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Demokratie auf der Kippe

Das ist kein Spiel, hier geht es um die künftigen Lebensbedingungen in unserem Land. Um würdevolles Dasein als Mensch auf Erden. Wir streiten doch nicht über die Braunkohle, weil wir Tagebaue hässlich finden. Das ist kein ästhetisches Problem! Wir streiten uns um saubere Energien, weil Kohlekraftwerke die Umwelt mit Schwermetallen (Blei, Kadmium) verseuchen, weil das Kohlendioxid aus den Schloten global die Atmosphäre aufheizt und weil die Säure aus den Abraumhalden unser Grundwasser vergiftet.

Ich frage die verantwortlichen Politiker in den Landesregierungen, beim Bund, bei der Europäischen Kommission: Wann sind Sie bereit, die Energiewende aktiv voranzutreiben? Wann geben Sie endlich Ihre Blockadehaltung auf? Wenn eine Stadt wie Berlin unter Notstandsversorgung gestellt werden muss, weil die Spree zum sauren Tümpel verkommen ist? Wenn sich das Wasser unserer Seen rostbraun färbt, wegen des ausfallenden Eisens, mit dicken Schwefelkristallen an den Ufern?

Ich frage Sie, dort in Brüssel, in Berlin, in Potsdam, Düsseldorf und Magdeburg: Warum machen Sie sich zu Lakaien der Großkonzerne, die ihre schmutzigen Kraftwerke nicht aufgeben wollen? Die die Energiewende verschlafen haben, und nun der Photovoltaik, Windkraft und Stromspeichern hinterher hecheln. Die im Grunde genommen nichts anderes tun, als die Grundlagen des menschlichen Lebens zu zerstören – um ihren Aktionären die Taschen zu füllen.

Müssen wir wirklich den Spruch aus den 80-iger Jahren wieder auf Plakate, Rucksäcke und Hauswände schreiben? Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet Ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.

Wir streiten uns nicht um Atommeiler, weil ihre Kuppen die Landschaft stören. Wir haben ja auch nichts gegen Moscheen oder Kirchen. Wir sind gegen die Reaktoren, weil sie tickende Bomben sind, an denen der Zahn der Zeit nagt. Weil die Konzerne bei der Planung und bei Bau dieser nuklearen Höllenmaschinen nachweislich geschlampt haben, jedes Risiko ignorierend.

Ich frage die Verantwortlichen, die ich einmal gewählt habe: Muss wirklich erst in Tihange eine radioaktive Wolke aufsteigen, bis diese Dinger verboten werden? Muss erst in Cattenom der Druckbehälter platzen, bis die zuständigen Aufsichtsbehörden aktiv werden?

Ich bin sauer, wie viele Menschen in diesem Land. Viele der Unzufriedenen werden von ihrer Wut und Ihrem Ärger überrollt. Sie erleben die Stagnation, erleben Politiker, die sich ungeniert die Taschen füllen und mit den Konzernen kungeln, sehen, wie die Chancen unserer Zeit verspielt werden. Die Leute sind doch nicht blöd, die kriegen doch mit, was da läuft!

Doch viele finden keinen anderen Ausweg, als sich einer Partei wie der AfD zuzuwenden. Das kann man als Notwehr verstehen. Auch wenn sie nicht kapieren, dass die AfD das bestehende System auf die Spitze treibt, es geschickt ausnutzt, um die alte Kungelei noch unverhohlener fortzusetzen. Deshalb steht im Parteiprogramm der AfD nichts, was wirklich neu oder modern ist. Sie ist genauso rückwärts gewendet wie ihre historischen Vorbilder. Sie ist nichts als Wut, Hass und Vorurteil. Sie ist das Ende der Demokratie.

Darum geht es hier: um den Fortbestand der Demokratie. Es hat überhaupt keinen Sinn, sich mit hohlen Phrasen gegen die AfD zu wenden. Denn es waren die so genannten demokratischen Politiker der so genannten demokratischen Parteien, die dieses Monster selbst geschaffen haben. Jetzt gegen die neue Frustbewegung zu wettern, ist heuchlerisch, vielleicht naiv, auf alle Fälle verschenkte Zeit. Zu oft haben sie die Menschen getäuscht, enttäuscht, haben dieselben hohlen Phrasen benutzt, um die Energiewende zu ersticken oder Stimmung gegen die Flüchtlinge zu machen. Die AfD ist ein Monster, das unsere demokratischen Parteien gezüchtet haben.

Sie kommt nur aus der Welt, wenn sich die Politik ändert. Wenn sich unsere Politiker daran erinnern, warum sie gewählt wurden. Warum ihnen Macht verliehen wurde, ausgeliehen, als Vorschuss an Vertrauen. Die AfD kann nur verschwinden, wenn die bürokratische Lethargie des politischen Apparates überwunden wird. Unsere Politiker gestalten nichts mehr, nicht wirklich.

Was, bitte, hat der Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) in der ablaufenden Legislaturperiode wirklich neues in die Welt gebracht? Medienwirksam stellt er sich hinter die Stahlkonzerne, deren Zeit ohnehin abläuft. Fast winselnd spricht er davon, den arg gebeutelten Energiekonzernen „Luft zu verschaffen“, damit sie nicht sofort von der Bildfläche verschwinden. Dieser Mann ist den ganzen Tag nur damit befasst, überholte Wirtschaftsstrukturen zu konservieren, Geschäftsmodelle zu retten, die längst erledigt sind. Eigentlich müsste er sich darum kümmern, den Stahlkochern und den Kumpels neue Wege zu öffnen. Ihre Berufe gibt es bald nicht mehr, die Unternehmen schrumpfen, stellen sich neu auf.

Genau diese Unfähigkeit durchzieht alle politischen Bereiche: Die Politiker in Bund und Ländern (und in Brüssel) sehen ihre Aufgabe derzeit einzig und allein darin, die alten Strukturen, Institutionen und Systeme zu retten. Sie mästen die Bürokratie, die ja nichts anderes kann, als bestehendes zu verwalten. Sie gaukeln den Menschen vor, dass es keinen Wandel gibt. Dass man ihn aufhalten kann. Dass man die Probleme schönreden, aussitzen und bürokratisch abhandeln kann. Das ist nicht nur töricht, das ist gefährlich. Weil Politiker wie Herr Gabriel die Steigbügel halten, mit dem die AfD aufs hohe Ross klettert.

Sonnensteuer auf selbsterzeugten Solarstrom, vielleicht sogar Ökostromsteuer, wie vom Finanzminister vorgeschlagen. Seid Ihr denn völlig meschugge, Ihr dort oben? Mit einer solchen Politik muss man sich nicht wundern, dass Kräfte wie die AfD Oberwasser bekommen. Die entscheidende Frage ist: Wie lange wird es dauern, bis die wirklichen Demokraten bei den Grünen, in den Unionsparteien, bei den Liberalen und den Sozialisten aufwachen? Ob ein Politikwechsel überhaupt möglich ist.

Politik ist wandelbar. Das haben Mahatma Gandhi bewiesen, oder Martin Luther King. Willy Brandt und Egon Bahr haben es mit der „neuen Ostpolitik“ versucht – und es gelang! In unserer Generation war es Michail Gorbatschow im Kreml, der mit Glasnost und Perestroika die Politik des Kalten Krieges beendete. Für ihn war Tschernobyl ein Schlüsselerlebnis, das ihn zum Ökologen machte. Der Japaner Naoto Kan war Regierungschef in Tokio, als imMärz 2011 die Erde bebte und die Reaktoren von Fukushima explodierten. Mittlerweile ist er ein scharfer Gegner der Atomenergie, wendet sich sogar gegen frühere Parteigenossen, die eine Renaissance der Atommeiler wünschen.

Für ihn, für uns und viele Menschen auf der Welt ist klar: Die Energiewende rollt, überall. Wer sich dagegen stellt, riskiert die Demokratie. Das zeigt die AfD in Deutschland, das zeigt die FPÖ in Österreich. Denn die Großkraftwerke haben ökonomisch und ökologisch keine Zukunft. Um das Geld der Aktionäre von Eon oder RWE sorge ich mich nicht, weil Geld immer neue Wege findet. Es ist in höchstem Maße erfinderisch, Bürokraten hingegen niemals. Das ökonomische System des Westens fördert Kreativität, zum Glück, und die Energiewende ist mittlerweile ein ökonomischer Trend geworden.

Doch, aber! Der Schaden am politischen System, der Vertrauensverlust der Menschen in ihre gewählten Vertreter könnte sich als irreparabel erweisen. Zu leicht schlägt die Enttäuschung über die etablierten Parteien in Hass um, der sich gegen die Fremden, gegen die Ökos, gegen Fahrradfahrer oder sonst wen wendet. Deshalb meine Frage: Wie lange wollen es sich unsere Politiker noch erlauben, diesen Hass zu züchten? Denn der Frust kommt von ihnen. Es ist die Wut, die geballte Faust in der Tasche über immer neue, widersinnige Vorschläge der Bürokraten.

So lange sich Sigmar Gabriel nicht schämt, mit den Energiekonzernen zu kungeln, steht die Demokratie auf der Kippe. Solange Bundeskanzlerin Angela Merkel den Menschen in diesem Land nicht die Wahrheit über TTIP sagt, steht die Demokratie auf der Kippe. Solange Finanzminister Wolfgang Schäuble seine Bürokraten nicht an die Kette legt und die Strafsteuer nebst Ökostromsteuer auf Solarstrom zurückpfeift, steht die Demokratie auf der Kippe.

Denn wenn es in unserem politischen System nicht möglich ist, auf die drängende Weltveränderung, auf existenzielle Probleme wie die Klimakatastrophe oder die Flüchtlingsströme oder die Armut (die alle zusammenhängen) in moderner und lebensgerechter Weise zu antworten, brauchen wir dieses System nicht. Dann brauchen wir solche Leute nicht, der Wähler wird sie allesamt in die Verbannung schicken.

Dann ist diese Art der Demokratie am Ende, historisch gesehen. Mit der offenen Frage, wie es weitergehen kann.

Zum Kampf um die Photovoltaik und die Energiewende hat der Autor einen packenden Roman geschrieben: „Zen Solar“, soeben erschienen im Berliner Cortex Unit Verlag. Leseproben und Details finden Sie hier.