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Ende der Schlupflöcher

D er Untergang des Abendlandes: Dieses Bild benutzen die deutsche Industrie und ihr hörige Medien gern, wenn es um die Energiewende geht. Die steigenden Strompreise werden den erneuerbaren Energien angelastet. Millionen Arbeitsplätze stünden auf dem Spiel: Mit diesem Argument werden Ängste geschürt, soll die Energiewende aufgerollt und umgekehrt werden. Angesichts des jüngsten Klimaberichts der Vereinten Nationen ist das eine vorsätzliche Irreführung, die glücklicherweise auf wenig fruchtbaren Boden fällt.

Denn genau andersherum wird ein Schuh draus: Photovoltaik sichert die industrielle Basis der deutschen Wirtschaft. Denn nie wieder wird schmutziger Strom so billig sein wie früher. So hat das Europaparlament kurz vor Weihnachten beschlossen, ab Januar insgesamt 900 Millionen Emissionszertifikate zeitweise aus dem Markt zu nehmen. Dadurch soll die Umweltverschmutzung teurer werden. Vor allem die Kohlekraftwerke, die von derzeit niedrigen Preisen für Braunkohle profitieren, dürften damit unter Druck geraten. Die US-Regierung plant, auch für Kohlendioxid aus Kraftwerken einen strengen Grenzwert vorzuschreiben, wie er bereits für Partikel und Schwermetalle gilt.

Obendrein hat die EU-Kommission ein Verfahren eingeleitet, um die Privilegien für sogenannte stromintensive Unternehmen im Erneuerbare-Energien-Gesetz zu überprüfen. Die Wettbewerbshüter in Brüssel sehen darin einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung. Zunächst war beispielsweise die Befreiung von der EEG-Umlage bis Ende 2012 genehmigt worden. Setzt Brüssel den Taschenspielertricks der Bundesregierung ein Ende, drohen den betroffenen Unternehmen für 2013 erhebliche Nachzahlungen. 2012 wurden rund 2.300 Unternehmen begünstigt, mit rund fünf Milliarden Euro. 2013 stiegen die Privilegien auf rund sieben Milliarden Euro.

Der Druck steigt

Niemand kann sich mehr dem Druck entziehen, der den ökologischen Umbau der Wirtschaft vorantreibt. Mehr als die Hälfte der deutschen Mittelständler wollen in Eigenstromversorgung investieren. Denn anders als die Industrie kaufen sie ihren Strom beim regionalen Stadtwerk und nicht direkt an der Börse. „Der Mittelstand kann sich auf die Politik und die Energieriesen verlassen“, urteilt Thomas Denk, Chef der Unternehmensberatung 2B Green in Böblingen. Die Firma bietet der Wirtschaft maßgeschneiderte Konzepte zur Energieversorgung an. „Der Einstieg in das eigene Energiemanagement ist das Gebot der Stunde“, schlägt er vor. „Damit bleiben die Unternehmen auch unter Rahmenbedingungen flexibel, die ganz offensichtlich nicht in ihrem Interesse gestaltet werden.“

Denn Politik und Wirtschaftsverbände haben den Unternehmen jahrelang Sand in die Augen gestreut. Nur langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass die ökologische Energiewende auch und zuerst aus ökonomischen Gründen sinnvoll und unverzichtbar ist. „Wer sich in Zukunft wenigstens ein Stück weit unabhängig machen und seine Kosten einigermaßen verlässlich planen will, muss jetzt in ein eigenes Energiemanagement einsteigen.“ Die Flexibilität der Energiemärkte werde in den nächsten Jahren deutlich steigen. „Profitieren werden davon allerdings nur diejenigen Unternehmen, die ihren Energiehaushalt kennen und steuern können.“

Die Großindustrie nutzt Einkaufsvorteile an der Strombörse, wo Sonnenstrom und Windkraft die Preise bereits deutlich drücken. Der Mittelstand, das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, hat diese Möglichkeit in der Regel nicht. Für die Unternehmen der Photovoltaik, für Planer und Installateure bietet sich damit eine Chance, regionale Kunden zu gewinnen. Aber: „Wir werden Stromakteure“, kommentiert Rainer Schmidt von Ecopark aus Leipzig. Schmidt ist ein Urgestein der deutschen Solarbranche. Er hat Q-Cells mit aus der Taufe gehoben, war der erste Betriebschef des Thalheimer Zellherstellers. Heute ist er geschäftsführender Gesellschafter von Ecopark. Das Unternehmen hat sich Dienstleistungen für die Wirtschaft und Kommunen auf die Fahnen geschrieben. „Die Preise für das Kilowatt Solarleistung sind nicht mehr entscheidend, sondern der Preis für die Kilowattstunde.“

Maßgeschneiderte Konzepte anbieten

Die Unternehmen brauchen maßgeschneiderte Konzepte. „Ein Beispiel sind die großen Betriebe der Milchwirtschaft“, sagt er. „Dort werden Hunderte oder Tausende Kühe jeden Morgen und jeden Abend gemolken. Die Pumpen der Melkmaschinen brauchen viel Strom. Das passt gut mit einer Stromversorgung aus Photovoltaikanlagen zusammen, die auf Ost-West-Dächern installiert sind.“ Finanzieren lassen sich solche Konzepte durch Energiegenossenschaften und Bürgerfonds. „Sie bieten eine hohe Akzeptanz und regionale Quellen zur Finanzierung.“ Schmidt sieht die Photovoltaik am Scheideweg. „Der alte Weg des Marktes wird nicht mehr funktionieren“, urteilt er. „Man muss Kompetenzen in der Direktvermarktung erwerben. Das neue Produkt ist elektrische Arbeit. Die Frage lautet: Wie können wir den Kunden unterstützen, möglichst viel Eigenverbrauch aus Photovoltaik abzudecken?“

Risiken absichern

Um die Risiken in der gewerblichen Stromversorgung abzusichern, bieten sich regionale Verbünde (virtuelle Kraftwerke) an. Für das Jahr 2014 schätzt er den Eigenverbrauch von Solarstrom in Deutschland bereits auf mehr als 2,8 Terawattstunden.

Die Wirtschaft hat noch ein anderes Problem: Vor allem produzierende Firmen müssen oftmals spezielle Kompensationsanlagen einbauen, um die Blindleistung im Netz zu begrenzen. Wenn die Motoren anspringen, produzieren sie enorme Scheinleistungen, die das Netz kurzfristig belasten. Auch wirken viele Betriebe wie Phasenschieber, sie verzerren die Spitzen von Wechselstrom und Wechselspannung im Mittelspannungsnetz. „Die Photovoltaikbranche könnte den lokalen Netzbetreibern auch Systemdienstleistungen anbieten“, sagt Rainer Schmidt von Ecopark.

Netzentlastung als neues Geschäftsfeld

Rückenwind kommt aus unvermuteter Ecke: Unlängst hat das Bundeswirtschaftsministerium eine neue Verordnung für die Stromnetzentgelte veröffentlicht. Demnach wird das Netzentgelt für die Industrie ab Januar 2014 gestaffelt, unter anderem nach dem Beitrag des Unternehmens zur Netzentlastung und Netzstabilisierung. Die Bewertung des Beitrags muss über eine „physikalische Komponente“ noch ermittelt werden. Zum Hintergrund: Bislang waren Unternehmen, die jährlich zehn Gigawattstunden verbrauchen und 7.000 Stunden am Netz sind, von den Netznutzungsentgelten befreit. Das hatte Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) eingeführt, bevor ihn die Wähler in die Wüste geschickt haben. Von dieser Regelung profitieren etwa 600 Unternehmen. Ihre Netzentgelte in Höhe von rund 334 Millionen Euro (2012) mussten alle anderen Stromkunden mit begleichen. 2013 waren es rund 685 Millionen Euro. Doch auch diese Lücke ist nun geschlossen: Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat die Regelung für nichtig erklärt, da ihr die gesetzliche Grundlage fehlt. Die EU-Kommission leitete ein Verfahren ein.

Gut beraten sind die Photovoltaikanbieter, die sich auf intelligente und qualitativ hochwertige Produkte konzentrieren. Zuverlässigkeit steht ganz oben, wenn es um die Stromversorgung von Betrieben geht. Eine harte Zäsur durchläuft die Solarindustrie, die für den neuen Markt gänzlich andere Strukturen braucht. „Im Herbst haben wir eine zweite, interne Restrukturierung durchlaufen, um noch einmal Überkapazitäten abzubauen. Mit der neuen Struktur können wir nun Preise anbieten, die uns aus der Verlustzone führen“, sagt beispielsweise Carsten Bovenschen, einer der beiden Geschäftsführer von Solarwatt in Dresden. Solarwatt war einst als Modulhersteller gestartet, nun konzentriert sich die Firma auf Premiumsysteme, mit Energiemanager und Speicher. „Wir erkennen bereits jetzt, dass wir uns in einem deutlichen Aufwärtstrend befinden. Derzeit haben wir noch rund 150 Mitarbeiter. Das sind einmal fast 600 gewesen. Natürlich waren das harte Einschnitte, aber der Markt hat sich binnen kürzester Zeit sehr stark verändert.“

Solarwatt kommt langsam aus dem Tal heraus, hat mit Stefan Quandt einen strategischen Investor gefunden. Quandt ist auch Großaktionär beim bayerischen Autobauer BMW. Nun will Solarwatt der „BMW der Solarbranche“ werden. Die Systeme werden nach festen Preislisten verkauft, nicht mehr nach dem geringsten Gebot. „An den Umsatzzahlen der vergangenen Monate erkennen wir, dass wir gegen den allgemeinen Trend im Markt zulegen, langsam aber stetig“, meint Bovenschen. „Unsere Stärken liegen in der Innovationskraft, im Vertrieb und im Außendienst. Die vorhandene Fertigungskapazität für Solarmodule von fast 300 Megawatt werden wir nicht weiter ausbauen.“ Der Absatz entwickelte sich schon in der zweiten Jahreshälfte 2013 deutlich besser als der deutsche Photovoltaikmarkt. „Unsere Strategie geht also auf. Wir erzielen die angepeilten Umsätze.“

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Kurz nachgefragt:

„2014 schreiben wir eine schwarze Null“

Das vergangene Jahr war für die Photovoltaikbranche schwierig. Solarwatt wählte die Restrukturierung in Eigenregie. Wie sind Sie für 2014 aufgestellt?

Detlef Neuhaus: Wir haben unsere Strategie konsequent verfolgt und neue Produkte in den Markt gebracht. Mit unserem Glas-Glas-Modul oder dem Energiespeichersystem haben wir im Markt viel Zuspruch erfahren. Allerdings konnten wir mit der alten Kostenstruktur keine Preise machen, die den Absatz größerer Mengen erlaubten. Wir haben deshalb unsere Absatzziele nicht erreicht, werden aber nicht unter Wert verkaufen. Preise, die uns nur Verluste bescheren, werden wir nicht machen.

Woher nehmen Sie Ihren Optimismus, dass es in diesem Jahr aufwärts geht?

Zur Jahresmitte haben wir eine komplett neue Produktpalette ausgerufen und die neuen Glas-Glas-Module eingeführt. In der neuen Kostenstruktur können wir diese Produkte deutlich preiswerter anbieten. Das Glas-Glas-Modul ist preislich kaum noch von Standardmodulen zu unterscheiden. Und wir geben 30 Jahre Garantie. Offenbar zahlt sich diese Strategie langsam aus. Seit gut einem halben Jahr liegen wir im deutschen, österreichischen und Schweizer Markt deutlich überm Vorjahr.

Welchen Markt prognostizieren Sie insgesamt für das Jahr 2014?

Wir hatten den besten Dezember aller Zeiten, umsatzmäßig. Das macht uns Mut. Bis Ende Februar sind unsere Auftragsbücher voll. Wir haben jetzt eine starke Marke, gute Produkte und wettbewerbsfähige Preise. Also scheiden wir aus dem Jahr 2013 mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Insgesamt wird der deutsche Photovoltaikmarkt weiter zurückgehen, auf zwei Gigawatt. Aber das ist kein politischer Markt mehr, sondern ein selbsttragender Markt, in dem der Eigenverbrauch im Vordergrund steht. Diesen Markt besetzen wir mit hochqualitativen Systemlösungen, nicht mit Massenware. Bei unserer Strategie nützen uns Skaleneffekte nichts, denn Masse in der Modulfertigung ist kein Wettbewerbsvorteil mehr. Wir rechnen mit einem Jahresabsatz im mittleren zweistelligen Megawattbereich, Tendenz steigend. Dann schreiben wir in diesem Jahr eine schwarze Null oder sogar einen Gewinn.

Zwei Gigawatt sind ein herber Einschnitt. Welche technologischen Entwicklungen erwarten Sie?

Entscheidend sind die Systemlösungen. Wärme und Elektrizität werden zusammenwachsen, und zwar in rasender Geschwindigkeit. Auf allen Wertschöpfungsstufen, von der Industrie bis zum Installateur, kommen systemische Lösungen. Reine Solarteure, die Ihnen nur Solarmodule aufs Dach bauen, wird es bald nicht mehr geben.

Das Gespräch führte Heiko Schwarzburger.

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