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Alpine Gefahren im labor

Schneelastschäden werden oft erst im Frühjahr sichtbar, wenn das Dach wieder frei ist, um solaren Strom und Wärme zu erzeugen. Im besseren Fall ist nur die Solaranlage beschädigt. Nicht selten gibt es aber auch Schäden am Dach, insbesondere bei Aufdachanlagen, wo Ziegel durch den Schneedruck brechen können. So geschehen auch im Winter 2012/2013, als in besonders betroffenen Regionen der Schweiz bis zu 50 Prozent der installierten Solaranlagen beschädigt wurden.

Im Auftrag des Schweizer Bundesamtes für Energie und in Zusammenarbeit mit dem Dachverband der Gebäudeversicherungen hat das Institut für Solartechnik SPF in Rapperswil ein Verfahren entwickelt, das eine realistische Bewertung der Schneelastbeständigkeit von Photovoltaiksystemen ermöglicht.

Die Mängel der Normprüfung

Zusammen mit der Vereinigung Kantonaler Gebäudeversicherungen VKG (www.vkg.ch) hat das Institut für Solartechnik SPF schon vor einigen Jahren die Situation analysiert und festgestellt, dass die Prüfnormen nicht für eine Bewertung der Schneelastsicherheit von Solaranlagen in erhöhten Lagen mit großen Schneelasten geeignet sind.

Das gilt für Photovoltaikanlagen und thermische Solaranlagen gleichermaßen. Im Flachland sind Schneelastschäden kaum bekannt, obwohl die internationalen Normen auch da keine aussagekräftigen Werte liefern können.

Nach Ansicht der Solartechniker vom SPF haben die Normprüfungen folgende Mängel:

  • Die Prüflasten sind oft zu klein.
  • Die Prüflast wird nur senkrecht aufgebracht, die Dachneigung ignoriert.
  • Die Prüflast wird nur kurzfristig aufgebracht. Schnee liegt aber über Tage und Wochen.
  • Die Prüflast wird einmalig aufgebracht. Eine Anlage durchläuft in ihrer Lebenszeit aber Hunderte von Be- und Entlastungszyklen.
  • Sowohl der Unterbau als auch die Befestigungselemente werden in der Produktprüfung kaum beachtet.
  • Es werden immer einzelne Kollektoren und Module geprüft. Bei größeren Kollektoren wird oft nur ein „Musterkollektor“ geprüft, weil die Testanlagen zu klein sind.

Dies führt dazu, dass die maximal zulässige Schneelast einer Solaranlage oft überschätzt wird.

Hangabtrieb nachbilden

Um die Anforderungen an eine realistische Prüfung zu erfüllen, entwickelten die Prüfingenieure des SPF ein neues Verfahren. Das größte Problem bestand darin, den Hangabtrieb nachzubilden, der durch den festgefrorenen Schnee erzeugt wird.

Das neue Verfahren beruht darauf, die Kräfte auf den Prüfling nach Richtung getrennt aufzubringen. Die senkrechten Kräfte auf das Element werden mit speziell dafür entwickelten Luftkissen aufgebracht. Mit einer genauen Regelung des Druckes kann so jede beliebige Belastung aufgebracht werden, auch wenn die Oberfläche uneben ist, wie es zum Beispiel bei überlappenden Solarmodulen oder bei Vakuumröhrenkollektoren der Fall ist.

Um die Hangabtriebskräfte aufzubringen, werden flexible Haftbänder aufgelegt. Diese sind mit einer eigens dafür entwickelten, stark haftenden Silikonmischung beschichtet. Dadurch halten diese Bänder auf der glatten Oberfläche der Module und Kollektoren, die Glasabdeckung wird aber nicht beeinflusst und auch nicht verstärkt oder versteift.

Flexible Haftbänder für die Kräfte

Diese Bänder werden dann mit Seilwinden parallel zur Oberfläche der Elemente bewegt. Mit dieser Aufteilung der Kräfte ist es einerseits möglich, fast jede beliebige Dachneigung zu emulieren, und gleichzeitig lässt sich sicherstellen, dass sich die Kräfte immer richtig auf das Element verteilen, selbst dann, wenn es bereits durch die einwirkende Schneelast deformiert wurde.

Prüfung bildet 30 Jahre Belastung ab

Für die Bewertung der Schneelastbeständigkeit wurde ein Prüfprogramm entwickelt, das eine Lebensdauer von etwa 30 Jahren nachbildet. In dieser Zeit muss mit häufigem, aber schwachem Schneefall gerechnet werden.

In einzelnen Jahren wird deutlich mehr Schnee auf der Anlage liegen, und einmal in dieser Zeit wird die von den Gebäudenormen angenommene maximale Schneelast erreicht. Dadurch ergibt sich ein zyklisches Prüfprogramm mit zunehmend höheren Lasten.

Diese wechselnden Lasten werden in ein Prüfprogramm von etwa drei Wochen Dauer zusammengefasst. Der Hersteller wählt die Einsatzgrenzen bezüglich maximaler Schneelast und Dachneigung für sein Produkt. Nicht jedes Produkt muss auch für den extremsten Winter im Hochgebirge geeignet sein. Es ist viel wichtiger zu wissen, wo die Einsatzgrenzen sind.

Um die Vorgänge, die zum Schaden führen, besser verstehen zu können, wird bei der Prüfung immer auch die Deformation an den Elementen gemessen und es werden dazu passende Zeitrafferfilme erstellt. Damit hat der Hersteller die Möglichkeit, die Schwachpunkte an seiner Konstruktion zu identifizieren und möglichst auch zu beheben.

Deformation wird gemessen

Das Solarmodul wird immer mit einem genau definierten Unterbau und dem Original-Montagematerial des Herstellers geprüft. Ebenso wird der Prüfling auf einem richtigen Dachunterbau mit Holzlattung aufgebaut, um eine möglichst realistische Situation nachzubilden.

Für Aufdachanlagen kann auch ein Ziegeldach als Unterbau aufgebaut werden. Die Erfahrung zeigt, dass nicht allein die Module oder die Montageteile ausschlaggebend sind. Oft ist es auch eine besonders ungünstige Kombination von Modul und Montageteil, die letzten Endes den Schneelastschaden ermöglicht. Bei überlappenden Modulen hat sich außerdem gezeigt, dass oft das obere Modul auf ein unteres Modul drückt und so den Schaden auslöst. In dem Fall ist es also notwendig, mindestens zwei übereinander liegende Module gemeinsam zu prüfen.

Realistische Montagesituation

Aus diesem Grund ist die alleinige Produktprüfung an einem einzigen Modul oder an einem Kollektor wenig hilfreich. In den Zertifikaten des neuen Prüfverfahrens wird darum immer das Modul zusammen mit der Montagesituation mit abgebildet.

Das Prüfverfahren wurde in einem Projekt des Bundesamtes für Energie validiert, in dem mehrere reale Schadensfälle auf der Anlage nachgebildet wurden. Dabei ist es auf dem Prüfstand in allen Fällen bei gleichen Lasten zu identischen Schadensbildern gekommen. Das Verfahren ist damit auch in den akkreditierten Bereich des SPF-Prüflabors aufgenommen worden.

Prüfung ist keine Pflicht

Aktuell können Photovoltaikmodule und thermische Kollektoren mit einer Feldgröße bis etwa 16 Quadratmeter mit einer Last von bis zu 20.000 Pascal und einer fast frei wählbaren Dachneigung geprüft werden.

Bislang gibt es keine Verpflichtung zur Durchführung einer Prüfung, auch wenn dadurch Schneelastschäden verhindert werden könnten. Die Versicherungen machen mittlerweile aber Vorbehalte geltend, wenn die Anlagen den von den Gebäudenormen vorgegebenen Lasten offensichtlich nicht standhalten können.

In den meisten Gebieten ist Schneelast aber absolut kein Problem, da die meisten Kollektoren und Module mittlerweile mit 2.400 Pascal geprüft werden, einige auch mit höheren Lasten.

Vergleicht man diese Zahl mit den Werten aus der Schneelasttabelle, ist allerdings auch leicht ersichtlich, wo die Grenzen der Normprüfung liegen. Für Anlagen im Flachland ist die Normprüfung ausreichend, auch wenn die Dachneigung nicht berücksichtigt wurde. In erhöhten Lagen sind aber nicht mehr alle Systeme geeignet.

Insbesondere muss dabei berücksichtigt werden, dass die Normprüfung eigentlich eine zu hohe Schneelastbeständigkeit attestiert, weil die anfangs erwähnten Faktoren bei der Prüfung überhaupt nicht berücksichtigt werden. Diese Werte aus den Normprüfungen sind also mit entsprechenden Vorbehalten zu interpretieren.

Register listet Prüfergebnisse

Die mit dem neuen, am SPF entwickelten Verfahren zertifizierten Produkte werden in einem Schneelastregister beim Prüflabor und beim Dachverband der Schweizer Gebäudeversicherungen veröffentlicht. Der Planer einer Solaranlage muss nur noch sicherstellen, dass die zu erwartenden Schneelasten richtig bestimmt werden. Dann können aus dem Register auch die geeigneten Produkte ausgewählt werden. Sollte es dann wider Erwarten doch zu einem Schaden kommen, wird es mit Sicherheit keine Probleme mit den Versicherungen geben, sofern die Anlage richtig aufgebaut wurde.

Schwachstellen erkannt

Tatsächlich sind bisher erst wenige Produkte in dem Register zu finden. Einer der Gründe ist der, dass einige Hersteller bei der SPF-Prüfung ihrer Produkte deutliche Schwachstellen erkannt haben und die erreichten Werte so nicht publizieren mögen.

Es gibt auch Hersteller, die von sich aus auf diese Zertifizierung verzichten, weil sie keine Anlagen in erhöhten Lagen bauen wollen. Die Gebiete mit erhöhten Schneelasten sind für die meisten Hersteller ein Nischenmarkt.

Insofern macht es noch viel mehr Sinn, bei der Planung einer Anlage in besonderen Lagen die Produkte zu berücksichtigen, die bereits zertifiziert sind.

Deren Hersteller haben sich bereits eingehend mit dem Thema befasst und kennen die Grenzen ihrer Produkte sehr genau. Eine Win-win-Situation für alle beteiligten Parteien, wenn nur Anlagen gebaut werden, die den zu erwartenden Lasten standhalten.

Auf der sicheren Seite

Der Anlagenbesitzer hat weniger Ärger, die Versicherung hat weniger Schäden, der Hersteller und der Installateur sind auf der sicheren Seite. Das Gute dabei: Der Kollektor und das Modul müssen dadurch nicht teurer werden.

www.spf.ch

Schweizer Norm SIA 261

Schneelast hängt von der Höhe ab

Die maximale Schneelast auf einem geneigten Dach wird in den nationalen Gebäudenormen definiert und für jedes Gebäude individuell bestimmt. Sie wird für eine wahrscheinliche Wiederkehrperiode von 50 Jahren berechnet und ist auch für Solaranlagen gut anwendbar. Die zu erwartenden Schneelasten sind in der Schweizer Norm SIA 261 vorgegeben und abhängig von der Höhe über Meer.

Weil es in höheren Lagen häufiger schneit, steigen die zu erwartenden Schneemengen und damit die Schneelasten. In einer Höhe von 1.700 Meter über dem Meer ist beispielsweise laut Tabelle mit einer Last von 9,48 Kilonewton pro Quadratmeter auf horizontalem Grund zu rechnen.

Die Werte in der Tabelle für die verschiedenen Schneearten illustrieren, was das an Schneemenge bedeuten würde, denn Altschnee oder Nassschnee wiegen viel mehr als Neuschnee. Vereinfacht gesagt: Zwei Meter Neuschnee führen zu einer Schneelast von rund zwei Kilonewton. Die gleiche Höhe Altschnee ergibt jedoch eine Last von sieben Kilonewton.

Dabei wird sichtbar, dass selbst Module mit einer Schneelastbeständigkeit von 7.000 Pascal an bestimmten Installationsorten versagen können. Deshalb ist es von Vorteil, für solch extreme Bedingungen ein Produkt zu verwenden, das dem speziellen Prüfverfahren unterzogen wurde.

Der Autor

Dr. Andreas Bohren

leitet seit 2002 das Prüflabor für Solarthermie des Instituts für Solartechnik SPF an der Hochschule für Technik in Rapperswil (Schweiz).

Seit 2014 trägt er als Convenor die Verantwortung für die CEN- und ISO-Normen für thermische Kollektoren. Seit 2018 ist er Chairman des Solar Keymark Networks. Außerdem ist Bohren Vorstandsmitglied des Schweizer Branchenverbandes Swissolar.

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