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Teurer Knabberspaß

Zwei Jahre lang war das Ehepaar Alders aus dem niederbergischen Wülfrath mit seiner Photovoltaikanlage mehr als zufrieden. Immerhin erbrachte sie 15 Prozent mehr Ertrag als prognostiziert. Als im Frühjahr 2010 die Leistung plötzlich rapide abfiel, schickte Klaus Alders zur Ursachenforschung daher umgehend einen Installateur aufs Dach. Dieser entdeckte unter den Ziegeln des Einfamilienhauses ein kuscheliges Steinmardernest – und zwischen den Solarmodulen etliche an- oder sogar durchgebissene Verbindungskabel.

Spielen und erkunden

Beate Ludwig vom Arbeitskreis Wildbiologie an der Universität Gießen wundert es nicht, dass Steinmarder Schäden an Photovoltaikanlagen anrichten. „WoMarder hineinbeißen, ist schlicht eine Frage der Erreichbarkeit.“ Die Biologin hat sich mit ihrem Team 15 Jahre lang mit vergleichenden Verhaltensuntersuchungen an sieben einheimischen Marderarten beschäftigt. Sie hat dabei drei Faktoren identifiziert, die Kabel, Stecker und Schläuche für Marder so faszinierend machen, obwohl es sich dabei – und das ist auch einem Marder klar – nicht um Futter handelt. Erstens: Erkundungsverhalten. Menschen betrachten interessante Dinge und nehmen sie in die Hand, Steinmarder beschnuppern und bebeißen sie, prüfen sie also mit den Zähnen. Zweitens: Spielverhalten. Steinmarder – besonders die Jungtiere – spielen gern, ausdauernd und überschwänglich mit Objekten. Wenn sich die Kinderstube unter den Dachziegeln befindet, wirdeine benachbarte Photovoltaikanlage schnell zu einem willkommenen Tummelplatz. Und drittens: aggressives Beißen. Wenn ein erwachsenes Steinmardermännchen auf die Duftspur eines Rivalen trifft, lenkt der Marder sein aggressives Verhalten auf die Träger dieser Duftspur um, beispielsweise Schläuche und Kabel.

Arena für Revierkämpfe

Das erklärt, warum die meisten Marderschäden im Frühjahr auftreten: Zu dieser Zeit sind die Männchen besonders aktiv und aggressiv, da sie ihre Reviere für die bevorstehende Paarungszeit ausdehnen wollen – Photovoltaikanlagen, die zufällig in der Nähe der Reviergrenzen stehen, können da schnell zum Schauplatz dieser Dominanzstreitigkeiten werden. Und es erklärt auch, warum häufig Autobesitzer Opfer von Marderattacken werden: Unter Umständen fährt ein ahnungsloser Mensch sein Duftwölkchen verströmendes Auto nicht nur zwischen Arbeits- und heimischem Stellplatz hin und her, sondern zwischen zwei Marderrevieren – sehr zum Ärger des vor Ort amtierenden Chefmarders.

Über 50 Millionen Euro Schaden hat der Steinmarder 2009 an Kraftfahrzeugen angerichtet, 207.000 Versicherungsfälle haben die Versicherer gezählt – gut zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Viele Marderschäden werden aber gar nicht gemeldet, weil die Fahrzeuge nicht kaskoversichert sind oder weil Selbstbehalte den Schadensersatz ausschließen. Und andere Marderschäden werden statistisch nicht erfasst, obwohl es sie natürlich gibt – nicht nur in oder an Gebäuden oder Dachstühlen: Marder verursachen beispielsweise auch Kurzschlüsse an Kraftwerken oder Bahnanlagen, die gelegentlich ganze Stadtteile und Bahnlinien stilllegen. „Marder und andere Nagetiere sorgen für lästige und unter Umständen kostenintensive Reparaturen an außen verlegten Schläuchen und Leitungen von Photovoltaikanlagen“, sagt zudem Katrin Rüter de Escobar vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft. „Leider führen wir aber keine gesonderte Statistik zu dieser Art von Schäden, weil sie im Vergleich zu Feuer-, Überspannungs- und Sturmschäden eher gering ausfallen.“ Eines ist allerdings sicher: Marder breiten sich immer mehr aus. Vor 50 Jahren war Deutschland fast marderfrei und derSteinmarder noch vom Aussterben bedroht. Inzwischen ist die Marderdichte in Deutschland so hoch, dass ein frei werdendes Revier in kürzester Zeit wieder besiedelt wird. Die Tiere gelten zudem als äußerst anpassungsfähige Kulturfolger: Ihr bevorzugter Lebensraum sind nicht Wald und Flur, sondern vor allem Dörfer und Städte. Und während sie früher mit Einbrüchen in Hühnerställe die Menschen verärgerten, tun sie das jetzt mit ihrer Vorliebe für kaubare Gummi- und Kunststoffartikel.

Unter einer Motorhaube wurde diese Vorliebe übrigens zum ersten Mal im Jahr 1978 im Nordosten der Schweiz beobachtet. Die Bewohner wunderten sich über seltsame Fälle von Vandalismus: zerschnittene Zündkabel, gelöcherte Kühlschläuche, abgerissene Dämmmaterialien. Erst nach nächtelangen Observierungen überführte damals der Gendarm und Jagdaufseher Ruedi Muggler den Täter auf frischer Tat. Aber das neue Marderhobby breitete sich rasch aus, zunächst in der Schweiz, dann in Österreich und in Deutschland – in gut 15 Jahren von Süd nach Nord, hat der Arbeitskreis Wildbiologie herausgefunden: 1979 gab es erste Schäden im Raum München, 1995 erste Fälle in Kiel.

Als etwa seit dem Jahr 2000 bundesweit immer mehr Photovoltaikanlagen installiert wurden, hatten die Marder also längst Kabel aller Art für sich entdeckt. Und letztlich verlagern Solaranlagen das alte Knabberspiel nur auf eine andere Ebene, deren luftige Höhe für die Tiere kein Hindernis darstellt. Bei rauen oder begrünten Fassaden klettern Steinmarder einfach an der Wand hoch, noch leichter wird der Aufstieg mit Hilfe von Bäumen, Garagen oder Carports. Und einen Einstieg unter die Anlage oder in den Dachstuhl finden die wendigen Tiere aus Sicht der Biologen leicht: Ein Loch mit einem Durchmesser von sechs bis sieben Zentimeter oder ein fünf Zentimeter breiter Spalt genügt.

Abwehrmittel meistens nutzlos

Den vielen Marder-Abwehrmitteln, die im Handel erhältlich sind, oder häufig empfohlenen Hausmitteln wie Klosteinen und Hundehaar steht der Arbeitskreis Wildbiologie übrigens skeptisch gegenüber. Grund sind eigene Versuchsreihen: In mehreren Mardergehegen haben die Forscher mit unterschiedlichen Geruchs- und Geschmacksstoffenpräparierte Kabel und Schläuche ausgelegt und die Schlafkiste eines Marders mit Ultraschall beschallt. „Keines dieser Mittel hat dauerhaft geholfen“, sagt Beate Ludwig. „Wir hatten Geruchsstoffe, die wirklich eklig waren. Die Tiere störte das überhaupt nicht.“ Auch speziell für die Marderabwehr entwickelte Stoffe hätten versagt; und der mit Ultraschall malträtierte Marder im Versuchsgehege habe den ganzen Tag direkt unter der Schallquelle verschlafen. Hochspannungs-Abwehrgeräte dagegen, die dem Marder bei Berührung einen leichten Schlag versetzen, könnten die Nager nachhaltig vergrämen. Und besonders empfehlenswert sind der Biologin zufolge mechanische Schutzvorrichtungen.

Hasendraht und resistente Kabel

Betreiber von Photovoltaikanlagen können daher versuchen, den Einstieg in die Konstruktion für Marder zu erschweren oder unmöglich zu machen. Dafür bieten sich Lochgitter oder auch Hasendraht an, womit das Modulfeld umrahmt wird. Unter den Modulen sollten alle Kabel sauber verlegt sein: Was nicht lose baumelt, ist für Marder schlecht erreichbar und wenig verführerisch. Noch besser ist es, wenn die Kabel außerdem entsprechend ausgerüstet sind, also als nagerfest oder marderresistent gelten – Details verrät ein Blick ins Datenblatt. Bei einem metallischen Nagetierschutz beispielsweise wird das Kabel mit einer metallischen Hülle in Form eines Schichtenmantels versehen, der nichtmetallische Nagetierschutz wird zum Beispiel durch Nylon- oder Polyesterbeschichtungen des Kabels erreicht.

Klaus Alders hat übrigens aus der Nagerattacke auf seine Solaranlage Konsequenzen gezogen. Dass der Installateur angesichts der vielen an- und durchgebissenen Kabel die Anlage wegen Kurzschlussgefahr sofort stilllegte, hat ihn nachdenklich gemacht – es hätte mehr passieren können als ein Abfall der Leistung. Außerdem hat die Marderfamilie nicht nur Komponenten seiner Photovoltaikanlage gelöchert, sondern auch die Haushaltskasse der Familie: Alders beziffert den Schaden aus Ertragsausfall, Material- und Handwerkerkosten auf mehrere tausend Euro. Er hat jetzt eine andere Anlagenversicherung abgeschlossen, die Schäden durch Tierverbiss abdeckt. Und die neuen Kabel sind natürlich nagerresistent.

Petra Hannen