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Autark im Eigenheim

Kohlendioxid immer und immer wieder verwenden, in einem geschlossenen Kreislauf: Für unser Klima ist das eine optimale Lösung. Seit September 2015 läuft eine solche Musteranlage mit Power-to-Gas(PtG)-Technologie in Ausstellungsräumen im Rostocker Hafen. Rund 50 Meter vom Kai des Flusses Unterwarnow, der durch die Altstadt fließt, liegt der Firmensitz von Exytron. Das junge Unternehmen gewann Ende April 2016 den Greentec Award in der Kategorie Start-up Sonderpreis. Wichtiger als die 10.000 Euro Preisgeld war allerdings die Aufmerksamkeit, die Exytron durch die Auszeichnung bekam – für sich und für das selbst entwickelte Katalyseverfahren: die patentierte Smart Energy Technology.

Zeigen, dass es ohne Emissionen geht

Eine weitere PtG-Anlage steht derzeit bereit und wartet auf die Auslieferung nach Alzey, einer Kleinstadt mit rund 18.000 Einwohnern, 50 Kilometer nordwestlich von Mannheim. Bereits im November 2015 wurde der Bauantrag für die Reihenhäuser im rheinland-pfälzischen Alzey eingereicht. Hier soll eine neu gebaute Siedlung mit 37 Wohneinheiten teilautark und fast ohne Kohlendioxid versorgt werden. Das hat der Bauherr, die Deutsche Reihenhaus AG, eindeutig vorgegeben. Die Wirtschaftlichkeit steht bei diesem Pilotprojekt demnach nicht primär im Fokus. Es geht um Kohlendioxid-neutrales Wohnen. In einer Simulation von Exytron wurden 99,3 Prozent der Kohlendioxidemissionen gegenüber vergleichbaren Wohnsiedlungen eingespart: Ein fast emissionsloses Leben und Wohnen ist demnach also keine Illusion, sondern möglich und machbar.

Fernüberwachung des Betriebs

Das Projekt sollte bereits im Frühjahr 2017 fertig gebaut sein. Der Grund für die Verzögerung ist, dass das ehemalige Gelände der Deutschen Bahn nicht korrekt verprobt wurde und noch ein entsprechendes Gutachten über Altlasten auf dem Baugrundstück aussteht. Deshalb verzögert sich die Auslieferung derzeit um einige Monate. „Unser Energieversorgungssystem ist lieferbereit, wir warten sozusagen nur auf den Startschuss“, sagt Klaus Schirmer, Vertriebs- und Projektleiter bei Exytron.

Das Herzstück der Versorgungsanlage ist eine Technikzentrale, die etwa die Größe von dreieinhalb Autogaragen misst. Hier befinden sich der Elektrolyseur, Methankatalysatoren, Brennwertthermen sowie ein BHKW, ein Warmwasserspeicher und eine zentrale Steuerungseinheit. Über die Energiezentrale werden die Häuser mit Strom und über ein Nahwärmenetz mit Heizwärme versorgt. Eine Fernüberwachung ermöglicht die fortlaufende Kontrolle der Betriebsdaten.

Als Biogasanlage eingestuft

Ein alkalischer Elektrolyseur mit 40 Kilowatt Leistung arbeitet in der Anlage. Er nutzt vorrangig den Strom aus einer Photovoltaikanlage mit 125 Kilowatt Leistung, ergänzend wird zertifizierter Grünstrom aus dem Netz dazugekauft. Denn der Solarstrom reicht nicht aus, um die gesamte Wohnanlage mit Strom und Wärme zu versorgen. Das Projekt steht deshalb für eine teilautarke Versorgung. „Wir nutzen die Besonderheit der derzeitig gültigen Vorschriften, dass unsere Anlage der Methanisierung als Biogasanlage eingestuft wird“, berichtet der Projektmanager. Das bietet den Vorteil, dass für die Elektrolyse und Methanisierung vergünstigter Netzstrom bezogen werden kann. Dadurch fallen keine Stromsteuer und keine Netzentgelte an. Die Strombezugskosten liegen so zwischen zehn und elf Cent.

Alleinstellungsmerkmal der Anlage ist, dass sie kein Kohlendioxid freisetzt. BHKW und Gastherme sind so modifiziert, dass das klimaschädliche Gas aus den Abgasen separiert wird. Anschließend kann das aufgefangene Kohlendioxid für die Produktion des Methans im Katalysator einsetzt werden. „Nur durch die Rückführung ist es überhaupt möglich, die PtG-Anlage im Gegensatz zu bisherigen Methanisierungsanlagen standortunabhängig und damit dezentral zu nutzen und so die entstehende Wärme direkt beim Kunden einzusetzen“, sagt Schirmer.

Die Sabatier-Reaktion

Die Gasproduktion von Wasserstoff und Synthesegas, kurz SNG, ist schwankend, weil die Steuerung den aktuellen und prognostizierten Bedarf berechnet und dementsprechend Brennstoff bereitstellt. Die Anlage kann zehn Kubikmeter Wasserstoff und 2,5 Kubikmeter Synthesegas pro Stunde erzeugen.

Überschüssiger Ökostrom wird dabei zunächst genutzt, um im Elektrolyseur Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufzuspalten. Mithilfe eines speziellen Katalysators, der vom Rostocker Leibniz-Institut für Katalyse, kurz Likat, entwickelt wurde, wird der Wasserstoff direkt unter Zuführung von Kohlendioxid zu Methan umgesetzt (die sogenannte Sabatier-Reaktion) und in einem Erdgastank eingelagert. Bei Bedarf kann das Methan verbrannt werden, wobei das freiwerdende Kohlendioxid als Wertstoff in einem geschlossenen Kreislauf rückgeführt und wieder für die Methanisierung genutzt wird. Durch die modifizierte Verbrennung entweichen zudem keine Stickoxide, die die Umwelt belasten.

Bis 80 Prozent Wirkungsgrad

„Unsere Anlage hat keinen beständigen Wirkungs- oder Nutzungsgrad, dieser ist je nach Betriebsart, Verbrauch und Energiequelle schwankend“, sagt Schirmer. In Simulationen liegt die Effizienz im Projekt Alzey zwischen 70 bis 80 Prozent. Die Effizienz könnte durch noch intensivere Wärmeauskopplung aus den Pumpen und Kompressoren weiter gesteigert werden. Dies mache aber wirtschaftlich keinen Sinn, 80 Prozent Wirkungsgrad seien ausreichend, erklärt er. Denn insgesamt sei die Gesamtauslegung der Energieversorgung in einem dezentralen System wichtiger als der Wirkungsgrad, betont Schirmer.

Exytron hat ein System entwickelt, dessen Kern eine wärmeabgebende Synthese von Methan ist. Im Gegensatz zu bisherigen PtG-Verfahren geht es hier nicht in erster Linie um die Produktion und Speicherung von Methan. Die meiste Energie wird vor Ort genutzt. „Dadurch steigt der Gesamtwirkungsgrad der Energienutzung in unserem System im Vergleich zu den zentralen Power-to-Gas-Anlagen, die diese Wärme nicht oder nur zu einem kleinen Teil nutzen“, sagt Schirmer.

Entwickelt wurde das System in enger Zusammenarbeit mit dem Leibniz-Institut für Katalyse in Rostock. Das Bahnbrechende an dem neuen System ist, dass der Blick auf die Energie gerichtet ist, die bei der Umwandlung von Wasserstoff zu Methan entsteht. Diese exotherme Reaktion läuft optimal zwischen 300 und 400 Grad Celsius ab. Ein Forschungsteam um Professor Matthias Beller am Likat hat den Katalyseprozess so optimiert, dass ein hohes Maß an nutzbarer Wärme entsteht. Jedenfalls genug, um damit ein Gebäude zu heizen.

Ihr Ziel war es, ein sogenanntes Katalysatorbett in einem Rohr so zu platzieren, dass die Hitze über eine möglichst große Fläche abgegeben wird. Denn eigentlich entsteht die Wärme nur punktuell an einem Hotspot. „Uns ist es gelungen, den Wärmebereich zu strecken. Die Katalyse läuft also in einer Umgebung ab, in der wir die entstehende Wärme effizient nutzen können“, fasst Andreas Martin vom Likat die Forschungsergebnisse zusammen. Im Forschungsvorhaben „Chemische Energiespeicher zur dezentralen Energieversorgung“ wurde mit verschiedenen Katalysatoren, Rohrgrößen und Trägermaterialien experimentiert.

Anspruchsvolle Steuerung

Allerdings gibt es trotzdem noch Herausforderungen zu lösen. Die intelligente Steuerung der Gesamtanlage ist Neuland und technisch sehr anspruchsvoll. Es gilt, sehr viele Parameter zur Energieversorgung, Speicherung und Eingangsenergie zu berücksichtigen. Zudem spielen die verschiedenen Verbräuche, Wetterlagen und -prognosen eine Rolle. Exytron will aus dem Pilotprojekt in Alzey lernen, wie die Anlage besser arbeitet und gesteuert werden kann.

Bewohner erhalten günstigsten Preis

Auch wenn das erste kommerzielle Projekt eine längere Amortisationszeit hat, zahlen die Kunden in den Wohneinheiten keinen Aufpreis. Sie erhalten laut Schirmer einen Strompreis, der unter dem günstigsten Preis liegt, der auf dem Onlineportal Verivox zu finden ist. Der Wärmepreis soll etwa bei 1,30 Euro pro Quadratmeter im Monat liegen. Die PtG-Anlagen fürs Eigenheim müssen später ohne Subventionierung wirtschaftlich sein, weiß auch Schirmer: „Das ist unser klar definiertes Unternehmensziel.“ Laut Schirmer bietet die Technologie aber aufgrund einer möglichen Skalierung über Mengen und Größen bereits bei den nächsten Projekten deutliches Kostensenkungspotenzial.

In dem Projekt wird die so oft geforderte Sektorenkopplung erfolgreich praktiziert. „Technisch ist das System ausgereift“, bestätigt Schirmer. „Die größten Hürden hierzulande stellen aber die vielen Vorschriften dar, die den Energiemarkt regeln.“ Vorrangig plant Exytron derzeit Projekte im Bereich größerer Wohngebäude und Wohnsiedlungen oder -quartieren. In Bayern ist ein Kraftwerk mit der Technologie von Exytron im Gespräch. Die Umsetzung des Projekts würde demnach die weltweit größte PtG-Anlage bedeuten.

Wunsch nach mehr Autarkie

Das Interesse an der neuen Technologie kommt aber laut Schirmer aus vielen Bereichen: von Herbergsbetrieben oder Eigentümern von Ein- und Mehrfamilienhäusern, die mehr Autarkie wünschen, und Kunden, die keinen oder nur sehr eingeschränkten Netzzugang haben. Wie beispielsweise aus netzfernen Arealen in Afrika, Zentralasien oder den diversen Inseln, die oft noch mit Dieselgeneratoren Strom produzieren. Großes Potenzial liegt aber auch hierzulande noch brach: Immerhin heizen 19,3 der rund 40 Millionen Haushalte mit Erdgas. Auf Exytron wartet noch viel Arbeit.

www.exytron.de

Viessmann/Swisspower

Kleine Helfer im Klärschlamm

Die Swisspower-Aktionärin Limeco plant zusammen mit sechs Stadtwerken ein Hybridkraftwerk in der Schweiz. Dort soll Power-to-Gas-Technik von Viessmann zum Einsatz kommen. Basis ist ein biologisches Verfahren, in dem Mikroben den Klärschlamm zersetzen und somit nutzbares Methan entsteht.

An der Abwasserreinigungsanlage in Dietikon wird dieses Kraftwerk den Strom aus der Kehrichtverwertung nutzen, um damit das Klärgas vollständig in Methangas umzuwandeln. Dieses erneuerbare Gas wird ins bestehende Gasnetz eingespeist und von den beteiligten Stadtwerken sowie lokalen Gasversorgern abgenommen. Damit erhöht sich der Anteil an erneuerbarem Gas im Schweizer Versorgungsnetz. Die Planungsarbeiten für das erste industrielle Hybridkraftwerk mit einer Leistung von zwei Megawatt haben bereits begonnen. Es basiert auf der biologischen Methanisierung und soll 2018 ans Netz gehen. Mit dem Bau wird das in der Kläranlage ohnehin entstehende Gas vollständig genutzt. Gemeinsam mit der Stromerzeugung aus der nahe gelegenen Kehrichtverwertungsanlage werden so jährlich mehr als 15 Gigawattstunden Ökoenergie durch das Klärgas erzeugt.

Das produzierte Gas aus dem Limeco-Hybridkraftwerk wird über die Stadtwerke und lokale Gasversorger vermarktet. Die eingesetzte Technologie wurde von Viessmann in Allendorf entwickelt. Der Prozess setzt sich aus der Elektrolyse und der Methanisierung zusammen. Die Mikroben leben im Klärschlamm der Anlage. Bereits seit März 2015 betreibt Viessmann in Allendorf eine Demonstrationsanlage dieser Technologie mit 300 Kilowatt Leistung.

www.viessmann.de

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