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Eine Sprache fürs Netz

Die Uhr tickt, doch vielen Anlagenbetreibern ist das gar nicht bewusst: Bis Ende 2013 müssen auch Solaranlagen mit 30 bis 100 Kilowatt Leistung durch den Netzbetreiber regelbar sein. In den vergangenen Monaten wurde diese Vorschrift zunächst bei Anlagen mit mehr als 100 Kilowatt umgesetzt, nun sind die kleineren Generatoren dran. Wer die erforderliche Technik nicht nachrüstet, riskiert den Netzanschluss und die Einspeisevergütung.

Die Fernsteuerung von Photovoltaikanlagen durch den Netzbetreiber setzt spezielle Systeme voraus, die den Datensatz des Wechselrichters mit der Leitwarte der Netzbetreiber oder dem nächsten Ortsnetzknoten verbinden. Nur dann können die Netzbetreiber die Leistung der Anlage bei Netzstörungen abregeln, oder sie ganz vom Netz nehmen. Wer über solche Fernwirktechnik bisher nicht verfügt, muss sie auf eigene Kosten nachrüsten. „Was eingebaut wird, geben die Netzbetreiber vor“, sagt Ulrich Menzel von Wago Kontakttechnik, einer Spezialfirma für elektrische Verbindungstechnik. Auch Bernhard Ernst, Direktor für das Geschäftsfeld Netzintegration bei SMA in Kassel, meint: „Die Kommunikation ist ein Monopol der Netzbetreiber. Sie können vorschreiben, welche Technik verwendet wird.“

Meist schreiben die Netzbetreiber so genannte Rundsteuerempfänger vor. „Sie kosten bei manchen Netzbetreibern nichts, bei den meisten zwischen 150 und 200 Euro“, berichtet Bernhard Ernst. „Einige verlangen bis zu 800 Euro. Vattenfall in Berlin schreibt eine Technik vor, die mit Montage rund 2.000 Euro kostet.“

Die Rundsteuerempfänger werden eigentlich nur bei den kleineren Solaranlagen verwendet, weil sich richtige Fernwirktechnik nur für größere Generatoren lohnt.

Nur „Ein“ oder „Aus“

Das Problem: Mit Rundsteuerempfängern kann man eine Solaranlage oder ein Windrad nur einschalten oder stilllegen. Daten zum Betriebszustand, etwa die aktuelle Wirkleistung, Phasenverschiebung oder andere Paramater lassen sich damit nicht übertragen, weder analog noch digital. Das funktioniert nur mit der Fernwirktechnik, die über eine Standleitung zwischen Leitwarte und Solaranlage läuft, also einen speziell gesicherten Datentunnel. „Diese Technik kostet zwischen 4.000 und 5.000 Euro“, rechnet Bernhard Ernst vor. Das ist für die kleinen Anlagen völlig inakzeptabel.

Rundsteuerempfänger oder Steuerbox mit Fernwirktechnik – das sind die Alternativen. Zwar reicht der Rundsteuerempfänger aus, um die Vorschriften zum Einspeisemanagement im Erneuerbare-Energien-Gesetz (vorerst) zu erfüllen. Er reicht aber nicht aus, wenn man den Solarstrom beispielsweise vermarkten will, oder wenn die Anlage mit Blindleistung in die Netzsteuerung eingreifen soll. Denn spezielle Steuerboxen mit VPN-Leitung, die ihre Betriebsdaten via DSL, Mobilfunk oder Richtfunk senden, sind für die Masse der Anlagen unwirtschaftlich. Das macht die Direktvermarktung von Sonnenstrom nahezu unmöglich. Dieser Passus im EEG ist also Unsinn, weil technisch nicht möglich. Wer die Forderungen des Einspeisemanagements erfüllt und zugleich mit Solarstrom handeln möchte, kommt mit einem Rundsteuerempfänger nicht weiter. Wenn er schon einen solchen Empfänger hat, muss er noch einmal investieren. Würde der Gesetzgeber digitale Steuerboxen und Fernwirktechnik vorschreiben, ließe sich der Doppelausbau vermeiden.

Netzbetreiber haben das Sagen

Könnte, würde, sollte: In der Realität haben die Netzbetreiber das Sagen, nicht die Vernunft. So hat Eon Bayern im vergangenen Jahr in seinem Netzgebiet rund 5.500 regenerative Kraftwerke – Photovoltaik, Windräder, Biogasanlagen – mit Leistungen ab 100 Kilowatt ausgerüstet. Fernwirktechnik gab es nur für 150 Kraftwerke, die mehr als ein Megawatt leisten. An alle anderen lieferte Eon Bayern die unzureichenden Rundsteuerempfänger aus, keine Steuerboxen mit Fernwirktechnik. „Wir müssen die Kosten für die Betreiber im Blick haben“, sagt Markus Schwürzenbeck, Leiter des Einspeisemanagements bei Eon. „Sie bekommen von uns einen Rundsteuerempfänger für 356 Euro geliefert.“

Für 400 Euro wäre Fernwirktechnik auch für kleine Anlagen ab 30 Kilowatt verfügbar gewesen, beispielsweise durch die Firma IDS. Das Unternehmen lieferte unlängst 17.000 Geräte an die Lechwerke aus. Wegen der hohen Stückzahl gehen die Kosten runter. Oder könnten sinken, denn das ist bisher ein Einzelfall. Ein Massenmarkt für intelligente Steuersysteme ist nicht in Sicht.

Kleinstaaterei wie im Mittelalter

Das zweite Problem: In Deutschland gibt es rund 900 Netzbetreiber und Stadtwerke. Im Laufe der Jahrzehnte haben sie tausende Lösungen entwickelt, um ihre Generatoren zu steuern. Jedem Tierchen sein Pläsierchen: Da tobt sich die deutsche Kleinstaaterei so richtig aus. Auf ein einheitliches Kommunikationsprotokoll konnten oder wollten sich die Netzbetreiber bisher nicht einigen. „Die Rundsteuerempfänger haben in der Regel vier Relaiskontakte, die vom Wechselrichter ausgelesen werden“, erläutert der SMA-Experte. „Dafür werden unterschiedliche Standards verwendet. Die Vereinheitlichung der Protokolle wäre sinnvoll.“

So haben es beispielsweise Eon und EnBW bisher verschlafen, in digitale Kommunikationstechnik zur Netzsteuerung zu investieren. Vattenfall bietet immerhin einen digitalen Standard zur Steuerung von dezentralen Energieerzeugern in seinem Netzgebiet an, der unter dem Namen Virtual Heat and Power Ready (VHP-ready) firmiert. Zunächst ist er für Wärmepumpen und Blockheizkraftwerke gedacht, um sie in ein virtuelles Kraftwerk einzubinden. Eine Vorschrift für alle gibt es in Deutschland nicht. Anders als in Italien, wo der digitale Datenstandard IEC 61850 für alle Betreiber von regenerativen Generatoren für verbindlich erklärt wurde. Das schreibt der Gesetzgeber vor, alle haben sich danach zu richten. Und basta. In Deutschland hält sich der Gesetzgeber mit solchen Vorschriften bislang zurück.

Das Nadelöhr der Energiewende

So wird das Netz zum Nadelöhr der Energiewende, genauer gesagt: die Leitwarten der Netzbetreiber vor allem in der Mittelspannungsebene und in der Niederspannung. Denn in der Hochspannung ist Fernwirktechnik längst gang und gäbe. Dort tummeln sich nur vier oder fünf Unternehmen, die ihre Claims fein säuberlich abgesteckt haben. Sie benutzen den Datenstandard IEC 60870-5-101, der seit 20 Jahren verbaut wird. Die Steuerung läuft über eine serielle Datenschnittstelle und spezielle Standleitungen. Seit einigen Jahren gibt es auch den Standard IEC 60870-5-104, der auf dem IP/DCP-Protokoll basiert und über das Internet läuft. Dieses Protokoll ist kompatibel zu allen internetfähigen Mobilfunksystemen wie LCE, GPRS oder DSL. In der Hochspannungsebene sitzt die Kommunikationstechnik direkt an der Schaltanlage des Kraftwerks, also unmittelbar vor dem Stromnetz. Die Betriebsdaten gehen unmittelbar an die Leitwarte, die den ordnungsgemäßen Betrieb überwacht und steuert.

Mittlerweile hat sich das so genannte 104er Protokoll (IEC 60870-5-104 mit IP/DCP) in der Hochspannungstechnik als Quasistandard etabliert. Seit 1995 laufen Aktivitäten, um das neue Datenmodell IEC 61850 als Standard zu normieren. Es geht weit über das 104er-Protokoll hinaus. Es definiert viel mehr Details, so dass alle möglichen Generatoren, Wärmepumpen und elektrische Anlagen damit beschrieben werden können – in einem universellen und austauschbaren Code. „Mit der IEC 61850 sind sehr umfangreiche Modelle und Strukturen in elektrischen Feldern und elektrotechnischen Anlagen abbildbar“, weiß Karlheinz Schwarz. Er ist ein alter Hase in diesem Geschäft, war er doch viele Jahre für Siemens tätig. Zwischen 1984 und 1996 saß er für den Weltkonzern in den verschiedenen Gremien zur Normung von Kommunikationsstandards in der Kraftwerkstechnik.

Schwarz war maßgeblich am IEC 61850 beteiligt, manche nennen ihn gar den „61850-Papst“. „Dieser Standard ist auch für Solarwechselrichter geeignet“, erläutert er. „Beispielsweise werden Spannung, Stromstärke, Frequenz und Phasenverschiebung in den drei Phasen in einem Bitsatz durchnummeriert und indiziert. Daraus entsteht das logische Modell für alle elektrischen Messwerte, die für den Anschluss und die Regelung einer Solaranlage wichtig sind.“ Auch die Regelung der Blindleistung wäre damit möglich. Mit der gezielten Verschiebung der Phasen von Wirkspannung und Stromstärke lassen sich überhitzte Netze entlasten.

Ein Standard für alle Wechselrichter

Volkswirtschaftlich drückt sich das in enormen Kosteneinsparungen beim Umbau der Stromnetze aus. Ein wesentlicher Grund, der die chronisch klammen Italiener dazu trieb, diesen Standard für dezentrale Generatoren vorzuschreiben. Die Italiener haben zwei Normen aufgelegt, eine zur Einspeisung in die Niederspannungsebene und eine für Mittelspannung beziehungsweise Hochspannung. Für die Kommunikation der einspeisenden Generatoren mit dem Netzbetreiber ist nun IEC 61850 festgelegt.

Mit dem Datenmodell des IEC 61850 sind die wichtigsten Funktionen von Generatoren einheitlich darstellbar, egal, ob es sich um eine Solaranlage, ein Windrad oder eine Gasturbine handelt. Alle Hersteller von Wechselrichtern wären auf eine gemeinsame Datensprache verpflichtet. Denn die Kleinstaaterei hört beim Stromnetz nicht auf: Auch jeder Produzent von Wechselrichtern nutzt bislang eigene Datenmodelle, je nach Baureihe und Gerät.

Ein weiterer Vorteil: IEC 61850 lässt sich sehr gut mit XML-Dateien beschreiben, die Systemkonfiguration passt in standardgemäße XML-Files. Deshalb hat Vattenfall für seinen VPH-ready-Standard neben dem 104er Code auch IEC 61850 aufgenommen. Auch Siemens, ABB, General Electric, Schneider und Alsthom benutzen diesen Code – aber nur in der Hochspannungstechnik.

In der Mittelspannung setzt sich IEC 61850 zunehmend durch. Immerhin gibt es bereits eine spezielle Erweiterung der „Lingua franca“ im Netz, die den Standard auf Solarwechselrichter adaptiert. IEC 61850-90-7 gilt seit diesem Jahr und wurde nach Aussage von Karlheinz Schwarz „intensiv von SMA mit erarbeitet“.

Veraltete Technik für Niederspannung

In den unteren Spannungsebenen wird der Standard bisher kaum verwendet, wie bisher überhaupt kaum steuernd eingegriffen wird. So laufen rund eine Million Ortsnetzstationen und Einspeisepunkte in Deutschland ohne jede technische Möglichkeit, die Energieströme zu kontrollieren. Langsam fangen die ersten Stadtwerke an, die Transformatorstationen nachzurüsten, siehe Lechwerke. „Aber es wird einige Jahre dauern, bis die Fernüberwachung flächendeckend möglich wird“, kritisiert Karlheinz Schwarz. „In den Verteilnetzen der Industrie oder in den Werksnetzen der Autohersteller wird IEC 61850 schon verwendet.“

Fakt ist: Das Einspeisemanagement und die Systemdienstleistungen der Photovoltaikanlagen werden im Netz dringend gebraucht. Denn Blindleistung, Fault Ride Through und Reduktion der Einspeiseleistung stützen nicht nur das Netz, falls es wackelt. Sie senken auch die Kosten für den Umbau der Stromtrassen und Kabel. Um die Kurven und Parameter der Sonnengeneratoren genau einzustellen und Netzreserven zu erschließen, braucht man eine einheitliche Datensprache. Eine ähnliche Situation gab es vor Jahren in der Kraftfahrzeugelektrik. Als die elektronische Diagnose der Autos aufkam, entwickelte jeder Autohersteller eigene Datenmodelle. Für die Diagnosesysteme benutzt jeder Hersteller einen eigenen Stecker, nur um sich nicht in die Karten schauen zu lassen. Brüssel reagierte und schrieb in einer Richtlinie vor, dass alle sicherheitsrelevanten Fahrzeugdaten unabhängig vom Anschlussstecker und vom Hersteller auslesbar sein müssen. Um es vorwegzunehmen: Das hat niemandem geschadet.

Aufgabe der nächsten EEG-Novelle

Eigentlich gehört ein einheitlicher Kommunikationsstandard für die Netzsteuerung ins Erneuerbare-Energien-Gesetz, wie das Einspeisemanagement. Das wäre also Sache einer Novelle des EEG. Sie wird kommen, wie das Amen in der Kirche. Empfehlenswert wäre, sich Italien als Vorbild zu nehmen. Wer auch immer die Bundestagswahl im Herbst gewinnt, an der Neuordnung des Zugriffs auf die Netze kommt niemand vorbei. Doch das wollen die Netzbetreiber nicht, auch nicht die Stadtwerke. Denn ein Generator, der mit 101er, 104er oder 61850-Code ans Netz angeschlossen wird, läuft automatisch und voll integriert. Alle Betriebszustände sind in Echtzeit abrufbar. Damit holen sich die Energieversorger unliebsame Konkurrenz ins Haus. Das streng gehütete Stromnetz wird plötzlich offen und durchlässig wie ein Sieb. Da kann jeder Strom verkaufen und kaufen. Da geraten althergebrachte Geschäftsmodelle ins Wanken. Da wackeln Monopole.

Zunehmender Bedarf an Blindleistung

Denkbar wären auch eine deutsche Norm oder eine Richtlinie des VDE, um die Kleinstaaterei in den deutschen Stromnetzen zu beenden. Noch liegt der Preis für Fernwirkgeräte viel zu hoch, auch muss die Technik viel einfacher werden. Denn letztlich interessiert es den Anlagenbetreiber nicht, welches Protokoll in der Datenkommunikation verwendet wird. Die Sache muss so einfach werden wie Bluetooth, WiFi, GSM oder USB. Sie muss so einfach und standardisiert sein, wie ein metrisches ISO-Gewinde für Schrauben und Muttern.

Andernfalls wird es keinen freien Stromhandel und keine intelligente Netzsteuerung geben, und damit keine sinkenden Strompreise und stabilere Netze. „Schon heute wird die Intelligenz der Solarwechselrichter immer häufiger benötigt, in den süddeutschen Netzen oder zum Beispiel bei Eon Edis und Eon Avacon im Osten“, sagt Bernhard Ernst von SMA. „Zunehmend wird Blindleistung nachgefragt, um die Spannung im Netz zu halten. In der Niederspannung ist die Erzeugung von Blindleistung durch Solarwechselrichter seit Jahresbeginn 2012 Standard.“

Das schreibt die Anwendungsregel 4105 des VDE vor. Der Wechselrichter produziert neben der Wirkleistung auch Blindleistung. Dazu verschiebt er die Phasenlage von Spannung und Stromstärke gegeneinander. Je nachdem, in welche Richtung die Phase der Spannung gegen die der Stromstärke verschoben wird, wirkt die Blindleistung spannungserhöhend oder senkt die Spannung ab. Der Wechselrichter wirkt wie eine Kapazität oder wie eine Induktivität. „Im Niederspannungsnetz wird meist die Verringerung der Netzspannung nachgefragt“, berichtet Ernst. „In der Mittelspannungsebene ist beides üblich. Soll der Wechselrichter auch nachts Blindleistung anbieten, muss er dem Netz eine geringe Wirkleistung entnehmen, um die Steuerelektronik zu versorgen und die Verluste auszugleichen.“ Vor allem aber muss er steuertechnisch voll am Netz hängen, Daten senden und empfangen können. Jederzeit, rund um die Uhr.

Soll das Netz nicht zum Engpass für die Energiewende werden und dem Steuerzahler unnötige Milliardensummen abverlangen, braucht es eine Steuerung von unten. Und schon zeichnet sich ab, dass die Modelle zur schnellen Netzsteuerung noch komplexer werden. Nämlich dann, wenn Batterien und Elektroautos in die Strombilanzen eingreifen. Das Netz als freien Marktplatz für Strom aus allen erdenklichen Quellen zu definieren und dafür die technischen Voraussetzungen zu schaffen, das ist ohne einheitlichen Standard in der Datenkommunikation nicht möglich. Das Netz braucht eine Lingua franca, nicht nur in Italien.

https://www.vattenfall.de/waerme

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