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Vom Verschwinden bedroht

Eine bessere Antwort gibt es kaum auf die Frage nach dem Geld. Wann immer chinesische Solarunternehmen auf etwaige staatliche Hilfen bei der Kreditvergabe angesprochen werden, verweisen sie auf die Börse. „Wir sind an der Nasdaq gelistet. Dort sind alle finanziellen Belange offengelegt“, sagte etwa Yingli-Finanzvorstand Bryan Li auf die Frage nach staatlichen Krediten. „Die Börsennotiz bedeutet maximale Transparenz gegenüber Investoren und anderen Interessengruppen“, ergänzt die Investor-Relations-Direktorin Jean Tian.

In der Tat sind die Transparenzpflichten wohl an kaum einer Börse umfangreicher als an der New York Stock Exchange (NYSE) und der Technologiebörse Nasdaq. Wer sich als ausländisches Unternehmen verzeichnen lassen will – meist in Form sogenannter American Depositary Shares (ADS), die von einer US-Depotbank ausgegeben werden – muss quartalsweise Geschäft und Bilanz offenlegen. Auch Schulden und Schuldzinsen müssen kommuniziert werden.

„Die Börse ist zudem eine Plattform für die Markenentwicklung“, sagt Jean Tian. Die Börsenpräsenz hat damit erheblichen Einfluss auf den Geschäftserfolg in den USA und Europa – wichtig insbesondere seit die chinesischen Unternehmen dort wegen der Strafzölle und weiteren handelsrechtlichen Ermittlungen unter Druck stehen. Doch mancher Firma könnten diese Vorteile in Kürze abhanden kommen.

Konkret sind mit dem weltweit größten Solarmodulbauer Suntech, dem Solarzellspezialisten JA Solar und dem Waferproduzenten LDK Solar drei chinesische Schwergewichte von einemDelisting bedroht – also einem Verschwinden vom Kurszettel der NYSE.

Hintergrund ist der starke Kursverfall bei den Solaraktien im Allgemeinen und den chinesischen im Besonderen. An der Technologiebörse Nasdaq rutschten die Papiere von JA Solar erstmals im Mai und die von Suntech im August unter die Ein-Dollar-Grenze. Nach diversen kurzen Erholungen blieben die Aktien seit September kontinuierlich unter dieser Schwelle. Bei LDK Solar war dies seit Oktober der Fall. Das blieb nicht ohne Folgen: Nach den NYSE-Preiskriterien für Kapital- und Stammaktien „wird ein Unternehmen als unter den Vorschriftenstandards angesehen, wenn der durchschnittliche Schlusskurs der Aktie (…) bei weniger als 1,00 US-Dollar über einen zusammenhängenden Zeitraum von 30 Handelstagen liegt“. Die New Yorker Börse will keine Pennystocks. Nur wer dauerhaft oberhalb der Ein-Dollar-Grenze notiert, hat nach ihren Regeln Anspruch auf ein Listing.

Aktienkurs muss schnell steigen

Zwischen Ende September und Mitte November erhielten Suntech, JA Solar und LDK Solar von der Börse entsprechende Schreiben, in denen sie aufgefordert wurden zu reagieren. Maximal sechs Monate haben die Unternehmen nun Zeit, die Listingkriterien zu erfüllen. Die Börsenwarnung wird erst aufgehoben, wenn es das Unternehmen schafft, binnen der vorgegebenen sechs Monate über einen Zeitraum von mehr als 30 Handelstagen einen Schlusskurs der Aktie von mindestens 1,00 US-Dollar zu erreichen. Sollte das den Firmen nicht gelingen, so die NYSE-Bestimmungen weiter, „wird die Börse die Streichungs- und Delistingprozesse einleiten“.

Das aber hätte nicht nur Auswirkungen auf die Notiz der Aktien in den USA. Denn ein Delisting an der New Yorker Börse führt auch zu einer Einstellung an Europas wichtigster Börse in Frankfurt. Dort sind die chinesischen Solaraktien im sogenannten Second Quotation Board gelistet. Das ist ein Segment für Aktien, die an einem anderen Handelsplatz ihre Hauptnotierung haben – im Falle der chinesischen Firmen ist das New York.

„Wer an der Heimatbörse kein Listing mehr hat, der verliert es auch anderswo“, erklärt Dietmar Schieber, Leiter Aktienmärkte bei der Close Brothers Seydler Bank. Die Bank hat für Suntech, JA Solar und andere das Zweitlisting in Frankfurt organisiert. Mit einem Aus in New York würden die Titel also nur noch in China und damit nicht mehr in der üblichen Reichweite westlicher Großinvestoren zu handeln sein. Einzige Alternative wäre dann, nach Frankfurt als ersten Börsenplatz zu wechseln, was allerdings mit erheblichen finanziellen Aufwendungen für Börsenprospekt und Genehmigung einhergehen würde.

Schwindende Transparenz

Die Folgen des Verschwindens von der Börse, so schätzt Jochen Hauff, Direktor Erneuerbare Energien bei der Beratungsfirma AT Kearney, wären für die Reputation der Firmen und ihre Geschäfte im Westen erheblich. „Solange sie an der Börse notieren, unterliegen sie den strengen SEC-Kontrollstandards. Das gibt den Vertragspartnern dieser Firmen ein hohes Maß an Sicherheit, insbesondere was deren finanzielle Situation betrifft. Denn die Richtigkeit der unter SEC-Richtlinien an der Börse veröffentlichten Berichte ist juristisch einklagbar“, sagt Hauff. Insbesondere für Großkunden wie etwa Energieversorger sei ein solches Maß an Transparenz fast schon die Voraussetzung dafür, dass überhaupt Geschäfte mit diesen Unternehmen abgeschlossen werden. „Solche Kunden suchen sich vorwiegend verlässliche strategische Partner.“ Ein Delisting würde damit nicht nur das bestehende US-Geschäft bedrohen, sondern insbesondere die Gewinnung von Neukunden deutlich erschweren.

Daneben verschwände die Möglichkeit, sich mittelfristig am US-Markt mit Kapital zu versorgen, etwa in Form einer Erhöhung des Aktienkapitals in New York. „Das ist im Moment zwar kein zentrales Argument, denn die Firmen können sich offenbar erfolgreich in China refinanzieren.“ Doch in Zukunft könnte das sehr wohl im Interesse der Chinesen sein.

Nach Ansicht der Anwaltskanzlei des insolventen US-Solarunternehmens Solyndra, Winston & Strawn aus Chicago, war diese Möglichkeit sogar ein zentraler Grund, warum die Chinesen so stark im US-Markt haben Fuß fassen können. „Die Beschuldigten kamen ursprünglich in die USA, um Geld von US-amerikanischen Investoren durch den Verkauf von Aktien an der NYSE einzusammeln“, heißt es in einerKlageschrift Solyndras gegen Suntech, Trina und Yingli auf Schadensersatz. Sie hätten „das Kapital, das sie von Amerikanern erhalten haben, dazu genutzt, um US-Solarhersteller wie Solyndra zu zerstören“. Die Argumentation: Nur dadurch, dass die Firmen sich in New York notieren ließen, konnten sie so viel Kapital einsammeln, dass sie ihre für Solyndra so nachteilige Vertriebsoffensive in den USA überhaupt haben ausführen können.

Trendwende nicht in Sicht

In dieser Frage werden die Gerichte entscheiden, beim Delisting-Prozess sind die Firmen selbst gefragt. „Den Kurs wieder dauerhaft über die geforderte Grenze von 1,00 US-Dollar zu heben, ist nicht einfach“, konstatiert Stefan Wulf, Analyst der in Deutschland beheimateten Privatbank M.M. Warburg. „An den Gründen für den Niedergang der Solarbranche an der Börse hat sich nichts geändert. Eine grundsätzliche Trendwende ist nicht in Sicht.“ Das mache Kurssteigerungen von alleine unwahrscheinlich. Im Gegenteil: für potenzielle Investoren käme mit der Delisting-Bedrohung ja ein erhebliches Risiko neu hinzu, könnten sie doch die Aktien gar nicht mehr oder nur in China handeln. „In solch einem Fall würden die Aktien sicher aus einer Reihe von Fonds herausfallen“, schätzt AT-Kearney-Direktor Hauff. Das würde den Kurs weiter drücken.

Doch JA Solar, LDK Solar und Suntech wollen dieses Schicksal unbedingt vermeiden. Gegenüber der New Yorker Börse bekräftigten sie ihren Willen, die Notiz aufrechtzuerhalten. Möglichkeiten der Kurspflege gibt es einige. Partnerbanken etwa könnten damit beginnen, gezielt Aktien zu kaufen. Während die Suntech-Aktie mit 0,77 Dollar Mitte November noch in relativer Reichweite zum Schwellenwert notierte, wäre ein solches Kaufvorhaben im Fall von JA Solar, deren Aktien zum gleichen Zeitpunkt nur noch 0,64 Dollar kosteten, ein aufwendiges und teures Unterfangen.

Ähnliches gilt im Falle eines möglichen Aktienrückkaufprogramms der Firmen selbst. Das erfordert viel Liquidität, die die Firmen kaum haben. Hilfe könnte dabei von anderer Seite kommen. So stellte die lokale Stadtregierung von Wuxi, Suntechs Unternehmenssitz, kurz nach Bekanntgabe der Börsenwarnung finanzielle Unterstützung in Aussicht. Möglich also, dass Chinas Zentral- und Provinzregierungen helfen, da eine Börsenpräsenz im Westen auch von hoher nationalstrategischer Bedeutung ist. Allerdings braucht Suntech auch noch an anderer Front Kapital, etwa zur Refinanzierung der 2013 auslaufenden Wandelschuldverschreibungen.

Neue Aktien als Ausweg

Sollten einfache Maßnahmen nicht reichen, stellt Suntech-Sprecher Rory Macpherson auf Anfrage einen weiteren Weg in Aussicht: „Wir beabsichtigen, die Notierung an der NYSE aufrechtzuerhalten. Wenn der 30-Tage-Durchschnitt des Aktienkurses nicht die 1,00-US-Dollar-Grenze überschreitet, beabsichtigt das Unternehmen, die Bedingungen binnen der Sechs-Monats-Frist wieder herzustellen. Beispielsweise könnte dann das Verhältnis unserer American Depositary Shares (ADS) zu den Stammaktien verändert werden, was ein relativ einfacher Prozess ist, um unseren Aktienkurs in den USA zu erhöhen. Dies ist vergleichbar mit einer Zusammenlegung der Aktien.“ Hintergrund: Jede ADS repräsentiert eine bestimmte Anzahl von Stammaktien des Unternehmens. Üblicherweise beträgt dieses Verhältnis eins zu eins, kann aber relativ einfach auf beispielsweise eins zu zwei erhöht werden. In der Konsequenz würde sich der Kurs der in New York gehandelten ADS rechnerisch verdoppeln. Die US-Depotbank müsste zu diesem Zweck lediglich die alten ADS-Papiere einziehen und neue ausgeben. „Damit wäre das Pennystock-Problem zunächst gelöst“, sagt Close-Brother-Seydler-Manager Schieber. An der Börse und in den Depots der Investoren würde die Umstellung kaum länger als einen Tag dauern.

Doch auch diese Maßnahme ist mit Risiken behaftet. Zum einen kostet sie nicht unerheblich Geld, zum anderen muss die Umstellung ausreichend sein, damit bei einem weiteren Kursverfall nicht auch die neuen Aktien unter die Ein-Dollar-Schwelle rutschen. JA Solar hat auf diese Bedrohung bereits reagiert und die Ausgabe neuer ADS für Dezember bekannt gegeben, die künftig fünf Aktien repräsentieren sollen. Der Kurs würde sich damit zunächst verfünffachen. Für welche Maßnahmen auch immer sich die Firmen entscheiden: Um das Transparenzargument zu behalten, haben sie in den nächsten Monaten an der Börse einiges zu tun.

Oliver Ristau