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Kohlepfennig fürs Revier

Ein Gespenst geht um in Deutschland. Das Gespenst des Kohleausstiegs. Die Mächte der alten Energieversorgung haben sich zu einer Hetzjagd auf dieses Gespenst verschworen: Gewerkschaften, Bergbaufirmen, Energieversorger und sogar manche Kommune.

Sie werden nicht müde, die Gefahren heraufzubeschwören, die der technologische Wandel angeblich mit sich bringt: Tausende Arbeitsplätze würden vernichtet. Die Kohlereviere, ihre Kumpel und Familien blieben als Verlierer auf der Strecke, ohne Perspektive, ohne Stolz. Die Energieversorgung werde unsicher, Stromausfälle häufiger. Die Industrie müsse bangen, ihr ginge das Licht aus.

Zweierlei geht aus dieser Tatsache hervor: Der baldige Kohleausstieg wird von diesen Mächten als ernst zu nehmende Option anerkannt. Und es ist höchste Zeit zu zeigen, dass die erneuerbaren Energien den Menschen in den Kohlerevieren echte Perspektiven bieten.

Vattenfall winkte ab

Als 2015 Vattenfall den Braunkohlebetrieb in der Lausitz zum Verkauf stellte, bewarb sich auch das schwedische Büro von Greenpeace Nordic um die Übernahme, unterstützt von der Hamburger Energiegenossenschaft Greenpeace Energy.

Allerdings wollte die für den Kauf zu gründende Stiftung den Braunkohleabbau nicht weiterführen, sondern einstellen. „Auf allen geeigneten Tagebauflächen sollten Wind- und Solarkraftanlagen installiert werden“, erinnert sich Unternehmenssprecher Michael Friedrich, „anstatt sie dem Kohlebagger zu opfern.“

Die Bieter wollten die Gruben und Abraumhalden entsprechend dem Bergbaurecht renaturieren. Das müssen alle Bergbauunternehmen leisten, nachdem sie die Kohle gefördert haben.

Weil die Braunkohle in der Lausitz längst nicht mehr gewinnträchtig ist und auf der anderen Seite viele Verpflichtungen beim Rückbau zu erfüllen sind, bot Greenpeace Nordic 2015 als Kaufpreis null Euro.

Zudem sollten 1,8 Milliarden Euro von Vattenfall zusammen mit Grund und Boden an den neuen Besitzer gezahlt werden. Doch Vattenfall schloss Greenpeace aus dem Bieterverfahren aus und entschied sich für die tschechische Investorengruppe EPH.

Die Eckdaten des Vertrages mit EPH: null Euro Kaufpreis und ein Absicherungspaket von 1,75 Milliarden Euro – also fast exakt die Konditionen des Greenpeace-Angebots. EPH hat das Geschäft in der Lausitz – die Förderung der Kohle und den Kraftwerksbetrieb – in die Hände der Leag gelegt. Sie schürft nun weiter in der Erde und lässt die alten Schlote rauchen.

Gigawattflächen für Solar und Wind

So haben die schwedischen Bosse eine visionäre Chance vertan. Doch Greenpeace Energy setzte sich weiter mit den Herausforderungen auseinander, die eine regionale Energiewende mit sich bringt. In einer 2017 präsentierten Studie des Instituts für Ökologische Wirtschaftsforschung (IÖS) wurden die Wertschöpfungs- und Beschäftigungspotenziale untersucht, die sich mit dem Ausbau erneuerbarer Energien im Lausitzer und Rheinischen Revier bieten. Die Arbeitsplätze in der Braunkohle wurden ebenso analysiert wie die zur Verfügung stehenden Flächen.

Millionen Tonnen Treibhausgase sparen

Und siehe da, es wurde von den Autoren der Studie mit Zahlen belegt: Die 3.900 Lausitzer Arbeitsplätze in der Kohle könnte man nahezu vollständig mit Jobs in den erneuerbaren Energien kompensieren. Zwar nicht genau im 20-Kilometer-Radius um die heutigen Kraftwerke und Tagebaue, aber im räumlichen Umfeld in Sachsen und Brandenburg.

Selbst bei der Nutzung von nur der Hälfte der verfügbaren Flächen lassen sich Windräder mit 1,442 Gigawatt und Solargeneratoren mit 2,289 Gigawatt Leistung installieren. Zudem würden – und darum geht es schließlich – Millionen Tonnen Treibhausgase und andere Schadstoffe vermieden, von der zerstörten Landschaft und der Vertreibung aus den abgebaggerten Dörfern ganz abgesehen. Auch viele Tiere und Pflanzen hätten nicht ihren Lebensraum verloren: Und niemand müsste nach dem Abzug der Bagger mühsam und für viel Geld die Fluren wiederherstellen.

Das ist und bleibt richtig, ob in der Lausitz, im Rheinischen oder im Mitteldeutschen Revier. Was im ersten Anlauf im großen Wurf nicht gelang, versucht Greenpeace Energy seit letztem Jahr in kleinen Schritten. „Der Kohleausstieg beschäftigt die Menschen in ganz Deutschland, nicht nur in den Kohlerevieren“, sagt Michael Friedrich. „Sie fragen sich, was sie beitragen können, wie es gelingen kann, die Konflikte zu entschärfen.“

Jeder kann beim Umbau mitmachen

Mit dem Tarif Solarstrom Plus bietet Greenpeace Energy ein Produkt, das den Umbau der Kohlereviere unterstützt. Auf den Ökostromtarif wird ein Eurocent pro Kilowattstunde aufgeschlagen. Dieser Fördercent, eine Art „Kohlepfennig“, fließt in neue Photovoltaikprojekte im Revier.

Bereits rund 4.500 Stromkunden haben sich bislang für diesen Tarif entschieden. Sie erhalten Ökostrom, wovon mindestens zehn Prozent aus Solaranlagen direkt in den Braunkohleregionen stammen.

„Das allein bringt natürlich noch keinen ausreichenden Wechsel“, erläutert Friedrich. „Aber wir demonstrieren auf Basis der IÖW-Studie, dass ein bürgernaher Ausbau der erneuerbaren Energien möglich ist und jeder etwas beitragen kann. Auch wenn er nicht in Cottbus oder Erftstadt wohnt.“

Proschim in der Lausitz

Die erste Solaranlage, die mit dem Kohlepfennig von Greenpeace Energy errichtet wurde, speist ihren Strom seit August 2017 in den Bilanzkreis von Greenpeace Energy. 40 Module mit zehn Kilowatt Leistung wurden auf das Dach von Günter Jurischka montiert. Er wohnt in Proschim, einem Dorf in der Lausitz, das vom Tagebau Welzow-Süd bedroht ist. Jurischka kämpfte bereits in der DDR gegen die Abbaggerung seines Dorfes.

Erst in zwei Jahren will sich die Leag entscheiden, ob der Tagebau erweitert wird. Dann müssten womöglich auch die Bewohner von Proschim ihre Häuser verlassen.

„Unsere Anlage ist zwar nur eine von vielen, die noch folgen müssen. Doch für uns alle hier, die Widerstand gegen die Zerstörung unserer Heimat und des Klimas durch die Braunkohle leisten, ist sie ein wichtiges Zeichen an die Leute in der Region“, sagt Jurischka.

Ein Schwenk quer durch Deutschland, ins Rheinland: Hilde Zettl in Wickrath freut sich ebenfalls: „Einen besseren Sommer hätte ich kaum erwischen können, um unsere Solaranlage in Betrieb zu nehmen.“ Auf den Dachflächen ihres erst vor wenigen Monaten bezogenen Hauses glänzen diskret tiefschwarze Solarmodule, die sich kaum von den dunklen Dachziegeln und schwarzen Schieferflächen abheben.

Wickrath und Buir im Rheinland

Die Optik war wichtig für Hilde Zettl. Sie wollte keinen Stress mit den Nachbarn, denn schließlich wohnt sie mitten im Braunkohlerevier. Der Tagebau Garzweiler II ist nur vier Kilometer von ihrem Haus entfernt. Das Dorf, in dem Hilde Zettl aufwuchs, wurde wegen der Braunkohle geräumt. Nun wohnt sie in einem neuen Haus un d setzt auf erneuerbare Energien. Mit beachtlichen 42 Kilowatt Spitzenleistung ernten die Zettls nicht nur Sonnenstrom für ihre Elektrogeräte, sondern auch für eine Wärmepumpe für die Heizung.

Die jüngste Anlage mit knapp zehn Kilowatt wurde gerade fertiggestellt, auf dem Dach von Antje Grothus, die sich seit vielen Jahren gegen den Tagebau Hambach und die Abholzung des verbliebenen Hambacher Waldes engagiert. Sie wohnt in einem Ortsteil von Kerpen im Rheinischen Revier und ist Mitglied der Kohlekommission.

Zweiseitiger Antrag genügt

Fast 40.000 Euro sind bislang über den Fördercent von Greenpeace Energy zusammengekommen. Die Bewerbung für Zuschüsse zu einer Solaranlage ist denkbar einfach. Es muss sich um ein Projekt in unmittelbarer Nähe zum Tagebau handeln.

Vereine und gemeinnützige Organisationen sind explizit eingeladen. Engagement für den Ausstieg aus der Braunkohle ist erwünscht. Der Geförderte muss lediglich selbst zu einem Stromtarif von Greenpeace Energy wechseln, über den er den Reststrom bezieht, der nicht aus der dann eigenen Anlage kommt.

Das Antragsformular ist gerade mal zwei Seiten lang. Über die Vergabe entscheidet ein Team von Greenpeace Energy und Planet Energy.

Auch wenn diese Schritte wie Tropfen auf den heißen Stein erscheinen mögen – sie sind respektabel. Denn wenn du einen Berg versetzen willst, beginne damit, kleine Steine wegzutragen.

www.greenpeace-energy.de

Greenpeace Energy

RWE-Braunkohlesparte bis 2025 stilllegen und durch Erneuerbare ersetzen

Greenpeace Energy will die Braunkohlesparte des RWE-Konzerns im Rheinischen Revier ab 2020 stufenweise übernehmen und bis 2025 stilllegen. Im Gegenzug sollen auf den ehemaligen Tagebauflächen Windkraft- und Photovoltaikanlagen mit einer Gesamtleistung von rund 8,2 Gigawatt entstehen.

Regionale Interessen haben Vorrang

Greenpeace Energy will diesen Ausbau im Rahmen eines Bürgerenergie-Konzeptes umsetzen. Bürger, Energiegesellschaften, kommunale Körperschaften und private Unternehmen können sich finanziell engagieren. Dabei wird regionalen Interessenten ein Vorrang eingeräumt. „Was wir vorschlagen, ist eine Riesenchance für das Rheinische Revier – und bringt uns beim Klimaschutz einen großen Schritt voran“, sagt Sönke Tangermann, Vorstand bei Greenpeace Energy. „Unser Konzept ist finanziell fair für alle Seiten und so angelegt, dass betriebsbedingte Kündigungen vermieden werden können.“

Schrittweise Übernahme bis 2025

Konkret schlägt Greenpeace Energy vor, im Jahr 2020 den Tagebau Hambach und die sechs ältesten und am wenigsten effizienten Kraftwerksblöcke stillzulegen, 2022 den Tagebau Inden und sechs weitere Kraftwerksblöcke, 2025 Garzweiler und die letzten drei Blöcke. „Insgesamt beläuft sich der Preis dafür auf rund 384 Millionen Euro“, sagt Fabian Huneke vom Analyseinstitut Energy Brainpool, das die Wirtschaftlichkeit des Projekts berechnet hat: Dies ergebe sich aus den Gewinnen, die mit den Kraftwerken noch am Strommarkt erzielt werden könnten, bis sie wegen steigender CO2-Preise unrentabel würden.

Für die anstehenden Aufgaben sollen mehrere neue Gesellschaften gegründet werden: Eine Betreibergenossenschaft setzt das Bürgerenergie-Konzept um und errichtet auf allen geeigneten ehemaligen Tagebauflächen Windkraft- und Photovoltaikanlagen mit einer Leistung von 3,8 beziehungsweise 4,4 Gigawatt. Die grünen Kraftwerke erzeugen im Jahr 2030 mehr als 15 Terawattstunden Strom – rund ein Viertel dessen, was die rheinische Braunkohle derzeit liefert.

Sieben Milliarden Euro Investitionskosten, keine EEG-Vergütung

Allerdings sinkt die Stromerzeugung aus Braunkohle ohnehin stetig und würde Anfang der 2030er-Jahre unter das Niveau der dort neu geplanten Bürgerenergieanlagen fallen. Der Aufbau des gesamten erneuerbaren Kraftwerksparks würde nach Berechnungen von Greenpeace Energy rund sieben Milliarden Euro kosten – es wäre das mit Abstand größte Erneuerbare-Energien-Projekt Europas und dank Skaleneffekten gerade deshalb besonders günstig zu errichten. „So können wir auf eine Vergütung nach dem EEG verzichten und erwarten trotzdem Renditen zwischen fünf und sieben Prozent, wenn man durchschnittliche Marktwerte zugrunde legt“, so Sönke Tangermann. „Vor allem aber können wir für wesentlich mehr erneuerbaren Strom und für mehr Klimaschutz sorgen, als sonst auf Basis des EEG möglich wäre.“

Unterstützung für Renaturierungsgkosten notwendig

Die Standorte für die Solar- und Windparks pachtet die Betreibergenossenschaft von einer ebenfalls neu zu gründenden kommunalen Flächengesellschaft, in der alle Grundeigentümer organisiert sind. Die Pachteinnahmen belaufen sich in der letzten Ausbaustufe auf jährlich 45 Millionen Euro. Zudem ist die Flächengesellschaft für die Renaturierung zuständig und über eine Beschäftigungsgesellschaft nimmt sie alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter Vertrag, die aus der RWE-Braunkohlesparte ausscheiden. Diese können zum Beispiel in der Renaturierung der Tagebauflächen und im Kraftwerksrückbau arbeiten. Andere werden für neue Arbeitsplätze in den erneuerbaren Energien und anderen Branchen weiterqualifiziert. Für ihre Aufgaben erhält die Beschäftigungsgesellschaft Mittel aus einem öffentlichen Strukturfonds, wie ihn auch die Kohlekommission vorschlägt, um den Strukturwandel in den Braunkohleregionen zu finanzieren. In welchem Umfang sich auch RWE finanziell an den Maßnahmen zu beteiligen hat, handeln Staat und Konzern separat aus.

60 Milliarden Euro Folgekosten sparen

Durch die Umsetzung des Greenpeace-Energy-Plans würden – im Vergleich zur RWE-Planung – insgesamt 441 Millionen Tonnen weniger CO2 ausgestoßen, wie das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) errechnet hat. Dadurch würden gesellschaftliche Folgekosten durch Klimaschäden in Höhe von rund 60 Milliarden Euro eingespart. Schon im Jahr 2020 sinken die Emissionen um rund 13 Millionen Tonnen CO2. Bis 2030 werden 338 Millionen Tonnen CO2 eingespart. „Der Greenpeace-Energy-Plan zahlt somit direkt auf die 2020er- und 2030er-Klimaziele ein“, sagt FÖS-Experte Florian Zerzawy.

www.reinrevierwende.de

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