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Schatten über dem Netz

In Berlin beginnt die partielle Sonnenfinsternis um 9 Uhr und 38 Minuten. Um 10.48 Uhr schiebt sich der Mond am weitesten vor die Sonne. Erst um 11.58 Uhr endet das Naturschauspiel. Schaulustige werden sich freuen, vorausgesetzt, der Himmel ist klar. Die deutschen Netzbetreiber fürchteten sich vor diesen Stunden am 20. März, ließ ein großes deutsches Nachrichtenmagazin verlautbaren. Wenn in dieser Zeit keine Wolken am Himmel wären, würden die Solaranlagen hierzulande drastisch weniger Strom einspeisen und die Netze dadurch gefährlich instabil. Bei einer installierten Gesamtleistung von mittlerweile fast 40 Gigawatt könnte ein solch abrupter Leistungsverlust für die Zentralen, die die Stromnetze steuern, nur schwer auszubalancieren sein, warnte Spiegel Online weiter. Die Stromnetzbetreiber würden deshalb darüber nachdenken, am Tag der Sonnenfinsternis große Solaranlagen gar nicht ans Netz zu nehmen.

Leistungseinbruch am Vormittag

Ob die Sonnenfinsternis wegen der Photovoltaik wirklich die Stromnetze in die Knie zwingen könnte, hat die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Berlin seriös untersucht. In einer 34-seitigen Studie sind die Wissenschaftler der Frage nachgegangen, welche Gefahren real sind und wie gegengesteuert werden kann. Dazu hat das Team um Professor Volker Quaschning zunächst die Auswirkungen des Mondschattens auf Deutschland und seine Solaranlagen zu unterschiedlichen Zeiten an diesem 20. März und an unterschiedlichen Standorten in der Bundesrepublik berechnet. Denn das Gute ist: Eine Sonnenfinsternis lässt sich im Voraus genau prognostizieren und die Auswirkungen auch. Die zunächst beunruhigende Nachricht: Während der Sonnenfinsternis ist mit Schwankungen der Solarstromleistung zu rechnen, die bis 3,5-mal stärker sein können als gewöhnliche Leistungsänderungen.

Die Zone der totalen Sonnenfinsternis wird sich am Vormittag des 20. März vom Nordatlantik über das europäische Nordmeer bis nahe an den Nordpol erstrecken. Über Deutschland wandert ein Teilschatten. Am dunkelsten ist es zunächst im Westen, dann ein paar Minuten später im Norden. Um 10:50 Uhr sind beispielsweise in Flensburg 80 Prozent der Sonne bedeckt, während es in Konstanz am Bodensee nur 62,5 Prozent sind.

Bis zu 16 Gigawatt minus

Der maximale Einbruch der deutschlandweiten Photovoltaikleistung wird gegenüber dem Tagesverlauf ohne Einfluss der Sonnenfinsternis bei wolkenlosem Himmel 15,8 Gigawatt betragen, bedeckt werden es 2,4 Gigawatt sein. Bis zum Zeitpunkt der minimalen Erzeugung von Solarstrom um 10.42 Uhr sinkt die Leistung wolkenlos auf 6,2 Gigawatt ab, bedeckt sind es 0,7 Gigawatt. Normalerweise wird die Photovoltaikleistung ja um die Mittagszeit immer stärker. Nicht so am 20. März.

Wandernder Halbschatten

Ab 10.30 Uhr nimmt die Photovoltaikleistung von Ost nach West durch den Anstieg des Bedeckungsgrads der Sonne real ab. Bereits zehn Minuten später tritt die geringste spezifische Solarstromleistung im Nordwesten auf. Die höchsten Werte werden dann noch im Südosten erzielt.

Zu diesem Zeitpunkt variiert die spezifische Photovoltaikleistung zwischen acht und 23 Prozent ohne Wolken sowie zwischen ein und drei Prozent bei bedecktem Himmel. Um 10.50 Uhr steigt die Leistung von Nord nach Süd bereits. Die Menge des erzeugten Solarstrom verändert sich somit innerhalb kurzer Zeit.

Beim Vergleich beider Szenarien wird darüber hinaus deutlich, dass bei wolkenlosem Himmel die regionalen Unterschiede stärker ausgeprägt sind als bei bedecktem Himmel. Aber die Schwankungen stellen die Netzbetreiber nicht vor unlösbare Probleme. Zum Ausgleich von Fluktuationen innerhalb weniger Stunden sind aufgrund ihres vorhandenen Speicher- und Leistungsvermögens insbesondere Pumpspeicherwerke geeignet.

Pumpspeicher stehen bereit

Weiterhin haben sie im Vergleich zu thermischen Kraftwerken schnelle Reaktionszeiten. In Deutschland sind derzeit etwa 40 Pumpspeicherwerke mit einer Speicherleistung von sieben Gigawatt und einer Speicherkapazität von 40 Gigawattstunden vorhanden. Der Strombedarf abzüglich der Pumpspeicherleistung zeigt, dass sich im Turbinenbetrieb der Einbruch beim Solarstrom nicht vollständig kompensieren lässt. Der Ausgleich ist durch die Turbinenleistung begrenzt.

Um den Einbruch während der Sonnenfinsternis vollständig kompensieren zu können, müssten Turbinen mit einer Leistung von 15,8 Gigawatt bereitstehen.

Weniger Grundlast

Die Pumpspeicherwerke könnten aber zunächst Leistung aufnehmen und Wasser nach oben pumpen. Auf dem Höhepunkt der Sonnenfinsternis kann die gespeicherte Pumparbeit genutzt werden, um im Turbinenbetrieb Energie bereitzustellen. Nach dem Ende der Sonnenfinsternis wäre ein Pumpbetrieb denkbar. Dadurch kann ein schneller Wechsel zwischen Überangebot und Mangel an Energie vermieden werden. Aus technischer Sicht kann daher auch bei wolkenlosem Himmel der erforderliche Ausgleichsbedarf durch Pumpspeicherwerke gedeckt werden, sofern die vorhandenen Pumpspeicherwerke dafür verfügbar sind.

Pumpspeicher müssen jedoch auch Regelleistung bereitstellen und können somit nur eingeschränkt zum Ausgleich von tageszeitlichen Fluktuationen genutzt werden. Hier können flexible Kraftwerke wie die schnell regelbaren Gaskraftwerke helfen. Dies erfordert jedoch eine verminderte Leistungsabgabe von Grundlastkraftwerken. Der Mix an Kraftwerksenergie sollte also am Vormittag der Sonnenfinsternis anders gestaltet werden als an gewöhnlichen Vormittagen.

Weitere Hilfen

Außerdem können regelbare Lasten helfen. Vor und nach der Sonnenfinsternis sollten solche Verbraucher viel Energie aufnehmen, während der Sonnenfinsternis dagegen pausieren. Auch der Export und Import von Strom ist eine Stellschraube. Hier spielen vor allem Länder mit weniger Photovoltaik in den Vormittagsstunden am 20. März eine wichtige Rolle. Ein Ausgleich lässt sich auch durch die zeitweise gedrosselte Stromgenerierung von regelbaren Photovoltaikanlagen erzielen.

Somit stehen aus technischer Sicht verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, um das Stromnetz während der Sonnenfinsternis zu stabilisieren. Die Prognosen können dazu beitragen, die Sonnenfinsternis im Netzbetrieb vorausschauend einzuplanen und Netzengpässe zu vermeiden. So muss niemand Angst vor dem Naturschauspiel haben.

Studie

Sofi und Solarstrom

Auf 34 Seiten untersuchen die Autoren Johannes Weniger, Joseph Bergner, Tjarko Tjaden und Professor Volker Quaschning von der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin den Einfluss der Sonnenfinsternis im März 2015 auf die Solarstromerzeugung in Deutschland und welche Maßnahmen geeignet sind, Netzschwankungen gegenzusteuern. Die Studie ist mit Mitteln des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung und des Landes Berlin gefördert worden.

http://pvspeicher.htw-berlin.de/sonnenfinsternis

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