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“Jetzt kommen die E-Autos“

Welche Relevanz hat die Elektromobilität heute in der Praxis?

Die wichtigste Botschaft zuerst: Elektrisches Fahren ist keine Vision mehr, sondern Realität. Das wurde besonders deutlich auf der Internationalen Konferenz der Bundesregierung zur Elektromobilität, die kürzlich in Berlin stattfand. Bei rund 2.000 Testfahrten konnten die Menschen dabei Elektromobilität „live“ erleben – alle waren begeistert von der neuen Antriebsart. Das Angebot reichte vom reinen Batterieauto über Plug-in-Hybridfahrzeuge bis zu Modellen mit Reichweitenverlängerer. Dieses Beispiel zeigt: Jetzt kommen die E-Autos auf die Straße, jetzt geht es darum, die Menschen an das Elektroauto heranzuführen, ihnen das Fahren zu ermöglichen. Das bringt mehr als alle Theorie – und vor allem werden dadurch überholte Vorurteile ad acta gelegt.

Wie wichtig ist das Thema für die Autobauer und für die Zulieferindustrie?

Die Entwicklung alternativer Antriebsformen steht nach wie vor ganz oben auf der Agenda der deutschen Automobilindustrie – bei Herstellern ebenso wie bei Zulieferern. Sie ist für uns keine Frage des Images, sondern eine Notwendigkeit. Die Herausforderungen sind zahlreich: Klimawandel und begrenzte Rohölreserven bedingen die Strategie „Weg vom Öl“. Weltweit wächst die Bevölkerung, die Urbanisierung schreitet voran. In 20 Jahren werden zwei Drittel der Menschen in Städten leben und dabei mobil sein wollen. Dabei nimmt insbesondere in den Schwellenländern die Motorisierung zu. Es wird mehr Autos geben. Auch der Welthandel wächst stetig. Wir können nicht auf Mobilität verzichten. Denn Mobilität von Menschen und Gütern ist nicht die Folge, sondern die Grundlage unseres Wohlstandes. Die deutsche Automobilindustrie verfolgt seit Jahren ihre „Fächerstrategie“. Dazu zählt die Optimierung der klassischen Antriebe – Benziner und Clean Diesel – ebenso wie die Entwicklung alternativer Antriebe. Rund 40 Prozent aller Investitionen in den Antriebsstrang werden für alternative Antriebe aufgewendet. Allein in den nächsten drei bis vier Jahren sind das 12 Milliarden Euro.

Welche Bedeutung haben dabei elektrisch angetriebene Fahrzeuge?

Bis Ende 2014 bringen unsere Hersteller 16 Modelle mit Elektroantrieb auf den Markt. Das Angebot geht also steil nach oben. Noch befindet sich der Markt auf niedrigem Niveau. Aber wir beobachten hohe Zuwachsraten. So haben sich die Verkäufe von elektrisch angetriebenen Fahrzeugen seit 2007 jährlich verdoppelt. Im Jahr 2012 wurden in Deutschland 4.157 Elektrofahrzeuge zugelassen. Damit haben wir nun rund 8.500 Elektroautos auf deutschen Straßen - und die Zahl nimmt weiter zu. Schon im zweiten Halbjahr 2013 werden die Stückzahlen weiter deutlich ansteigen. Im Jahr 2014 werden wir aller Voraussicht nach über einige zehntausend verkaufte Fahrzeuge reden – Mitte des Jahrzehnts möglicherweise auch schon über eine sechsstellige Zahl.

Ist Elektromotor nicht gleich Elektromotor? Kann dort noch Innovatives passieren?

Wir sprechen bewusst von Elektromobilität. Dazu gehören verschiedene Varianten: Das rein batterieelektrisch angetriebene Fahrzeug, der Plug-in-Hybrid, der einen E-Motor mit einem herkömmlichen Verbrennungsmotor kombiniert, sowie der Reichweitenverlängerer. Für urbane Räume wird sich aller Voraussicht nach ein rein batterie-elektrisches Auto anbieten, da dieses die tägliche Wegstrecke von zu Hause zum Arbeitsplatz und zurück bequem schaffen kann. Für längere Strecken oder ländliche Räume bietet sich der Plug-in-Hybrid an, der lokal emissionsfrei fährt. Ein weiterer wichtiger Punkt kommt hinzu: der Leichtbau. Auch auf diesem Feld sind unsere Hersteller und Zulieferer mit Hochdruck unterwegs. Weniger Gewicht heißt weniger Verbrauch.

Welche Rolle spielt E-Mobilität für die Stromerzeuger und Netzbetreiber?

Elektromobilität braucht nicht nur die passenden Autos, sondern auch die entsprechende Infrastruktur. Hier sind die Energieunternehmen und Netzbetreiber gefordert, damit deutschland- und möglichst europaweit eine Ladeinfrastruktur aufgebaut werden kann. Mit dem Laden in der heimischen Garage allein ist es nicht getan, wir brauchen auch Schnellladestationen am Rande der großen Verkehrsstrecken. Hinzu kommt natürlich, dass die elektrische Energie möglichst nachhaltig erzeugt werden sollte, damit der Beitrag zum Klimaschutz wirklich greift. In langfristiger Perspektive könnten dann die vielen Elektroautos mit ihren Batterien durchaus auch als Speicher für nicht benötigte elektrische Energie eingesetzt werden – und so zusätzliche Pumpspeicherwerke überflüssig machen.

Welche Durchbrüche sind bei der Batterietechnik zu erwarten?

Der Wirtschaftsstandort Deutschland kann bei der Elektromobilität eine globale Spitzenposition nur dann einnehmen, wenn es uns gelingt, hierzulande eine integrierte Batterieforschung, -entwicklung und -produktion anzusiedeln. Denn die Batterie wird zukünftig den größten Teil der Wertschöpfung ausmachen. Pilotanlagen für Zell- und Batterieproduktion sind für Deutschland extrem wichtig. Hier kann das entsprechende Know-how für die Produktion kommender Zell- und Batteriegenerationen aufgebaut werden. Personal kann ausgebildet und die deutschen Maschinen- und Anlagenhersteller in der Weiterentwicklung der Maschinen unterstützt werden. Der technische Fortschritt lässt sich natürlich nicht vorhersagen. Doch technischer Fortschritt geht auch immer mit sinkenden Stückkosten einher. So haben wir in den vergangenen drei Jahren die Batteriekosten pro Kilowattstunde bereits deutlich gesenkt. Und wir arbeiten mit aller Kraft daran, das weiter zu tun. Fachleute sagen, dass unter 300 Euro realistisch sind. Der Preisabstand zum Auto mit Verbrennungsmotor sinkt. Das sind ermutigende Zeichen dafür, dass wir gerade bei der Batterieforschung und -entwicklung gut vorankommen. Aber es ist noch ein weiter und anstrengender Weg.

Wo steht Deutschland bei der Elektromobilität im internationalen Vergleich?

Der internationale Wettbewerb in der Elektromobilität ist kein Sprint, sondern ein Marathonlauf. Weniger entscheidend ist die Frage, wer als Erster aus den Startlöchern kommt, sondern wer als Erster die Ziellinie erreicht. Der Wettbewerb ist längst interkontinental: So werden Elektroautos in China mit dem Faktor 5 bei Supercredits angerechnet, in den USA ist es Faktor 2 – während hier in der Europäischen Union Faktor 1,5 diskutiert wird. Das ist viel zu wenig, um wirklich Anreize zu schaffen. Kluge Regulierung in der EU sollte Innovationen nicht strangulieren, sondern stimulieren. Die deutsche Automobilindustrie hat ihre Hausaufgaben gemacht, die Modelle kommen jetzt Zug um Zug auf den Markt. Aber es ist auch notwendig, dass die Politik in Brüssel erkennt, wie wichtig eine intelligente Begleitung des Markthochlaufs ist, gerade angesichts der Lücke bei den Total Cost of Ownership (TCO).

Welche Beispiele für Produkte vor dem Markteintritt gibt es?

Alle deutschen Hersteller bringen entsprechende Modelle mit alternativen Antrieben auf den Markt – oder haben dies bereits schon getan, wie die Beispiele Ford Focus Electric oder Opel Ampera zeigen. BMW wird den i3 als Weltpremiere auf die 65. IAA Pkw nach Frankfurt bringen, Volkswagen kommt mit dem E-UP, Audi mit dem A3 Plug-in-Hybrid, Mercedes-Benz mit der elektrisch angetriebenen B-Klasse. Weitere Modelle werden natürlich folgen. Alle haben eines gemeinsam: Die hohen Qualitätsstandards, die unsere Hersteller bei Modellen mit klassischem Antrieb auszeichnen, auch bei Fahrzeugen mit alternativen Antrieben abzubilden.

Das Interview führte William Vorsatz

Matthias Wissmann

ist seit Juni 2007 Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), des Veranstalters der IAA.. Der Jurist wurde 1976 als damals jüngster Abgeordneter (CDU) direkt in den Deutschen Bundestag gewählt und war von 1983 bis 1993 Wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Im Jahr 1993 war er Bundesminister für Forschung und Technologie, von 1993 bis 1998 Bundesminister für Verkehr. Seit 1999 arbeitet er als Rechtsanwalt und ist seit 2007 ebenfalls Vizepräsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Wissmann hat verschiedene Bücher zu Wirtschaft und Gesellschaft geschrieben.

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