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“Bedarf ist rein marktgetrieben“

Ist die geplante Stromautobahn nach Bayern mit der Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) wirklich nötig?

Josef Hasler: Wir sehen grundsätzlich einen Bedarf für Netzausbau, ja. Aber der Bau einer HGÜ-Trasse, begründet über die Versorgungssicherheit in Bayern, ist nicht nötig. Der Transportbedarf ist aus unserer Sicht rein marktgetrieben. Der EU-Binnenmarkt ist wohl eher der Grund, warum die beiden HGÜ-Trassen nach oder durch Bayern laufen sollen. Ziel scheint zu sein, Deutschland als die zentrale Kupferplatte Europas zu installieren, damit der liberalisierte Strommarkt genügend Transportkapazitäten bekommt.

Gibt es einen Widerspruch zwischen Händlersicht und Versorgungssicherheit?

Dahinter stehen natürlich unterschiedliche Ziele und Interessen. Wenn nun neue HGÜ-Trassen gebaut werden, dann legen wir uns für die nächsten 30 bis 40 Jahre fest. Welche dezentralen Energieversorgungs- und Geschäftsmodelle können sich dann noch entwickeln? Die HGÜ-Technik passt nicht zu einer Energiewende, die nah am Verbraucher stattfindet.

Was bedeutet die HGÜ-Trasse für eine dezentrale Energiewende?

Sie nimmt uns ein entscheidendes Maß an Flexibilität. Es ist heute nicht seriös abzuschätzen, wie sich Energiespeicher und auch die Technologien der Ökostromanlagen in zehn oder auch 20 Jahren entwickeln. Die neuen Techniken haben es dann schwerer, in einen Markt mit oligopolistischen Strukturen zu kommen.

Wie ist die Versorgungssicherheit in Bayern Ihrer Meinung nach günstiger zu sichern: mit neuen Stromtrassen, mit Back-up-Gaskraftwerken oder anderen Maßnahmen?

Die tatsächlichen Kosten der HGÜ-Leitung kennen wir gar nicht. Wie viele Leitungen beispielsweise auf einem Mast laufen, wie hoch der Anteil der Erdverkabelung ist und wie stark der Eingriff in die Natur sein wird, ist nicht genau zu beziffern. Sehr viel hängt vom angenommenen Betrachtungszeitraum ab. Das muss in der Diskussion aber klar sein.

Was bedeutet es für den Verbraucher, wenn die HGÜ-Leitung kommen sollte?

Der Verbraucher trägt die Investitionskosten, und die Investoren bekommen eine Verzinsung von rund neun Prozent für das investierte Kapital. Das betrifft natürlich nur die Verbraucher, die auch Netzentgelte zahlen.

Schaffen sich die Übertragungsnetzbetreiber mit dem Netzentwicklungsplan eine Art Kapazitätsmarkt für Stromtrassen?

Der Netzentwicklungsplan ist in jedem Fall zu statisch. Er geht von zentralen Großkraftwerken und verbrauchsfernen, regenerativen Energieerzeugern aus, die einen erhöhten Netzausbau brauchen. Ein dezentrales und verbrauchsnahes Energiesystem braucht das Gros der geplanten Netze nicht. Das angenommene Marktdesign im Netzentwicklungsplan führt daher zu einer Überdimensionierung der Stromnetze. Innovative und regionale Versorgungskonzepte werden untergraben. Klar ist: Es gibt einen Zielkonflikt zwischen zentraler und dezentraler Versorgung.

Wie lässt sich das Argument, der EU-Binnenhandel treibe den Netzausbau, belegen?

Die Zahlen, die auf dem bayerischen Energiedialog von der Bundesnetzagentur vorgestellt wurden, sprechen für sich: Bayern hat eine Höchstlast von rund zwölf Gigawatt. Wenn die AKW wie geplant vom Netz gehen, bleiben noch sechs bis acht Gigawatt gesicherte Erzeugungskapazitäten übrig. Bayern verfügt über rund 20 Gigawatt gesicherte Übertragungskapazität zu den Nachbarn. Mit Inbetriebnahme der Thüringer Strombrücke sind es bereits 23 Gigawatt. Wozu also zusätzliche Leitungen bauen? Die entscheidenden Fragen sind hier, wo die nötigen gesicherten Erzeugungskapazitäten zukünftig angesiedelt und wie viel Kapazität für Energietransite durch Deutschland und Europa nötig werden.

Dennoch ist Netzausbau nötig.

Richtig, aber nicht nur in den Übertragungsnetzen. Wir investieren jedes Jahr rund 15 Millionen Euro allein in den EEG-bedingten Netzausbau. Das Geld fließt in die Nieder- und Mittelspannung und zukünftig auch in das Hochspannungsnetz: in 400-Volt-Kabel, Leitungen mit 20 Kilovolt und in die Hochspannung mit 110 Kilovolt. In unserem Netz sind bereits 45.000 Photovoltaikanlagen und viele kleine Energiespeicher angeschlossen.

Sollte es künftig finanzielle Anreize geben, um Anlagen nah am Verbraucher anzusiedeln?

Die aktuellen Randbedingungen sorgen dafür, dass sich erneuerbare Erzeugungsanlagen im Wesentlichen weit weg von den Verbrauchern ansiedeln, wie die Windenergie beispielsweise im Norden und Osten. Die installierte Leistung übersteigt zu vielen Zeiten den lokalen Verbrauch um ein Vielfaches. Eine dezentrale Optimierung findet aktuell nicht statt. Die Folge ist ebenfalls weiterer Netzausbaubedarf. Eine Ansiedlung von Energieerzeugungsanlagen nah am Verbraucher reduziert den Netzausbau.

Wie könnte das konkret aussehen?

Es muss ein Anreiz für die lokale Optimierung von Verbrauch und Erzeugung geschaffen werden. KWK-Anlagen sollten stärker gefördert werden, um sie weiter in den Markt zu bringen. Diese Energieerzeugungsoption ist immer lastnah, da sie sich am Wärmebedarf orientiert. Sie erreicht einen Effizienzgrad von 80 bis 90 Prozent.

Der Deutschlandchef von GE, Stefan Reimelt, hält eine Stromflatrate für denkbar? Wie sehen Sie das?

Wenn man den Strompreis analysiert, dann bestehen die Netzentgelte überwiegend aus Fixkosten. Die Netzentgelte machen rund ein Drittel von derzeit 28 Cent pro Kilowattstunde aus. Und die gesetzlichen Umlagen liegen nochmals bei der Hälfte des Haushaltspreises. Dann bleiben nur noch ein Sechstel oder 4,5 Cent übrig. Die Frage ist, ob sich eine verbrauchsabhängige Abrechnung mit dem Messaufwand dann noch lohnt. Oder ob die Kosten der Erhebung nicht zu hoch sind. Die Telekommunikationsbranche bietet schon lange Flatrate-Tarife an. Negativ ist der Anreiz allerdings in Hinblick auf das Ziel, Energie zu sparen. Sollten wir künftig aber zu viel Strom im Netz haben, ist eine Flatrate durchaus vorstellbar.

Mit welchen Produkten und Dienstleistungen können Sie als Stadtwerk künftig überhaupt Geld verdienen?

Das hängt stark vom zukünftigen Marktdesign ab. Gaskraftwerke verdienen derzeit jedenfalls kein Geld. Sollte künftig die regionale Erzeugung und das Lastmanagement eine Rolle spielen, dann haben wir Möglichkeiten, sozusagen hinter dem Zähler Geld zu verdienen. Schwierig genug wird das allemal.

Das Interview führte Niels Hendrik Petersen.

Josef Hasler

gehört seit 2007 dem N-Ergie-Vorstand an. Er war zuvor für Finanzen, Informationstechnologie und Netzkonzessionen zuständig. Seit August 2011 ist er Vorstandschef der VAG Verkehrs-Aktiengesellschaft sowie Chef der Städtischen Werke Nürnberg. Den Städtischen Werken gehören die N-ergie Aktiengesellschaft zu 60 Prozent und die VAG vollständig.

www.n-ergie.de

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