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Wenn das Baurecht gilt

In der Fassade oder als Überkopfverglasung müssen Solarmodule mit Glas besondere Anforderungen erfüllen, weil im Schadensfall gefährliche Glasteile auf Verkehrsflächen herabfallen können. Deswegen verlangt das deutsche Baurecht für diese Einsatzbereiche zusätzliche Nachweise der mechanischen Sicherheit. Anders als bei Auf- und Indachmodulen oder in der Freifläche verbauten Modulen, deren Glasbruch erfahrungsgemäß keine Gefahr für Leib und Leben birgt, genügt es hier nicht, lediglich die elektrotechnischen Normen einzuhalten. Für den Nachweis gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder verwendet man geregelte Bauprodukte und hält die geltenden Anwendungsnormen des Glasbaus ein oder es bedarf einer Einzelfallprüfung.

Diese für die BIPV-Branche unbefriedigende Situation lieferte die Motivation für umfangreiche Bauteil- und Laborversuche an typischen Aufbauten von Glas-Glas-Modulen, um deren mechanische Gleichwertigkeit mit den geregelten Bauprodukten Verbundglas oder gar Verbundsicherheitsglas allgemeingültig wissenschaftlich zu untersuchen und damit den Weg zu einem Einsatz ohne individuelle Nachweise zu ebnen. Die konkrete Fragestellung lautete dabei, ob die Integration von kristallinen Waferzellen, Dünnschicht- oder Foliensolarzellen die Tragfähigkeit und Resttragfähigkeit herkömmlicher Glasprodukte beeinträchtigt.

Tragfähigkeit zentrales Merkmal

Die Tragfähigkeit ist der zentrale Aspekt der Standsicherheit und kann im Bauwesen rechnerisch nachgewiesen werden, wenn die Materialkennwerte hinsichtlich der mechanischen Belastbarkeit bekannt sind. Bei Glas ist die entscheidende mechanische Eigenschaft die Biegezugfestigkeit, weil Glas in der Praxis meist auf Biegung beansprucht wird, zum Beispiel durch Wind- oder Schneelasten, und die Zugfestigkeit von Glas wesentlich geringer ist als die Druckfestigkeit. Bei Modulen mit eingebetteten Wafer- oder Folien-Solarzellen ist die Biegezugfestigkeit einfach zu bestimmen, denn die benötigten Kennwerte finden sich in den Produktnormen der verwendeten Deck- und Rückgläser. Die Solarzellen haben keine Tragwirkung und sind deshalb vernachlässigbar. Damit kann der Tragwerksplaner die erforderlichen Glasstärken berechnen, damit die Bruchwahrscheinlichkeit in der konkreten Einbausituation unter 1:10.000 liegt. Für Dünnschichtzellen dagegen, die direkt auf Glas abgeschieden werden, galt es herauszufinden, ob die Temperaturen im Beschichtungsprozess und die Laserbehandlungen zur Zellstrukturierung und Randentschichtung die Festigkeitseigenschaften der verwendeten Substrat- oder Superstratgläser beeinflussen.

Die Methode des Vierpunkt-Biegeversuchs erwies sich dazu als geeignet. Dabei wurden unlaminierte, mit mikromorphen oder CdTe-Solarzellen beschichtete Gläser waagrecht auf zwei Auflagerollen positioniert. Mit zwei Lastrollen wurde von oben mittig eine Last aufgebracht und bis zum Bruch gesteigert.

Brechen im Biegeversuch

Das Ergebnis: Im Gegensatz zu Referenzproben ohne Photovoltaikbeschichtung brachen die beschichteten Gläser nicht nur bei niedrigeren Bruchkräften, sondern auch ausschließlich am Rand oder an der Kante. Demzufolge bewirkt die Randentschichtung eine Schwächung der Glasfestigkeit, die für eine der beiden Photovoltaiktechnologien auf sieben Prozent beziffert werden konnte.

Die statistische Auswertung der Versuchsergebnisse zeigte, dass beide Produkte in der Lage sind, nach der Beschichtung immer noch den Mindestwert der charakteristischen Biegezugfestigkeit für Floatglas in Höhe von 45 N/mm² einzuhalten. Auch die Verbundfolie zwischen Deck- und Rückglas beeinflusst die Tragfähigkeit der Module.

Scherversuche zeigen Verbundwirkung

Das Beispiel Brettschichtholz veranschaulicht die Verbundwirkung: Die Verleimung erhöht die Steifigkeit des Verbunds und damit die Tragfähigkeit. Lose übereinander geschichtete Holzlagen gleicher Dicke würden bei gleicher Belastung eine wesentlich größere Durchbiegung zeigen.

Die Verbundwirkung von Glasprodukten hängt von der Steifigkeit der polymeren Verbundfolie ab, die wiederum stark temperaturabhängig ist und sich darüber hinaus mit der Belastungsart und -dauer verändert. Deshalb darf in Deutschland die positive Verbundwirkung beim Standsicherheitsnachweis von Verglasungen normalerweise nicht berücksichtigt werden. Dennoch ist ein möglicher Einfluss von Solarzellen (eingebettet in die Verbundfolie oder als an die Verbundfolie grenzende Beschichtung) auf die Verbundwirkung und damit auf die Tragfähigkeit des Laminats von Interesse und wurde mithilfe von orientierenden Scherversuchen bei Raumtemperatur untersucht.

Als Prüfkörper dienten Bohrkerne aus Modulen mit eingebetteten kristallinen oder Folien-Solarzellen. Die Referenzproben stammten aus denselben Modulen, jedoch aus Bereichen ohne Solarzellen. Bei den Scherversuchen wurden die Gläser der Laminate über eine Kraft auf die Stirnseiten gegeneinander verschoben, um eine Scherbeanspruchung der Zwischenschichten zu erzeugen. Aus der gemessenen Verschiebung bei der entsprechenden eingeleiteten Kraft lässt sich der Schubmodul bestimmen. Dieser ist der Indikator für die Steifigkeit der Zwischenschicht und die Verbundwirkung.

Im Ergebnis hat die Zellintegration den Schubmodul und damit die Steifigkeit der Zwischenschicht nicht verschlechtert. Allerdings versagten die Verbünde mit Solarzellen bei niedrigeren Kräften, und zwar stets adhäsiv an der Zellrückseite.

Mit den Solarzellen wird also eine Schwachstelle in den Verbund eingebaut, da sie eine geringere Haftung zur Verbundfolie aufweisen als Glas und Verbundfolie in Verbundglas ohne Solarzellen. Wie frühere Versuche an der TU Dresden zeigten, gilt das auch für Dünnschichtmodule mit beschichteten Substratgläsern, wobei hier Schichtbrüche innerhalb der Beschichtung die Schwachstelle bilden. Aufgrund der aktuellen Bemessungsnormen ist dieses adhäsive Versagen unerheblich, weil die Glasstärken ohnehin so dimensioniert werden müssen, als wären die Gläser gar nicht verbunden. Wenn aber zukünftig die Glasbauregeln und Prüfverfahren dahingehend weiterentwickelt werden, dass die Zwischenschichten für den Tragfähigkeitsnachweis herangezogen werden dürfen, sollte dieser Aspekt berücksichtigt und näher untersucht werden.

Wegen des spröden Materialverhaltens von Glas kann auch bei regelkonformer Bemessung ein Versagen nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Deswegen müssen Verglasungen, insbesondere im Überkopfbereich, zusätzlich zur Tragfähigkeit eine ausreichende Resttragfähigkeit gewährleisten.

Im gebrochenen Zustand Last tragen

Das bedeutet, dass die Verglasung im gebrochenen Zustand eine begrenzte Last noch lange genug tragen kann, bis der Schaden entdeckt und der Gefahrenbereich gesichert ist, ohne dass große Bruchstücke oder gar das ganze Glas herunterfallen.

Erst das Laminieren von zwei oder mehreren Glasscheiben mit einer Zwischenfolie, die die Bruchstücke zusammenhält, ermöglicht diese Resttragfähigkeit. Im Gegensatz zu Verbundglas gilt Verbundsicherheitsglas per Definition in der Produktnorm als resttragfähig. Wenn alle Einzelscheiben gebrochen sind, hängt das (Rest-)Tragverhalten maßgeblich von der Zwischenschicht und von deren Haftung auf dem Glas ab. Daher können Solarzellen das Resttragverhalten beeinflussen.

Weil es für die Resttragfähigkeit keine Ziel- oder Kennwerte gibt, wurden Photovoltaikmodule im direkten Vergleich zu jeweils baugleichem Verbundsicherheitsglas ohne Solarzellen geprüft.

Resttragfähigkeit nachweisen

Nach dem Einbau in eine handelsübliche Pfosten-Riegel-Konstruktion wurden alle Scheiben beschädigt, also sowohl Deck- als auch Rückglas, und bis zu drei Tage mit einer Flächenlast beaufschlagt, die Wind- und/oder Schneelasten simulierte. Neben dem Versagen, das heißt einem kompletten Herausfallen aus dem Rahmen, diente die gemessene Durchbiegung in der Mitte als Bewertungskriterium.

Alle Modultypen und Referenzgläser erwiesen sich bei Raumtemperatur als resttragfähig, da kein Verbund versagte. Im Detail zeigten die Glas-Glas-Module bessere Ergebnisse als die Verbundsicherheitsgläser. Mit kristallinen Solarzellen war die Durchbiegung zwischen 20 und 25 Prozent geringer als bei der jeweiligen Referenz, bei Dünnschichtmodulen mit beschichtetem Deckglas rund 14 Prozent geringer.

Der Grund waren die Lötbänder der kristallinen Zellen beziehungsweise das über die Querachse der Dünnschichtmodule verlaufende Kontaktband, die im gebrochenen Laminat Zugkräfte abtragen und so als Bewehrung des Modulverbunds wirken. Eine noch deutlichere Verbesserung der Resttragfähigkeit ergab sich durch die eingebetteten Foliensolarzellen. Die zu einer durchgehenden Zwischenlage verklebten Zellen führten zu einer signifikanten Versteifung des gebrochenen Laminats und zu einer erstaunlich geringen Durchbiegung.

Da die Zugfestigkeit der polymeren Zwischenschichten bei höheren Temperaturen abnimmt, verschlechtert sich die Resttragfähigkeit grundsätzlich, wenn Verglasungen warm werden. Solarmodule erwärmen sich aufgrund der Strahlungsabsorption stärker als transparente Verglasungen. Daher wurden auch Versuche bei Bauteiltemperaturen von 50 bis 70 Grad Celsius durchgeführt.

Für die kristallinen Module konnte dabei ein Temperaturkoeffizient ermittelt werden mit dem Ergebnis, dass der Gesamteffekt der Zellintegration positiv bleibt, selbst wenn man die zu erwartenden um fünf bis acht Kelvin höheren Temperaturen berücksichtigt. Als kritisch zu bewerten ist der beobachtete Schichtbruch innerhalb der Dünnschicht, weil sich dadurch der Splitterabgang erhöhen kann. Die Menge und Größe der Splitter blieben jedoch in einem noch ungefährlichen Bereich, sodass die Resttragfähigkeit auch bei diesem Modultyp insgesamt als mindestens gleichwertig mit einem Verbundsicherheitsglasaufbau bewertet wird.

Fehlende Regeln sind Hürde

Materiell und konstruktiv können Glas-Glas-Module also durchaus mit dem Sicherheitsniveau von Verbundsicherheitsglas mithalten. Unveröffentlichte Testergebnisse anerkannter Prüfstellen zeigen, dass integrierte Solarzellen auch weitere Anforderungen wie die Stoßsicherheit nicht beeinträchtigen. Es mangelt aber an Regeln, die geeignete Modulaufbauten auch formal als geeignet einstufen und so einen routinemäßigen Nachweis erlauben, beispielsweise im Rahmen der CE-Kennzeichnung.

Für einen breiten Einsatz in der Gebäudehülle müssen Solarmodule im Bauwesen ankommen. Um Berührungsängste abzubauen, wäre es wünschenswert, dass sie als Bauprodukt Eingang in die etablierten Normen des Bauwesens finden. So könnten in der europäischen Norm für Verbundglas und Verbundsicherheitsglas und in der deutschen Anwendungsnorm DIN 18008 jeweils die spezifischen Belange ergänzt werden, also beispielsweise dass photovoltaikbeschichtete Floatgläser als Floatglas gelten oder welche Modulaufbauten ohne Nachweis resttragfähig sind.

Allerdings bestehen im Glasbau unabhängig von der Photovoltaikintegration Regelungslücken, sowohl bei den Anforderungen an die Produkte als auch bei den Prüfverfahren zum Nachweis dieser Anforderungen. Ein Beispiel ist die Verwendung anderer Zwischenschichten als PVB in Verbundsicherheitsglas. Normen zur Charakterisierung von Zwischenschichten werden erst noch erarbeitet. Als weiteres Manko ist die Photovoltaikindustrie in den betreffenden Normungsgremien nicht vertreten.

Lernkurve für BIPV

Eine erfreuliche Entwicklung zeigt die Produktpalette spezialisierter BIPV-Modulhersteller. Hier bietet beispielsweise der Digitaldruck neue Möglichkeiten der farblichen Gestaltung, und auch der Fokus auf standardisierte Modulformate weicht zunehmend einer flexibleren Anpassung an individuelle bauliche Gegebenheiten. Damit dürfte es Architekten und Bauplanern zukünftig leichter fallen, sich auf das neue Bauprodukt einzulassen.

Die Photovoltaikintegration ist eine neue Bauaufgabe, die wie andere Innovationen in der Gebäudehülle einen interdisziplinären Planungs- und Bauprozess erfordert. Sinnvolle Aufgabenteilungen und ein Schnittstellenmanagement müssen sich in der Praxis erst noch etablieren und bewähren. Hierbei können spezialisierte BIPV-Fachplaner, die Bau- und Photovoltaikexpertise vereinen, eine Vorreiterrolle übernehmen. Was der Standard-Anlagenbau längst gemeistert hat, steht der BIPV noch bevor: die Lernkurve, die Optimierungs- und Kostensenkungspotenziale erschließt.

nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:14-qucosa-204836

Die Autorin

Claudia Hemmerle

forscht und lehrt am Zentrum für nachhaltiges Bauen der TU München zum Beitrag der Photovoltaik in Plusenergiegebäuden und in der Stadt der Zukunft. In ihrer Doktorarbeit an der TU Dresden untersuchte sie die mechanische Performance von Photovoltaikmodulen als Bauprodukt.

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