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Stabilisierung belohnen

Verteilnetze sind das Rückgrat der Energiewende. In dieser Netzebene sind mehr als 95 Prozent aller Windräder und Photovoltaikanlagen angeschlossen. Netzbetreiber Westnetz beispielsweise integriert Ökostrom aus rund 160.000 Anlagen mit einer installierten Leistung von insgesamt 10,5 Gigawatt. Das entspricht etwa zehn Prozent aller Ökostromanlagen hierzulande. Gleichzeitig steigen die Anforderungen durch den weiteren Zubau und den Einstieg in die Elektromobilität.

Sektoren effizient verbinden

„Die Kopplung von Sektoren muss besonders energieeffizient gelingen, vor allem muss sie aber auch kosteneffizient gelingen“, betont Professor Oliver Brückl. Er lehrt an der Ostbayerischen Technischen Hochschule in Regensburg. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Netzstabilität sowie System- und Versorgungssicherheit. Professor Brückl lieferte für die Dena eine Studie, die die Bereitstellung von Regelleistung im Verteilnetz analysiert: Die Randbedingungen sollten ideologiebefreit und technologieoffen gestaltet werden, fordert er.

Das bedeute, einerseits konsequent auf marktwirtschaftliche Prozesse zu setzen und andererseits keine Quersubventionierungen zwischen den Energiebereichen zu erlauben. „Nur geeignete Preissignale können das Zusammenspiel der Millionen von Erzeugungs-, Speicheranlagen sowie Verbrauchern mit Blick auf den Erzeugungsausgleich, aber auch hinsichtlich der Versorgungssicherheit bewerkstelligen“, erklärt Brückl.

Oft werde davon geredet, dass Photovoltaikanlagen die Verteilnetze entlasten. „Das bezieht sich immer nur auf einen temporären Zustand mit sehr hoher Einspeisung“, erklärt Brückl. Aber hier seien wir genau an dem Punkt, sagt er, wo ein umfassender Rundumblick für das System nötig sei. Eine grundsätzliche Entlastung der Netze könne nicht das Ziel sein. Es stelle sich vielmehr die Frage, ob der damit verbundene Netzausbau durch Alternativen kosteneffizienter vermieden wird.

Netze besser ausnutzen

Hierzu wurde in Deutschland bereits 2016 die Kappung von Einspeisespitzen eingeführt. Der Netzbetreiber kann nun anhand der Kosten für die verlorene Energie prüfen, ob diese für ihn geringer oder höher als der Netzausbau ausfallen. „Damit gibt es einen Wettbewerb unter mehreren Technologien“, meint Brückl.

Die Kombination von Photovoltaikanlagen mit Speichern sei nicht unbedingt „der heilige Gral“, wie viele glauben. Denn die Entlastung durch Batteriespeicher bezieht sich nur auf einige Stunden im Jahr. Eine Refinanzierung eines Speichers allein darüber sei kaum möglich. Also braucht es weitere Erlöskanäle oder Geschäftsmodelle. „Es kann demnach strategisch sinnvoll sein, die Speicher eben nicht dort zu installieren, wo sich die Solarparks befinden, sondern zum Beispiel in Verbrauchernähe oder an einer anderen netztechnisch oder strategisch günstigeren Stelle“, erklärt Brückl.

Ein Beispiel aus der Industrie

Ein Beispiel: Ein Industriebetrieb, der sich vor einem Stromausfall absichern möchte, müsse bereit sein, mehr für den Speicher zu bezahlen. „Was nützt es, in der Niederspannung, wo Netzausbau recht einfach und günstig umzusetzen ist, Speicher in Verbindung mit Photovoltaikanlagen zu installieren, wenn sie damit kaum einen sinnvollen Beitrag zur Entlastung in einem Netzabschnitt im Hochspannungsbereich leisten können, dort aber die Kosten viel höher wären“, fragt Brückl und schiebt einen Lösungsvorschlag nach, an dem er mit seinem Team arbeitet: „Wir müssen dahin kommen, dass die Netzbetreiber entsprechende Preissignale für ein netzdienliches Verhalten bilden können – die braucht das System.“

Wenn er auf die Blindleistungsanforderungen blickt, bereitet es Brückl große Sorgen, ob das heutige System geeignet sei, die Energiewende effizient und kostengünstig umzusetzen. „Wir verpflichten alle Anlagen in hohem Maße, Blindleistung kostenlos bereitzustellen“, sagt er. Obwohl das System künftig ein Vielfaches mehr als früher installiert haben wird, gebe es weiterhin Defizite im Übertragungsnetz – für die weiterhin zusätzlich konventionelle Kompensationsanlagen installiert würden, kritisiert er. Und das, obwohl insgesamt über ganz Deutschland gesehen der Blindleistungsbedarf nur gering steige. „Wir installieren zu viel Blindleistung an den falschen Orten“, resümiert Brückl.

Gegen den Widerstand einiger Akteure

Netzbetreiber sollten die Blindleistung künftig vergüten müssen, fordert er. Dann würde ziemlich schnell transparent werden, wo wir wirklich Blindleistung benötigen und wo die Spannungshaltung durch Blindleistung wirklich kostengünstiger wäre als andere Maßnahmen wie eine Einspeisespitzenkappung oder regelbare Ortsnetztransformatoren, um nur einige zu nennen.

„Wir haben für das Bundeswirtschaftsministerium eine Blindleistungsstudie erstellt, in der diese Optimierungspotenziale aufgezeigt werden.“ Hier sieht Brückl einen besonders großen Handlungsbedarf: Es gehe darum, Systemdienstleistungen an den richtigen Stellen im richtigen Umfang mit der richtigen Regeldynamik zu liefern. „Das bedeutet allerdings einen Paradigmenwechsel – und deshalb hohen Widerstand einiger Akteure.“

Die Ziele sind gesteckt. Deutschland will seinen Ökostromanteil von derzeit rund 36 Prozent bis 2030 auf 65 Prozent erhöhen, so steht es im Koalitionsvertrag der Regierung. Ein 12-Punkte-Plan vom Thinktank Agora Energiewende macht konkrete Vorschläge, wie mit einem Bündel von Maßnahmen die Stromnetze in den kommenden zwölf Jahren so modernisiert werden, dass sie die zusätzlichen Mengen aufnehmen und transportieren können.

Stromflüsse digital steuern

Die meisten Maßnahmen ermöglichen eine bessere Auslastung der bestehenden Netze. Das sei bereits mit heutiger Technik möglich. Hierzu zählten ein flächendeckendes Monitoring der Temperatur von Leiterseilen an Hochspannungsmasten sowie der Ersatz vorhandener Leiterseile durch Hochtemperaturleiterseile. Kurzum Maßnahmen, die relativ schnell umzusetzen seien. Zudem solle der Zubau von Windkraftanlagen entlang regionaler Quoten ausgeschrieben werden, um den Transportbedarf zu verringern.

Eine weitere Option: Aktive Steuerungstechnik in Umspannwerken dirigiert Stromflüsse von hoch belasteten auf weniger belastete Netzteile um. Zudem könne das Übertragungsnetz mittelfristig mithilfe der Digitalisierung auf einen zunehmend automatisierten Betrieb umgestellt werden. Das ermögliche eine erheblich höhere Auslastung im Vergleich zu heute.

Unter der Führung des niederländischen Netzbetreibers Alliander planen mehrere Regionalversorger den Aufbau neuer Funknetze mit 450 Megahertz. So könnten Millionen Stromerzeuger und Verbraucher sicher digital kommunizieren.

Eine sichere Steuerung der Stromnetze aus den Leitwarten wird ebenso möglich wie die Anbindung an Smart Meter bei Verbrauchern und für eine Notfallkommunikation. Die Funktechnik funktioniert mit einer sehr hohen Verfügbarkeit und zeitlichen Auflösung. Eine stärkere Digitalisierung des Stromnetzes bringt durchaus Chancen.

Digitalisierung kann mehr leisten

„Allerdings hat Deutschland die Digitalisierung dahin gehend minimiert, dass nur dort gehandelt werden muss, wo man nach heutigem Wissen Informationen für den stabilen Netzbetrieb braucht“, kritisiert Professor Jochen Kreusel, Smart-Grid-Experte bei ABB. Dass Digitalisierung auch andere Angebote im Strommarkt bedeuten könnte, sei dabei völlig auf der Strecke geblieben, mahnt Kreusel und nennt dafür einige Beispiele: „Dazu zählen Akteure, die mit dezentralen Komponenten systemdienliche Leistungen erbringen möchten, oder solche, die den Verbrauchern bessere Informationen zur Verfügung stellen.“

www.zukunftsnetz.net

Alliander

Sichere Kommunikation gegen Blackout

Regionalversorger streben den Aufbau von 450-Megahertz-Funknetzen an. So könnten Millionen Stromerzeuger und Verbraucher sicher digital kommunizieren. Die mit 450 Megahertz ausgestatteten Funknetze dienen der sicheren Steuerung der Stromnetze aus den Leitwarten sowie der Anbindung an Smart Meter bei Verbrauchern und für die Notfallkommunikation. Der Clou: Anders als Telekommunikationsnetze funktionieren die Funknetze mit einer sehr hohen Verfügbarkeit und zeitlichen Auflösung: Geräte im Keller werden über diesen Standard besser erreicht und die Signale werden in Intervallen von unter vier Sekunden abgerufen – man kann also durchaus von einer Steuerung in Echtzeit sprechen.

Die 450-Megahertz-Frequenz könnte eine kritische Infrastruktur wie die Energieversorgung besser schützen, wenn sie möglicherweise nur exklusiv für die Energieversorgung genutzt werden kann. Es bleibt also eine reine Kommunikation zwischen Maschinen oder Geräten. Das hängt auch vom Ausschreibungsdesign der Bundesnetzagentur ab, die nach 2020 neue Lizenzen für die 450-Megahertz-Frequenz vergibt. Eine offene Ausschreibung gelte es deshalb zu verhindern, betont Stefan Kapferer, Chef vom Branchenverband BDEW.

Der niederländische Stromnetzbetreiber Alliander hat bereits eine offene Plattform mit dem Namen 450-Connect gegründet und wirbt um regionale Energieversorger, um eine flächendeckende Verbreitung des Standards zu erreichen. In den Niederlanden betreibt Alliander bereits seit Jahren ein solches Netz und auch in Deutschland gibt es mehrere Pilotprojekte wie beim Versorger EWE.

Besonderes Merkmal ist, wie Fachleute sagen, die Schwarzfallsicherheit. „Herkömmliche Telekommunikationsnetze fallen ohne Strom nach wenigen Stunden aus. Unsere Lösung ist mehrfach abgesichert und funktioniert hundertprozentig“, verspricht Thomas Murche, Vorstand bei der Wemag. Sollte es je zu einem flächendeckenden Blackout kommen, könnten die Stromnetze schnell wieder hochgefahren werden. Murche: „Ohne funktionierende Kommunikationsmöglichkeit wäre das sehr schwer bis unmöglich.“

www.alliander.de

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