebach. Als Gegenbeispiel nennt er die Stabilisierung der Modulrückseite mit zwei quer verlaufenden Aluminiumstreifen, auf die Kyocera nie verzichten würde, um etwa Aluminiumkosten zu sparen. „Die Stabilität der Module, die über Jahrzehnte extremen Wetterereignissen ausgesetzt sind, ist entscheidend, um zum Beispiel Mikrorisse in den Zellen zu verhindern.“ Das sind minimale mechanische Brüche innerhalb der Zellen, die über Jahre zu erheblichen Leistungsminderungen führen können. Wiebach holt ein paar Analysen hervor: Nach einer eigenen Untersuchung habe eine 1984 in Japan errichtete 43-Kilowatt-Anlage von Kyocera nach 25 Jahren nur einen Leistungsverlust von knapp zehn Prozent erlitten. Die französische Energieaufsichtsbehörde CEA habe 2012 nach 20 Jahren des Betriebs einer Kyocera-Anlage mit 945 Kilowatt im französischen Lhuis eine Leistungsabnahme von lediglich 8,3 Prozent ermittelt.

Preise wie andere Premiumhersteller

Qualität, so Kyocera-Europa-Chef Koyama, habe ihren Preis: „Produkte chinesischer Billiganbieter, die die Modulleistung pro Wattpeak mit 50 Cents anbieten, sind für uns nicht der Maßstab“, sagt er heftig kopfschüttelnd. Er beziffert die Preise der tschechischen Kyocera-Module unter Betrachtung eines 245-Watt-Moduls auf „80 bis 85 Cent je Watt“. Damit sieht er sich auf Augenhöhe mit anderen Premiumherstellern wie Bosch und Solarworld.

Gegen manchen anderen Wettbewerber hat Kyocera zumindest im Heimatmarkt noch einen weiteren Trumpf im Ärmel, nämlich den exklusiven Einsatz von Zellen mit drei Busbars. „Wir haben diese Entwicklung 2004 zum Patent angemeldet und es vor wenigen Wochen in Japan erteilt bekommen“, berichtet Wiebach. Nun sei ein Schreiben an die Wettbewerber auf dem Weg, künftig auf die drei Busbars bei ihren Zellen zu verzichten.

Im Kampf um Geschäft und Marktanteile hat der Solarpionier vor allem einen großen Vorteil gegenüber vielen Konkurrenten: seine Zugehörigkeit zu einem Großkonzern. Das Solargeschäft macht wohl kaum zehn Prozent des Umsatzes der Kyocera-Gruppe von insgesamt rund elf Milliarden Euro aus, der hauptsächlich aus Feinkeramik für elektronische Anwendungen stammt, etwa zur Isolierung von elektrischen Leitern in Halbleiterchips. Details schlüsselt die Firma nicht auf. Der Konzern entwickelt sich seit Jahren profitabel, muss deshalb bei Investitionen – so wie viele solare Wettbewerber aktuell – nicht auf die Banken schielen. „Wir sind nicht auf Fremdkapital angewiesen“, sagt Koyama. „Wenn wir etwas für sinnvoll halten, dann setzen wir es um.“ So läuft es auch beim weiteren Ausbau der integrierten Fertigung in der japanischen Provinz Shiga, wo Kyocera vom Ingot bis zur Zelle alles selbst herstellt. Im laufenden Geschäftsjahr 2012/13 (bis 31. März 2013) soll die Produktion auf 750 Megawatt steigen, gegenüber 660 Megawatt im Vorjahr. 2013 steht der Ausbau der Kyocera-Kapazitäten auf ein Gigawatt auf dem Plan. Die Fabrik in Tschechien, das scheint nach den Aussagen Koyamas sicher, wird ihren Anteil daran abbekommen.

Oliver Ristau

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