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Der Doktor aus der Box

Zufrieden schaut Ove Asmussen auf den Wechselrichter. Er vergleicht die Daten mit denen der benachbarten Geräte. Es ist gelungen: Nach jahrelangen Ertragsverlusten liegt die Leistung der Strings an Wechselrichter 6 wieder fast gleichauf mit denen der anderen Wechselrichter der Anlage auf dem Getreidelager in Weddingstedt.

In dem kleinen Örtchen nördlich von Heide in Schleswig-Holstein betreibt ATR Landhandel mit Hauptsitz in Ratzeburg eines seiner Lager. Die Dächer aller Gebäude in Weddingstedt sind mit Solaranlagen belegt. So ist auch auf der Getreidelagerhalle ein Generator mit einer Gesamtleistung von etwa 100 Kilowatt installiert. Nachdem die Anlage einige Jahre lief, stellte Asmussen fest, dass die Erträge mehrerer Strings in den Keller gingen. Sie lagen regelmäßig zwischen gut sieben und fast 40 Prozent unter den Einstrahlungswerten.

Fehler systematisch suchen

So produzierten die anderen Strings der Anlage im Januar über sieben Kilowattstunden pro Kilowatt installierter Leistung. Der Ertrag der Strings an den Wechselrichtern 3 und 6 betrug aber nur 6,2 und 5,8 Kilowattstunden pro Kilowatt Leistung. Ein Unterschied von etwas weniger als 20 Prozent.

Diese Differenzen setzten sich im Laufe des Jahres fort. Immer lag der Ertrag der beiden Strings an Wechselrichter 6 zwischen 13 und 20 Prozent unter dem der Strings am benachbarten Wechselrichter 5.

Schnell war klar, hier stimmt etwas nicht. Die Regelmäßigkeit, mit der die Erträge geringer waren, sind keine zufälligen Ausreißer, sondern ein eindeutiges Zeichen für einen Fehler an den Modulen oder an den Strings. Doch wo konnte dieser liegen? Eine Sichtkontrolle ergab keine Anhaltspunkte. Die betroffenen Strings waren weder verschattet noch stärker verschmutzt als die anderen Module auf dem Dach des Getreidelagers. Die konnte also nicht der Grund für den Minderertrag sein.

Jetzt musste der Fachmann ran und den Fehler systematisch suchen. Asmussen beauftragte den Installateur, der die Anlage gebaut hatte. Dieser machte Wärmebilder von den Modulen und verglich sie mit den Paneelen der benachbarten Strings. Bei der Auswertung der Bilder zeigte sich eindeutig, dass sich in die Strings eine potenzialinduzierte Degradation (PID) eingeschlichen hatte.

Dabei handelt es sich um einen Moduldefekt, der aufgrund eines hohen Potenzialunterschieds zwischen den Solarzellen und der Erde entsteht (siehe Interview mit Volker Naumann). Dieser tritt nur bei Anlagen auf, die mit Wechselrichtern ohne Trafo gebaut wurden.

Denn dann fehlt die galvanische Trennung zwischen dem Wechselstromnetz und den Solarzellen. Dadurch kann der Minuspol der Solaranlage nicht mehr geerdet werden, wodurch sich der Potenzialunterschied aufbaut. Vor einem solchen Fehler ist niemand absolut sicher. Jeder Modulhersteller hat mehr oder weniger intensiv mit dem Problem zu kämpfen.

Bisher gibt es keine Module, bei denen von vornherein die PID komplett ausgeschlossen werden kann, auch wenn die Hersteller durch verschiedene Maßnahmen das Risiko inzwischen eindämmen konnten. Sie nutzen bewährte Materialkombinationen, mit denen kein PID aufgetreten ist.

Das Muster, das sich auf den Wärmebildern der betroffenen Strings zeigt, ist ziemlich eindeutig. Denn das Problem entsteht am Minuspol, setzt sich weiter über die Außenkanten der Module fort und wandert nach und nach zum Pluspol. So sind auch die Module am Anfang des Strings zunächst stärker von PID betroffen als die Module an dessen Ende.

PID ist eindeutig nachweisbar

Die potenzialinduzierte Degradation lässt sich noch besser mit einer Elektrolumineszenzaufnahme nachweisen. Dazu werden die Zellen an eine Spannungsquelle angeschlossen und bestromt. Dadurch stellt sich der Effekt ein, dass die Zellen anfangen, im nahen Infrarotbereich zu leuchten. Dieses Leuchten kann man mit einer speziellen Kamera aufnehmen. Auf den Bilder zeigen sich die intakten Bereiche von Zellen oder Modulen als hell leuchtende Flächen. Defekte Zell- oder Modulbereiche leuchten hingegen weniger stark oder bleiben ganz dunkel.

Auf diese Weise können die Elektrolumineszenzbilder auch eine PID zeigen. Denn auch auf diesen Aufnahmen zeigt sich – wie im Wärmebild – das eindeutige Muster. Die Zellen am Minuspol und am Rand der ersten Module bleiben dunkel, während die anderen Zellen hell leuchten. Je nachdem, wie weit die PID schon fortgeschritten ist, bleiben mehr Bereiche dunkel, wobei sich bei jedem einzelnen Modul das typische Muster zeigt. Die PID beginnt am Rand und setzt sich dann nach innen fort.

Die Thermografie- und Elektrolumineszenzaufnahmen sind derzeit die einzigen Möglichkeiten, PID auf die Schliche zu kommen und den Effekt zu belegen. Zwar kann auch eine zu niedrige Leerlauf- und Betriebsspannung ein Indiz für PID sein. Außerdem ist PID auch in einer Strom-Spannungs-Kennlinienmessung erkennbar. Doch eindeutig nachweisbar ist die PID nur mittels dieser beiden bildgebenden Verfahren.

Die Module unter Strom setzen

Ertragsminderungen können viele Ursachen haben. Ein Indiz kann ein immer stärker werdender Rückgang des produzierten Stroms sein. Doch taugt das nicht, um ganz eindeutig darauf zu schließen, dass die PID den Generator befallen hat.

Denn auch Risse in den Zellen werden durch die thermische Belastung bei Temperaturschwankungen größer, und damit erhöhen sich auch die Ertragsminderungen, die aus solchen Defekten resultieren. Um zweifelsfrei zu klären, um welchen Defekt es sich handelt, geht es kaum ohne die bildgebenden Verfahren.

Die eindeutige Bestimmung, ob Module oder Strings von PID betroffen sind, ist wiederum extrem wichtig. Denn es gibt Abhilfe. Bei anderen Fehlern müssen die betroffenen Module ausgetauscht werden. Bei PID können sie wieder regeneriert werden. Dazu kehrt man den Effekt einfach um. Indem man die Solarmodule auf ein hohes positives Potenzial gegenüber der Erde setzt, wandern die störenden Ionen aus den Zellen wieder zurück in das Modulglas.

Dieses hohe Potenzial erreicht man, indem in der Nacht eine Spannung von bis zu 1.000 Volt angelegt wird. „Die Lösungen basieren alle auf diesem Prinzip“, erklärt Davy Verheyden. Der Ingenieur war maßgeblich an der Entwicklung einer neuen Lösung zur Heilung von PID beteiligt.

Die Hälfte der Anlagen ist betroffen

Unter dem Namen Pidbull ist sie seit Längerem auf dem Markt. Das Unternehmen hatte die Lösung eigentlich für seine eigenen Anlagen entwickelt. Denn Pidbull ist eine Tochterfirma von Edison Energy, einem Entwickler und Betreiber großer Solaranlagen in Belgien und den Niederlanden. „Wir haben unsere Anlagen getestet und dabei festgestellt, dass etwa die Hälfte davon von PID betroffen war“, erinnert sich Verheyden.

Sie haben sich deshalb zusammen mit den Wissenschaftlern vom belgischen Forschungsinstitut IMEC in Leuven drangemacht und eine Lösung für dieses Problem entwickelt. „Die gefundene Lösung ist einfach nachzurüsten und brauchbar für große Anlagen mit vielen Stringwechselrichtern“, erklärt Verheyden.

Den Fortschritt kontrollieren

Auch Pidbull setzt natürlich am bekannten Prinzip an. Doch unterscheidet sich die Lösung des jüngsten Herstellers von PID-Boxen leicht von denen der bisherigen Anbieter am Markt: Ilumen und Padcon. Sie besteht aus einer Masterbox und vielen Stringboxen, jeweils eine für zwei Modulstrings.

In jeder Anlage wird eine Masterbox benötigt, die mit einer Spannungsquelle verbunden ist. An diese Zentraleinheit werden dann in Reihen alle Stringboxen – die Pidbulls – angeschlossen. Diese werden zwischen Wechselrichter und Modulstrings geschaltet.

Die Masterbox steuert alle installierten Stringboxen und versorgt diese mit Strom. In dem Master ist außerdem noch die gesamte Messelektronik und ein Datenlogger untergebracht. „So können wir sehen, was die Anlage während der Nacht tut, und nachvollziehen, wie weit der Regenerationsprozess schon vorangeschritten ist“, sagt Verheyden.

Da alles über die Mastereinheit gesteuert wird, können hier alle Veränderungen wie beispielsweise Softwareupdates erfolgen. „Wenn wir 50 oder 100 Wechselrichter in einer Anlage haben, sind auch genauso viele Boxen installiert. Wenn wir dann an jeder Box eine neue Software aufspielen müssten, wäre das viel zu aufwendig“, sagt Verheyden.

Das Starterset zum Testen

Inzwischen bieten die Belgier auch ein Probepaket unter dem Namen PID-Check an. Es besteht aus einer Master- und zwei Stringboxen sowie den für die Installation notwendigen Kabeln. „Diese Boxen werden präventiv in der Anlage installiert, und so hat der Betreiber vier Referenzstrings, mit denen er die Erträge der anderen Strings in der Anlage vergleichen kann“, beschreibt Verheyden den Ansatz. „Wenn nach einigen Jahren die anderen Strings weniger Erträge bringen als die Referenzstrings, weiß der Anlagenbetreiber, dass sein Generator von PID betroffen ist.“

Dann kann er an die Masterbox noch weitere Stringboxen anschließen und so die Strings regenerieren, in die sich PID eingeschlichen hat.

Für die Anlage in Weddingstedt ist ein solches System aber übertrieben. Deshalb hat sich Ove Asmussen für die PID-Boxen von Ilumen entschieden. Die Geräte des Herstellers aus dem belgischen Tessenderlo werden einfach neben den Wechselrichter an die Wand geschraubt. Danach zieht der Handwerker die Anschlusskabel der Strings vom Wechslrichter ab und schließt sie an die Ausgangsseite der Box an. Danach verbindet er die Eingangsseite der Box mit den Stringanschlüssen am Wechselrichter. So kann die Box in der Nacht die hohe Spannung an die Strings anlegen. Tagsüber lässt sie den von der Solaranlage produzierten Strom einfach durch.

Box zwischen Wechselrichter und String

Der Solsarstrom kann dann ungehindert zum Wechselrichter fließen, ohne dass dieser merkt, dass überhaupt eine PID-Box zwischen ihm und den Modulen angeschlossen ist. An jede der Boxen passen zwei Strings. Pro Wechselrichter mit zwei MPP-Trackern wird nur ein Gerät benötigt.

Asmussen ist zufrieden mit dem Ergebnis. Zunächst hat er nur den Wechselrichter 6 mit einer PID-Box ausstatten lassen. Nach nur wenigen Tagen waren schon die ersten Heilungseffekte zu spüren. Denn der Ertrag der beiden betroffenen Strings ging wieder in die Höhe. Nachdem im August des vergangenen Jahres die Boxen installiert wurden, lag der Ertrag aus dem Wechselrichter 6 schon einen Monat später nur noch 2,7 Prozent unter dem der Strings, die an Wechselrichter 5 angeschlossen sind.

Die Module haben sich noch weiter erholt, sodass die Minderleistung bis zum Jahresende auf unter zwei Prozent gesunken ist. Der Solarteur geht davon aus, dass in wenigen Monaten die Ertragseinbußen vollständig verschwinden und die Module jedes Jahr wieder die erwarteten 1.000 Kilowattstunden Strom pro Kilowatt installierter Leistung erzeugen. Nachdem die erste Box so gut funktioniert hat, will Asmussen jetzt noch weitere Boxen installieren lassen. Denn auch die Strings an Wechselrichter 3 zeigen die gleichen Probleme.

www.pidbull.com

Kurz nachgefragt

„Zwischen Zellen und Erde baut sich ein Potenzial auf“

Was ist PID genau?

Volker Naumann: PID bei Solarmodulen mit kristallinen Siliziumzellen entsteht dadurch, dass Natriumatome in der Zelle leitfähige Kanäle schaffen. Durch das Eindringen des Natriums in Kristalldefekte entstehen lokale Kurzschlüsse in der Zelle.

Wie kommt das Natrium in die Zelle?

Weil sich ein Leckstrom vom Modulglas bis hin zur Solarzelle ausbildet, baut sich ein sehr hohes Potenzial über die sehr dünne Siliziumnitridschicht auf, die über dem kristallinen Silizium liegt. Es liegt eine Spannung von bis zu 30 Volt über dieser 80 Nanometer dünnen Schicht an. Diese hohe Feldstärke verursacht, dass Natriumionen von der Zellenoberfläche durch das Nitrid hindurch zur Siliziumoberfläche wandern können. Eigentlich ist die Siliziumnitridschicht dafür bekannt, eine schwer durchdringbare Barriere gegen die Natriumionen darzustellen. Doch durch das starke elektrische Feld, das sich aufgrund des Leckstroms ausbildet, funktioniert das nicht mehr und das Natrium kann bis zur Grenzfläche zwischen Siliziumnitrid und Silizium vordringen.

Wie breitet sich dieser Effekt dann weiter über die anderen Zellen aus?

Diese Wanderung der Natriumionen in die Zellen passiert an vielen Stellen auf den Solarzellen und überall im Modul gleichzeitig. Das hängt von der Stärke des jeweils vorhandenen lokalen Potenzials ab. Das ist nahe am Minuspol eines Modulstrangs höher als in Richtung des Pluspols, und dadurch sind die Zellen dort eher betroffen. Die Temperatur ist auch ein entscheidender Faktor.

Was können die Hersteller tun, um der PID beizukommen?

Es würde helfen, die Siliziumnitridschicht elektrisch leitfähig zu machen. Das geht beispielsweise, indem man den Brechungsindex des Nitrids durch den Einbau von mehr Siliziumatomen gegenüber den Stickstoffatomen erhöht. Dadurch würde die Nitridschicht leitfähiger und die hohen Feldstärken innerhalb dieser Schicht verhindert. Denn dann fließen Elektronen durch die Nitridschicht und leiten den Leckstrom ab. Die Natriumionen könnten nicht mehr ins Silizium wandern.

Warum machen das die Hersteller nicht?

Wenn der Brechungsindex ansteigt, funktioniert die Nitridschicht nicht mehr als optimale Antireflexschicht. Wenn die Hersteller die Nitridschicht leitfähig machen, handeln sie sich Effizienzverluste ein. Die meisten Hersteller bewegen sich deshalb an der Grenze, wo sie gerade noch PID-resistent sind, aber nicht zu viel Wirkungsgradverlust haben. Die Schwierigkeit der Produzenten ist, darauf zu achten, dass der Prozess nicht aus dem Ruder läuft und die Grenze in eine Richtung überschritten wird.

www.csp.fraunhofer.de

Volker Naumann

ist am Fraunhofer-Center für Silizium-Photovoltaik (CSP) in der Gruppe Diagnostik von Solarzellen tätig. Die Gruppe hat zusammen mit Freiberg Instruments ein PID-Testgerät für Zellhersteller entwickelt.

Freiberg Instruments

PID-Test in der Zellherstellung

Zusammen mit den Forschern des Fraunhofer-Centers für Silizium-Photovoltaik (CSP) haben die Ingenieure von Freiberg Instruments einen Zelltester für PID entwickelt. Die Hersteller von Solarzellen können mit dem Pidcon – so der Name des Geräts – stichprobenartig überprüfen, ob ihre Produkte immer noch die gewünschte Resistenz gegen potenzialinduzierte Degradation aufweisen oder ob der Produktionsprozess aus dem Ruder läuft. Dazu unterziehen sie mit dem neuen Gerät alle vier Stunden eine Solarzelle einem PID-Test und sind so sehr viel schneller in der Lage, auf etwaige Probleme im Produktionsprozess zu reagieren als bisher.

Das Gerät hat eine Grundfläche eines A4-Blattes und ist 25 Zentimeter hoch. Der Mitarbeiter legt zunächst die zu testende Solarzelle ein. Auf diese legt er ein Stück EVA-Folie und ein Stück Modulglas. Danach klappt er den Deckel herunter. Das Testgerät heizt sich auf 150 Grad Celsius auf, und unter Druck werden die Bestandteile miteinander verschmolzen. Damit entsteht ein kleines Probelaminat mit den gleichen Materialien, wie sie auch in der Modulproduktion verwendet werden.

Danach kontaktiert der Zelltester das kleine Probelaminat auf der gesamten Vorderseite. Damit kann der Zelltester an die Probe eine Hochspannung anlegen und so PID provozieren. Im Inneren des Geräts herrscht jetzt eine Temperatur von 85 Grad Celsius. Der Tester misst während dieses Prozesses immer wieder, ob in der Zelle PID auftritt. Dieses Vorgehen entspricht vom Prinzip her den PID-Prüfungen von Modulen, wie sie auf Basis der Norm IEC 62804 im Labor gemacht werden.

www.freiberginstruments.com

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