Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch

Oben im Grünen

Mauerpfeffer, Fetthenne und Mongolen-Sedum tummeln sich auf dem großen Flachdach im Kölner Westen. Noch sind die anspruchslosen Pflanzen klein, aber im kommenden Frühjahr werden sie die Dachflächen links und rechts der hölzernen Terrasse mit ihren Blüten zum Leuchten bringen. Das Besondere: Auf dem Gründach steht außerdem eine PV-Anlage. Verschatten werden die Pflanzen die Module keinesfalls, denn Solarstromanlage und Pflanzen sind genau aufeinander abgestimmt. „Unser Dach zeigen wir jedem, der hier ins Gebäude kommt“, sagt Christian Welzel und ist stolz auf den neuen Standort seines Arbeitgebers Ecostream Germany GmbH.

Dachbegrünung ist in. Immer mehr Städte und Kommunen schreiben begrünte Dachflächen sogar im Bebauungsplan fest, als Ausgleichsmaßnahme zur Versiegelung durch Überbauung. Viele Eigenheimbesitzer lieben ihr kleines Biotop „on top“, das außerdem die Dachhaut schützt und damit deren Lebensdauer verlängert. Die meisten bunten Pflanzenteppiche überziehen jedoch Dächer öffentlicher und gewerblicher Gebäude. Dass die Gewächse einen Großteil des Regenwassers aufnehmen, ist nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern verringert zudem die Abwasserkosten und hält die Temperaturen im Gebäude im Sommer niedriger.

„Viele Kunden fragen nach der Kombination von Gründach und Photovoltaik, das taucht immer wieder auf“, berichtet Christian Welzel aus seinem Arbeitsalltag. Als Produktmanager bei Ecostream ist er verantwortlich für die Erstellung großer Photovoltaikanlagen. Das Problem: Gründächer müssen mit besonderer Sorgfalt ausgeführt werden. Das kann nicht jeder, weiß Welzel aus Erfahrung. Und den Pflanzenaufbau zusätzlich mit einer Solarstromanlage verbinden kann eigentlich nur die Firma Zinco. Deshalb ist Welzel schon seit Jahren in Kontakt mit Zinco. Gemeinsam mit den baden-württembergischen Dachbegrünern hat Ecostream schon einige Angebote für Kombidachlösungen abgegeben. Die Solaranlage auf dem Dach des eigenen, Etrium genannten Bürogebäudes in Köln soll nun den Kunden einen direkten Eindruck von den Möglichkeiten der doppelten Dachnutzung bieten.

Ehemaliger Flaschnereibetrieb

Auf der Grundlage der Modulanordnung, die Ecostream für das eigene Firmendach entwarf, hat Klaus Wölfl die Anlage geplant. In der Ingenieurwerkstatt der Zinco GmbH in Unterensingen landen alle Solarprojekte auf Wölfls Schreibtisch, nach Postleitzahlen geordnet. Gemeinsam mit seinen Kollegen sitzt der Ingenieur in einem der zwei dreigeschossigen Kuben am Rande eines beschaulichen Wohngebiets südöstlich von Stuttgart. 2002 haben die beiden ehemaligen Angestellten Ulrich Schäfer und Dieter Schenk das Unternehmen von Walter Zink übernommen. Beim Betreten der Gebäude wird die Geschichte der Dachbegrünungsfirma spürbar, die Gründer Zink vor rund 35 Jahren aus einem alten Flaschnereibetrieb aufbaute.

Vom Foyer aus führt der Weg über zwei Holztreppen hinauf in den verglasten Besprechungsraum. Hier oben schweift der Blick über modern gestaltete Dachgärten, die sofort zum Verweilen einladen.

Aus dem ehemaligen Flaschnereibetrieb hat sich ein international tätiges Unternehmen entwickelt, das Dachflächen nicht einfach nur begrünt, sondern vielfältig nutzbar macht. Als Dachgarten, Spielplatz, Sportanlage – und für die Produktion von Solarstrom. Damit besetzten die Bauingenieure und Landschaftsarchitekten eine Nische im Bauwesen, die mehr und mehr Anhänger findet. Nach der Übernahme durch Schäfer und Schenk stieg die Zahl der Mitarbeiter innerhalb von vier Jahren von 64 auf 75. Im Herbst letzten Jahres waren die beiden Jungunternehmer Preisträger beim Landespreis für junge Unternehmen der Landesbank Baden-Württemberg. 2008 verzeichnete Zinco einen Umsatz von über 14 Millionen Euro. Mit flachen Hierarchien und einer Arbeit nah am Markt kann das junge Unternehmen heute die Trends vorgeben. So wie die Idee zur Entwicklung der solaren Montagegestelle für Gründächer, die aus der Not geboren wurde. „Wir haben immer öfter Projekte verloren“, erklärt Geschäftsführer Dieter Schenk sein Engagement für den Solarbereich. „Da sagt der Architekt: Tut mir leid, ich möchte gerne ein Gründach auf das Gebäude bringen, aber der Bauherr hat sich für eine Solaranlage entschieden.“ Dieses Dilemma wollten die Unterensinger nicht so einfach hinnehmen. Sie suchten nach einer Möglichkeit, beide Techniken zu kombinieren. Denn das Interesse an Gründächern wächst von Jahr zu Jahr, genau wie das Interesse an Solaranlagen. Gründachkunden, eine Klientel mit ökologischem Bewusstsein, sind potenziell auch an einer sauberen Stromerzeugung interessiert. Dass beides auf ein und derselben Fläche realisierbar ist, wissen jedoch die wenigsten.

Neuartiges Montagesystem

Probleme bereitet das Gewicht. 80 bis 150 Kilogramm kommen zusätzlich durch eine extensive Dachbegrünung pro Quadratmeter aufs Dach. Eine aufgeständerte Photovoltaikanlage benötigt noch einmal so viel Gewicht in Form von Betonblöcken oder Gehwegplatten, die die Montagegestelle beschweren, wenn eine Dachhautdurchdringung vermieden werden soll. Für derart große zusätzliche Lasten sind die wenigsten Dächer ausgelegt. Warum also nicht das Gewicht des Pflanzaufbaus gleichzeitig für die Fixierung der Modulgestelle nutzen, dachten sich die schwäbischen Jungunternehmer.

Schon lange machten sich die Begrünungsprofis auf einem ähnlichen Gebiet das Gewicht des Pflanzsubstrats zunutze. Die Absturzsicherung „Fallnet“ von Zinco schützt Dachgärtner bei der Höhenarbeit allein durch die Auflast des Pflanzaufbaus. Dafür haben die Ingenieure Kunststoffrasterelemente entwickelt, die unterhalb des Pflanzaufbaus verlegt werden. Sie halten die Schiene, an der sich die Dacharbeiter festhaken. Auch Geländer können daran befestigt werden. Der Vorteil: Keine Schraube muss mehr die Abdichtungsschicht des Daches durchbohren.

„Wenn wir Menschen halten können, können wir auch Solarpaneele fixieren“, sagten sich die Unterensinger. Und machten sich an die Arbeit. Die Absturzsicherung ist auf das Abfedern eines einzelnen Rucks ausgelegt. Bei aufgeständerten Solaranlagen muss jedoch ein ständiges Rütteln durch die Windbelastung abgefangen werden. In Kooperation mit der Solarfabrik in Freiburg entwickelten die Ingenieure die Grundlage ihres Montagesystems, die sogenannte Solarbasis. Die zwei Quadratmeter große Platte wird aus dem gleichen Kunststoff hergestellt wie die Drainageelemente, die auf allen Gründächern von Zinco zum Einsatz kommen. Auf der Oberseite der Grundplatte sind lediglich zwei Metallgewinde zu sehen. Hier schrauben die Installateure die Aluminiumgestelle für die Befestigung der Module auf. Durch einen Aluminiumrahmen auf der Unterseite ausgesteift, nimmt die profilierte Platte in ihren Näpfen Pflanzsubstrat aus mit Humus vermischtem Ziegelbruch auf. Die Auflast kommt vom Lkw über einen Schlauch direkt dort an, wo sie benötigt wird. Zur Freude der Handwerker. In besonders windbelasteten Gebieten packen die Dacharbeiter Kieselsteine mit hinein. Maximal 160 Kilogramm pro Quadratmeter bringt Zinco zusätzlich aufs Dach. „Lothar, Wibke und Kyrill haben wir gut überstanden, da haben einige Kritiker gestaunt“, berichtet der 43-jährige Geschäftsführer. „Das ist ein gutes Gefühl, auch wenn man die Statik kennt und ihr vertraut.“

Höhenverstellbare Rahmen

Um sich nicht an einen Hersteller zu binden, entwickelten die Dachbegrüner ihr eigenes Montagegestell für die Befestigung von Solarmodulen und -kollektoren. Versiert im Umgang mit Blechen entwarfen die Ingenieure den schlichten Modulträger aus einem einzigen gekanteten Aluminiumblech. Damit das Dachgrün die Module nicht verschattet, sind Montagerahmen und Pflanzen genau aufeinander abgestimmt. Die extensive Bepflanzung erreicht eine maximale Höhe von acht Zentimetern. Das Montagesystem stellt trotz des niedrigen Wuchses einen Abstand von 30 Zentimetern zwischen Vegetationsober- und Modulunterkante sicher.

Im Kölner Etrium, dem ersten Passivhausbürogebäude Nordrhein-Westfalens, freut sich Christian Welzel über die Eleganz des Montagesystems. „Wir hatten einen hohen ästhetischen Anspruch an die Gestaltung unserer Anlage. Die ist in meinen Augen wirklich gelungen“, sagt Welzel. Das homogene Erscheinungsbild der Dachflächen ist von der zentral gelegenen Terrasse aus gut zu sehen. Speziell für dieses Objekt hat Zinco-Ingenieur Wölfl eine Besonderheit eingeplant. Um die geringe Neigung, die das Flachdach zur Entwässerung hat, auszugleichen, setzte er millimetergenau höhenverstellbare Grundrahmen ein. Damit erreichte Wölfl eine einheitliche Oberkante aller Modulreihen.

Noch machen die Solarbauteile nur rund zehn Prozent vom Gesamtumsatz des schwäbischen Dachbegrünungsunternehmens aus. Allerdings mit steigender Tendenz. Schließlich bedient Zinco mit der Solarbasis für Gründächer dieses Marktsegment seit Jahren allein. Erst seit einigen Monaten bietet auch Mitbewerber Optigrün eine entsprechende Lösung für die fachgerechte Verknüpfung beider Techniken an. Rund fünf Megawatt Leistung sind heute auf deutschen Dächern mit Modulrahmen von Zincoxxx

befestigt.

Vor zwei Jahren zeigten sich die Gründachprofis mit ihrem Solarrahmen erstmals auf der Intersolar in Freiburg. Zu Beginn ernteten die Exoten vielfach Stirnrunzeln. Erst nach ausführlichen Erklärungen leuchtete den Messebesuchern der Zusammenhang zwischen Gründach und Solarinstallation ein. Dabei ist der Synergieeffekt beider Techniken schlicht genial. Während auf nackten und bekiesten Flachdächern an heißen Sommertagen leicht Temperaturen von 60 bis 80 Grad Celsius erreicht werden können, liegen begrünte Dachflächen im Schnitt bei höchstens 35 Grad Celsius. Die geringere Oberflächentemperatur wirkt sich auch günstig auf die Erträge der Solaranlage aus. Je kühler die Solarzellen bleiben, desto mehr Leistung erbringen sie.

Positiver Temperaturausgleich

Dieser Synergieeffekt von Solartechnik und Dachgrün lässt sich durchaus nutzen und widerlegt ein immer noch weit verbreitetes Vorurteil: Solaranlagen nehmen der Begrünung weder Wasser noch Licht, denn die Pflanzen beziehen ihre Feuchtigkeit von unten. Das Regenwasser sammelt sich in den Drainage-Elementen, in denen die Pflanzen wurzeln. Dass das Dach durch den Bewuchs insgesamt träger auf Temperaturveränderungen reagiert, kommt nicht nur den Solarmodulen zugute. Ein langsameres Aufwärmen und Abkühlen schont auch die Materialien. Von 20 auf 30 Jahre kann der Pflanzenaufbau die Lebensdauer des Daches verlängern.

Ende Mai fand im schwäbischen Nürtingen zum zweiten Mal der Internationale Green Roof Congress statt, initiiert von den umtriebigen Unternehmern der Zinco GmbH. Während der zwei Fachexkursionen stiegen die Teilnehmer auf die Dächer und sahen sich unter anderem Photovoltaikanlagen in floraler Umgebung an. Als Referent stellte Christian Welzel das zukunftsweisende Gebäudekonzept des Kölner Etrium vor, das jüngst ausgezeichnet wurde. Die Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen verlieh dem Passivhausbürogebäude eines der ersten Zertifikate in Gold. Damit wird dem Gebäude eine besonders nachhaltige Bau- und Funktionsweise bescheinigt. Teil des Nachhaltigkeitskonzepts ist das Regenwassermanagement mit extensivem Gründach, Solarstromerzeugung inklusive.

Anja Riedel