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Lautlos angeliefert

Hatice Topal gibt Gas. Ein kurzes, leises Zischen. Es klingt wie ein Golfcaddy. Das Gefährt geht rasant ab, fast wie ein Porsche 911. Dabei sitzt die Frau am Steuer in keinem Ledersitz dicht über dem Asphalt. Die 37-jährige DPD-Fahrerin Hatice Topal steuert einen Mercedes Vito E-Cell und beschleunigt den zweieinhalb Tonnen schweren Lieferwagen im Handumdrehen auf 50 Kilometer pro Stunde. Ein Transporter nach dem anderen rollt aus dem Depot des Paketdienstes DPD im Ludwigsburger Tammerfeld. Über dem Hof liegt der Dunst von Diesel, die Kolben der Nutzfahrzeuge geben ihre eigene Symphonie zum Besten. Nagelnde Motoren.

Viel mehr Privatkunden

Plötzlich huscht ein etwas anderes Fahrzeug vom Betriebsgelände. Fünf Meter lang und 1,90 Meter hoch ist der Botschafter der Moderne im deutschen Paketdienst. Er nagelt nicht. Er schweigt.

Laut einer Studie des Bundesverbandes internationaler Express- und Kurierdienste (BIEK) ist das Sendungsvolumen der Kurier-, Express- und Paketdienste in Deutschland zwischen den Jahren 2000 und 2013 um 57 Prozent auf 2,7 Milliarden Sendungen pro Jahr gestiegen. Auch der DPD bekommt das zu spüren.

„Früher war der Anteil 70 zu 30 von Geschäfts- zu Privatkunden. Das hat sich bis heute fast umgekehrt. Wir müssen viel mehr Privatkunden anfahren, die meist nur eine Sendung erhalten“, sagt Peter Hirsch, 47 Jahre alt, Verantwortlicher für den Nahverkehr in Stuttgart bei DPD.

Genau für diese Entwicklung wurde der Vito E-Cell konzipiert, um in Ballungszentren, die durch die anhaltende Zuwanderung in die Großstädte größer werden, möglichst emissionsfrei Pakete zuzustellen.

Dicke Luft in der Innenstadt

Das geräumige Fahrzeug hat 81 PS Leistung und beschleunigt auf die Höchstgeschwindigkeit von 80 Kilometer pro Stunde in elf Sekunden. „Damit kann der Vito E-Cell im Stadtverkehr selbstbewusst mitschwimmen“, lässt der Hersteller Mercedes Benz auf seiner Homepage verlauten.

„Total Zero“ heißt das Konzept des Deutschen Paketdienstes, das dafür verantwortlich ist, dass sich der Laie über den seltsamen, kaum wahrnehmbaren Sound des Lieferwagens von Hatice Topal wundert. Weder Lärm- noch Kohlendioxidemissionen erzeugt der Mercedes Vito E-Cell und gilt damit als wichtiger Teil des Konzepts.

Mit seinem reinen Elektroantrieb ist der E-Lieferwagen prädestiniert für den Einsatz in Gebieten mit hoher Feinstaubbelastung – wie der Stuttgarter Innenstadt. Die zählt seit Jahren zu den Regionen mit der höchsten Feinstaubbelastung in Deutschland und überschreitet am Neckartor immer wieder die EU-Maximalgrenze von 35 Tagen mit einer höheren Belastung als 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft.

Es hat Minusgrade an diesem Tag, Regenwolken treiben über der Stadt. Der Elektroantrieb im Vito E-Cell vermittelt das Gefühl, in einer dieser wohligen Luxuslimousinen zu sitzen, in der sich Prominente weitgehend von der Außenwelt abschotten. Der Verkehr bestätigt das Gegenteil: Hatice Topal biegt auf die Autobahn A81 in Richtung Stuttgart ein, hektisches Treiben, die Rushhour lässt grüßen. Links von ihr rauschen Nobelkarossen mit 140 Stundenkilometern vorbei, sie ist mit 80 eher gemächlich unterwegs.

Rekuperation heißt das Zauberwort

„Ein besserer Topspeed wäre von Vorteil“, raunt die Fahrerin, „sogar die meisten Lkw sind schneller als ich.“

Von der Autobahn geht es an der Ausfahrt Zuffenhausen auf die B10, die ersten Kilometer läuft es noch, ab dem Nadelöhr am Zuffenhausener Bahnhof ist zähfließender Verkehr.

Er ist für Hatice Topal ein größeres Problem als für den Akku ihres Lieferwagens. Je später sie das erste Päckchen abgibt, desto länger dauert ihr Arbeitstag. Die Energieanzeige freut sich über das allmorgendliche Stop-and-go auf der Hauptader, wo der Verkehr nach Stuttgart presst – sie steigt um zwei Prozent. Rekuperation heißt das Zauberwort. Bei normalen Verbrennungsantrieben verpufft die Energie ungenutzt, die beim Bremsen entsteht, nicht so beim Elektroantrieb. Hier wird die Bremsenergie genutzt, um den Akku des Vitos wieder ein wenig aufzuladen.

Viel Psychologie im Spiel

Durch die geringe Reichweite darf die Tour vom ersten bis zum letzten Paket nicht länger als 40 Kilometer sein, die Anfahrt nicht weiter als 25 bis höchstens 30 Kilometer. Das sind limitierende Parameter, die einen als Fahrer durchaus nervös machen können.

„Da ist viel Psychologie im Spiel, die Fahrer glauben oft nicht an die Reichweite. Sie haben noch nicht so viel Vertrauen wie in unsere Dieselfahrzeuge, ihnen fehlt aber auch die lange Erfahrung damit“, sagt Peter Hirsch. Mit 137 Kilometern nach einer Tour habe es ein Lieferwagen schon ins Depot zurück geschafft, berichtet Hirsch, der auch für die Tourenplanung in seinem Betrieb verantwortlich ist. „Stehen geblieben ist noch keiner.“

Keine Abwärme vom Motor

Hatice Topal stoppt zum ersten Mal. Sie steht vor einem großen Einfamilienhaus am Stuttgarter Killesberg. Türe auf, Paket rein, Türe zu.

Die Straßen sind eng, die Autos reihen sich in parkenden Schlangen am Straßenrand. Die DPD-Fahrerin kurvt das E-Mobil geschickt von Kunde zu Kunde, die Adressaten verschwinden nach der Paketübergabe lächelnd ins Haus. Wieder einen Empfänger happy gemacht. Ein dezenter Ton auf ihrem Handscanner, wo die Kunden zur Bestätigung unterschreiben, bestätigt ihre erfüllte Aufgabe an dieser Hausnummer. Zeit ist Geld.

Hatice Topal joggt hastig zu ihrem Gefährt zurück, die Kälte kriecht ihr in die rot-graue DPD-Jacke. Weil das Elektroauto keine Abwärme vom Motor hat, muss die Heizung zugeschaltet werden. Diese bezieht ihre Energie aber aus demselben Akku wie der Antrieb, sie geht also auf die Reichweite und damit auf Kosten der letzten Kunden auf der Tour. Die Heizung bleibt im Winter folglich meistens aus. Deshalb fährt Hatice Topal fast ausschließlich von März bis September den E-Vito und überlässt den männlichen Kollegen die meisten Touren im Winter.

180 Kilometer wären schön

Während Hatice Topal ihr Tagewerk erledigt, macht Tourenplaner Hirsch dasselbe in seinem Büro. Einen großen Sprung in der Entwicklung der Reichweite bei E-Autos erwartet der Experte in naher Zukunft nicht. „Aber wünschenswert wäre es, wenn der Akku zumindest 180 Kilometer weit reichen würde. Dann hätten wir die Möglichkeit, unseren Radius mit den Elektroautos zu vergrößern.“ Denkbar ist auch ein Hybrid-Lieferwagen, der auf dem Hin- und Rückweg der Auslieferung mit Diesel fährt, aber mit reinem Elektroantrieb im Zustellbetrieb unterwegs ist.

Ein solches Schaufensterprojekt startet DPD in naher Zukunft mit dem Sprinter-Modell von Mercedes, für den das größere Ladevolumen spricht. Die derzeit genutzten Elektro-Vitos können mit 100 kleineren Paketen nur rund 40 Prozent der Sendungen übernehmen, die die großen Lieferwagen befördern. „Wir befinden uns noch in der Testphase“, sagt Peter Hirsch.

Vorsicht: leise

Auch andere Paketdienste experimentieren mit elektrisch angetriebenen Verteilfahrzeugen. Seit Juni setzt zum Beispiel Hermes in Berlin einen eigens konzipierten Sprinter der Elektroklasse ein. Er kann eine Nutzlast von rund 700 Kilogramm aufnehmen und hat eine Rechweite von etwa 120 Kilometern.

Das weiße Gefährt von Hatice Topal schleicht an schwarzen, bauchhohen Pfosten vorbei in Richtung einer Einkaufspassage. Die Wolken haben sich ein wenig gelichtet, Sonnenstrahlen fallen auf den belebten Platz. Geschäfte und Wohnhäuser ringsherum. Es riecht nach frischgebackenen Brötchen. Passanten gehen ihres Weges, Hatice Topal fährt Schrittgeschwindigkeit. „Hier muss man besonders vorsichtig sein“, sagt sie, „ein Nachteil der fehlenden Lärmemission.“

Erst als sie ihr Gefährt dreht und rückwärts fährt, fängt das Auto an, markant zu piepen, wie man das von der Müllabfuhr kennt. Die Passanten ringsherum richten ihre Augen von den hellen Steinplatten und den bunten Einkaufstüten auf den weißen Van und beobachten, wie die Lieferantin ein Paket nach dem anderen in die verschiedenen Häuser trägt.

Bis ins Jahr 2020 will die Bundesregierung eine Million Elektrofahrzeuge auf deutsche Straßen bringen, dafür müssen nach Ansicht von Experten Anreize von der Politik geschaffen werden. Einen gibt es seit Jahresbeginn: Fahrer mit dem normalen Pkw-Führerschein (Klasse B), dürfen 4,25 Tonnen schwere Elektrolieferwagen steuern, bisher war das nur bis 3,5 Tonnen möglich. „Der Nutzlastvorteil muss auf fünf Tonnen erhöht werden, um ein ökonomisch sinnvolles Argument für die Anschaffung von Elektrotransportern zu liefern“, sagt Peter Hirsch. Schließlich stellen die Fuhrparks der Paketdienste ein großes Potenzial dar: Allein bei DPD sind täglich rund 9.000 Zustellfahrzeuge im Einsatz.

Endstation Ladesäule im Depot

Es ist früher Nachmittag, die rote Anzeige in den Armaturen des Lieferwagens zeigt noch zwölf Prozent. Hatice Topal macht sich auf den Heimweg, obwohl noch zehn Sendungen im Bauch des Lieferwagens sind. Der Akku reicht sonst nicht für die Strecke zurück ins Depot.

Der Feierabendverkehr hat noch nicht begonnen, die Straßen sind frei, und Hatice Topal fährt auf Samtpfoten auf der A81. Ohne ans Limit zu gehen, kommt sie im Depot an. Die DPD-Bedienstete hat Feierabend. Das Auto auch. Fünf Stunden Ruhe an der Ladesäule. Morgen gibt Hatice Topal wieder Gas.

Vito E-Cell

Der Autor

Florian von Stackelberg

studiert derzeit Sportpublizistik an der Universität Tübingen. Der Ludwigsburger arbeitet nebenbei als freiberuflicher Journalist, unter anderem für das Magazin Nemo der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart sowie für die Stuttgarter Zeitung und verschiedene Fachblogs im Internet.

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