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Was am Ende übrig bleibt

Vor drei, vier Jahren war noch alles ganz anders. Journalisten wurden ständig ins Solarvalley eingeladen. Von den Herstellern selbst, aber auch von Interessensverbänden wie dem Solarvalley Mitteldeutschland. Erfurt und Arnstadt in Thüringen sowie Bitterfeld-Wolfen in Sachsen-Anhalt hießen die Vorzeigeregionen mit den Vorzeigebetrieben, die Arbeitsplätze geschaffen hatten. Zukunftsfähig, wie es damals schien: Sie haben sich die Arbeitsplätze gegenseitig abgeworben, Fachkräfte waren seinerzeit begehrt. Solche Einladungen bleiben schon lange aus.

Wenn der Besucher heute durch Bitterfeld-Wolfen geht, sieht er äußerlich erst einmal kaum Veränderungen. Es ist nicht so wie beim Kahlschlag nach der Wende. Denn die Krise der Solarbranche kam nicht über Nacht. „Es war ein Prozess, der schon 2009 mit der Finanzkrise begonnen hat“ erinnert sich Petra Wust, Oberbürgermeisterin von Bitterfeld-Wolfen. Q-Cells war zu dieser Zeit noch die weltweite Nummer Eins in der kristallinen Zellproduktion und hatte Tochterfirmen wie Solibro für Dünnschicht in Thalheim, einem Ortsteil von Bitterfeld-Wolfen, gleich mit angesiedelt. Aber um diesen Zeitpunkt herum begann schon der Arbeitsplatzabbau bei Q-Cells. Der Kapazitätsausbau in Asien machte den hiesigen Unternehmen zunehmend zu schaffen. „Natürlich hat das gravierende Auswirkungen auf die Region“, sagt Oberbürgermeisterin Wust. Früher habe es hier in der Solarbranche bis zu 10.000 Arbeitsplätze gegeben. „Heute sind es noch 1.200.“ Dass Bitterfeld-Wolfen dennoch nicht aussieht wie die US-Autobauerstadt Detroit, mit vernagelten Fenstern leer stehender Immobilien, liegt auch an den Pendlern. Etwa 14.000 sind es, die täglichzum Arbeiten in die Stadt kommen, die meisten in die Chemieindustrie mit ihren 12.000 Arbeitsplätzen bei 360 Unternehmen. Diejenigen, die einmal in den Solarbetrieben gearbeitet haben, kommen einfach nicht mehr oder sind woanders untergeschlüpft. Was nicht so offensichtlich zu sehen ist, tut trotzdem weh. Auch der Oberbürgermeisterin. „Keine Region kann auch nur auf einen Arbeitsplatz verzichten.“ Außerdem beklagt sie Einbrüche bei den jährlichen Steuereinnahmen in Millionenhöhe.

Mittelfristig gute Chancen

Peter Frey ist ein Macher. Er sieht die Solarbranche gerade in Ostdeutschland in einer schwierigen Zeit. Aber aufgeben und Trübsal blasen liegt ihm dennoch nicht. „Mittelfristig stehen die Chancen sehr gut“, sagt der Geschäftsführer der Solar Valley GmbH mit Sitz in Erfurt. Das ist jene thüringische Stadt, in der Bosch Solar Energy seinen Ausstieg aus der Solarbranche verkündet hat.

Ungewisse Zukunft

Was Bitterfeld-Wolfen schon hinter sich hat, steht der Region um Erfurt noch bevor. Während beispielsweise das Silizium-Werk von PV Crystalox Solar in Bitterfeld-Wolfen schon seit einem Jahr kein Silizium mehr produziert, läuft die Waferproduktion des britischen Solarkonzerns in Erfurt noch – dank langfristiger Lieferverträge.

Aber auch hier soll abgebaut werden. Für Bosch Solar Energy im thüringischen Arnstadt schaffen derzeit noch 1.800 Mitarbeiter. Wohl nicht mehr lange. Bis zum Juli will Bosch die endgültige Entscheidung über die Zukunft der Fertigung in Arnstadt bekannt geben. Und es sieht nicht gut aus für die Arbeitsplätze dort. „Bosch ist seit einem Jahr in der Klärungsphase“, so Frey. „Und ein Jahr lang ist nichts geschehen.“

Asiaten denken weiter

Bis Juni wird der Konzern dann mindestens eine Milliarde Euro bei seinem glücklosen Ausflug ins Solargeschäft verbrannt haben, schätzt Hubert Aulich, Vorstand des Thüringer Netzwerks Solarinput und Ex-Vorstand von PV Crystalox Solar. Dass es auch anders geht, hat Hanwha mit der Übernahme von

Q-Cells gezeigt. „Hanwha ist ein koreanischer Hochtechnologie-Konzern“, betont Frey. „Sie haben viel Geld in die Hand genommen, um bei Q-Cells zu investieren. Warum tun die Europäer das nicht? Warum glauben die koreanischen Unternehmer eher an deutsche Technologie als deutsche?“ Weil die Koreaner längerfristiger denken würden.

Und auch die Amerikaner, die 2011 die Q-Cells-Anteile des Dünnschichtherstellers Calyxo übernommen hatten und zum Ende des vergangenen Jahres eine neue Fertigungslinie mit 60 Megawatt in Bitterfeld-Wolfen hochfuhren. Mit insgesamt 85 Megawatt Produktionsausstoß pro Jahr verfügen sie nun über die größte Fertigungsstätte von Dünnschichtmodulen auf Cadmium-Tellurid-Basis in Europa.

Tropfen auf den heißen Stein

Für die Oberbürgermeisterin von Bitterfeld-Wolfen ist das aber lediglich der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein. Und das angesichts der epochalen Aufgaben und Chancen, die der Umbau der gesamten Energieversorgung mit sich bringen sollte. „Die Energiewende erschließt sich mir nicht“, sagt sie gerade heraus. „Wo geht die Reise hin? Wenn wireine alternative Energieversorgung haben wollen, ist Solar eine Alternative. Aber nicht die einzige.“ Als oberste Kommunalpolitikerin einer Chemieregion mit 150-jähriger Industriegeschichte sieht sie die Lösung nur im Verbund verschiedener Technologien zur Erzeugung, Speicherung und Verteilung. „Das sind Aufgaben, die keiner allein stemmen kann“, gibt Petra Wust zu bedenken. „Da wünsche ich mir mehr mentale Unterstützung.“

Mehr als Zellen und Module

Frey ist einer derjenigen, die solch eine Unterstützung gerade aufbauen. Auch für ihn endet die Energiewende nicht bei der Produktion von Solarzellen und Solarmodulen: „Eine Perspektive haben wir nur, wenn wir uns zusammentun und die Wertschöpfungskette erweitern.“ Deshalb hat er neben seinem Job als Chef der Solar Valley GmbH auch die Vertretung des neuen Konsortiums Smart Energy Ostdeutschland unter Führung des Solarvalley Mitteldeutschland übernommen. Bisher gehören 65 Industriebetriebe, 13 Forschungseinrichtungen, zehn Hochschulen und Mitglieder aus Politik und Verbänden zum Konsortium. Weitere Partner und Akteure sind willkommen.Das Konsortium ist angetreten, um die Energiewende voranzubringen und die Marktteilnehmer im Osten am Erfolg zu beteiligen. Eine wichtige Aufgabe angesichts der Krise der Solarindustrie. Schließlich geht es darum, sich die Kuchenstücke zu sichern, die gerade die ostdeutschen Regionen mit ihren Solarstandorten den etablierten konventionellen Energieversorgern und -ausrüstern abgerungen haben. Dazu sollen Wirtschaft, Wissenschaft und Bildung besser verzahnt werden.

Die Energiewende ist nicht mehr aufzuhalten, das steht fest. Nachdem die Preise für Solarmodule in den Keller gerauscht sind, geht es nun um Stromspeicher und die Integration der Photovoltaik in nahezu alle Lebensbereiche. Die Sache wird nicht einfacher, eher komplexer und anspruchsvoller. Das gilt auch für engagierte Initiativen wie Solarvalley oder Smart Energy OStdeutschland. Überall sind integrierte Sonnengeneratoren gefragt, um die Energiekosten zu senken. Um die Stromversorgung stabiler und sauberer zu machen. Das versteht auch die Oberbürgermeisterin von Bittefeld-Wolfen. Und bald erhalten Journalisten auch wieder Einladungen ins Solarvalley.

Smart Energy Ostdeutschland: „Strom für Generationen - erneuerbar und dezentral“

Das Konsortium Smart Energy Ostdeutschland ist angetreten, um die Chancen der neuen Märkte zu nutzen, die sich aus der Umsetzung der Energiewende ergeben. Dazu sollen Wirtschaft, Wissenschaft und Bildung besser verzahnt werden. Die bisher zusammengeschlossenen 91 Akteure kommen aus den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Es sind 65 Industriebetriebe, 13 Forschungseinrichtungen, 10 Hochschulen und Mitglieder aus Politik und Verbänden. Sie wollen auf vier Feldern aktiv werden: bei der Technologieentwicklung, im Bereich der Bildung, auf dem Gebiet der Netzwerkentwicklung und bei Querschnittsaufgaben, um die verschiedenen Bereiche zu integrieren.
„Mit dem heute erreichten Ausbaustand der regenerativen Energien muss die Wertschöpfungskette der erneuerbaren Energien neu definiert werden“, heißt es im Initialkonzept von Smart Energy Ostdeutschland. Es gehe nicht mehr nur um die effiziente Energieerzeugung im Verbund von Solar, Bioenergie und Wind, sondern um kostengünstige Speichertechnologien und die systemische Weiterentwicklung der Netztechnologien.
Dazu gehören regelfähige Wechselrichter inklusive Speicher, Systemdienstleistungen für Verteil- und Übertragungsnetzte, die Synchronisierung mit konventionellen Kraftwerken und die dynamische Einbindung der Stromkunden bei Änderung deren Verbrauchsverhaltens sowie entsprechend neue Marktmodelle. Es liege zum einen im ureigenen Interesse der Photovoltaikhersteller, mit systemtechnischen Anpassungen und neuen Marktmodellen das Fortbestehen des Binnenmarktes für Photovoltaik zu sichern. Andererseits lasse sich mit der neuen Systemtechnik ein Vielfaches dessen verdienen, was die reine Photovoltaik einbringt, betonen die Initiatoren.
Die Strategie für Smart Energy Ostdeutschland geht von der besonderen Situation in den neuen Bundesländern aus. Gründer des Netzwerks betonen, dass die Wirtschaft hier wesentlich weniger forscht als in den alten Bundesländern. Großunternehmen fehlen und kleine und mittlere Unternehmen können sich strategische Forschungs- und Entwicklungsarbeit kaum leisten. So würde hier auch keine „kritische Masse“ erreicht. Für junge Akademiker sei es da attraktiver, in die alten Bundesländer zu gehen. So würden diese ständig in die Ballungsgebiete der alten Bundesländer abwandern. In Thüringen fehlten derzeit 25.000 Fachkräfte, im Jahr 2020 würden es 200.000 sein, so die Initiatoren.
Auch die Solarbranche in Mitteldeutschland habe darunter gelitten. In der Boomphase hätte der Aufbau von Forschung und Entwicklung nicht mithalten können. „Die F&E-Quote der Unternehmen war daher gemessen an den Herausforderungen des internationalen Wettbewerbs zu gering.“ Der Aufbau eines besseren Forschungsumfeldes, angepasst an die Bedürfnisse kleinerer und mittlerer Unternehmen, soll helfen und ist ein Feld, bei dem Smart Energy Ostdeutschland unterstützen möchte.
Die Partner im Netzwerk wollen gemeinsam Produkte und Dienstleistungen entwickeln, die bereits nach einer Forschungs- und Entwicklungsphase von drei bis fünf Jahren und nach einer kurzen Zeit der Produkteinführung Marktwirksamkeit erzielen.
Ein Technologiefeld ist beispielsweise die intelligente Photovoltaik. Heute sind die Module auf Spitzenleistung optimiert, liefern ausgeprägte sommerliche Stromspitzen. Künftig geht es darum, den Strom dann zu produzieren, wenn er gebraucht wird. Das gelingt beispielsweise durch eine andere Ausrichtung, durch besseres Schwachlichtverhalten und durch intelligente gebäudeintegrierte Photovoltaik, bei der automatisch unterschiedliche Einstrahlungswinkel realisiert werden und außerdem weitere nützliche Funktionen für das Gebäude übernommen werden können.
Das ist nur ein Beispiel. Smart Energy Deutschland wird sehr komplex arbeiten. Und genau das ist es ja, was in der Krise der Solarindustrie und angesichts des Orientierungsbedarfs bei den riesigen Herausforderungen der Energiewende helfen könnte.
www.solarvalley.de

William Vorsatz

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