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Nur drei Prozent vom Netz

Die Lage am Steinbruchweg in Weinsberg nahe Heilbronn lässt Makler mit der Zunge schnalzen. Das Gebiet mit Blick auf die von Weinbergen gesäumte Burgruine Weibertreu zählt zu den bevorzugten Wohnlagen der Umgebung. Hier entsteht die „energieautarke Siedlung Weinsberg“ – 23 hochwertig ausgestattete Wohnungen, die, geht es nach den Plänen der beteiligten Unternehmen, künftig nur noch drei Prozent ihres Strombedarfs aus dem öffentlichen Netz beziehen.

Zu den maßgeblich beteiligten Unternehmen zählt Kaco New Energy mit Stammsitz im sechs Kilometer entfernten Neckarsulm. Der Wechselrichterhersteller zeichnet dafür verantwortlich, dass die Sache mit der autarken Energieversorgung auch tatsächlich funktioniert. Ihm obliegen Leistungselektronik, Auslegung und Integration der Batteriesysteme, Energiemanagement und Datenmonitoring sowie die Gesamtsystem-Simulation. Für Kaco ein „Leuchtturmprojekt“, eine technische Herausforderung, wie sie Kaco-Chef Ralf Hofmann und seine Ingenieure lieben.

Denn das System soll hohe solare Deckungsraten erreichen, also möglichst viel von der vor Ort gewonnenen Sonnenenergie selbst verbrauchen – direkt oder über den Umweg über Batterie- und Thermiespeicher. Außerdem soll es die Nutzung von Solarstrom über den intelligenten Einsatz von Strom- und Wärmespeichern optimieren. Ein System zum Energiemanagement sorgt dafür, dass höchstens die Hälfte der über Solarmodule gewonnenen Energie ins Stromnetz fließt. Auch geht es darum, die Primärenergie innerhalb der Siedlung mit möglichst geringen Verlusten in Nutzenergie umzuwandeln. Die Projektbeteiligten erhoffen sich Erkenntnisse über die Netzdienlichkeit des Systemkonzepts und über Optimierungspotenziale. Die Technik soll als Plattform für die Entwicklung zukünftiger Regelungsalgorithmen dienen. Das wichtigste Ziel: Der Strombezug aus dem öffentlichen Netz soll auf unter drei Prozent des Gesamtverbrauchs sinken.

Ein spezieller Wechselrichter

Um das Ganze wissenschaftlich zu untermauern, wurde das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) als Kooperationspartner gewonnen. Das Freiburger Institut hat die Planung mit Simulationen unterstützt. Und es hat gemeinsam mit Kaco den in Weinsberg eingesetzten Batteriewechselrichter entwickelt. „Dieser Wechselrichter hat einen Wirkungsgrad von 98 Prozent“, sagt ISE-Chef Eicke Weber. „Das sind zwar nur zwei Prozentpunkte mehr als die heute durchaus üblichen 96 Prozent, aber – und das ist entscheidend – er produziert nur halb so viel Abwärme. Für diese Entwicklung haben wir den Semikron-Innovationspreis bekommen.“

Der Batteriewechselrichter leistet 120 Kilowatt, er ist AC-gekoppelt, netzparallel und um die autarke Versorgung der Siedlung überhaupt erst möglich zu machen, inselnetzfähig. Für die Versorgung des Inselnetzes sind unidirektionale Einspeisewechselrichter zwischen die Modulstrings und die Verbraucher geschaltet. Der bidirektionale Batteriewechselrichter speist die Batterien aus dem Netz heraus und wandelt bei Bedarf den Gleichstrom aus den Batterien für die Verbraucher im Siedlungsnetz um.

Für die Versorgung wurden in Weinsberg 972 Quadratmeter Solarmodule verbaut, Gesamtleistung: 142 Kilowatt. Die meisten Module sind auf den Flachdächern montiert, einige dienen als Balkonüberdachung. Lediglich ein Drei-Kilowatt-Generator ist mit einem Nachführsystem ausgestattet.

Als Speicher für die elektrische Energie kommen Lithiumbatterien mit insgesamt 150 Kilowattstunden Kapazität zum Einsatz. Vor allem zwei spezifische Eigenschaften von Lithiumbatterien ließen die Wahl auf diese Technologie fallen: Sie sind deutlich zyklenfester als Blei-Gel-Batterien, und sie sind netzdienlicher – unter anderem, weil sie sich problemlos netzfrequenzabhängig laden oder entladen lassen.

Großspeicher soll zehn Jahre laufen

Bei Kaco geht man davon aus, dass die Batterien bei 90 Prozent Entladetiefe weit über 4.000 Ladezyklen schaffen. Möglich seien bei diesem System sogar bis zu 7.000 Ladezyklen, heißt es. Der Betreiber rechnet mit rund 280 Ladezyklen im Jahr. Damit müssten die Batterien deutlich länger als zehn Jahre lang durchhalten.

Herzstück des thermischen Systems der Wohnanlage ist eine Luft-Wasser-Wärmepumpe mit einer elektrischen Leistungsaufnahme von 35 Kilowatt (COP: 4,0). Um Spitzenlasten abzudecken, stehen ein Blockheizkraftwerk (elf Kilowatt elektrische und 27 Kilowatt thermische Leistung) plus 240 Kilowatt (thermisch) aus einem Gaskessel zur Verfügung. Als Speicher dienen ein zentraler thermischer Pufferspeicher mit einem Fassungsvermögen von 20.000 Litern und 18 dezentrale thermische Speicher, die jeweils zwischen 200 und 400 Liter fassen und auf einzelne Wohnungen verteilt sind.

Alle elektrischen und thermischen Energieflüsse werden ständig über ein Monitoringsystem überwacht und analysiert. Für die Steuerung der thermischen Energie sorgt das thermische Energiemanagementsystem (Tems), den elektrischen Energiefluss regelt das elektrische Energiemanagement (EEMS). Die von Kaco selbst entwickelte Linux-basierte Steuerung stellt die Batteriewechselrichter so ein, dass möglichst viel elektrische Energie in der Siedlung verbleibt. Die integrierte Gesamtsteuerung (Gems) liest die beiden Managementsysteme ständig aus und entscheidet situativ, ob Energie aus dem Solargenerator direkt genutzt, in Wärme umgewandelt, in die Batterien oder ins Netz eingespeist wird. Nach den Simulationen von Kaco und dem ISE müsste sich dadurch die Einspeisung ins Netz übers ganze Jahr hinweg um mehr als 50 Prozent drücken lassen.

Lückenloses Monitoring geplant

Die Techniker rechnen damit, dass die Wohnsiedlung rund 150.000 Kilowattstunden Strom für die Versorgung der 23 Haushalte und den Betrieb der Wärmepumpe sowie rund 392.000 Kilowattstunden thermische Energie verbraucht. Diesem Verbrauch stehen laut Prognosen rund 145.000 Kilowattstunden Strom aus den Photovoltaikanlagen gegenüber. Hiervon werden rund 103.000 Kilowattstunden möglichst komplett dem Eigenverbrauch zugeführt – direkt oder über den Batteriespeicher. Zusätzlich werden aus dem erzeugten Solarstrom rund 105.000 Kilowattstunden an thermischer Energie mittels der Wärmepumpe bereitgestellt. Des Weiteren liefert das Blockheizkraftwerk rund 43.000 Kilowattstunden Strom sowie rund 100.000 Kilowattstunden Wärme pro Jahr.

Auf Basis dieser Werte halten Kaco und seine Partner eine 97-prozentige Autarkie beim Strombezug für möglich bis wahrscheinlich. Zusätzlich werde man den Bedarf an thermischer Energie zu mindestens 50 Prozent abdecken.

Von den Dächern in die Steckdosen

Der Löwenanteil des verbrauchten Stroms, nämlich 54 Prozent, fließt nach den Berechnungen direkt von den Dächern in die Steckdosen. Weitere 16 Prozent nehmen den Umweg über die Batteriespeicher. Das Blockheizkraftwerk steuert 20 Prozent direkt und weitere sieben Prozent über die Batteriespeicher bei. Lediglich drei Prozent müssen aus dem öffentlichen Netz bezogen werden – so denn alles läuft wie geplant.

Im Frühsommer sollen alle 23 Wohnungen am Steinbruchweg bezogen sein. Dann geht das „Leuchtturmprojekt energieautarke Siedlung Weinsberg“ offiziell in Betrieb. Ob die Rechnung aufgeht und wie genau die simulierten Werte erreicht werden, wie gut das Gesamtsystem arbeitet und wie zufrieden die Bewohner mit ihrer Hightech-Energieautarkie sind – in einem Jahr wissen alle Beteiligten deutlich mehr.

https://kaco-newenergy.com/de/home/

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Energie Storage in Düsseldorf

Treffen der Experten

Vom 25. bis zum 27. März 2014 findet in Düsseldorf die diesjährige Fachmesse Energy Storage mit Begleitkongress statt. Dort werden zahlreiche Neuheiten bei Stromspeichern, gewerblichen Speicherkonzepten und im Energiemanagement erwartet. Der Kongress bietet zahlreiche Fachvorträge und Diskussionen rund um die Speicherung von Solarstrom und batteriegepufferten Eigenverbrauch an. Auf der Tagesordnung stehen auch Speicher für Stromnetze sowie die aktuelle politische Entwicklung. Denn nach Plänen des Bundeskabinetts sollen Stromspeicherung und Netzentlastung durch Eigenverbrauch künftig mit der EEG-Umlage bestraft werden. Während der Messe findet auch der nächste Storage Day statt. Nähere Informationen zur Messe und zum Kongress:

https://www.eseexpo.com/

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