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Module schlucken Dezibel

Ein Sprichwort sagt: „Lärm macht nichts Gutes und Gutes macht keinen Lärm.“ So platt Sprichwörter manchmal sein mögen, so genau bringen sie komplexe Zusammenhänge mit wenigen Worten auf den Punkt. Im Fall Neuötting war klar, dass ein neu ausgewiesenes Baugebiet und die neue Montessori-Schule einen Lärmschutz brauchten.

In einem Bericht der Lokalpresse hieß es dazu: „Da die zulässige Dezibelzahl an den Straßengrundstücken nachts um bis zu acht Dezibel überschritten wird, muss ein Lärmschutz her, denn ab vier Dezibel betritt man den Bereich der Gesundheitsgefährdung.“ Für die Stadt und insbesondere für das Bauamt von Neuötting eine große Herausforderung, denn es bestand die Pflicht zum Bau eines Lärmschutzes auf kleinem Grund und mit fünf Metern Höhe – bei möglichst geringen Kosten.

Solar statt Beton

„Die günstigste Lösung wäre die blickdichte, graue Lärmschutzwand aus Beton gewesen, die in Neuötting aber keiner haben wollte“, kommentiert Bauamtsleiter Alois Schötz. Um den bestmöglichen Lärmschutz zu realisieren, hat die Stadt Neuötting bereits lange vor der Ausschreibung das Gespräch mit Ingenieurbüros und Lärmschutzherstellern gesucht.

Gemeinsam wurde diskutiert, wie der Lärmschutz gestaltet werden kann, um den geforderten Schutz bei attraktiver Optik und guter Funktionalität zu liefern.

Dazu musste auch die Ausschreibung so gestaltet werden, dass Neuötting einen Lärmschutz erhält, der sich möglichst harmonisch in das Landschaftsbild einfügt, den Anwohnern den Blick hinter den Lärmschutz ermöglicht und der nachhaltig und bezahlbar ist.

Schnell öffneten sich verschiedene Alternativen: „Zuerst dachten wir an einen Lärmschutzwall“, erklärt Bauamtsleiter Alois Schötz. „Aber der hätte zu viel Fläche verbraucht, die wir nicht zur Verfügung hatten und auch nicht erwerben konnten. Deshalb war schnell klar, dass wir nur eine Lärmschutzwand realisieren konnten. Uns war aber sehr wohl bewusst, dass eine fünf Meter hohe Wand einen massiven Eingriff in das Landschaftsbild bedeutet und wir deshalb eine intelligente Lösung brauchten.“

Schutzwall oder Wand?

Diese Lösung kam von der Firma Kohlhauer, die auf Lärmschutzbauten an Verkehrswegen spezialisiert ist.Kohlhauer baute die Neuöttinger Lärmschutzwand modular auf. Zwischen Trägern wird auf vier Metern Breite der Lärmschutz aus einem patentierten Gitterdämmsystem, Acrylglas und Photovoltaik installiert.

Das Konzept ist leicht anpassbar, sodass dort, wo die Photovoltaik unrentabel ist, lediglich das Gitterdämmsystem eingesetzt wird. Außerdem können einzelne Elemente jederzeit ausgetauscht werden, sollte einmal ein Schaden durch zum Beispiel einen Unfall oder Vandalismus entstehen.

Die 234 Meter lange Lärmschutzwand besteht aus einem Bohrpfahlfundament mit Tragpfosten für die Segmente. Die Pfähle haben einen Abstand von vier Metern.

Diese Pfosten sind mit einer Neigung von etwa fünf Grad in die Fundamente eingelassen, um die Ausrichtung der Solarstrommodule zur Sonne zu verbessern.

Die Felder zwischen den Pfosten sind fünf Meter hoch und jeweils in drei Zonen aufgeteilt:

  • Zone 1 besteht aus einem akustisch wirksamen Gitterdämmsystem, das kurz über der Geländeoberkante auf einem Betonsockel ruht und einen Meter hoch ist.
  • Zone 2 beginnt 1,28 Meter über Geländeoberkante, besteht aus Acrylglas in Aluminiumrahmen und ist 1,50 Meter hoch. Es ist das transparente, durchsichtige Element, das den freien Blick auf die jeweils andere Seite der Schallschutzwand gewährt.
  • Zone 3 besteht aus zwei Solarelementen mit je zwei Modulen auf der Südseite und akustisch wirksamem Gitterdämmsystem auf der Nordseite. Den oberen Abschluss der Konstruktion bildet der Kabelkanal, in dem alle Leitungen des Photovoltaikgenerators verlaufen, gut geschützt vor UV-Strahlung und Beschädigung.

Standardisierte Segmente

Das Photovoltaiksegment ist standardisiert und wird bei Kohlhauer unter dem Namen „Kohlhauer Volta“ geführt. Das System ist für Photovoltaikmodule mit den Maßen 1,65 Meter mal einen Meter vorbereitet, kann aber auch an andere Maße angepasst werden. „Lärmschutz wird immer individuell für den jeweiligen Standort geplant“, weiß Reinhard Kohlhauer. „Die Photovoltaik sollte immer über Kopfhöhe angebracht werden, denn dort ist das Risiko von Verschmutzung, Vandalismus und Graffiti wesentlich geringer als im unteren Bereich.“ Die Photovoltaik will er deshalb außerhalb der Reichweite von Sprayern und Straßenschmutz wissen, weil beschmierte Module ausgetauscht und verschmutzte Module gereinigt werden müssen.

Einen Haken hatte die Sache: Für die Gemeinde wäre diese Lärmschutzwand zu teuer gewesen. Außerdem fehlte das Fachwissen für Betrieb und Wartung. Deshalb wurde die Solarzone an die Energiegenossenschaft Inn-Salzach als Betreiber vergeben. Geplant und installiert hat die Photovoltaikanlage die Maxsolar GmbH in Traunstein, die auch Wartung und Überwachung übernimmt.

Alles erfolgte in enger Abstimmung mit der Stadt Neuötting und der Kohlhauer GmbH. Den Bau der Lärmschutzwand bis zur Photovoltaik führte Beck Lärmschutz GmbH aus Mainburg aus, ein regionales Unternehmen.

Mehrertrag durch leichte Neigung

Wie bereits erwähnt, ist die Lärmschutzwand nicht lotrecht, sondern um fünf Grad gen Norden geneigt. Dadurch steigert sich der Jahresertrag der 65-Kilowatt-Anlage um rund fünf Prozent gegenüber senkrechter Ausrichtung.

„Wir sind von einem kalkulierten Jahresertrag von 800 bis 850 Kilowattstunden pro Kilowatt ausgegangen, was sehr konservativ und vermutlich zu vorsichtig angesetzt ist“, erläutert Christoph Strasser, Vertriebsleiter bei Maxsolar.

Vier bis sechs Prozent Rendite

Eine langfristige Auswertung ist noch nicht vorhanden. „Wir sehen aber schon an den vergangenen Wintermonaten, dass der Trend zu einem positiveren Ergebnis geht.“

Der Vorsitzende der Energiegenossenschaft Inn-Salzach e.G. ist Pascal Lang . „Als Genossenschaftsprojekte in Zusammenarbeit mit den Kommunen können solche Lärmschutzwände Renditen von vier bis sechs Prozent erzielen“, rechnet er vor. „Sie sind somit durchaus interessant, vor allem aber auch unter dem Aspekt der Eigenversorgung ortsnaher Verbraucher.“ Das wäre in Neuötting der geplante Neubau einer Montessori-Schule, die durch den Sonnenstrom versorgt werden könnte.

Das Vertragswerk im Überblick

Der erwartete Jahresertrag der Anlage liegt bei rund 55.000 Kilowattstunden. Die Nutzung der Lärmschutzwand durch die Energiegenossenschaft Inn-Salzach e.G. ist in Form eines Gestattungsvertrags mit der Gemeinde geregelt. Entgelte für die Nutzung fallen für die Genossenschaft nicht an.

Dafür hat sie die Kosten für den oberen Teil der Lärmschutzwand übernommen. Die Leistungen der Kohlhauer GmbH enden am Stecker. Verwaltet, überwacht und gewartet wird die Photovoltaik in Zukunft durch den Photovoltaikprojektierer Maxsolar GmbH im Auftrag der Energiegenossenschaft Inn-Salzach e.G.

Der Autor

Manfred Gorgus

ist Journalist, Autor, Kommunikations- und Marketingexperte für erneuerbare Energien. Aus Wiesbaden stammend, hat er in Deutschland Elektrotechnik und in Großbritannien Journalismus und visuelle Kommunikation studiert. Gorgus ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Tutzing am Starnberger See. Seit 2013 ist er Herausgeber der digitalen Fachinformationen Solar Professionell. In seiner beruflichen Karriere war er im Vertrieb von erneuerbaren Energiesystemen für Schüco tätig und hat für die Agri-Capital GmbH Biogasprojekte entwickelt. Manfred Gorgus wird für unser Medium verstärkt aus Bayern berichten.

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