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Unter Quarantäne

Wie Blei liegen sie hier im Zolllager im Hamburger Hafen. Nach einer langen Schiffsreise aus dem fernen China will sie jetzt in Europa niemand mehr haben. Von kristallinen Solarmodulen aus dem Reich der Mitte, die noch jenseits der Zollgrenze liegen, lassen sowohl Großhändler als auch Installateure derzeit die Finger. Dabei ist eigentlich die Einreise des chinesischen Moduls immer noch so einfach wie vor einigen Monaten. Es kann zollfrei die europäischen Außengrenzen passieren. Lediglich die jeweilige Umsatzsteuer wird fällig. Allerdings werden die Importe aus China jetzt „zollamtlich erfasst“. So der sperrige Verwaltungsbegriff für einen simplen Vorgang: Die Zollbeamten in den europäischen Häfen wie hier in Hamburg oder im niederländischen Rotterdam registrieren jedes kristalline Solarmodul, jede Solarzelle und jeden Wafer aus kristallinem Silizium, die, in China produziert, jetzt die europäische Grenze überschreiten. Was zunächst wie ein einfacher Verwaltungsakt aussieht, stiftet reichlich Verwirrung bei allen Beteiligten.

Die rechtliche Grundlage, auf die sich die Zöllner bei ihrer Arbeit stützen können, stand am 6. März im Amtsblatt der Europäischen Union. Pünktlich zum maximal möglichen Zeitpunkt einer rückwirkenden Erhebung von Strafzöllen veröffentlichte die Europäische Kommission ihre Entscheidung vom 1. März, die importierten Module aus China registrieren zu lassen. Das eigentliche Problem ist, dass kein europäischer Importeur einschätzen kann, wie hoch das Risiko ist, bald über einer Rechnung vom Zoll zu sitzen, mit der die Zahlung von Strafzöllen gefordert wird.

Die Frage ist nicht mehr, ob Strafzölle erhoben werden – daran zweifelt kaum noch jemand. Auch wenn die Europäische Kommission klarstellt, dass die zollamtliche Erfassung der Importe nichts darüber aussagt, wie die endgültige Entscheidung ausfallen wird. Das geschehe nur, um sich die Möglichkeit offen zu halten, eventuelle Strafzölle 90 Tage rückwirkend erheben zu können. Die eigentliche Frage, die die Importeure gerade umtreibt ist, wie hoch die Zolltarife ausfallen und vor allem, ob sie rückwirkend gelten. Genau da liegt die Unsicherheit, die für den Handel schädlicher ist als die Tatsache, dass chinesische Solarimporte mit Strafzöllen belegt werden. „Kunden und Lieferanten warten auf eine Entscheidung der Europäischen Kommission und niemand weiß, was kommen wird“, schimpft Dennis Gieselaar, Managing Director beim niederländischen Photovoltaikanbieter Oskomera Solar Power Solutions in Deurne.

Eine fragwürdige Praxis

Das europäische Recht ermöglicht die rückwirkende Erhebung von Strafzöllen und es wäre auch nicht das erste Mal, dass so etwas passiert. Doch bestehen berechtigte Zweifel, ob das im Falle der Modulimporte aus China auch rechtens ist. Schließlich darf die EU nur dann rückwirkend Zölle erheben, wenn die Importe während des Untersuchungsverfahrens erheblich zugenommen haben. Damit will sich die EU dagegen absichern, dass schnell noch eine erhebliche Warenmenge nach Europa eingeführt wird, bevor die Entscheidung der Europäischen Kommission gefallen ist. Das ist aber hier nicht der Fall, stellt die Allianz für bezahlbare Solarenergie (Alliance for Affordable Solar Energy – AFASE) klar. Selbst die Europäische Kommission hat zugegeben, dass im Jahr 2012 die Importe von kristallinen Solarzellen und Modulen rückläufig waren.

Für die Großhändler in Europa ist jedoch klar: „Wir nehmen im Moment nur Module aus chinesischer Produktion ab, wenn darauf garantiert keine Zölle anfallen“, erklärt Siegfried Usarek, Geschäftsführer von Havelland Solar. Früher trafen bei dem Großhändler in Wachow, einem Ortsteil der Stadt Nauen, 20 Kilometer westlich von Berlin, die chinesischen Module containerweise ein. Das war zu Zeiten, als die Nachfrage nach Solarmodulen noch das Angebot überstieg. Um das Sortiment breiter aufzustellen, hat Havelland Solar dann Module von verschiedenen Herstellern abgenommen, in geringeren Mengen. Aber auch das ist vorbei. „Wir kaufen seit etwa einem Jahr bei allen namhaften Herstellern ein, die ihre Ware irgendwo in Europa haben, so wie wir die Module brauchen“, berichtet Usarek.

Auf Nummer sicher

Darunter sind auch chinesische Module. Sie wurden vor der Veröffentlichung der Entscheidung der Europäischen Kommission noch schnell in die EU eingeführt und müssen nicht rückwirkend verzollt werden. „Das sind die Module, die wir noch abnehmen“, sagt Usarek. Neu importierte dagegen nicht. „Es kann ja bis zu 85 Prozent des Warenwertes nachverzollt werden. Dieses Risiko kann niemand eingehen.“

Deshalb wird die Ware langsam knapper, obwohl eigentlich genügend davon bereits in Europa liegt. Und täglich kommt mehr im Zollfreilager an. „Es waren aber nicht viele Hersteller so
schlau und haben ihre Ware noch schnell aus dem Zolllager genommen und nach Europa eingeführt“, weiß der Großhändler aus Nauen. „Die bis zum 5. März in die EU eingeführte Ware reicht noch für etwa drei bis vier Monate, dann ist Schluss, dann sind die ganzen Module verbaut“, schätzt Siegfried Usarek. Warum nicht mehr Module noch vor dem 5. März in die EU eingeführt wurden, kann Usarek nur vermuten. „Vielleicht hatten die anderen Verkäufer nicht das Geld, die Module nach Europa zu holen“, sagt er. „Diese Hersteller bieten ihre Module jetzt unverzollt auf dem Markt an.“ Aber die will keiner haben und Siegfried Usarek warnt davor, sich auf ein solches Geschäft mit ungewissem Ausgang einzulassen. An wen sich die Zollbehörden halten, wenn Zölle auf die Module fällig werden, wird eindeutig im Liefervertrag festgelegt. Wenn dort das Kürzel DDP (Delivered, Duty paid – Siehe Kasten) steht, ist alles in Ordnung. Denn dann ist der Verkäufer in der Pflicht. Bei CIF (Cost, Insurance and Freight) halten sich die Zöllner bei Nachforderungen dagegen an die Käufer. Deshalb sind bereits abgefertigte Module so begehrt.

Modulpreise steigen

Das Ergebnis ist: „Unterm Strich hat die Unsicherheit dazu geführt, dass die chinesischen Module im Preis leicht angezogen haben“, berichtet Thomas von Crailsheim, Einkaufsleiter bei Frankensolar, einem Großhändler mit Sitz in Nürnberg. Einen Preisanstieg von immerhin 20 Prozent innerhalb weniger Tage nach der Ankündigung der Registrierung der Modulimporte aus China hat Paolo Rocco Viscontini, Vorstandsvorsitzender beim italienischen Photovoltaikgroßhändler Enerpoint in Nova Milanese, festgestellt. „Die Preise werden sicher noch weiter steigen, sobald die durch den Zoll gelangten Lagerbestände aufgebraucht sind“, befürchtet Viscontini.

Trotzdem verkaufen die Großhändler weiterhin reichlich Chinaware an die Installateure. Nur: „Die Käufer achten ganz klar darauf, dass die Ware eindeutig verzollt ist und ein eventuelles Risiko letztlich nicht an die Installateure weitergegeben wird“, weiß von Crailsheim. Viele Installateure kennen das Risiko und das Problem. Schließlich waren sie früher selbst in der Rolle des Importeurs, wenn sie ihre Ware nicht über den Großhandel bezogen haben. Da ist die Sensibilität bezüglich der Verzollung der Module deutlich gestiegen.

Kernkompetenz ausspielen

Das zeigt auch eine aktuelle Umfrage des Marktforschungsinstituts EuPD Research in Bonn. Die Analysten haben 120 Installateure in Deutschland, Italien, Großbritannien und Frankreich befragt, über welche Kanäle sie ihre Module beschaffen. Die Handwerksbetriebe, die überhaupt chinesische Ware im Portfolio haben, gehen in Zukunft nicht mehr zum Hersteller, sondern zum Großhändler.

Damit treffen sich die Installateure und die Großhändler auf einer strategischen Linie. „Auf der sicheren Seite ist der Installateur, wenn er sich an den Großhändler hält und seine Module bei ihm einkauft“, erklärt von Crailsheim. „Der Großhändler muss an dieser Stelle die Aufgabe übernehmen, die Module verzollt dem Installateur zur Verfügung zu stellen. Der Installateur sollte sich auf seine Kernkompetenz konzentrieren: Die Pflege des Kontakts zum Endkunden.“ Die vorgelagerten Themen, wie Verzollung von Modulen oder die Garantieabwicklung mit dem Hersteller, kann er dem Großhändler überlassen.

KlauselKürzelInhaltIm Vertrag anzugebender Ort
Ex Works (ab Werk)EXWDer Importeur transportiert die Ware komplett auf eigene Kosten und trägt das ganze Risiko.Standort des Werks
Free CarrierFCADie Verpflichtungen und das Transportrisiko des Verkäufers enden bei der Übergabe der Ware an den ersten Frachtführer. In der Regel ist das das Logistikunternehmen, das die Ware zum Hafen oder Flughafen bringt.Frei vereinbarter Frachtführer
Free alongside ShipFASDer Verkäufer ist verpflichtet, die Ware auf seine Kosten und sein Risiko bis zur Längsseite des vom Käufer benannten Schiffes zu transportieren. Die Verladung und der Weitertransport gehen zu Lasten und auf Risiko des Käufers.Vereinbarter Verladehafen (neben dem Schiff)
Free on BoardFOBDer Käufer übernimmt den Transport der Ware, wenn diese auf das von ihm benannte Schiff verladen ist. Bis dahin trägt der Verkäufer die Kosten und die Verantwortung.Vereinbarter Verladehafen (auf dem Schiff)
Cost and FreightCFRDer Verkäufer trägt die Frachtkosten bis zum Bestimmungshafen. Das Risiko des Transports trägt allerdings der Käufer ab dem Zeitpunkt, wenn die Ware auf das Schiff verladen wurde.Vereinbarter Bestimmungshafen (auf dem Schiff)

Cost, Insurance and Freight

CIF

Der Verkäufer trägt nicht nur die Kosten für den Transport zum Bestimmungshafen, sondern auch die Kosten für eine Transportversicherung. Das Risiko im Falle eines Transportschadens geht allerdings an den Käufer zu dem Zeitpunkt über, wenn die Ware auf das Schiff verladen wurde.

Vereinbarter Bestimmungshafen (auf dem Schiff)

Carriage paid to

CPT

Sämtliche Transportkosten der Ware bis zum Bestimmungsort trägt der Verkäufer. Das Transportrisiko geht bereits bei der Übergabe der Ware an den ersten Frachtführer an den Käufer über.

Vereinbarter Bestimmungsort

Carriage and Insurance paid to

CIP

Der Verkäufer trägt sämtliche Transportkosten der Ware zum Bestimmungsort. Zusätzlich muss er auf seine Kosten eine Transportversicherung abschließen. Das Risiko eines Transportschadens trägt der Käufer ab dem Zeitpunkt, wenn die Ware dem ersten Frachtführer übergeben wird.

Vereinbarter Bestimmungsort

Delivered at place

DAP

Der Verkäufer muss die Ware unentladen am Bestimmungsort abliefern. Bis dahin trägt er sowohl die Kosten als auch das Risiko des Warentransports. Die Entladung und der Weitertransport zum Bestimmungsort ist dann Aufgabe des Käufers.

Vereinbarter Lieferort im Einfuhrland

Delivered at terminal

DAT

Der Verkäufer stellt dem Käufer die Ware entladen an einem vereinbarten Terminal (Kai, Containerdepot, Eisenbahn- oder Luftfrachtterminal) zur Verfügung.

Vereinbarter Terminal

Incoterms entscheiden über Pflichten

Die in den Lieferverträgen vereinbarten Incoterms legen die jeweiligen Pflichten des Verkäufers und den Übergang der Transport-, Versicherungs- und Zollkosten und Risiken auf den Käufer fest. Insgesamt gibt es elf Möglichkeiten, dem Käufer das Transportrisiko zu übergeben. So übernimmt der Importeur, der seine Ware Ex Works (EXW) kauft, den gesamten Transport inklusive Versicherung und Zollabfertigung selbst. Das hat den Vorteil, dass er das Tempo des Transports der Ware an den Bestimmungsort selbst beeinflussen kann. Außerdem hat er dann die Möglichkeit, die Versicherung im Heimatland abzuschließen. Und er muss sich im Fall eines Transportschadens nicht mit einer ausländischen Versicherung herumschlagen. Gerade bei Importen aus China warnen Handelsexperten davor, sich auf chinesische Versicherungen einzulassen. Will sich der Importeur allerdings nicht mit der Logistik bis ins Bestimmungsland befassen, kauft er seine Ware in der Regel so ein, dass der Verkäufer sämtliche Kosten des Transports und auch dessen Organisation übernimmt, Cost, Insurance and Freight (CIF). Bei eventuell rückwirkender Verzollung sollte der Käufer darauf achten, dass er die Ware nur unter dem Label DDP abnimmt. Das Kürzel steht für Delivered, Duty paid. Die Behörden im Einfuhrland halten sich dann an den Verkäufer, sollten noch Zölle auf die Ware fällig werden.

Zwei Studien, zwei Ergebnisse

Eine Blitzumfrage des Bonner Marktforschungsinstituts EuPD Research unter 120 Solarteuren hat ergeben, dass die Mehrheit der befragten Installateure Strafzölle auf chinesische Solarmodule und Solarzellen ablehnt. Von den befragten Installateuren in den größten europäischen Märkten Deutschland, Italien, Frankreich und Großbritannien sprachen sich 45,3 Prozent gegen Handelsbeschränkungen aus. Die Einführung von Strafzöllen befürworten 38,5 Prozent. Die restlichen 16,2 Prozent der Befragten konnten sich nicht entscheiden oder es war ihnen egal. Damit steht die Studie der Analysten aus Bonn in krassem Gegensatz zum Ergebnis der Umfrage des Europressedienstes. Der Mediendienstleister hat im März insgesamt 2.303 Handwerker in der ganzen Europäischen Union befragt, von denen 532 antworteten. Insgesamt haben die befragten Installateure im vergangenen Jahr knapp sieben Prozent der in Europa neu installierten Solarstromleistung aufgebaut. Von den Teilnehmern sprachen sich fast zwei Drittel für Strafzölle aus, sollte die Europäische Kommission zu dem Ergebnis kommen, dass die chinesischen Hersteller ihre Ware zu Dumpingpreisen auf dem europäischen Markt anbieten. In Italien und Frankreich waren es sogar drei Viertel der befragten Installateure, die Strafzölle befürworten. Angst vor einem Rückgang der Nachfrage wegen steigender Preise haben laut Europressedienst nur 18 Prozent der Handwerker. Sie lehnen die Einführung von Schutzzöllen ab. Auch hier stellt EuPD Research das Gegenteil fest. „Zu den häufigsten Argumenten der Installateure zählt schlicht ‚die Gefährdung des eigenen Geschäftsmodells‘ sowie ‚generell steigende Preise‘ aufgrund der diskutierten Schutzzölle“, berichtet Thomas Olbrecht, Head of Sales bei EuPD Research. „Außerdem befürchten viele Installateure, dass auch europäische Produkte aufgrund ihrer chinesischen Zulieferer von Strafmaßnahmen betroffen sein könnten.“ Wie die Diskrepanz bei den Ergebnissen der Studien zustande kommt, erklärt sich Michael Forst, Chefredakteur von Europressedienst damit, dass seine Erhebung auf einer Befragung von Installateuren in allen 27 EU-Mitgliedsstaaten beruht. „Wir wollten bei unserer Umfrage eine gesunde Mischung der Installateurslandschaft haben“, erklärt Forst. Das gilt sowohl für die Größe der Anlagen, die die einzelnen Handwerker aufbauen, als auch für das Produktportfolio, aus dem die Installateure schöpfen. „Insgesamt haben wir festgestellt, dass die überwiegende Mehrheit der Installateure Module von mehreren Lieferanten sowohl aus Asien als auch aus Europa im Angebot haben, aus dem sie sich bedienen“, erklärt der Chefredakteur von Europressedienst. Interessanter ist aber, wie sich die Installateure im Falle von Strafzöllen verhalten werden. Sowohl die Bonner Marktforscher als auch Europressedienst fragten die Handwerker darüber aus, woher sie ihre Module bisher beziehen und wie sie ihre Beschaffungskanäle ändern, sollten die Schutzzölle kommen. Insgesamt beziehen laut Europressedienst 69 Prozent der Unternehmen ihre Module überwiegend vom Großhandel und von Importeuren, 46 Prozent kaufen zusätzlich oder ausschließlich beim Hersteller ein. Die meisten Betriebe mit chinesischen Produkten im Portfolio gaben gegenüber den Marktforschern von EuPD Research an, dass sie die Module aus Fernost nur noch über den Handel beziehen wollen, um so das Risiko rückwirkender Zahlungen zu minimieren. Einige Installateure mit chinesischem Produktportfolio erwägen auch einen Wechsel der Anbieter und würden europäischen Produzenten den Vorzug geben, wenn sich die chinesische Ware aufgrund von Schutzzöllen verteuerte. Ein kleiner Teil der Installateure würde steigende Preise von chinesischen Modulen – sollten die Schutzzölle kommen – mit niedrigeren Einkaufspreisen für Wechselrichter und Montagesysteme kompensieren. Gänzlich unzufrieden sind die europäischen Handwerker mit der Informationspolitik ihrer chinesischen Lieferanten. Die Installationsbetriebe vermissen vor allem Offenheit seitens der Hersteller aus dem Reich der Mitte. Diese sollen vor allem erklären, welche Auswirkungen mögliche Schutzzölle auf die Liefersituation, die Preise und langfristige Lieferverträge haben.

Sven Ullrich