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Lockruf aus Südtirol

Dass Südtirols Landeshauptstadt Bozen einen Flughafen hat, ist nur wenigen bekannt. Nur zwei Fluglinien steuern den Flughafen Bozen-Dolomiten überhaupt mit Linienflügen an. Für alle Photovoltaikinteressierten gibt es nun aber einen guten Grund, zumindest einmal mit dem Flugzeug anzureisen. Aus der Vogelperspektive können sie dann ein Testfeld betrachten, das seinesgleichen sucht.

Seit August vergangenen Jahres betreibt das Institut für Erneuerbare Energie der Europäischen Akademie Bozen (Eurac) auf einem nichtöffentlichen Teil des Flughafengeländes 39 Testanlagen mit insgesamt 24 Modultypen. Kristalline und Dünnschichtmodule von europäischen, US-amerikanischen, chinesischen und japanischen Herstellern beobachten die Eurac-Forscher hier auf ihre Leistung und Degradation. „Wir wollen Klarheit im Markt schaffen“, erklärt Institutsleiter Wolfram Sparber das Ziel. Sparber hat noch mehr vor im Bereich Photovoltaik, und damit ist er nicht der einzige in Südtirol. Die autonome Provinz im Norden Italiens hat bereits die höchste installierte Solarstromleistung je Einwohner in der ganzen Republik und will diese noch deutlich ausbauen. Ausländische Photovoltaikunternehmen, insbesondere deutsche, sind willkommen und werden aktiv angeworben.

Als Mitglied der Europäischen Union hat sich Italien verpflichtet, bis 2020 17 Prozent seines gesamten Energiebedarfs aus erneuerbaren Energien zu decken. 2009 waren gerade einmal 10,7 Prozent erreicht, errechnete die nationale Statistikbehörde ISTAT. Wasser-, Wind-, Solar- und Biomassekraftwerke decken etwa 18 Prozent des gesamten Strom verbrauchs. Davon stammen allein drei Viertel aus Wasserkraft. Das Ausbaupotenzial von Wasserkraftwerken gilt aber als erschöpft. Deshalb muss das Land von Ministerpräsident Berlusconi nun in andere erneuerbare Energietechnologien investieren, wenn es seine energiepolitischen Ziele erreichen will.

Säule im Energiekonzept

Photovoltaik ist eine Säule im Energiekonzept. Um den Zubau voranzutreiben, erließ die italienische Regierung 2005 das Förderprogramm „Conto Energia“. Doch erst die novellierte Fassung, das „Conto Energia II“, das von 2007 bis 2010 in Kraft war, sorgte dafür, dass Italien zu einem der attraktivsten Photovoltaikmärkte in Europa avancierte. Den größten Sprung machte der Markt im vergangenen Jahr. Ende Dezember gab Gestore dei Servizi Energetici (GSE), die für Photovoltaik zuständige Behörde des italienischen Wirtschafts- und Finanzministeriums, auf seiner Website bekannt, dass unter dem zweiten Conto Energia rund 117.300 Anlagen mit einer Gesamtleistung von 2.064 Megawatt in Italien am Netz sind. Im Jahr davor lag die gesamte installierte Leistung noch bei 730 Megawatt.

In den Jahren 2011 bis 2013 sollen 3.000 Megawatt installierte Photovoltaikleistung neu hinzukommen. Die Einspeisevergütung regelt das „Conto Energia III“, das die italienische Regierung per Dekret vom 6. August 2010 besiegelte. Demnach werden die Einspeisetarife schrittweise abgesenkt. Ein Einbruch des Marktes sei aber nicht zu befürchten, sagt Gregor Kosta, Berater bei der Business Location Südtirol (BLS) in Bozen. BLS ist eine Agentur für Standortmarketing und Betriebsansiedlungen in Südtirol, die Anfang 2009 ihre Arbeit aufnahm. „Die Tarife sind immer noch auf einem sehr hohen Niveau, außerdem scheint hier sehr viel Sonne“, ergänzt Kosta.

Bis Ende 2010 erhielten die Betreiber von Photovoltaikanlagen zwischen 35 und 47 Cent je Kilowattstunde Solar strom. Seit Januar 2011 liegt der maximale Fördersatz bei 44 Cent je Kilowattstunde. Er gilt für gebäudeintegrierte Anlagen, die mit innovativen Technologien errichtet sind und einen hohen ästhetischen Standard haben. Für zusätzlich zur Gebäudehülle angebrachte Anlagen (additive Anlagen) und Freilandanlagen sinken die Fördersätze im Laufe dieses Jahres in drei Schritten progressiv bis zu 27,5 Prozent. Für die Jahre 2012 und 2013 ist jeweils eine Absenkung des Tarifs um sechs Prozent geplant.

Darüber hinaus sieht das Dekret Sonderförderungen für bestimmte Anlagentypen vor. Betreiber von Anlagen in Gewerbegebieten erhalten beispielsweise fünf Prozent mehr Förderung, ebenso Anlagen von Gemeinden mit weniger als 5.000 Einwohnern. Spezielle Tarife gibt es für Strom aus Konzentratoranlagen. Die Tarife sind abgestuft. Anlagen mit einer Leistung bis 200 Kilowatt erhalten 37 Cent je Kilowattstunde. Für die Größenordnung 200 Kilowatt bis ein Megawatt gibt es 32 Cent, Anlagen über einem Megawatt erhalten 28 Cent. Wird die Leistungsobergrenze von 3.000 Megawatt vor dem 31. Dezember 2013 erreicht, so treten für Anlagen, die vor diesem Stichtag gebaut werden, Bestimmungen für eine Übergangsperiode von 14 Monaten für private Betreiber und 24 Monaten für öffentliche Betreiber in Kraft.

Besonders ambitioniert

Dass Südtirol die Ziele für die Nutzung der erneuerbaren Energien landesweit am höchsten gesteckt hat, haben die Aktiven nun sogar schwarz auf weiß. „Südtirols Energiepolitik ist die ambitionierteste und effizienteste im ganzen Staat“, schrieb der italienische Umweltbund Legambiente im März vergangenen Jahres in einer Studie zur Nutzung von erneuerbaren Energien in italienischen Gemeinden. Die „klarste Strategie, um sich von fossilen Energieträgern abzukoppeln“ unterlegte der Verein mit Zahlen. In Südtirol werden bereits 57 Prozent des Energiebedarfs aus erneuerbaren Quellen gedeckt. Bis 2013 sollen es 75 Prozent sein. Für das Jahr 2050 lautet die Zielmarke 90 Prozent.

Zu dieser positiven Bilanz tragen in erster Linie die 63 Biomasse-Fernheizkraftwerke bei, die in Gemeinden in Betrieb sind, weiterhin 930 Wasser kraftanlagen sowie unzählige Solarwärmeanlagen. Mit 0,40 Quadratmetern Solarkollektoren je Einwohner ist Südtirol italienweit bei der Solarthermie führend. Doch auch bei der Solarstromerzeugung haben die Südtiroler die Nase vorn, betont Gregor Kosta von BLS, zumindest in Bezug auf die installierte Pro-Kopf-Leistung. Laut GSE waren Mitte November 2010 rund 69.000 Kilowatt Solarstromleistung in Südtirol installiert, etwa 130 Watt je Einwohner. Italien insgesamt hat nur einen Schnitt von 30 Watt je Einwohner.

Viel Platz für Solarstromanlagen boten in Südtirol zum Beispiel die Lagerhallen der Obstbaugenossenschaften. „Diese Dächer sind nun entweder belegt, oder sie sind für bereits vereinbarte Anlagen reserviert“, berichtet Kosta. Platz für Module gebe es in Südtirol gleichwohl noch. Das größte Ausbaupotenzial sieht Business Location Südtirol auf Dächern von landwirtschaftlichen Gebäuden, Industrie- und Sportanlagen. Das sieht auch der Südtiroler Bauernbund so. Er startete deshalb gemeinsam mit dem Eurac-Institut für Erneuerbare Energie, dem TIS Innovation Park, einem Dienstleistungszentrum für innovative Unternehmen, und dem Landesverband der Handwerker (LVH) eine Aufklärungskampagne und Beratungsoffensive.

In ihren Möglichkeiten sind die Südtiroler Bauern und alle anderen potenziellen Investoren jedoch begrenzt. Denn laut einem neuen Gesetz haben die italienischen Regionen das Recht, Einschränkungen für den Bau von Anlagen zu erlassen. Landesweit bekräftigt die Staatsregierung mit höheren Einspeisetarifen für gebäudeintegrierte Anlagen, dass sie Solarstrommodule bevorzugt in, an oder auf Gebäuden sehen will. Die Provinz Südtirol, in der der Tourismus ein Hauptwirtschaftszweig ist, geht noch einen Schritt weiter. Freiflächenanlagen waren hier ohnehin schon auf 50 Kilowatt Leistung beschränkt. Im vergangenen Jahr beschloss die Landesregierung, Photovoltaikanlagen auf Frei- und Grünflächen ganz zu verbieten. Der Vorschlag kam von Landesrat Michl Laimer, der „großen landwirtschaftlichen Beeinträchtigungen“ damit frühzeitig einen Riegel vorschieben will.

Keine Anlagen auf Freiflächen

Das Verbot ist in einer Durchführungsverordnung zum Landesraumordnungsgesetz verankert. Darin ist die Errichtung von Anlagen zur Energieerzeugung aus erneuerbaren Quellen geregelt. Freilandanlagen dürfen auch dann nicht gebaut werden, wenn der Bauleitplan dafür geändert wird. Anlagen sollen auf Dächern installiert werden, da die Landschaft für solch großflächige Nutzungen zu wert- und reizvoll sei, begründete der Landrat seinen Vorstoß.

In dem Zuge beschloss die Landesregierung gleich noch, auch Anlagen auf denkmalgeschützten Gebäuden zu verbieten. In den Ortszentren („A-Zonen“) dürfen nur nach ausdrücklicher Genehmigung durch das Denkmalamt Module angebracht werden. In anderen Wohnbauzonen sind Module nur parallel zu Dachflächen und Fassaden erlaubt. In Gewerbegebieten dürfen Anlagen dafür uneingeschränkt auf Flach- und Gründächern aufgeständert werden. Auch Anlagen auf Gewächs- und Glashäusern sind nun verboten, sofern diese nicht zu anerkannten Gartenbaubetrieben gehören und für ihren ursprünglichen Zweck, also den Anbau von Obst, Gemüse und Blumen, genutzt werden.

Um den Erneuerbare-Energien-Markt im Land voranzutreiben, ist ausländisches Know-how gefragt. „Rund 70 Prozent der EE-Technologien werden aus dem Ausland importiert. Das ist eine Chance für deutsche Unternehmen“, schreibt Business Location Südtirol in einer Pressemitteilung. Den Standort Südtirol für eine erste Niederlassung in Italien halten BLS und Eurac besonders für deutsche Firmen für ideal. Wichtigstes Argument ist, dass 64 Prozent der Einwohner deutschsprachig sind. Das erleichtert den Markteintritt. „Bürokratische Hürden gibt es immer noch, da muss jeder seine Erfahrungen sammeln“, sagt Gregor Kosta. In Südtirol – ebenso wie in Apulien – seien die Rahmenbedingungen aber einfacher und klarer strukturiert, meint er. „Viele unterschätzen die Komplexität der italienischen Gesetzgebung und der Verwaltungswege“, weiß auch Wolfram Sparber von Eurac aus zahlreichen Gesprächen. In Südtirol versuche man die Abwicklung zu vereinfachen, könne sich aber auch nicht außerhalb des Systems bewegen.

„Die Deutschen und die Südtiroler können gut miteinander“, sagt Wolfram Sparber. Diese Erfahrung hat auch Jürgen Dreßler gemacht, der Vertriebsleiter International für gebäudeintegrierte Systeme bei Modulhersteller Solarwatt in Dresden. „Die Mentalität passt gut zueinander“, sagt Dreßler, dessen Unternehmen seit fünf Jahren den Markt in Südtirol aufbaut. Befindlichkeiten müssten aber beachtet werden, schränkt er ein.

Dass man in Südtirol gut Fuß fassen und von hier aus den Sprung in andere Regionen schaffen kann, demonstriert beispielsweise die Juwi-Gruppe aus Rheinland-Pfalz mit ihren Tochtergesellschaften Juwi Energie Rinnovabili in Bozen und Verona. Und der deutsche Projektierer Ralos Energies AG unterhält eine Tochterfirma, Ralos Northern Italy, in Meran. 2010 installierte dieses Unternehmen Anlagen mit einer Gesamtleistung von zwölf Megawatt in Italien. Auf Ralos Northern Italy geht auch eine 1,7-Megawatt-Anlage auf den Gebäuden der Obstgenossenschaft Kaiser Alexander in Leifers bei Bozen zurück. Nach Aussage von BLS zählt sie zu den größten dieser Bauart in ganz Italien.

Mehr Konkurrenz für örtliche Betriebe

Dass solch ein Geschäftserfolg von deutschen Unternehmen nicht bei allen Südtiroler Branchenkollegen auf Wohlwollen stößt, ist leicht vorstellbar. „Die Begeisterung von Südtiroler Photovoltaikfirmen hält sich in Grenzen“, beobachtet Gregor Kosta von BLS. „Man spürt den Druck. Natürlich gibt es eine größere Konkurrenz auf dem heimischen Markt.“ Dies bestätigt Andreas Leitner, Vice Chief Executive Officer von Leitner Solar in Bruneck. Leitner Solar ist eine der drei größten einheimischen Photovoltaik-Installationsfirmen. Das Unternehmen, ebenso wie andere Südtiroler Firmen, hat schon die Konsequenzen gezogen. Leitner plant und baut nun mehr Anlagen in anderen italienischen Provinzen.

Etwas irritiert ist Andreas Leitner von dem Engagement, mit dem Einrichtungen der Provinz ausländische Firmen anwerben, schmälert dies doch das Geschäft für die einheimischen Betriebe. Business Location Südtirol wirbt offensiv für Firmenansiedlungen – dies mit Unterstützung von Eurac, der Export Organisation Südtirol (EOS), dem TIS Innovationspark, der Südtirol Marketing Gesellschaft (SMG) und dem Institut für Innovative Technologien (IIT) in Bozen. Zu viele Firmen hätten sich in anderen Regionen angesiedelt, sagt Gregor Kosta, deshalb wolle BLS nun die Vorzüge Südtirols stärker bekannt machen.

Ein solcher Vorzug sind beispielsweise Investitionsanreize. Die Autonome Provinz Bozen fördert Investitionen nur in Kombination mit energiesparenden Maßnahmen. Die Erschließung von erneuerbaren Energien wie Wasserkraft und Photovoltaik fördert sie mit einem Kapitalbeitrag von 30 Prozent. 2008 vergab Südtirol Fördermittel in Höhe von 32 Millionen Euro. Um Unternehmen die Ansiedlung noch schmackhafter zu machen, senkte die Provinz zudem die regionale Wertschöpfungssteuer IRAP auf den niedrigsten Wert in Italien.

Wolfram Sparber würde es freuen, wenn mehr deutsche und andere Photovoltaikfachleute nach Südtirol kämen. 2005 startete er mit zwei Mitarbeitern. Derzeit sind 30 Ingenieure in seinem Team beschäftigt, weitere Personalaufstockung nicht ausgeschlossen. Sparber und seine Mitarbeiter arbeiten an drei Themenschwerpunkten: Photovoltaik, thermische Systeme zur Heizung und zur Kühlung sowie Energiemanagement in Gebäuden. Zurzeit bauen sie ein Testlabor auf. Darüber hinaus sind sie mit einem EU-Forschungsprojekt mit 22 Partnern zum Thema Energetische Sanierung von historischen Gebäuden beschäftigt. Nicht zu vergessen die Testanlage auf dem Flughafen Bozen. Auch mit der Beobachtung und Auswertung der Ergebnisse werden Sparber und sein Team noch genug zu tun haben.

Ina Röpcke

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