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STANDPUNKT DER WOCHE

Thomas Nordmann: “Die Jahrzehnte gut genutzt”

Sonnenstrom ist Solidarstrom: Unser südlicher Nachbar geht eigene Wege in der Energiewende und ist dennoch eng mit dem großen Kanton im Norden verbunden. Solarpionier Thomas Nordmann von TNC bilanziert das Erreichte und analysiert die Chancen.

Seit 45 Jahren erlebe und gestalte ich die Entwicklung der Sonnenenergie und der Photovoltaik in der Schweiz und zu einem viel kleineren Teil auch etwas in Deutschland. 1975 durfte ich auf dem Atomversuchsreaktor Diorit am Forschungszentrum EIR in Würenlingen (heute PSI) einen thermischen Kollektorprüfstand aufbauen. Photovoltaik wurde nur genutzt als Selen-Belichtungsmesser meiner Kodak Retina 35 Millimeter Kleinbildkamera. Ohne die Batterie zu tauschen, konnte man schon damals das Tageslicht messen.

20.000 DM fürs Kilowatt

1987 starteten wir bei TNC den Bau einer Photovoltaik-Netzverbundanlage auf der bestehenden Schallschutzwand der Autobahn A13 bei Chur. Damals kostete ein Kilowatt Photovoltaiksystem noch deutlich über 20.000 DM. Der Stromgestehungspreis, je nach Kapitaldienst, lag bei ein bis zwei Euro je Kilowattstunde. Die anlage ging 1989 ans Netz, sie leistete 103 Kilowatt.

Die größten, handelsüblichen Module hatten eine Nennleistung von 48 Watt und einen Wirkungsgrad um elf Prozent. Noch in den Kinderschuhen war damals die Netzeinbindung. Der verwendete 100-Kilowatt-Inverter von Siemens war ein manufakturgebauter Prototyp.

32 Jahre gut genutzt

Die Photovoltaikbranche hat die dazwischen liegenden 32 Jahre eigentlich sehr gut genutzt. Wir haben die technischen und ökonomischen Hausaufgaben gemacht. Zum Beispiel wurde 2017 die oben beschriebene Pilotanlage auf der Schallschutzwand durch den Betreiber Elektrizitätswerk Rhiienergie AG ersetzt.

Auf der gleichen Aufständerung konnte man eine Anlage mit der fast 2,5-fachen Nennleistung von knapp 260 Kilowatt installieren. Der Systempreis für das Repowering lag bei acht Prozent der ursprünglichen Kosten. Solarstrom kann man heute unter günstigen Bedingungen in der Schweiz kaufmännisch gerechnet für etwa 15 Cent pro Kilowattstunde erzeugen.

Maschinen nach Fernost geliefert

Die Europäer haben dabei ihre Photovoltaikindustrie «unfreiwillig» an die Chinesen abgetreten. In der Frühzeit wurden die Zellen in Manufakturen, das heißt in Handarbeit, hergestellt und die Module gefertigt. Heute erfolgt dies in großindustriellen, weitgehend automatisierten Fertigungslinien. Die Maschinen für die Herstellung der Zellen und der Module in China kommen auch heute vor allem aus Deutschland (Centrotherm) und der Schweiz (Meyer Burger).

Wenn man dieses Know-How und den Maschinenpark nach Fernost verkauft, müssen wir uns nicht wundern, wenn er dort professionell betrieben und eingesetzt wird. Im Gegenzug hat uns dieser Maschinenexport günstige Module für weniger als einen Euro pro Watt mit über 300 Watt Nennleistung und einem Wirkungsgrad zwischen 17 und 22 Prozent beschert.

Der Ausbau zieht an

Von den neuen Erneuerbaren ist die Photovoltaik heute zusammen mit der Windkraft in Deutschland, mit der Wasserkraft in der Schweiz und Österreich die wichtigste, nachhaltige und umweltgerechte Form der Stromerzeugung. Mit diesen Fortschritten haben wir den Marktanteil der Photovoltaik im Verbundnetz von null auf drei Prozent in der Schweiz, in Deutschland fast acht Prozent geschafft.

Deutschland konnte mit der kostendeckenden Einspeisevergütung (EEG) einen Vorsprung in der Marktentwicklung nutzen. Jetzt diskutieren wir in Europa Marktanteile der Photovoltaik zwischen 30 und 50 Prozent der Stromproduktion.

Ich glaube, der Weg von null auf drei Prozent war schwieriger als von drei respektive acht Prozent auf 50 Prozent. Nur verlagern sich die Herausforderungen. Jetzt geht es um die Netzintegration und Lösungen, wie man den Sonnenstrom auch bei großem Marktanteil optimal nutzen kann.

Eigenverbrauch treibt die Märkte

Am einfachsten geht es mit Eigenverbrauch, das heisst die zeitgleiche Produktion und der Verbrauch am selben Ort. Hier entfallen (wenigstens in der Schweiz) die Beaufschlagung der EEG-Wälzkosten.

Für die Überwindung der Kurzzeitspeicherung vom Tag in die acht stehen lokale Batterielösungen zur Verfügung. Die treibende Kraft für die Lernkurve bei den Batteriekosten ist die Elektromobilität mit viel größeren Stückzahlen. Wir werden in der Photovoltaik davon profitieren.

Noch eleganter und kostengünstiger ist das lokale Verschieben von thermischen Lasten, um den Strombedarf in den Tag zu verschieben, etwa durch Wärmepumpen für Brauchwasser und Heizung.

Not in my backyard

Die größere Herausforderung ist die saisonale Schwankung zwischen Sommer und Winter. Die Alpenländer Schweiz und Österreich sind mit der Wasserkraft (zirka 60 Prozent des gesamten Strombedarfs) deutlich besser aufgestellt als Deutschland.

Eigentlich wäre der optimale Mix nur fünf Prozent Wasserkraft in Deutschland und je 40 bis 45 Prozent Photovoltaik und Wind. Das Defizit im Winter bei der Photovoltaik könnte durch die zusätzliche Windproduktion ausgeglichen werden. Offenbar harzt es in Deutschland bei der On- und Offshore-Windkraft am Transport des in Küstennähe gewonnenen Windstroms von Norden nach Süden und am zunehmenden gesellschaftlichen Widerstand gegen Windanlagen nach dem Motto «not in my backyard».

Lösungen mit mehr Photovoltaik als Wind sind zwar machbar, aber in der Gesamtbetrachtung eher teurer als der optimale Mix zwischen Sonne und Wind. In der Schweiz machen wir die gleichen Überlegungen zwischen Wasserkraft und Photovoltaik.

Ewiggestrige betrauern die Kernkraft

In der Schweiz und Deutschland gibt es eine Zunft der Ewiggestrigen, die dem Untergang der Kernenergie nachtrauern. Sie versprechen die inhärent sichere Kernenergie 4.0. Neben den Katastrophen in Tschernobyl und Fukushima hat der Fahrplan für die Sicherstellung der nuklearen Entsorgung in der Schweiz einen Rückstand von über 30 Jahren erreicht. Deshalb ist auch bei uns gesellschaftliche Akzeptanz für die Kernenergie aufgebraucht.

Zusätzlich explodieren die Bau- und damit Gestehungskosten für die Kernenergie, so dass auch der Finanzsektor kein Interesse mehr an dieser Technologie hat.

Deutschlands Problem mit der Kohle

Deutschland hat die Herausforderung des doppelten Umstiegs. Neben dem beschlossenen Ausstieg aus der Kernenergie muss zusätzlich auch der Abschied von der CO2-emittierenden Braun- und Schwarzkohle realisiert werden. Eine CO2-arme Zukunft muss aber nicht nur den Stromverbrauch, sondern vor allem die großen Anteile der heute mit fossilen Quellen betriebenen Mobilität einbeziehen (Diesel und Benzin) sowie die Wärmeerzeugung (Heizöl) adressieren.

Die technischen Lösungen zur Substitution der fossilen Energieträger sind die Elektromobilität und Wärmepumpentechnik für die Heizung und die Brauchwassererwärmung. Der Elektrizitätswirtschaft würde es gut anstehen, nicht ständig über die immer noch zu tiefen Energiepreise am Strommarkt zu jammern, sondern diese Herausforderungen als Chance für den breiteren CO2-freien Einsatz von Strom aus Sonne und Wind bei der Energieversorgung zu betrachten.

Bremsstrecke schrumpft beängstigend

Unser politisches System hat in den letzten 30 Jahren die laufenden Fortschritte der Photovoltaik immer freundlich begrüßt, aber die Photovoltaik nie ernsthaft als Alternative zum atomaren und fossilen Zeitalter gesehen. Die verbleibende CO2-Bremsstrecke bis zum Point-of-no-Return schrumpft beängstigend.

Offenbar stehen uns hier nur noch zehn bis maximal 15 Jahre zur Verfügung, um den Umstieg auf CO2-freie Energieproduktion im großen Umfang umzusetzen. Diese Forderung wird heute von Greta Thunberg und «Friday for Future» gut hörbar vorgetragen.

Wirtschaftlichkeit erreicht

Ökonomisch gesehen erreicht die Photovoltaik in unseren Breitengraden (Deutschland, Schweiz, Österreich) bei richtig konzipierten Anlagen Stromgestehungskosten zwischen zehn und 15 Cent je Kilowattstunde. Im Vergleich zu den Endkundentarifen ist die Wirtschaftlichkeit oder Netzparität erreicht.

Trotzdem ist der Photovoltaikmarkt noch kein Selbstläufer. Woran liegt das? Ein wichtiges Element ist die unerträgliche Situation bei der Verrechnung der Netzkosten Diese erreichen heute etwa die Hälfte des Strompreises. Ein modernes smartes Stromnetz soll die Netzkostenanteile für den photovoltaisch lokal erzeugten Überschuss (ohne Eigenbedarf) nach einem Netz-Entry-Exit-Modell vergüten.

Netzentgelte verzerren den Strommarkt

In der Schweiz und in Deutschland geht man kalkulatorisch immer noch davon aus, dass der Strom von der Netzebene 1 vom Hochspannungsnetz (beim zentralen Kraftwerk) bis zum Endverbraucher in der Netzebene 7 bewertet wird. In Tat und Wahrheit wird der überschüssige Sonnenstrom vom EVU beim Nachbarn oder im Quartier in der gleichen Netzebene 7 verbraucht. Damit müsste der Photovoltaiklieferant im ungünstigsten Fall nur einen Anteil des Netzentgelts (maximal die Hälfte) finanzieren.

Zum Beispiel die Bahn

Ein anschaulicher Vergleich: Was würde passieren, wenn die deutsche Bundesbahn für eine Fahrt nur noch eine landesweite Ticketpauschale berrechnen würde? Das unabhängig, ob man eine Zugstation ab Freiburg im Breisgau nach Gundelfingen (sechs Kilometer) oder von Freiburg bis Hamburg (zirka 800 Kilometer) fährt. Hier wird der ökonomisch verzerrte Zustand im heutigen Strommarkt ersichtlich.

Der Aufbau zusätzlicher Photovoltaikleistung in der untersten Netzebene 7 erspart den Elektrizitätswerken zusätzlichen Netzausbau. Besonders dann, wenn zusätzliche Stromanwendungen in Wärme und Mobilität dazukommen.

Noch kein Selbstläufer

Die Ökonomie der Photovoltaik ist ohne EEG heute noch nicht gegeben. Erstens, weil nur der Eigenbedarf, also 20 bis 30 Prozent des eigenen Strombedarfes zu den Strombeschaffungskosten beim Endkunden aufgerechnet werden können.

Zweitens erhält man (in der Schweiz) vom EVU für den eingespeisten Sonnenstrom-Überschuss nur den Stromkostenanteil mit rund sechs Cent je Kilowattstunde erstattet. Die eingesparte Netzkosten werden nicht vergütet. Aber mein schlaues Elektrizitätswerk verkauft den günstig eingekauften Solarstrom in der nächsten Nachbarschaft mit einer Marge von mehr als 100 Prozent.

Unsere Branche hat sich leider in den letzten 30 Jahren daran gewöhnt, dass wir zwar erstaunliche Fortschritte in der Technik und Ökonomie machen, aber uns die Politik und zum großen Teil auch die Wirtschaft nicht wirklich ernst und aufnimmt. Wir müssen diese herausfordernde Ausgangssituation als Chance zum Durchstarten verstehen und nutzen. Es besteht keine Ursache zum Jammern. Packen wir es an!

Sonnenstrom ist Solidarstrom: Hier finden Sie viele andere Statements zur solaren Energiewende und den Chancen für Deutschland.

Alle Interviews und Statements lesen Sie im Novemberheft der photovoltaik, das am 14. November 2019 erschienen ist. Diese Ausgabe steht ganz im Zeichen der politischen Debatten um die Energiewende und ihre Chancen für Deutschland. Abonnenten können alle Beiträge nach Erscheinen auch online lesen. In unserem neuen Webshop gibt es unsere Hefte zudem auf Einzelbestellung.