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Werders Zukunft ist grün

Hunderte Reihen grüner Sitzschalen türmen sich auf dem Parkplatz. Im Inneren graben zwei 20 Meter hohe Bohrschnecken Löcher in die Erde, Betonmischer befüllen Schalungen für die Fundamente der neuen Tribüne. Der Rasen leuchtet im gewohnten Grün, doch sonst ist hier nichts mehr, wie es war. So entmaterialisiert haben die Bremer ihr Weserstadion noch nie erlebt.

Die komplett demontierte Westkurve gibt den Blick auf die Weser frei. Auf der Südseite bekommen die Spaziergänger bereits einen Eindruck vom zukünftigen Erscheinungsbild des Bremer Sporttempels. Den prägt ein gigantischer Photovoltaikvorhang.

Die Gebäudeintegration von Photovoltaik ist nach wie vor ein Nischenmarkt.

Dementsprechend entstehen bei den meisten Projekten kleine, feine Anlagen. Sie produzieren nicht wahnsinnig viel Strom, setzen dafür aber ein Zeichen für die Energiewende und bescheinigen dem Eigentümer ein grünes Bewusstsein. Hier in Bremen hingegen werden Superlative aufgelegt. Im Zug der Umbauarbeiten am Weserstadion entsteht ein architektonisch integriertes Kraftwerk mit einer Leistung von 1,2 Megawatt. Die größte gebäudeintegrierte Anlage in Deutschland. Dafür hat die Weser-Stadion GmbH frühzeitig ihre Sponsoren EWE und SWB mit ins Boot geholt. Die beiden regionalen Energieversorger finanzieren die Solarstromanlage und werden diese auch betreiben.

„Das ist eine glückliche Fügung, dass sich im richtigen Moment zwei Partner gefunden haben“, sagt Wilfried Rehling, Bauherrenvertreter der Weser-Stadion GmbH. Lange schon wollte die Stadt Bremen, die zur Hälfte am Weserstadion beteiligt ist, das Stadiondach zur Solarstromerzeugung freigeben. Einige private Investoren hatten bereits ein Auge auf die großen Dachflächen geworfen. Doch die Statik des während der letzten 90 Jahre immer wieder umgebauten Stadions ließ eine PV-Installation nicht zu. Erst der aktuelle Komplettumbau vom multifunktionalen Sportstadion zur Fußballarena ermöglicht die Integration von Solarstrommodulen im großen Stil. Anstatt die Flächen einem privaten Betreiber zu überlassen, legte die EWE lieber selber Hand an. Mit der Aussicht, mit einer architektonisch anspruchsvollen Anlage zu punkten, wie bereits 2006 mit der EWE-Arena in Oldenburg.

Zügig erklimmt Michaela Wiesing das Baugerüst an der Ostfassade des Stadions. In 20 Meter Höhe steigt die große, blonde Frau über Bündel von Kabelsträngen, die sich provisorisch über die Dachfläche nach unten zu den Einspeisepunkten ziehen. Die gelernte Architektin ist die verantwortliche Photovoltaikplanerin der Firma Solar Engineering aus Hannover, die die Anlage im Auftrag der Investoren geplant hat. „Der erste Bauabschnitt wird gerade abgeschlossen“, erklärt die 39-Jährige. Anfang 2011 sollen Stadion und Photovoltaikanlage dann komplett fertiggestellt sein.

Die neue, höher gelegene Dachkonstruktion auf den geraden Seiten des Stadions vermittelt schon einen Eindruck davon, wie sehr der Innenraum sich verändern wird. Mehr Luft und Licht auf den Tribünen mit Blick von innen auf die Photovoltaikfassade. Weitere acht Meter höher schweift der Blick über Dünnschichtbahnen und zwei Reihen semitransparenter Module hinüber zum Stadtzentrum.

Drei unterschiedliche Photovoltaikkonstruktionen finden ihren Platz in der Hülle des umgebauten Weserstadions – die ästhetische, die wirtschaftliche und die neuartige. „Die Aufteilung in drei Anlagenteile haben wir bewusst so gewählt, um Erfahrungen mit verschiedenen Produkten zu sammeln“, erklärt Ulf Brommelmeier, Projektleiter der EWE für die Photovoltaik am Weserstadion. Dabei bilden die Photovoltaikmodule immer einen konstruktiven Bestandteil des Gebäudes, das heißt: Werden die Module entfernt, fehlt die Gebäudehülle.

Der ästhetische Teil der Photovoltaikanlage umhüllt das Stadion von Ost nach West und empfängt die Fußballfans. Die konisch zulaufende, halbtransparente Glashaut wirkt textilartig, fast wie gewebt. Sie fasst das zergliederte Stadion zu einem homogenen Bauwerk zusammen. Die dahinterliegenden Baukörper sind durch diesen Vorhang hindurch schemenhaft zu erkennen. Auch oberhalb der Ränge lässt die frei hängende Fassade Licht in den Zuschauerraum.

Konische Fassadengeometrie

„Die Gewerkegrenze verläuft an den Einlegeprofilen“, erklärt Michaela Wiesing. Die Stahl-Pfosten-Fassadenkonstruktion baut das Unternehmen Wurst aus Bremen. Sie hängt an riesigen Betonpfeilern, die auch die Unterkonstruktion des neuen Stadiondachs tragen. Auf den Stahlpfosten montieren die Solarteure die Befestigungsprofile, die die Module aufnehmen. Trotz der um 15 Grad geneigten, konisch zulaufenden Fassadengeometrie haben die Planer trapezförmige Module vermieden. Die wären nämlich teuer geworden. Mit einem Trick bilden sie auch mit den rechteckigen Glas-Glas-Modulen von Schüco die zulaufende Form aus. Dafür werden die Module bei gleicher Zellbelegung nach oben hin immer etwas schmaler und zudem unterschiedlich weit in die Einlegeprofile eingespannt.

Vier bis fünf Installateure bestückten die Südfassade im Frühjahr mit den Glaselementen, von einem Kran aus, mit Ansaugnäpfen. Denn jedes Element bringt 90 Kilogramm auf die Waage. „Am Anfang waren sie sehr vorsichtig und wurden dann immer schneller, je weiter die Fassade fortschritt“, berichtet Wiesing. Der März mit seinem teilweise sehr stürmischen Wetter hätte ihnen beinahe einen Baustopp beschert.

Der wirtschaftliche Teil der PV-Anlage bleibt für die Stadionbesucher unsichtbar. Dafür werden die Fernsehzuschauer das Werder-Stadion bald nicht nur an den vier Flutlichttürmen, sondern auch an den dunklen, symmetrisch angeordneten Photovoltaikflächen auf dem weißen Dach erkennen. 523 Kilowattpeak in Form von Alwitra-Folien werden die Dachflächen abdichten. 199 Kilowatt der flexiblen Dünnschichtmodule sind bereits auf der Nord- und Südgeraden verlegt und ans Netz angeschlossen. Die Westkurve wird im Frühjahr 2010 folgen.

Und Nummer drei – die neuartige PV-Konstruktion ist immer während des Spiels präsent. Als zusätzliche Überdachung des Innenrings. Dieses sieben Meter breite, semitransparente Dach konnte aus statischen Gründen nicht mit Glas-Glas-Modulen ausgeführt werden, da die auskragende Stahlunterkonstruktion das hohe Gewicht nicht aufnehmen kann. Deshalb suchten die Planungsbeteiligten nach einer Leichtbauvariante. Und wurden bei Sunplastics aus Elsenfeld am Main fündig. Geschäftsführer Andreas Wöll baut seit zwölf Jahren Photovoltaikmodule auf Basis von Kunststoffplatten, unter anderem für Bushaltestellen oder Ausflugsschiffe. Für die Überdachung des Weserstadions stellt seine Firma Module aus einer transparenten Deckplatte aus Vollkunststoff und einer Kunststoffstegplatte auf der Rückseite her. Das Polycarbonat, genannt Makrolon, kommt von der Bayer AG.

Zwischen beiden Makrolon-Platten werden kristalline Zellen in Silikongel eingebettet und versiegelt. Da die Dachkonstruktion sich nach dem Altbau richten muss, sind die Abstände der Modulträger nicht exakt gleich. Deshalb haben die Module unterschiedliche Breiten, allerdings bei gleicher Zellenbelegung. Für die Zwickel in den Kurvenbereichen fertigt Sunplastics Sondermodule an. Damit sie ganz genau passen, bestellte Solar Engineering die Module erst, nachdem die Geraden ausgeführt waren. Für die einheitliche Optik werden diese Dummys mit echten Zellen bestückt, aber nicht verschaltet. Die Anlage auf dem Weserstadion wird mit einer Leistung von 233 Kilowattpeak die erste netzgekoppelte Solarstromanlage mit Kunststoffmodulen sein.

Photovoltaik ansprechend in die Architektur eines Neubaus einzufügen, verlangt bereits viel Planungsgeschick. Beim Weserstadion kommt erschwerend der Umgang mit der Altsubstanz hinzu. Denn die eigentliche Herausforderung des Umbaus liegt im Zusammenfügen von Alt und Neu. „Seit Anfang des letzten Jahrhunderts wurde das Stadion immer wieder umgebaut und erweitert. Dadurch ist es nicht symmetrisch, sondern sozusagen krumm und schief“, weiß Ulf Brommelmeier von der EWE. Besondere Aufmerksamkeit verlangen die Anschlusspunkte, besonders in der Fassade.

Da es sich um alte Bausubstanz handelt, müssen die Planer jederzeit reagieren können, wenn unvorhergesehene Änderungen auftreten.

Und davon gab es nicht wenige. Für die Kabelführung der Wechselstromleitungen wollte Michaela Wiesing ursprünglich einen vorhandenen Kabelkanal nutzen. Wie sich während des Baus herausstellte, konnte er jedoch nicht erhalten werden. Hinzu kommt, dass die Kabel der Wechselstromleitungen sich durch alle drei Bauabschnitte ziehen. Selbst die Provisorien wollen gut durchdacht sein. Die 40 Zentimeter breiten Kabelkanäle müssen ihren Weg durch das Gebäude erst noch finden. Das betrifft auch den Elektriker. Der kann den ersten Bauabschnitt nicht abnehmen, weil die Kabel noch gar nicht entgültig verlegt sind.

Die Energieversorgung spielt bei der Modernisierung des Weserstadions eine zentrale Rolle. Deshalb soll Technik sichtbar sein. Die Wechselrichter erhielten dafür eine Sonderbehandlung. Auf der Südseite oberhalb der Zuschauerränge ordnete der Architekt acht Bühnen für die SMA-Geräte an. Doch der Farbton war den Werdianern sofort ein Dorn im Auge. „Bei rot denkt jeder Werderfan ja

sofort an den Erzrivalen. Wir haben die Abdeckung schließlich grau spritzen lassen“, sagt Wiesing.

Wahrzeichen des Weserstadions sind die vier Flutlichtmasten. Sie werden auch nach dem Umbau erhalten bleiben. Je 59 Strahler à 2.000 Watt werfen ihr Licht aus 61 Meter Höhe auf das Spielfeld. Dementsprechend setzt sich der Stromverbrauch des Stadions zusammen aus einer relativ geringen Grundlast und ernormen Spitzen – immer dann, wenn das Flutlicht angeht. 2,2 Millionen Kilowattstunden schlugen 2008 insgesamt zu Buche. Knapp die Hälfte davon leistet in Zukunft die Sonne. „Für uns ist das keine Marketingblase“, betont Ulf Brommelmeier von der EWE. „Wir sehen das als Aufbau von Know-how.“ Auf der Suche nach geeigneten Photovoltaikprodukten konnte Brommelmeier den Markt sondieren und dabei zahlreiche Firmen kennen lernen. Trotz des hohen Integrationsgrades entsteht in Bremen eine wirtschaftliche Anlage. „Wir verbrennen kein Geld damit. Die Anlage kann sich selbst tragen und bildet gleichzeitig die Gebäudehülle.“ Mit ihrem überzeugenden Engagement für erneuerbare Energien hebt sich die EWE als Nummer fünf angenehm ab von den vier großen Energielieferanten in Deutschland. Brommelmeier, der schon viele andere Photovoltaikprojekte für die EWE betreut hat, wünscht sich allerdings noch bessere Bedingungen für die PV am Bau. „Die Hürde, Photovoltaik einzuplanen, ist immer noch zu groß. Die liegt nicht nur an der Investitionssumme, sondern maßgeblich im Planungsaufwand.“ Deshalb sein Appell an die PV-Branche: Die Unsicherheiten der Planer müssen beseitigt werden. Man sollte einen Baukatalog aufschlagen können und neben den Dachziegeln die PV-Elemente finden.

Die neue Hülle des Weserstadions jedenfalls überzeugt heute schon die Zweifler. „Am Anfang waren alle sehr skeptisch, wie die Photovoltaikfassade wirken würde“, erzählt Michaela Wiesing schmunzelnd. „Aber jetzt finden sie die PV-Ansicht super und können sich gar nicht vorstellen, dass der Nordbereich anders aussehen könnte.“

Anlagendaten

Photovoltaikanlage am Bremer Weserstadion

1. Bauabschnitt (abgeschlossen)Dachfläche der Süd- und Nordgeraden, Außenfassade Süd und Ost; Nennleistung 744,941 kWp

2. und 3. Bauabschnitt 2009 - 2011Dachfläche der West- undOstkurve, Außenfassade West; Nennleistung 530,176 kWp

Leistung ingesamt: 1.275,117 kWpErrechneter Ertrag: >900.000 kWh pro Jahr

Verteilung auf drei Anlagenteile:

523 kWp Dünnschicht-PV-Module, Alwitra/Unisolar Evalon V-Solar

233 kWp semitransparente Polycarbonatelemente mit integrierten Solarzellen, SunplasticsHöhe: 3.500 mm, Breite: von 878 mm bis 980 mm

519 kWp semitransparente Glas-Glas-PV-Module, SchücoHöhe: 2.475 mm, Breite: von 986 mm bis 1.154 mm

Einphasige Wechselrichter von SMA, Einspeisung ins Netz an drei Punkten

Photovoltaikplanung:

Solar Engineering, Hannover

Anja Riedel

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