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Der Joker kam am Nachmittag

Wie kam es zu Ihrem Auftritt vor der Kohlekommission? So eine Einladung erhält man schließlich nicht alle Tage.

Sebastian Pönsgen: Die Mitglieder der Kommission durften Vorschläge machen. Verschiedene politische Gruppierungen, mit denen ich vernetzt bin, haben mich empfohlen. Schließlich wurde ich durch die Geschäftsstelle im Bundeswirtschaftsministerium eingeladen.

Zu einem denkbar ungünstigen Termin, Sie waren gerade im Urlaub …

Ja, ich hatte mit meiner Familie einen Urlaub in Italien geplant und angetreten. Aber mir war wichtig, diese Chance vor der Kommission zu nutzen. Also bin ich für einen Tag aus dem Urlaub gekommen, um meinen Vortrag zu halten.

Wo tagte die Kohlekommission?

In Bergheim. Das liegt etwa 30 Kilometer von Köln entfernt, es ist die benachbarte Stadt vom Hambacher Forst. Die Kommission hat sich tatsächlich auf die Socken ins Revier gemacht. Die Veranstaltung fand im Saal des Kreishauses statt. Da waren mehr als 100 Leute versammelt, zwischen 120 und 150. Darunter die früheren Ministerpräsidenten Tillich aus Sachsen und Platzeck aus Brandenburg oder Gewerkschaftschef Vassiliadis und jede Menge Professoren und Industrievertreter.

Wie lief die Veranstaltung ab, wie muss man sich das vorstellen?

Mein Vortragsblock lag am Nachmittag, also bin ich am Vormittag aus Pisa eingeflogen. Im ersten Block am Morgen referierten die Kammern und die Industrie. Da lief auch eine große Demo vorm Kreishaus des Rhein-Erft-Kreises, dem Schwerpunkt des rheinischen Kohlereviers. Über Mittag gab es eine Besuchstour durch das Revier. Am Nachmittag referierten Wissenschaftler, die Vertreter der Anwohner und ich.

Sie sind Geschäftsführer eines großen Solarfachbetriebs in Zülpich, nicht weit entfernt vom Rhein-Erft-Kreis. Sie kennen das Revier, sie kennen die Leute vor Ort. Waren Sie der einzige Solarteur in der Runde?

Ja, ich war als einziger Praktiker der Energiewende eingeladen. Um ganz ehrlich zu sein: Zunächst habe ich mich sehr schwergetan, der Einladung zu folgen. Nicht nur wegen des Familienurlaubs, sondern weil ich fürchtete, dass die Anhörung eher ein Feigenblatt ist und von den Politikern nicht wirklich ernst genommen wird.

Warum sind Sie trotzdem hingefahren?

Ich habe zwei kleine Jungs, daher habe ich meinen Auftritt als Chance gesehen, meinen Beitrag zur Weichenstellung auch für kommende Generationen zu leisten. Da ich früher viele Jahre selber politisch aktiv war, konnten mich auch die beeindruckende Kulisse und die vielen Ministerpräsidenten, Gewerkschaftsbosse und Verbandsleute nicht beeindrucken. Ich wollte diese Chance nutzen.

War es eine Alibi-Veranstaltung?

Überhaupt nicht, im Gegenteil. Ich war überrascht, wie groß das Interesse war und wie tief die Fragen in die Materie eindrangen. Mein Thema war die Sektorkopplung: Zwar haben wir schon 38 Prozent Ökostrom im Strommix. Bei der Wärme stammen jedoch nur 13 Prozent und im Verkehrssektor nur fünf Prozent aus erneuerbaren Energien. Diese beiden Sektoren machen mehr als 80 Prozent des Endenergiebedarfs aus. Die Sektorkopplung ist der Schlüssel zur regionalen Energiewende und damit auch zum Wandel in den Kohlerevieren, zeigt aber auch klar die große Herausforderung auf, vor der wir noch stehen.

Wie lange dauerte Ihr Vortrag?

Ich habe sieben Minuten lang ein paar Impulse gesetzt und mehrere Folien durchgezogen. Am Ende gab es eine Stunde für Fragen. Und ich habe etliche Fragen im Nachgang schriftlich beantwortet. Da ich erst sehr spät dran war, konnte ich gut an meine Vorredner anknüpfen. Ich komme aus dieser Region, ich habe in Aachen und Hagen studiert. Hier bin ich als Solarteur tätig. Zwei Professoren aus Jülich und dem DLR in Köln haben beispielsweise über Speichermöglichkeiten referiert. Darauf konnte ich sehr gut aufbauen und auch inhaltlich daran anknüpfen.

Sieben Minuten sind nicht viel. Worauf haben Sie den Schwerpunkt gelegt?

Ich habe mich bewusst auf politische Themen beschränkt. Es ging nicht darum, Raketentechnik zu erklären, sondern Verständnis für die Potenziale der Sektorkopplung zu wecken. Bisher wird das Thema aus der Sicht der Industrie angegangen, von oben herab, top-down. Die Sektorkopplung kommt aber von unten, bottom-up. Die Sektorkopplung kommt aus dem Mittelstand oder aus Wohnungsbauunternehmen. Wir von der Priogo AG in Zülpich beackern das Thema seit fünf Jahren sehr intensiv.

Wie wichtig waren die Potenziale für Beschäftigung und Jobs?

Das war ein wesentlicher Punkt. Denn im Kern geht es um rund 20.000 gut bezahlte Arbeitsplätze. Von denen aber ein guter Teil in den kommenden Jahren in den Ruhestand geht. Die Übrigen könnten wir ohne Weiteres unterbringen, hier bei uns in der Region.

Wie kann das gelingen?

Das passiert bereits. In Remscheid hat Vaillant gerade eine neue Fertigung für Wärmepumpen aufgebaut. Inzwischen wurde in unserer Region das zweite Werk gebaut, um den Street Scooter zu fertigen. Die Firma e.GO hat ein neues Werk für E-Autos in Aachen gebaut. Zudem haben wir bei uns im Rheinland einen starken Sog aus dem Mittelstand, neue Leute einzustellen. Allein Priogo hat im Moment fünf freie Stellen im Handwerk, auf die sich niemand bewirbt.

Dennoch wird immer davon geredet, dass der schnelle Ausstieg aus der Kohle 20.000 Jobs gefährdet …

Das Argument wird als starkes politisches Kapital genutzt, ist aber – glaube ich persönlich – sachlich nicht wirklich haltbar. Klar ist es für die Betroffenen schlimm, dass ihnen auf den ersten Blick die berufliche Perspektive genommen wird, aber wer, wenn nicht unsere Branche kennt dieses Thema nur zu gut! Daher bin ich mir sicher, die Leute aus der Braunkohle kommen sehr schnell unter, und auch gerade unsere Branche kann da viele attraktive Arbeitsplätze bieten. Insbesondere aber durch die politischen Pläne, besonders die Braunkohleregionen stärker in den Aufbau der Energiewende mittels Zukunftstechnologien einzubeziehen, schafft doch viel mehr Jobs in den Regionen, als heute effektiv noch dort durch die Braunkohle bestehen!

Wie haben Sie einzelne Akteure der Kohlekommission erlebt?

Namentlich Stanislaw Tillich und Matthias Platzeck zeigten sich unwahrscheinlich konstruktiv und konkret in ihren Nachfragen. Sie hatten den Vorsitz der Veranstaltung inne. Tillich wollte beispielsweise genau wissen, was am EEG zu ändern wäre, um die Chancen des Wandels auf die Straße zu bringen. Ich war angetan, wie ernsthaft diskutiert wurde. Wir sind sehr tief in die Themen eingestiegen, das hat sich wirklich gelohnt.

Kam auch das geplante Energiesammelgesetz zur Sprache?

In meiner letzten Folie habe ich den Unsinn mit der Sonnensteuer und die Hemmnisse beim Mieterstrom thematisiert. Sonnenstrom wird mit der EEG-Umlage belastet, fossile Kraftstoffe und Heizöl aber nicht. Das ist doch widersinnig.

Wie geht es weiter?

Die letzten Fragen zum Ende der Anhörung habe ich schriftlich beantwortet und weiterführendes Material beigefügt. Da ging es auch um die unseligen Verschärfungen bei der Solarförderung, die Herr Altmaier im Energiesammelgesetz vorgelegt hat – auch hier muss man nämlich aufzeigen, dass es um eine ganze Menge Jobs in Deutschland geht!

Fand Ihr Vortrag Gehör?

Ich hatte den Eindruck, dass meine Inhalte tatsächlich angekommen sind, das war an den Nachfragen auch nach der Veranstaltung und den vielen Reaktionen, die mich später direkt oder indirekt erreicht haben, festzumachen. Es war aber auch zu erkennen: Meine klare Aussage, dass die Sektorkopplung zuerst ein Thema des Handwerks und des Mittelstands sei, hat bei einigen wenigen nicht gerade Begeisterung hervorgerufen.

Also haben Sie die Chance genutzt, die Sie erhofften?

Dieser Tag in Bergheim hat sich gelohnt. Auf so einer Ebene einzusteigen und zu referieren, dort unsere Branche anständig zu vertreten, das war es wert. Wir alle in unserer Branche wissen, was wir tun. Wir sind keine Truppe, die Subventionen hinterherläuft. Wir wären froh, so schnell wie möglich vom staatlichen Tropf wegzukommen. Aber so weit sind wir leider noch nicht.

Was erwarten Sie von der Politik?

Wir brauchen das klare Bekenntnis aller Parteien zur Energiewende und die Aufhebung der Beschränkungen. Ohne Sonnensteuer, ohne den Deckel und weitere fast schon sozialistisch anmutende Instrumente werden die Erneuerbaren immer günstiger und hoffentlich schnell von alleine aus den Fördermechanismen entwachsen. Wenn das von der Politik endlich erkannt wird und die entsprechenden Gesetze angepasst und entrümpelt werden. Dann können wir einen noch wesentlich stärkeren volkswirtschaftlichen Nutzen aus den erneuerbaren Energien erzielen als heute schon.

Das Interview führte Heiko Schwarzburger.

www.priogo.com

Sebastian Pönsgen

ist einer der beiden Vorstände der Priogo AG, einem Installationsbetrieb in Zülpich bei Köln. Zunächst studierte er Elektrotechnik in Aachen und Hagen. Danach war er mehrere Jahre in der Heizungs- und Sanitärbranche selbstständig tätig. 2011 wurde er Projektleiter bei der Priogo AG, ein Jahr darauf Montageleiter. Später stieg er zum Prokuristen auf. Im Juli 2016 wurde er Vorstand von Priogo.

Foto: Heiko Schwarzburger

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