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Still und leise kommt die Post

Erst vor wenigen Wochen wurde der 1.000. Elektrolieferwagen aus der posteigenen Autoproduktion eingeweiht. Die Deutsche Post als Autobauer? Ja, das geht. Wie es dazu kam und was der Konzern zukünftig in puncto Elektromobilität plant, wird im Gespräch mit Achim Kampker, Leiter Elektromobilität bei der Deutschen Post DHL, deutlich.

Ende 2014 kaufte die Post das Aachener Start-up-Unternehmen Streetscooter, das Achim Kampker rund vier Jahre zuvor mit einem Partner gegründet hatte. Seitdem steht die kohlendioxidfreie Logistik bei der Post ganz oben auf der Agenda. Bis 2020 will das Unternehmen seine CO2-Effizienz um 30 Prozent verbessern. Der Konzern plant, seine gesamte Flotte aus Zustellfahrzeugen in Deutschland langfristig durch Elektromobile zu ersetzen. Rund 50.000 Transporter müssten dafür in den kommenden Jahren ausgetauscht werden.

Als Achim Kampker 2006 in Shanghai aus dem Flughafen tritt, überhört er einen vorbeifahrenden Elektroroller und läuft fast in ihn hinein. Schon zu dieser Zeit gibt es in China viele dieser Elektrofahrzeuge, weil die Gesetzgeber Zweitakt-Verbrennungsmotoren aus den Innenstädten verbannt hatten.

Kampker, damals noch Geschäftsführer eines mittelständischen Automobilzulieferers, bleibt gerade noch rechtzeitig stehen – und ist gleichzeitig fasziniert davon, wie schnell sich Elektromobilität durchsetzen kann, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.

Mit einer Idee an die Werkbank

Zunächst beschäftigt er sich nur privat mit dem Thema. Dann, im Jahr 2009, kommt sein Doktorvater Günther Schuh von der RWTH Aachen auf ihn zu, um Kampker für ein Forschungsprojekt zu gewinnen. „Wir wollten herausfinden, mit welchen Methoden es möglich ist, in sehr kurzer Zeit und zu sehr geringen Kosten einen elektrischen Pkw zu entwickeln“, berichtet Kampker. Er nimmt die Herausforderung an und geht noch im gleichen Jahr als Professor nach Aachen.

Dann geht alles sehr schnell. Kampker und Schuh gründen 2010 die Streetscooter GmbH und bilden ein Konsortium zusammen mit der RWTH, anderen Forschungseinrichtungen und rund 80 mittelständischen Unternehmen.

Schon ein Jahr später stellen sie in Frankfurt auf der IAA den ersten Prototyp des „Streetscooter Compact“ vor, einen rein elektrischen Pkw mit 30 Kilowatt Leistung, 45 bis 130 Kilometern Reichweite und einem möglichen Grundpreis von nur 5.000 Euro.

Deutsche Post steigt ein

Der Prototyp sorgt für Aufsehen: „Auf dem Stand besuchte uns Angela Merkel. Sie setzte sich in den Scooter und schaute sich alles genau an. Wir haben ihr das Fahrzeug im Detail erklärt“, erzählt Kampker.

Aber nicht nur die Kanzlerin, sondern auch die Deutsche Post DHL Group wird auf das Projekt aufmerksam. In enger Zusammenarbeit entwickeln die Partner ein eigenes Elektroauto für die Brief- und Paketzustellung, den Streetscooter Work. 2013 werden die ersten 50 Fahrzeuge gebaut.

Geschwindigkeit hat für Kampker einen ganz eigenen Wert. „Wir verbrauchen zu viele Ressourcen, die Zeit ist knapp“, sagt er. „Um eine nachhaltige Welt zu schaffen, müssen wir die Innovationsgeschwindigkeit steigern – und die Innovationen am Ende auch umsetzen.“

Den Beweis tritt er unverzüglich an: Ab 2014 baut seine Firma mit etwa 100 Mitarbeitern in Aachen zunächst 200 Fahrzeuge pro Jahr. Ende 2014 übernimmt die Deutsche Post die Streetscooter GmbH und gliedert sie in den Konzern ein. Kampker wird Geschäftsbereichsleiter für Elektromobilität. „Im Zustelldienst für die letzte Meile sind Elektrofahrzeuge auf lange Sicht wirtschaftlich überlegen“, meint er. „Denn sie sind für die Kurzstrecke mit den vielen Stopps an Ampeln und in Staus einfach besser geeignet.“

Mittlerweile fahren rund 1.000 Streetscooter auf den Straßen. In diesem Jahr sollen über 2.000 Fahrzeuge gebaut und nach und nach bis zu 30.000 Zustellfahrzeuge der Deutschen Post DHL durch das Elektroauto ersetzt werden.

Ergonomie muss stimmen

Kampker betrachtet das Fahrzeug dabei als Betriebsmittel und entwickelt gezielt auf den Einsatzzweck hin.

Um die besonderen Anforderungen bei der Brief- und Paketzustellung zu berücksichtigen, nimmt er die Zusteller mit ins Boot – rund 250 von ihnen arbeiten als Tester an der Entwicklung mit.

Das ist zum Beispiel bei den Türöffnungen wichtig, die mit robusten Scharnieren und einer Aussparung für den Fuß eine besondere Ergonomie aufweisen: „Während jeder Tour muss ein Zusteller bis zu 200 Mal das Auto verlassen und betreten. Deswegen haben wir die unterschiedlichen Arten berücksichtigt, wie Menschen in Fahrzeuge ein- und aussteigen. Die Kopfhaltung und die Bewegungsabläufe etwa sind sehr unterschiedlich.“

Das Be- und Entladen ist von rechts, links und hinten möglich, damit niemand ins Fahrzeug hineinkrabbeln muss. Und die hintere Rückfahrkamera ergänzten die Ingenieure durch eine zweite Kamera an der hinteren rechten Seite, weil dort die Sicht vom Fahrersitz aus eingeschränkt ist. „Wir setzen aber nur das um, was auch wirklich für den Anwender wichtig ist“, berichtet Kampker. „Hinten links gibt es keine Kamera, denn diesen Bereich kann der Zusteller ohnehin gut einsehen.“

Um den Einsatz elektrischer Fahrzeuge in der Fläche zu erproben, testet die Deutsche Post seit rund drei Jahren mehr als 130 Elektroautos, darunter 21 Streetscooter, im Rahmen des Pilotprojekts „CO2-freie Zustellung“. Erstes Testareal war das Stadtgebiet von Bonn. Aufgrund des Erfolgs wird das Projekt sukzessive auf weitere Städte ausgedehnt.

Reichweite auf Bedarf ausgelegt

Dabei setzt die Deutsche Post DHL nun ganz auf den eigenen Streetscooter. „Wir konnten in Bonn zeigen, dass sich unsere Elektrofahrzeuge für den Zustelldienst am besten eignen“, resümiert Kampker. Bei einer Fahrleistung von 30 bis 80 Kilometern pro Schicht legten die Entwickler die Akkureichweite exakt auf den Bedarf aus.

Nachgeladen wird über Nacht in den Betriebshöfen. Die Zusteller mussten ihre Prozesse, die ja bereits optimiert waren, für die Elektrofahrzeuge nicht ändern.

So schnell so weit zu kommen – das konnte Kampker nur ahnen, als er damals in Shanghai dem Elektroroller begegnete. „Ich bin dankbar dafür, zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein“, meint er heute. „Denn was gerade passiert, hat schon eine historische Dimension.“

www.streetscooter.eu

Die Autorin

Karen Baumgarten

war viele Jahre als Technikredakteurin im Automobilbereich aktiv, unter anderem als Chefredakteurin des Magazins „Motor & Reisen“. Seit 2015 ist sie als Referentin im Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie verantwortlich für die Kommunikation der Energiethemen.