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Atomalarm im Elysee-Palast

Das Handelsblatt hat über umfangreiche Vertuschungen beim Nuklearkonzern Areva berichtet. Nun hat das Unternehmen zugegeben, gut 400 gefälschte oder geschlampte Dossiers in seinen Unterlagen zu haben. In den Strudel gerät auch der Kraftwerksbetreiber EDF. La Grande Nation Nucléaire hat einen neuen Skandal: Arevagate.

Nach dem Bericht des Handelsblattes geht es nicht um leicht austauschbare Ersatzteile, sondern die Herstellung kritischer Bauteile von Atomreaktoren und anderen Kraftwerken. Areva zufolge weisen sie „Anomalien“ auf. „Es handelt sich um fehlende Informationen oder um Widersprüche bei den Angaben.“ sagte eine Unternehmenssprecherin. Man könne noch nicht sagen, ob die Sicherheit der Bauteile gefährdet sei. Teilweise seien sie schon nicht mehr in Funktion, andere würden noch nicht in der Produktion eingesetzt. Der größere Teil aber ist wohl im laufenden Betrieb.

Betrug oder Nachlässigkeit – macht das wirklich einen Unterschied?

Areva kann oder will sich noch nicht dazu äußern, ob Betrug oder „nur“ Nachlässigkeit bei den unzutreffenden Dokumenten im Spiel ist. Falls sich herausstellen sollte, dass mithilfe der „Anomalien“ in den Protokollen über Defekte hinweggetäuscht wurde, müssten wohl Teile zurückgerufen werden und Areva Schadensersatz leisten. Ein Rückruf ist bei Teilen dieser Größenordnung mit der Stilllegung des ganzen Kraftwerks verbunden.

Der Umfang des möglichen Schadens lässt sich also noch nicht bemessen. Der Zeitpunkt für den Skandal ist denkbar ungünstig, denn Areva muss einen Verlust von zwei Milliarden Euro aus dem vergangenen Geschäftsjahr verkraften.

EDF musste einspringen – Elysee-Palast ist in der Verantwortung

Um das Unternehmen zu retten, bestand der Elysee-Palast darauf, dass die gesamten Reaktoraktivitäten vom staatlichen Versorger EDF übernommen werden. Der wehrte sich zwar dagegen, weil er zwei Milliarden Euro aus eigener Kasse zahlen muss, beugte sich letztlich aber dem Willen von Wirtschaftsminister Emmanuel Macron.

EDF zögert nun jedoch die Entscheidung über den Neubau in Hinkley Point hinaus: Nach der Übernahme von Areva müsste das Risiko von 17 Milliarden Euro voll auf die eigene Bilanz genommen werden.

Chaos auf der Baustelle in Flamanville

Chaos herrscht unterdessen beim neuen Druckwasserreaktor, der zurzeit in Flamanville an der Kanalküste gebaut wird. Die Fertigstellung des Reaktors ist bereits seit Jahren überfällig. Im vergangenen Jahr war dort festgestellt worden, dass der Stahl von Boden und Dom eine fehlerhafte Zusammensetzung aufweist. Ein Druckbehälter ist der Kern jedes Reaktors und von essenzieller Bedeutung für seine Sicherheit, da er die Brennstäbe enthält.

Die Herstellung der Teile für den EPR in Flamanville hat mehrere Jahre gedauert. Ein Austausch ist entweder unrealistisch oder hätte zur Folge, dass das AKW erst Jahre später ans Netz gehen kann. Frankreichs Behörde für Nuklearsicherheit ASN hat von Areva zusätzliche Tests verlangt, bevor sie grünes Licht für die Befüllung und spätere Verwendung des fraglichen Druckgefäßes gibt. Diese Versuche laufen noch.

Jahrzehntelang die Öffentlichkeit und Beförden getäuscht

Areva teilte mit, dass man bis ins Jahr 1960 zurück die Unterlagen durchforsche. Jedes Dossier enthält eine exakte Beschreibung der Herstellung, von der chemischen Zusammensetzung des Stahls über jede thermische Behandlung bis zum Schmiedevorgang. Betroffen seien in mehr als der Hälfte der Fälle Bauteile für Atomreaktoren, der Rest entfalle auf Komponenten für konventionelle Kraftwerke. „Bei den nuklearen Teilen geht es um Druckbehälter, Pumpengehäuse, Pumpenringe und anderes“, sagte die Sprecherin. Atomkraftwerke weisen gewaltige, mehr als zehn Meter hohe Pumpen für den Primärkreislauf auf. Sie müssen unter allen Umständen funktionieren, weil der Reaktor andernfalls nicht mehr gekühlt werden kann. Auch radioaktiv verseuchtes Wasser könnte dann austreten – mitten in Europa. (HS, Handelsblatt)