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“Auf Nummer sicher“

Welche Bedeutung hat der Haftreibungsbeiwert, um Solaranlagen auf Flachdächern sicher auszulegen?

Franz Stangl: Der Haftreibungsbeiwert ist wichtig, aber als einmalig gemessener Wert nicht so aussagekräftig wie allgemein unterstellt. Viel mehr Bedeutung haben die Begleitumstände und die Umwelteinflüsse. Klar ist zunächst: Die Anlage darf nicht vom Dach fliegen, und sie darf das Dach nicht beschädigen, indem sie beispielsweise auf der Dachfolie wandert.

Welche Faktoren sind dafür ausschlaggebend?

Im Grunde genommen wirken zwei Kräfte: abhebende Kräfte und verschiebende Kräfte. Der Reibbeiwert ist wichtig, um das Verschieben der Anlage zu unterbinden. Gegen abhebende Kräfte ist er nicht wirksam.

Also hat die Haftreibung doch eine hohe Bedeutung?

Natürlich, aber das Problem ist, dass man den Haftreibungsbeiwert nicht so ohne Weiteres dauerhaft und zuverlässig bestimmen kann. Das Dach kann feucht werden, beispielsweise durch Regen. Es kann sich Frost bilden, eine Eisschicht unter den Montageschienen aus Aluminium. Taut dieses Eis im Frühjahr mit den steigenden Temperaturen an, könnte ein gefährlicher Gleitfilm entstehen, auf dem die Anlage rutschen könnte. Auch Schmutz zwischen dem Fuß der Anlage und dem Dach kann sich entsprechend auswirken.

Wie gehen Sie mit diesem Problem um?

Gerade bei kleinen Anlagen mit zum Beispiel sechs Modulen sollte man auf Nummer sicher gehen: Über die berechneten Werte hinaus so viel ballastieren, dass die Anlage garantiert hält. Solche kleinen Anlagen baut man in der Regel auf kleine Flachdächer, die meist aufgrund der geringen Spannweite und ihrer Konstruktion eine hohe Traglast haben. Anders verhält es sich bei größeren Modulfeldern, wo der Wind niemals gleichmäßig angreift.

Warum sind größere Dächer die größere Herausforderung für den Planer?

Die Spannweite ist größer, auch sind die Tragreserven der leichten Dachkonstruktion meist viel geringer. Wir müssen meist nur an den Ecken ballastieren und vielleicht am Rand des Modulfeldes. In der Mitte der Anlage brauchten wir bisher keine Steine. Wenn man nur an den Ecken und am Rand ballastiert, gehen die Kräfte besser in die Stützmauern über. Die Stabilität der Anlage und ihre Ballastierung hängen natürlich auch mit der Neigung des Daches zusammen.

Können Sie das erklären?

Rein rechnerisch können wir jede Dachneigung bis 15 Grad gegen Verschieben durch Wind ballastieren. Doch bei Neigungen über drei Grad spielt neben dem Wind vor allem die thermische Längenausdehnung des Aluminiums eine Rolle. Das Material dehnt sich aus und zieht sich zusammen. Im Einzelfall bedeutet das: Wie eine Raupe wandert die Anlage im Laufe der Zeit vom Dach. Von oben zieht es die Schienen runter und drückt sie nach unten heraus.

Wie bestimmen Sie den Haftreibungsbeiwert?

Wir nehmen bei allen Anlagen einen geringen Beiwert von höchstens 0,4 an. Damit sind wir auf der sicheren Seite. Normalerweise gelten für kunststoffbeschichtete Aluminiumfüße, die auf der Dachfolie stehen, sehr hohe Reibbeiwerte. Wir setzen jedoch höchstens 0,4 an, eben weil Nässe oder Eis eine Rolle spielen könnten. Dann schauen wir uns den Modulplan an und analysieren, ob sich die Module an benachbarten Modulen abstützen können.

Wie weit muss man diese Analyse im Modulfeld fortführen?

Unser größtes zusammenhängendes Modulfeld hatte 10.000 Module. Doch für die Analyse der Kräfte im Modulfeld reicht es aus, bis zum dritten benachbarten Doppelmodul vorzudringen, welches im Verbund installiert ist. Mit diesem Ansatz haben wir bislang viele sehr sichere Anlagen geplant und installiert. Aus Versuchen im Windkanal verfügen wir über Berechnungsmethoden, um beispielsweise die maximalen Schubkräfte zu ermitteln, die auf die Anlage wirken. Sie ist wichtig für die Statik der Halle, die diese Kräfte aufnehmen muss.

Flachdächer sind unterschiedlich geneigt. Welche Erfahrungen ergeben sich aus dem Neigungswinkel des Daches im Hinblick auf die Kräfte im Modulfeld?

Bei typischen Flachdächern von zwei Prozent Steigung, also etwa einem Grad Neigungswinkel, ist diese Vorgehensweise sinnvoll. Das gilt bis etwa drei Grad. Denn je flacher ein Dach ist, desto geringer sind die verschiebenden Kräfte im Verhältnis zu den abhebenden Kräften. Bei fünf, zehn oder gar 15 Grad werden die verschiebenden Kräfte aus anderen Ursachen als dem Wind immer entscheidender, viel größer und in der Summe schwer berechenbar. Bei steileren Dächern muss die Anlage daher neben der Ballastierung zusätzlich gegen Abrutschen gesichert werden.

Warum brauchen Sie den Ballast?

Die Ballastierung auf dem Flachdach erfolgt zunächst, um die Anlage punktuell gegen Abheben zu sichern. Für die Verschiebung aufgrund von Wind können dann größere Modulverbände betrachtet werden, die sich schon miteinander verschieben müssten. Auch unterscheiden sich die Montagesysteme je nach Ausrichtung. Südsysteme verfügen auf der Nordseite meist über steile Windbleche. Dort kann der Wind besser angreifen, dadurch erzeugt er bei gleichem Anstellwinkel der Module mehr Schub als in einem aerodynamischen Ost-West-System. Ebenso wird bei Ost-West-Systemen mit steilerem Neigungswinkel der Module, wie zum Beispiel 20 Grad, mehr Schub erzeugt als bei lediglich zehn Grad Neigung.

Wenn die verschiebenden Kräfte bei stärkerer Dachneigung steigen, ergibt sich die Frage: Wie kann man die Anlage in solchen Spezialfällen sichern?

Bei Flachdächern mit über drei Grad ist es zusätzlich notwendig, die Anlage über den First zu verhängen. Dann können die beiden Teile einer Anlage jeweils als Gegengewicht dienen, die sich gegenseitig halten. Man kann auch Anhängepunkte in der Dachkonstruktion herstellen. Dazu muss man jedoch das Dach öffnen und nach der Montage wieder abdichten.

Gängige Praxis ist es, die Anlagen auf Bautenschutzmatten zu stellen. Dadurch entstehen besondere Reibpaarungen aus verschiedenen Materialien. Wie problematisch ist das?

Auf einem Bitumendach kommt man ohne Bautenschutzmatten nicht aus. Wichtig ist vor allem, wie die Matten mit der Anlage verbunden sind. Oft werden die Anlagenfüße auf schmale Mattenstreifen gestellt, die rechts und links nur wenige Zentimeter breiter sind. Beispielsweise bei Frost könnte der Anlagenfuß von der Matte rutschen, dann kommt das Aluminium direkt mit dem Dach in Berührung. Das ist ganz schlecht.

Wäre es ein Weg, die Matte fest mit dem Montagesystem zu verbinden? Dann könnte das Gestell nicht mehr abrutschen ...

Das ist bei normalen Kunststoffbahnen kein Problem, aber bei bituminösen Dächern sehr heikel. Denn Bitumen wird in der sommerlichen Hitze weich, beinahe sogar flüssig. Sind die Aluminiumfüße fest mit der Bautenschutzmatte gekoppelt, könnte sich das System ins Bitumen schieben und Falten werfen. Mit der Zeit könnte es Löcher in die Dachhaut graben, die Bitumendecke reißt. Andererseits gilt auch: Wenn die Anlage ganz frei und entkoppelt auf der Bautenschutzmatte steht, könnte das Aluminium auf dem Gummi rutschen. Die Matte nimmt Wasser auf, das im Winter gefriert. Steigen im Frühjahr die Temperaturen, wird das Aluminium sehr schnell warm. Das Eis taut, es entsteht der tückische Gleitfilm.

Wie hoch ist der Beiwert in diesem Fall?

Dann kann man den Haftreibungsbeiwert kaum noch schätzen. Für diese Reibpaarung gilt also genauso wie für die Bautenschutzmatte auf dem Dach im Zweifel ein sehr geringer Haftreibungsbeiwert, sodass entsprechend gegen Verschieben durch Wind ballastiert werden muss. Die bei der thermischen Längenausdehnung auftretenden Kräfte dagegen sind so hoch, dass sie konstruktiv abgefangen werden müssen: Das Montagesystem muss in der Lage sein, den größten Teil der Dilatation aufzunehmen. Dann können verbleibende Längenausdehnungen bis zu einem bestimmten Grad von der Bautenschutzmatte selbst oder durch temporäres Verschieben des Systems auf der Bautenschutzmatte abgefangen werden. In Abhängigkeit zur Dachneigung könnte sich jedoch auch hier ein Raupeneffekt einstellen.

Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus?

Auf keinen Fall sollte sich die Längenausdehnung mit ihren Kräften in der Auflagefläche auf der Dachhaut auswirken. Deshalb sollte man lange Aluminiumprofile von beispielsweise zwölf Metern vermeiden. Besser sind sechs Meter oder kurze Montagestücke, die wir bevorzugen, mit je 2,10 Metern Länge. Dann spielt die thermische Längenausdehnung des Metalls kaum eine Rolle.

Wie wichtig sind Inspektionen und Wartung?

Es ist erforderlich, in bestimmten Zeitabschnitten zu kontrollieren, ob sich etwa Anlagenteile auf den Bautenschutzmatten verschoben haben, um dann rechtzeitig Gegenmaßnahmen treffen zu können. Bei einer so sensiblen Konstellation aus teilweise konkurrierenden Anforderungen ist das der einzige Weg, Schäden am Dach zuverlässig zu vermeiden.

Bauen Sie die Anlagen bis an die Dachkante?

Das ist aus mehreren Gründen zu vermeiden. Wenn die Module mit der Dachkante abschließen, greift der Wind ungünstig an. Außerdem braucht man Wartungswege. Wir orientieren uns an den Anschlüssen der Folien am Dach. Und man braucht ausreichend Platz, um die Gullys auf dem Dach zu reinigen. Wenn die Gullys nicht regelmäßig gesäubert werden, stehen nicht selten zehn Zentimeter Wasser auf dem Dach. Da kommen Sie mit Gummistiefeln kaum durch. Bei einem Starkregen werden es schnell 30 Zentimeter, und das kann für das Dach gefährlich werden, auch ohne Photovoltaikanlage. Deshalb gilt: regelmäßige Wartung und Kontrolle – unabhängig von der Photovoltaikanlage.

Das Gespräch führte Heiko Schwarzburger.

www.ambivolt.de

Dr. Franz Stangl

ist Gründer und Gesellschafter der Firma Ambivolt Energietechnik in Gangkofen bei Landshut. Der promovierte Agrarwissenschaftler war Berater bei den Vereinten Nationen, wo er sich bereits 1995 mit Datenbanken im Internet beschäftigte. Danach war er für den Mobilfunkanbieter O2 tätig, leitete acht Jahre lang die Softwareentwicklung für die Internetportale. Seit 2006 ist er in der Photovoltaik engagiert, zunächst in Spanien, später in Deutschland.

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