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Dienstwagen unter Strom

Fast zwei Wochen war Frankfurt vom Messegeschehen dominiert. Die 65. Internationale Automobil-Ausstellung (IAA) hatte die Mainmetropole fest im Griff. Auf den Werbeplakaten fast nur noch Autos zu sehen. Die Einheimischen machten Treffpunkte wie den Hauptbahnhof aus, um überhaupt ein Plätzchen zum Essen und Unterhalten zu finden. Taxifahrer stöhnten über Dauerstress. Und auf dem Messegelände selbst war teilweise kein Durchkommen mehr. Meter um Meter mussten sich die Messeteilnehmer in manchen Hallen aneinander vorbeikämpfen, begleitet vom hämmernden Beat aus riesigen Lautsprecherboxen, schwitzend unter einem Meer von Scheinwerfern.

Etwas mehr Platz fanden die Besucher im Congress Center am Rande des Messegeländes. Zum Fachkongress Elektromobilität waren aber auch hier fast alle Stühle besetzt. Etwa 400 Teilnehmer waren gekommen, vor allem aus Deutschland. Darunter nicht nur Autobauer. Auch Politiker, Forscher, Techniker, Unternehmensberater, Banker, die Liste der Teilnehmer war bunt gemischt. Den Kongress veranstaltete der Verband der Automobilindustrie (VDA) gemeinsam mit den Industrieverbänden BDI, BDEW, Bitkom, VCI, VDMA und ZVEI. Es ging ganz konkret um die Entwicklung der Elektromobilität in Deutschland. Ein Thema mit enormer Spannbreite, wie sich an den Referenten und Gästen zeigte. Die Elektrifizierung des Autos hat nicht nur mit neuen und preiswerten Fahrzeugmodellen zu tun. Sie geht einher mit dem Aufbau der gesamten Infrastruktur für das elektrische Fahren. Und dies wird eine Struktur des 21. Jahrhunderts sein, nicht die des 20. Jahrhunderts, wie bei Benzinern und dieselbetankten Autos und Lastkraftwagen. Dazu gehören neuartige Mobilitätskonzepte, Kommunikationslösungen, wie es sie bisher nur in Anfängen oder als Modell gibt.

Und das Elektrofahrzeug ist Teil einer neuen Energiepolitik, einer europäischen. „Weil die Mobilität nicht an den Grenzen der Mitgliedsstaaten haltmacht, ist es ein Gebot der Klugheit, hier für gemeinsame Standards zu sorgen“, sagte EU-Energiekommissar Günther Oettinger auf dem Kongress. Zudem stünde die Politik vor der Aufgabe, den Aufbau einer flächendeckenden Ladeinfrastruktur voranzutreiben. „Hier sollten wir uns eine Offenheit bewahren und sehen, in welche Richtung die Entwicklung in den kommenden drei bis fünf Jahren geht und wie eine Normierung auf europäischer Ebene dann aussehen kann.“

Mehr Anreize fürs Gewerbe

Sowohl Oettinger als auch Matthias Wissmann, Präsident des VDA, gingen auf die geplanten Kohlendioxid-Grenzwerte für Pkw im Jahr 2020 ein. „Die 95 Gramm sind sehr ehrgeizig, Industriepolitik und Klimaschutz müssen in Einklang gebracht werden“, so EU-Kommissar Oettinger. Daher plädierte er wie Wissmann für eine pragmatische, flexible Anwendung der sogenannten Supercredits. Das sind Anrechnungen von besonders effizienten Fahrzeugen. Damit werden Hersteller belohnt, die äußerst emmissionsarme Fahrzeuge sehr früh in den Markt bringen. „Mit dem vorliegenden Vorschlag für Supercredits der EU-Kommission werden die Anreizeffekte jedoch verpuffen“, warnte Wissmann. „Um eine wirksame Ausgestaltung von Supercredits sicherzustellen, müssen sie stärker berücksichtigt werden.“ Zur langfristigen Entwicklung eines nachhaltig erfolgreichen Marktes sei die Zusammenarbeit aller beteiligten Interessengruppen wie Gesetzgeber, Energieversorger sowie Elektro- und Automobilindustrie notwendig, betonte Barb Samardzich, Vizepräsidentin Produktentwicklung bei Ford Europa, „um die Kosten für die Fahrzeugherstellung und Infrastruktur zu senken“.

Urban Keussen, Bereichsleiter Technologie und Innovation bei Eon, erläuterte den „Systemischen Ansatz“ der Elektromobilität im Bereich der Energie. „Die IAA 2013 zeigt einmal mehr: Die Elektromobilität kommt in Fahrt, sie geht langsam, aber sicher aus der Phase der Demonstrationsvorhaben in alltägliche Praxis über.“ Der Aufbau der notwendigen Ladeinfrastruktur verlaufe parallel zu dieser Entwicklung. „Heute wissen wir, dass die Nutzer ihre Elektroautos weit überwiegend im privaten Bereich – zu Hause, am Arbeitsplatz, beim Einkaufen oder beim Restaurantbesuch – aufladen. Öffentliche Ladestationen werden hingegen auch in Zukunft nur eine ergänzende Rolle spielen.“ Daher setzt das Energieunternehmen vor allem auf maßgeschneiderte Ladelösungen, die es gemeinsam mit Kunden und Partnern realisiert.

Unter den Nutzern, die ihre Wagen am Arbeitsplatz aufladen, machte Wissmann eine ganz besondere Zielgruppe aus. „Wir sind davon überzeugt, dass wir die Nutzer zunächst im Dienstwagenbereich erreichen müssen“, so Wissmann. „Dies ist ein wirksamer Weg für die Markteinführung, da Dienstwagen in der Regel nur recht kurz beim Erstkäufer bleiben und dann über den Gebrauchtwagenmarkt den Fahrzeugbestand erweitern. Elektrofahrzeuge werden im Geschäftsumfeld aufgrund ihrer geringeren Betriebskosten im Vergleich zu herkömmlichen Fahrzeugen deutlich attraktiver.“ Der VDA-Präsident begrüßte daher den von der Bundesregierung beschlossenen Nachteilsausgleich für Elektrofahrzeuge. Die bisher höhere Besteuerung von Elektrofahrzeugen, die als Firmenwagen genutzt werden, wird damit abgebaut. Allerdings sollten jetzt auch die steuerlichen Rahmenbedingungen für Unternehmen, die sich Elektroautos anschaffen, angepasst werden, forderte Wissmann. Hier wären bessere Abschreibungsmöglichkeiten der richtige Weg, um solche Investitionen voranzutreiben. „Wir sehen einen großen Hebel bei Sonderabschreibungen für gewerblich genutzte Elektrofahrzeuge.“

Zielgruppe Berufspendler

Neben den Geschäftswagen machen Elektroautos aber auch privat Sinn, vor allem für Berufspendler. Damit sie wirtschaftlicher als konventionelle Fahrzeuge sind, müssen die E-Autos viel gefahren werden, um die höheren Anschaffungsausgaben über die günstigeren Verbrauchs- und Wartungskosten zu amortisieren. Bei jährlichen Fahrleistungen unter 15.000 Kilometern wird auch künftig der Benzinmotor dominieren, bei extremen Vielfahrern der Dieselmotor. Zu diesem Schluss kommen die Forscher des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI in Karlsruhe.

Wirtschaftlich am sinnvollsten seien Elektroautos für Menschen, die ihren Wagen relativ gleichmäßig täglich einsetzten, wie etwa Berufspendler, die jeden Tag aus Vororten zum Arbeiten in die Städte fahren. Anders als oft angenommen trauen die ISI-Experten Elektroautos in den Großstädten hingegen weniger zu: Nutzer mit Garagen oder Stellplätzen seien aufgrund der geringen Ladeinfrastrukturkosten – das Aufladen kann über Nacht am Hausanschluss erfolgen – unter ökonomischen Gesichtspunkten nochmals attraktiver als die sogenannten „Laternenparker“, die auf eine öffentliche Ladeinfrastruktur angewiesen sind.

Zwischen zwölf und Hochvolt

In dem Gutachten gehen die Forscher von den jetzigen Kosten für Ladestationen von über 10.000 Euro für die elektrischen Zapfsäulen aus. Aber auch hier könnten neue Entwicklungen die bisherigen Annahmen in Frage stellen. In Berlin sollen Elektroautos künftig Straßenlaternen anzapfen können. Noch in diesem Jahr will das Berliner Start-up Ubitricity 100 Lampenmaste in der Hauptstadt dafür umbauen. Im kommenden Jahr sollen dann in ganz Deutschland solche Stromtankstellen stehen. Die neue Technik sei rund 90 Prozent günstiger als bisherige Ladesäulen, so der Hersteller (siehe Kasten).

Aber nicht nur bei den Ladestationen sind manchmal ganz neue Strategien vielversprechend. Auch bei den Elektrofahrzeugen selbst. Der Systemzulieferer Continental ergänzt das traditionelle Zwölf-Volt-Bordnetz eines Fahrzeugs durch eine 48-Volt-Anlage mitsamt den zugehörigen elektrischen Komponenten. „Mit den 48-Volt-Komponenten schließen wir die Lücke zwischen einfachen Zwölf-Volt-Stopp-Start-Systemen und Hochvolt-Hybridisierungen“, erklärte Ralf Schmid. Er ist Vizepräsident Forschung und Entwicklung in der Geschäftseinheit Hybrid-Elektrofahrzeuge bei Continental. Bei geringem Integrationsaufwand erschließe das System bereits vieles an Funktionen und Verbrauchsvorteilen, die bisher dem Hybrid mit seiner höheren elektrischen Spannung vorbehalten waren. „Das Konzept stößt in der Branche auf breite Aufmerksamkeit“, so Schmid. „Erste Kundenaufträge signalisieren einen Produktionsbeginn für 2016.“

Elektromobilität entwickelt sich nach der typischen Technologiekurve mit den marktüblichen Hypes, Enttäuschungen und der anschließenden Stabilisierung. „Nach der überhitzten Erwartungshaltung zur Elektromobilität werden nun immer mehr Elektrofahrzeuge in Serie produziert“, sagte Thomas Schlick, Strategieberater bei der Unternehmensberatung Roland Berger. Damit geht es der E-Mobilität ähnlich wie der Photovoltaik. Beiden steht langfristig eine große Zukunft bevor. So wird die herbstliche Hektik der zwei IAA-Wochen in Frankfurt wohl auch in den nächsten Jahren kaum abnehmen. Selbst wenn die Benzinpreise in den Himmel steigen.

Strom von der Laterne

Versuchsfeld in Berlin

Öffentliche Zapfsäulen für Elektroautos sind teuer. Über 10.000 Euro kostet so ein Energiespender den Aufsteller. Das muss aber nicht sein, behauptet das Berliner Start-up-Unternehmen Ubitricity. Bis zum Ende des Jahres wird es 100 Straßenlaternen zu elektrischen Tankstellen für Elektroautos machen. Und das ist erst der Anfang. Weitere Städte sollen folgen. So können laut Ubitricity 90 Prozent der Aufstellungskosten gegenüber herkömmlichen E-Zapfsäulen gespart werden. Dazu wird der Anschluss zum Laden in vorhandenen Laternenmasten installiert. Um die Stromkosten abzurechnen, geht das Berliner Unternehmen einen anderen Weg als bei den bisher üblichen Stromzapfsäulen. Dort sind der Abrechnungszähler und die notwendige Elektronik für die Zahlungsmodalitäten in die Zapfsäule integriert. Bei Ubitricity gibt es stattdessen ein „smartes“ Anschlusskabel für den Fahrzeughalter. Das autorisiert ihn, sein Auto aufzuladen und rechnet die Kosten mobil ab.

https://www.ubitricity.com/

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