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Als Tandem in die Gewinnzone

Mit 16 Megawatt Leistung und 8,5 Megawattstunden Kapazität ging im Herbst 2018 in Sulzberg bei Kempten ein sehr großer Energiespeicher in Betrieb. „Das Projekt ist die Vorbereitung für das erste sogenannte Hybridkraftwerk in Deutschland“, erläutert Projektleiter Thorsten Häusler, der beim Allgäuer Überlandwerk (AÜW) zudem die Erzeugung leitet. „Derzeit nutzen wir den Batteriespeicher für die Stabilisierung des Stromnetzes. Wir arbeiten aber mit Hochdruck daran, den Großspeicher mit unserer Gasturbine zu verknüpfen und als Hybridkraftwerk in Betrieb zu nehmen.“

Startphase der Turbine puffern

Die Idee dabei ist, die Startphase der Gasturbine (Anlaufphase) mit dem Batteriespeicher zu puffern und am Markt für Sekundärreserve (SRL) und Primärreserve (PRL) teilzunehmen.

Geliefert wurde der Speicher vom Systemanbieter Smart Power aus dem oberbayerischen Feldkirchen bei München. Lieferant der Batterien und Wechselrichter ist die Sungrow Samsung SDI Energy Storage Power Supply aus Asien. Präqualifiziert und vermarktet wird das System über die Entelios AG. Das Projekt wurde ohne Förderung durch öffentliche Gelder finanziert.

Gasturbinen meist unrentabel

Das Problem ist bekannt: Im Zuge der Energiewende ist es notwendig, immer mehr fossile Kraftwerke vom Netz zu nehmen und durch erneuerbare Energieträger zu ersetzen. Die Herausforderung ist, dass die erneuerbaren Energien wesentlich volatiler und ungenauer zu prognostizieren sind als konventionelle Energieträger. Auch die räumliche Verteilung ist nicht immer optimal. Benötigt wird mehr Intelligenz in den Stromnetzen, vor allem aber Speicher und flexibel steuerbare Kraftwerke.

Es gibt verschiedene Modelle, wie die Systeme aussehen werden. In den meisten Szenarien sollen Gaskraftwerke und Gasturbinen eine wichtige Rolle spielen. Doch hier gibt es ein Problem: Im momentanen Strommarktdesign ist nicht nur die Investition in Gaskraftwerke unrentabel. Auch der Betrieb vorhandener Gaskraftwerke ist für die Betreiber im Allgemeinen nicht kostendeckend.

Hinzu kommen Einschränkungen durch Vorschriften zum Emissionsschutz und hohe Kosten für ein ständiges Hochfahren der Turbinen, sollen sie für Spitzenlasten eingesetzt werden. Mehrere Tausend Euro können für einen Startvorgang je nach Größe des Aggregats durchaus anfallen.

Das Problem kennt man mittlerweile sogar aus der Tagespresse, denn große Energieversorger drohen damit, unrentable Gaskraftwerke vom Netz zu nehmen, falls sie nicht entsprechende Ausgleichszahlungen bekommen. Kommt hier die Energiewende ins Stocken?

Auch bei AÜW in Kempten kennt man diese Schwierigkeiten. Aus früheren Projekten gibt es im Bestand des Allgäuer Energiedienstleisters, der rund 90.000 private Haushalte und Gewerbebetriebe in der Region versorgt, eine Gasturbine.

Rentabel durch intelligente Hybride

Seit einigen Jahren wurde sie aus den besagten Gründen nur noch für den Notbetrieb vorgehalten. Michael Lucke, Geschäftsführer AÜW, gab sich zusammen mit seinem Team nicht mit dieser Situation zufrieden, sondern suchte nach innovativen Konzepten. Wie kann man um diese Gasturbine ein Hybridkraftwerk aufbauen, um den wirtschaftlichen Betrieb zu ermöglichen?

In diesem Kontext stellte die Entelios AG aus München das Konzept eines Batterie-Gasturbinen-Tandems vor, das an die Volatilität der Regelleistungsmärkte angepasst ist und deren Risiken bestmöglich streut. Gemeinsam mit den Ingenieuren von AÜW wurde das Konzept verfeinert, detailliert und an die Gegebenheiten im Allgäu angepasst mit dem Ziel, Regelenergie intelligent zu vermarkten, um die Wirtschaftlichkeit der Gasturbine zu verbessern und langfristig zu sichern.

Regelleistung als Geschäftsmodell

Die Erbringung von Regelleistung ist ein häufiger Erlöskanal für den Betrieb von Speichern oder Verbundkraftwerken. Im Europäischen Verbundsystem werden Differenzen zwischen Stromeinspeisung und Stromentnahme im Allgemeinen durch netzdienliche Speicher oder Kraftwerke ausgeglichen, die Regelleistung liefern. Sie erkennen anhand der Abweichung der Netzfrequenz vom Sollwert 50 Hertz, ob das Angebot oder die Nachfrage nach Leistung überwiegt, und reagieren dementsprechend.

Bei Überfrequenz wird Leistung aus dem Netz entnommen, bei Unterfrequenz wird Leistung ins Netz abgegeben. Die sogenannte Primärregelleistung (PRL) ist nach den rotierenden Massen im Netz die schnellste Form der Regelleistung. Die Erbringung der PRL wird wöchentlich an der Strombörse ausgeschrieben.

Ein Kraftwerk oder ein Speicher kann demnach die Bereitschaft, Regelleistung zu erbringen, an der Strombörse anbieten und vermarkten. Vorher muss es/er dem Übertragungsnetzbetreiber im Rahmen einer Präqualifizierung nachweisen, dass sein System bei Anforderung ausreichend schnell und über den erforderlichen Zeitraum Leistung abnehmen oder liefern kann.

Auch eine entsprechende Redundanz beziehungsweise Ausfallsicherheit muss gewährleistet sein, die man unter Umständen durch den Zusammenschluss mit anderen Anbietern über einen Vermarkter, wie zum Beispiel Entelios, nachweisen kann.

Nicht einfach zu kalkulieren

Ausgeschrieben wird nur eine begrenzte Menge an Regelleistung, was den Börsenpreis in den letzten Monaten unter Druck gesetzt hat. Der PRL-Erlös ist einerseits recht einfach anhand des jeweiligen Marktpreises zu berechnen, andererseits ist die Preisstabilität für längere Zeiträume nur schwer abzuschätzen. Wirtschaftlich sinnvoll ist PRL im Allgemeinen nur bei größeren Einheiten, denn der Aufwand für die Präqualifizierung und Vermarktung ist für kleinere Systeme in der Regel zu hoch.

Neben der Primärregelleistung kann auch die Erbringung von Sekundärregelleistung (SRL) am Markt angeboten werden. Während die PRL versucht, das Ungleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch in den ersten Sekunden und Minuten auszugleichen, wird die SRL aktiv angesteuert, wenn die Reserven der PRL auf Dauer nicht ausreichen.

Konventionelle Energieerzeuger wie eine Gasturbine können Regelleistung erbringen, aber nur, wenn sie bereits in Betrieb sind. Die Erzeugungsleistung wird um den Betrag der Regelleistungsvorgabe erhöht oder verringert, dabei muss die maximale Reaktionszeit eingehalten werden. Ist eine Gasturbine vorher nicht in Betrieb, benötigt sie zum Hochfahren typischerweise zwölf bis 15 Minuten.

Dies ist aber selbst für SRL zu langsam. Denn hier lautet die Vorgabe: maximal fünf Minuten von null auf Volllastbetrieb. Außerdem wäre es unwirtschaftlich, eine Gasturbine bei jeder Regelleistungsvorgabe zu starten.

Schnelle Reaktion durch den Speicher

Die Lösung bietet der Stromspeicher als optimale Ergänzung. Für ihn ist es unerheblich, wie oft er unterschiedlichen Regelleistungsvorgaben folgen muss. Er ist der zuverlässige Part für die schnelle Reaktion des Hybridkraftwerks.

Die Gasturbine dient hingegen als stille Reserve und wird nur angesteuert, wenn entweder die abgerufene Leistung oder deren Gradient von Anfang an einen gewissen Schwellwert überschreitet. Wenn also die Netzfrequenz vom Sollwert um einen entsprechenden Betrag abweicht oder wenn die Einsatzzeit des Regeleingriffs länger anhält.

Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Parameter (Speicherdimensionierung, Startkosten der Turbine, Lebensdauer der Turbine, Brennstoffkosten und so weiter) wird der Regelalgorithmus für das Hybridkraftwerk optimiert. Wenn sich einzelne Parameter im Laufe der Zeit ändern, kann die Betriebsweise jederzeit angepasst werden.

An sich ist ein Hybridkraftwerk ein Abbild jeder funktionierenden technischen oder auch wirtschaftlichen Einheit, denn es ist ein typisches Beispiel für Arbeitsteilung. Ein Part ist für die schnelle Reaktionszeit zuständig, der andere für die längerfristige Nachlieferung der fehlenden Energie im Netz.

Simulation zur Dimensionierung

Jedes Teilsystem kann seine Stärken optimal ausspielen. Aber wie erreicht man das Optimum, um mit begrenzter Investition in einen vergleichsweise teuren Energiespeicher das Beste aus dem Kombikraftwerk herauszuholen?

Der zuständige Projektleiter bei AÜW, Thorsten Häusler, holte sich die Unterstützung der Entelios AG, eines Spezialisten für digitale Lösungen zur Realisierung von Flexibilitätspotenzialen, sowie der Firma Smart Power, die sich auf Planung und Bau von Großspeichern spezialisiert hat.

Die Spezialisten der Entelios AG hatten die Idee des Hybridkraftwerks und vertieften diese. Smart Power brachte seine Kompetenz mit Batteriespeichern ein. Dort hatte man erkannt, dass die Simulation des konkreten Betriebs den Schlüssel zur wirtschaftlichen Optimierung von Speicherprojekten darstellt.

Speicher mit 2C ausgelegt

Für diese Simulation hatte man sehr leistungsfähige Software entworfen, um den Speicher nicht nur technisch passend zu dimensionieren, sondern auch die Wirtschaftlichkeit des Speicherbetriebs für jeden Einsatzfall genau zu prognostizieren. Diese Entwicklungen wurden und werden weiterhin in einigen Forschungsprojekten gemeinsam mit der TU München vertieft. „Das A und O für den wirtschaftlichen Speichereinsatz ist immer die Kombination möglichst vieler Erlöskanäle,“ kommentiert Uli Bürger, technischer Leiter und Prokurist bei Smart Power.

So war das Kombikraftwerk der AÜW auch für Smart Power ein ideales Projekt, um die Wirtschaftlichkeitsprognosen in der Realität zu validieren. Gleichzeitig konnte Smart Power nun 2018 gemeinsam mit AÜW das bisher größte Referenzprojekt in Betrieb nehmen. Als Ergebnis der Simulation entstand mit 16 Megawatt Leistung bei 8,5 Megawattstunden Energieinhalt eine eher unübliche Speicherdimensionierung. Während übliche Großspeicher meist nahe der C-Rate 1C arbeiten (also in minimal rund einer Stunde ge- oder entladen werden), wurde hier annähernd 2C realisiert.

Möglich wurde dies durch spezielle Lithium-NMC-Zellen (NMC: Nickel-Mangan-Cobalt-Oxide) von Samsung SDI. Die Zellen sind in 1.344 aktiv gekühlten Batteriemodulen untergebracht. Jeder der vier 44-Tonnen-Container ist einzeln klimatisiert und beinhaltet neben den Batterieracks die zugehörigen Wechselrichtereinheiten.

Jungbrunnen für alte Kraftwerke

Über acht Mittelspannungstransformatoren ist die Anlage ans Stromnetz der Allgäu Netz angeschlossen. Die zugehörige Schaltanlage ist zusammen mit der übergeordneten Steuerung und Fernwirktechnik in einem weiteren Gebäude untergebracht. Die spezielle Dimensionierung mit 2C wurde exakt auf das geplante Betriebskonzept zugeschnitten: Denn für die Vermarktung wird nie die Batterie allein angemeldet, sondern immer die jeweils wirtschaftlichste Kombination aus Batteriespeicher und Gasturbine.

Entelios entwickelte für diesen Zweck ein System zur Herstellung von zwei virtuellen technischen Einheiten für SRL und PRL. Diese teilen sich Leistung und Kapazität aus Batterie und Gasturbine nach einem variablen Schlüssel, der von den jeweiligen Angebotsleistungen für SRL und PRL abhängt.

„Das Konzept des Hybridkraftwerks ist wie ein Jungbrunnen für in die Jahre gekommene Kraftwerke, denn es bietet ihnen einen neuen Zugang zu dem sich ständig verändernden Marktumfeld“, sagt Georg Gallmetzer, Geschäftsentwickler bei Entelios. „Es ist hervorragend an die Volatilität der Regelleistungsmärkte angepasst und hilft, Einnahmen und Risiken bestmöglich zu streuen.“

Der 16-Megawatt-Großspeicher ist nicht das erste innovative Speicherprojekt, das AÜW in seinem Netz betreibt. Zusammen mit Egrid, einem Gemeinschaftsunternehmen von Siemens und AÜW, wurden bereits fünf Batteriegroßspeicher installiert. Sie stabilisieren das Stromnetz der Allgäu Netz. Ein weiteres Speicherprojekt von AÜW kombiniert ein Mieterstromprojekt in Kempten mit Second-Life-Batterien aus der Automobilindustrie. Elsa ist ein Projekt, das AÜW mit Partnern in drei europäischen Städten umsetzt.

Umfangreiche Erfahrungen gesammelt

Mit dieser adaptiven Optimierung der Verteilnetze wurden in den vergangenen Jahren erste Einsparungen realisiert. Speicheranwendungen unterstützen das innovative Netzmanagement bei AÜW bereits an verschiedenen Stellen. Der neu in Betrieb genommene Großspeicher ist die logische Fortsetzung der Innovationspolitik des Allgäuer Versorgers.

Auch bei Smart Power sieht man die Entwicklung positiv, denn Speicheranwendungen werden rapide zunehmen. Doch aufgrund der Nachfrage aus dem Automobilsektor arbeiten inzwischen alle Zellhersteller an der Kapazitätsgrenze.

Preise sinken in zwei Jahren

Erst in zwei bis drei Jahren, wenn neue Produktionskapazitäten aufgebaut sind, wird sich die Situation entspannen. Die aktuelle Stagnation der Preise stellt nach Ansicht von Smart Power keinen Engpass dar, denn intelligente Einsatzfälle bei Energieversorgern, Stadtwerken und in Industriebetrieben sind bereits in vielen Fällen wirtschaftlich.

Die nächsten Kostensenkungen werden kommen. Denn weltweit werden derzeit zahlreiche Zellfertigungen geplant oder in Betrieb genommen. Bis 2020 rechnet man mit Fertigungskapazitäten von 176 Gigawattstunden pro Jahr gegenüber 28 Gigawattstunden im Jahr 2016.

www.auew.de

Das Autorenteam

Hans Urban

Business Development, Smart Power

Georg Gallmetzer

Senior Manager Business Development, Entelios AG

Bernd Brennauer

Leiter technische Anlagen, Allgäu Netz

Thorsten Häusler

Projektleiter und Leiter Erzeugung, Allgäuer Überlandwerk

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