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“Wie beim Fliesenleger“

Wozu brauchen wir Photovoltaik in der Fassade?

Reto Miloni: Die Solarenergie ist zu schade, um sie einfach nur auf Dächer zu knallen. Es sind genügend Gebäude mit Fassaden vorhanden, die für die Photovoltaik geeignet sind. Und es gibt auch genügend Bauherren, die den Willen und das Geld haben, um sich Photovoltaik in der Fassade zu leisten. Sie kommen mit den minderen Erträgen, die eine Fassadenanlage im Vergleich zur Dachanlage bringt, genauso zurecht wie mit der Komplexität einer Fassadenanlage. Auf der anderen Seite haben sie die Gebäude und die Flächen.

Der bisherige Zubau in der Photovoltaik hat dieses Segment jedoch kaum nach vorn gebracht. Warum nicht?

Der enorme Zubau in Deutschland war getrieben durch das EEG. Das ist zwar gut für die Branche. Aber letztlich ist das liebloser Handel mit veredeltem Glas und Strangpressprofilen aus Aluminium. Mit diesen Standardlösungen erreicht die Solarbranche weder die Herzen noch den Geist der Architekten. Dass wir aber in der Lage sind, von diesem Punkt aus noch viel weiter zu gehen, darüber sind sich die Architekten eigentlich noch gar nicht bewusst.

Welche Chancen sehen Sie für die fassadenintegrierte Photovoltaik?

Ich bin zuversichtlich für die Zukunft. Ich habe im Aargau an der Fassade eines Parkhauses ein Photovoltaiksystem installiert. Mehr durch Zufall haben wir bemerkt, dass wir damit eine neue Funktion erreicht haben, nämlich Verminderung der Lichtverschmutzung nach außen. Denn wenn das Treppenhaus nachts hell erleuchtet ist, strahlt das Licht in die Wohnquartiere in der Nachbarschaft. Mit der Solaranlage haben wir die Lichtverschmutzung im Nachbarquartier minimiert. Wir bekommen dafür sehr viel Lob von den Anwohnern. Wir müssten also auch versuchen, mit der gebäudeintegrierten Photovoltaik wirklich einen Zusatznutzen zu generieren und diesen auch zu kommunizieren.

Die Architekten haben die Photovoltaik nicht im Blick, und die Photovoltaik macht offensichtlich nicht die richtigen Angebote. Wie kann man denn die beiden zusammenbringen?

Die Photovoltaikindustrie muss dem Architekten Module anbieten, die er selbst in Größe, Form und Farbe bestimmen kann. Die Idee, dass Architekten gewissermaßen von der Photovoltaikindustrie ab Werk Standardmodule nehmen und in die Fassade integrieren, wird nicht funktionieren. Wir als Architekten brauchen jemanden, der dieses Customizing, also das Moduldesign nach individuellen Wünschen, anbieten und realisieren kann.

Wo liegen die konkreten Hürden bei den Architekten?

Wenn der Architekt Photovoltaik in die Fassade integrieren will, muss er wissen, ob das geht oder nicht. Er braucht einen Partner, der ihm diese Informationen gibt. Wenn das irgendein industrieller Fassadenbauer ist, schaut ihn der erschrocken an, als ob die Integration von Photovoltaik in Gebäude eine Krankheit wäre. Das ist tatsächlich schon passiert.

Und weiter?

Dann wird es für den Architekten außerordentlich schwierig, BIPV-Projekte zu realisieren. Wenn aber der Bauherr ein modernes Image verfolgt oder sein Unternehmen als fortschrittlich positionieren will, verlangt er Photovoltaik für seine Fassade. Dann muss das der Architekt auch realisieren, findet aber oft keinen Ansprechpartner. Deshalb brauchen wir eine vorgelagerte Industrie, welche die Komponenten als Halbzeuge herstellt. Diese kann der Fassadenbauer dann in seine Montagesysteme gemäß Architektenwunsch integrieren.

Dieses Know-how kann ja nicht neu sein ...

Die Hersteller der glasverarbeitenden Industrie müssten sich ein automatisches Lay-up und einen Stringer kaufen und das Personal für die Herstellung schulen. Ich war in China. Der größte Hersteller von Brandschutzverglasungen des Landes hat sich der Photovoltaikverglasung aus VSG-Verbundsicherheitsglas zugewandt. Es ist eigentlich ein Katzensprung von der hoch entwickelten VSG-Herstellung zum Customizing von Solarmodulen. Aber das muss man wollen.

In vielen Ländern wurde die Gebäudeintegration zusätzlich gefördert. Ist das ein Weg, die Solarmodule an die Fassade zu bringen?

Möglicherweise, obwohl das den Solarstrom künstlich verteuert. Die Schweiz kennt Beispiele, wo Anlagenbetreiber einen Bonus bekamen für Gebäudeintegrationen von Photovoltaik. Damit wurde viel Schindluder getrieben. Es wurden zum Beispiel über dem Ziegeldach aufgesattelte Aufdachanlagen aus Standardmodulen mit Marderschutzblechen verziert. Damit konnte sich der Betreiber gute Chancen ausrechnen, dass seine Anlage als integriert durchgeht. Das hat der wirklich gebäudeintegrierten Photovoltaik mehr geschadet als sie vorangebracht. Inzwischen hat man in der Schweiz gesetzlich nachgebessert und die Anforderungen an echte Gebäudeintegrationen präzisiert.

Ist das der einzige Hebel?

Es geht auch anders. In der Schweiz laufen gerade die Verhandlungen zur neuen Musterenergieverordnung der Kantone. Da wird drinstehen, dass die Gebäude zehn Watt pro Quadratmeter Energiebezugsfläche elektrische Energie selbst erzeugen müssen. Das gilt zwar nur für Neubauten. Doch wird dadurch ein gesetzlicher Druck aufgebaut. Das ist noch in der Verhandlung. Aber die Energiedirektorenkonferenz, also die Fachminister der Kantone, die den Auftrag haben, die Energiewende herbeizuführen, hat entschieden, aus dem Dilemma der passiven Gebäudehülle mit dicker Dämmung herauszukommen und das Aktivsolarzeitalter einzuläuten. Wenn sie die Verluste eliminiert und die schlaue Technik eingesetzt haben, dann ist es nur noch ein kleiner Schritt, die haustechnischen Anlagen oder die Wärmepumpen mit einer Photovoktaikanlage auf dem eigenen Gebäude zu betreiben.

Die Photovoltaikindustrie hat schon eine Menge Hausaufgaben gemacht. Es reicht aber offensichtlich noch nicht aus?

Ein klassisches Laminat mit einem Rahmen dürfte man gar nicht in der Fassade einsetzen. Das wird zwar gemacht. Aber diese Module haben eigentlich gar keine Resttragfähigkeit. Sie sind nämlich nicht auf Absturzsicherung und Resttragfähigkeit konzipiert. In einer hinterlüfteten Kaltfassade an einem Hochhaus, zehn Meter über dem Boden mit enormen Windzugkräften würde ich solche Standardmodule nie einsetzen wollen. Die Standard-60-Zeller, die aus der klassischen Modulfabrik kommen, sollten sich die Architekten nicht ungestraft in die Fassaden hängen.

Gibt es denn überhaupt Module, die man in die Fassade hängen kann?

Doch, die gibt es schon. Auf den Messen sieht man vermehrt Doppelglasmodule , welche im Schadenfall die nötigen statischen Qualitäten mitbringen. Aber es bleibt vor allem die Frage, wo der Architekt die Module nach seinen Vorstellungen bestellen kann. Er kann natürlich versuchen, sein Fensterraster so auszulegen, dass die Standardmodule hineinpassen. Meist will und kann ein Architekt aber seine Fassade oder sein Stützenraster nicht nach der Modulgeometrie eines Herstellers auslegen.

Welche Möglichkeiten hat der Architekt und welche hat die Industrie?

Es müsste umgekehrt sein wie beim Fliesenleger oder Küchenbauer, welche zumindest geometrisch situativ auf Kundenwünsche mit passenden Produkten reagieren können. Am besten wären Module, die auf der Baustelle konkret zugeschnitten werden. Das müssen wir hinbekommen. Es gibt schlaue Systemhersteller, die haben einfach neben dem Standard einen Semistandard oder sogar Passstücke eingeführt. Dort gibt es das 60-Zellen-Modul mit halber Länge oder mit halber Breite. Damit nähert man sich schon wesentlich besser an eine vorgegebene Fassadengeometrie an.

In der Photovoltaik ist die BIPV immer noch eine Nische. Sie macht ihr Geld mit den Standardprodukten. Vielleicht ist der Leidensdruck in der Industrie nicht groß genug?

Das verstehe ich. Da kommt jetzt die Idee der Gebäudeintegration. Die kann aber nur realisiert werden, wenn auch ein industrieller Background da ist. Ich bin an sich optimistisch, dass in der Zukunft hier noch sehr viel gehen wird. Aber wenn uns die Dünnschichtphotovoltaik – ich spreche von amorph, das einzige, was ich zuschneiden kann und was den Architekten sehr gut gefällt – unter den Händen wegstirbt, haben wir ein Problem. Jetzt entwickelt sich der Markt. Doch zu diesem Zeitpunkt, an dem die Architekten gewissermaßen über die Kuppe kommen und den Schwung aufnehmen für BIPV, ist auf der anderen Seite niemand mehr da, der die gewünschte Technologie anbietet: Schüco, Schott, Masdar und andere machten die Schotten dicht, und die Architekten werden dort nicht mehr abgeholt. Das ist dramatisch.

Das Gespräch führte Sven Ullrich.

Reto Miloni

leitet im eidgenössischen Wettingen ein Architekturbüro. Inzwischen hat er über 100 Gebäude mit Photovoltaikfassaden entworfen. Zusätzlich hat er zahlreiche Bücher und Artikel zur BIPV verfasst und eine Reihe von Sonderschauen zu Fassaden, Passivbauweise, Energieoptimierung, Sonnenschutz und Lüftung organisiert.

https://www.miloni.com/

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