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Zitterpartie in Polen

In Polen gehört die Photovoltaik zum Straßenbild wie Verkehrsschilder oder Zebrastreifen. Auf der Fahrt zur Fachmesse Enex im polnischen Kielce hört man irgendwann auf, die vielen kleinen Solarinseln am Straßenrand zu zählen. Sie versorgen Verkehrszeichen, die Tag und Nacht blinken. „Wir haben im Jahr 1999 die ersten Anlagen an einem Fußgängerüberweg in der Nähe von Warschau installiert“, erinnert sich Stanisaw Pietruzko.

Inzwischen ist er Präsident des polnischen Branchenverbandes Polskie Towarzystwo Fotowoltaiki, der in der polnischen Hauptstadt sitzt. Kielce befindet sich rund 200 Kilometer südöstlich, in Mittelpolen. In den vergangenen Jahren kamen unzählige Anlagen hinzu, sie machen einen erheblichen Anteil am gesamten Zubau in Polen aus. Wie viele Solarinseln in Polen blinken, weiß auch Pietruzko nicht. Klar ist nur, dass es immer mehr werden. Der Experte schätzt, dass im vergangenen Jahr solche Offgrid-Systeme mit einer Gesamtleistung von 600 bis 700 Kilowatt installiert wurden. Das wäre fast ein Fünftel des gesamten Zubaus in Polen im Jahr 2013.

Das öffentliche Bild trügt, denn die Photovoltaik kommt in Polen nicht in Fahrt. Die Statistiker in Warschau gaben den Zubau im vergangenen Jahr mit zwei Megawatt an. Allerdings erfassen sie nur die tatsächlich ans Netz angeschlossenen Anlagen. Die Inselanlagen kommen in der amtlichen Statistik überhaupt nicht vor. Immerhin: Der Zubau hat den Anlagenbestand in Polen auf nunmehr rund vier Megawatt verdoppelt. Insgesamt 17 netzgekoppelte Anlagen wurden gezählt.

Hürden im Gesetz beseitigt

Nach Schätzungen von Insidern machen die netzgekoppelten Anlagen weniger als die Hälfte der polnischen Solarleistung aus. Im Vergleich zu autarken Inseln haben sie im vergangenen Jahr einigen Boden gutgemacht. Ein Grund könnte die Novelle des Energiegesetzes im August 2013 sein. Sie hat die Bedingungen für kleinere Anlagen bis 40 Kilowatt vereinfacht.

Fortan gilt der Verkauf von Sonnenstrom aus solchen Mikroanlagen nicht mehr als wirtschaftliche Tätigkeit. Das hatte einige Konsequenzen: „Bisher konnten die Konzessionen für den Stromverkauf nur von juristischen Personen und nicht von natürlichen Personen erworben werden“, erläutert Stanisaw Pietruzko. „Wenn also jemand eine Solarstromanlage auf sein Einfamilienhaus bauen und den Strom verkaufen wollte, musste er ein Unternehmen gründen. Dann muss er neben den Steuern auch Sozialabgaben bezahlen.“ Er hat nachgerechnet, für drei Kilowatt vom Hausdach: „Man bekommt 1.000 Zloty pro Jahr für den Verkauf des Stroms. Das sind etwa 250 Euro. Gleichzeitig muss man 750 Euro pro Jahr Sozialabgaben zahlen.“ Diese Hürde wurde endlich aus dem Energiegesetz gestrichen.

Eine zweite Verbesserung hält das neue Energiegesetz für den Netzanschluss bereit. Er ist für die Betreiber von Mikroanlagen jetzt einfacher und vor allem kostenlos. Bisher musste der Anlagenbetreiber die Hälfte des finanziellen Aufwandes tragen, der beim Netzbetreiber für den Anschluss des Generators anfiel.

Netzanschluss vereinfacht

Damit war der Bau einer Photovoltaikanlage für den Eigenverbrauch komplett unwirtschaftlich, wenn der Überschussstrom ins Netz eingespeist werden sollte. Mit der Änderung des Energiegesetzes wurde diese Regelung nichtig. Jetzt muss der Netzbetreiber die gesamten Kosten für den Netzanschluss tragen. Zusätzlich ist er gezwungen, die Anlage spätestens 30 Tage nach Einreichung des Netzanschlussbegehrens anzuschließen, wenn sie mit Niederspannung einspeist.

Anhaltender Druck aus Brüssel

Der Gesetzgeber hat sein Herz für Solaranlagen nicht plötzlich entdeckt. Vielmehr reagierten die Beamten auf Druck aus Brüssel. Seit fünf Jahren drängt die Europäische Kommission Polen dazu, den Ausbau der erneuerbaren Energien stärker zu unterstützen. Die Richtlinie 2009/28/EG hätte Warschau schon 2010 umsetzen müssen. Sie legt fest, dass der Anteil der erneuerbaren Energien am Gesamtenergieverbrauch bis 2020 auf 15 Prozent steigen muss. Mit dem neuen Energiegesetz erfüllt Polen formal die Pflichten, die Brüssel allen Staaten der EU auferlegt hat.

Allerdings will Warschau die kleinen Solarstromanlagen vom Energiemarkt fernhalten. Das wird angesichts der neuen Vorschriften zur Einspeisevergütung deutlich. Die Anlagenbetreiber dürfen ihren Solarstrom für maximal 80 Prozent des Großhandelsstrompreises verkaufen. Dieser liegt derzeit bei 200 Zloty pro Megawattstunde. Damit bringt der Solarstrom gerade 160 Zloty pro Megawattstunde. Das sind umgerechnet vier Eurocent pro Kilowattstunde.

Auch den Netzbetreibern hat die Regierung ein Hintertürchen offen gelassen. Sie dürfen den Anschluss der Anlagen ablehnen, wenn die Netzkapazität nicht ausreicht oder der Anschluss wirtschaftlich nicht vertretbar ist. Genau an diesem Punkt sieht die Solarbranche ein Problem. Das polnische Verteilungsnetz ist marode. Die Netzbetreiber müssten es erst einmal fit machen für den Anschluss vieler kleiner Anlagen, die volatilen Strom einspeisen, argumentiert Stanisaw Pietruzko.

Zuschüsse und günstige Kredite

Deshalb wird vor allem die Zahl der Inselanlagen steigen, bisher rund vier Megawatt Photovoltaikleistung. Dazu gehören die kleinen Solarmodule am Straßenrand. Auch auf Dächern von Einfamilienhäusern liefern Solarmodule sauberen Strom für den Eigenbedarf. Die Betreiber sind meistens Enthusiasten, denn die Strompreise sind in Polen sehr niedrig. Das Land verfügt über ausreichende Lagerstätten an Steinkohle, die verstromt wird. In ländlichen Gebieten spielt die Verstromung von Biomasse eine zunehmende Rolle. „Die Preise für Haushaltsstrom liegen je nach Netzbetreiber und Anbieter bei durchschnittlich 600 Zloty pro Megawattstunde“, rechnet Stanisaw Pietruzko vor. Umgerechnet sind das etwa 15 Eurocent pro Kilowattstunde.

Die Regierung will dieses Problem mit einem Marktanreizprogramm beheben, das sich schon bei der Solarthermie bewährt hat. Statt mit einer kostendeckenden Einspeisevergütung lockt sie mit Investitionszuschüssen.

Dazu hat der Nationale Fonds für Umweltschutz und Wassermanagement ein Programm für sogenannte Prosumenten aufgelegt. Der Bau von kleinen Anlagen wird mit 40 Prozent der Investitionssumme unterstützt. Für die restlichen 60 Prozent bekommen die Investoren einen günstigen Kredit, der mit einem Prozent verzinst wird. Er ist innerhalb von 15 Jahren fällig. „Das wird nicht viel ändern“, befürchtet Pietruzko. „Solch ein Programm kann einen Startimpuls geben, aber nicht der Motor für den Zubau sein.“ Immerhin: Diese Sache ist in trockenen Tüchern. Und 40 Kilowatt sind kein Pappenstiel, auch wenn sie in Polen als Mikroanlagen eingestuft werden.

Keine Grünstromzertifikate mehr

Anders bei den größeren Anlagen, wo die Situation besonders unübersichtlich ist. Anfang April hatte die Regierung in Warschau vorgeschlagen, dass große Anlagen auszuschreiben sind. Das bisherige System der Grünstromzertifikate wird abgelöst. Bis vor Kurzem bekam jeder Anlagenbetreiber für seinen eingespeisten Strom eine bestimmte Menge an Grünstromzertifikaten. Diese konnte er an der Zertifikatbörse in Warschau anbieten, wo die Produzenten von konventionellem Strom die Wertpapiere kaufen mussten, um Kohlendioxid ausstoßen zu dürfen. Die Menge an Grünstromzertifikaten war fest vorgeschrieben. Sie orientierte sich am tatsächlichen Ausstoß von Treibhausgasen.

Warschau will mit der Einführung eines Ausschreibungssystems die Kosten für die Energiewende begrenzen. Mit der Weiterführung der bisherigen Zertifikate würde die Energiewende in Polen im Jahr 2015 etwa 4,6 bis 6,2 Milliarden Zloty (1,15 bis 1,55 Milliarden Euro) kosten. Im Jahr 2020 steigt die Förderung über die bisherigen grünen Zertifikate auf 7,5 bis 11,5 Milliarden Zloty (1,88 bis 2,88 Milliarden Euro), behauptet das Wirtschaftsministerium in Warschau. „Das Auktionssystem wird so gestaltet, dass es den Wettbewerb zwischen allen erneuerbaren Energien sichert, was letztlich zu einer kosteneffizienteren Installation der Anlagen führt“, begründet die Regierung die Einführung des Auktionssystems.

Einmal im Jahr wird versteigert

Die Auktionen werden einmal pro Jahr von der zuständigen Regulierungsbehörde in Warschau organisiert. Sie gibt die Kraftwerksleistungen, die unter den Hammer kommen, 30 Tage vor Auktionsbeginn bekannt. Es gewinnen diejenigen Anbieter, die den niedrigsten Strompreis versprechen. Die Regulierungsbehörde gibt einen Höchstpreis vor, der nicht überschritten werden darf. Damit sichert sie, dass die Tarife nicht zu sehr steigen, falls sich zu wenige Bieter finden.

„Das Auktionssystem ist die schlechteste Variante“, kritisiert Pietruzko. „Denn es bevorzugt die großen Mitbewerber.“ Außerdem wird die Regierung in Warschau weiterhin die Kohleverstromung begünstigen, indem sie das sogenannte Co-Firing in die Kapazitäten der erneuerbaren Energien einbezieht. Dabei wird der Kohle zusätzlich Biomasse beigemischt und in den alten Kohlekraftwerken verbrannt. „Wir haben eine große Lobby der konventionellen Energieerzeugung“, sagt Radosaw Gutowski. Er hat den polnischen Solarmarkt von der Pike auf erlebt. „Änderungen durchzusetzen ist harte Arbeit.“ Derzeit bereitet er in wöchentlichen Schulungen die Handwerker auf den erhofften Boom des polnischen Photovoltaikmarktes vor.

Ob dieser Boom kommen wird, bleibt fraglich. Denn die neuen Gesetze müssen erst noch das polnische Parlament passieren, den Sejm. Die Kohlelobby ist in Polen ein faktisch normativer Faktor, stützt sich die einflussreiche Gewerkschaftsbewegung Solidarno doch in erster Linie auf die Kumpel der Kohleflöze und Stahlhütten in Oberschlesien. Sie fürchten um ihre Jobs, wenn die erneuerbaren Energien das Rennen machen.

Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Zwar gibt es inzwischen schon 200 Unternehmen, die sich mit der Photovoltaik beschäftigen. Darunter befindet sich ein Dutzend Modulhersteller. Aber die meisten sind Kleinbetriebe mit weniger als 20 Beschäftigten. Immerhin hat die Photovoltaik im geplanten Ausschreibungssystem eine Chance. Denn die Auktionen von Anlagen mit einer Leistung bis zu einem Megawatt werden von den Ausschreibungen für die großen Solarparks getrennt. Hier konkurriert der Solarstrom mit deutlich teurerem Strom aus Biogasgeneratoren. Für Windräder – in Polen der dominierende Sektor unter den Erneuerbaren – sind solche Leistungen zu gering, um sich zu lohnen.

Trotz dieser Situation war die Stimmung auf der Fachmesse in Kielce im März optimistisch. In Polen hat sich die Branche offensichtlich viel Geduld angewöhnt. Außerdem hofft sie auf sinkende Anlagenpreise, wenn der Zubau erst einmal richtig losgeht. „Denn wir werden in Zukunft mehr große Photovoltaikanlagen mit einer Leistung von jeweils über einem Megawatt bekommen“, prognostiziert Stanisaw Pietruzko. „Die Eigentümer werden die Netzbetreiber sein. Bei den Auktionen kann sie niemand schlagen. Schließlich haben sie die niedrigsten Kosten für den Betrieb eines Solarparks.“

Nach Schätzungen von polnischen Experten befinden sich Solarstromprojekte mit einer Gesamtleistung von 300 bis 400 Megawatt in Planung. „Die Projekte werden weiterentwickelt“, weiß Konrad Wisniewski. Er arbeitet für den polnischen Projektentwickler PV Polska, wo er für die Planung und Finanzierung von großen Anlagen zuständig ist. „Derzeit bereiten wir viele Projekte bis zur Baugenehmigung vor, mit einer Leistung von bis zu zehn Megawatt. Angesichts des Gesetzentwurfs werden sich größere Anlagen kaum lohnen.“

Bis zur Baugenehmigung entwickelt

Die Weiterentwicklung der Projekte ist von entscheidender Bedeutung, sollte das Ausschreibungssystem durch den Sejm kommen. Dann müssen die Anlagen, die eine Auktion gewonnen haben, innerhalb von 24 Monaten nach dem Stichtag der Auktion Strom liefern. Bei Wisniewski liegen zwölf Projekte in der Schublade. „Für fast alle Projekte haben wir schon die Baugenehmigung. Für ein Projekt mit einem Megawatt geplanter Leistung haben wir sogar die Zusage für einen Netzanschluss“, sagt er. „Auch der Pachtvertrag über 30 Jahre für die drei Hektar große Fläche ist unterschrieben.“

Das zweite Problem ist, überhaupt einen Netzanschluss zu bekommen. Konrad Wisniewski hat derzeit acht Anträge für Anschlüsse ans Mittelspannungsnetz bei den Netzbetreibern laufen. „Sie haben maximal 150 Tage Zeit, um den Antrag zu bearbeiten“, erklärt er. „Aber ich werde wohl nicht für alle Projekte einen Netzanschluss bekommen. Die Netzbetreiber machen ihre Untersuchungen, wie viel Kapazität im Netz noch vorhanden ist. Wenn sie zu dem Ergebnis kommen, dass die Kapazität nicht ausreicht, lehnen sie den Anschluss ab.“

Auf diese Weise werden die Investoren dreifach verunsichert. Auf der einen Seite stehen die gesetzlichen Rahmenbedingungen noch nicht fest, solange das Gesetz nicht vom Sejm verabschiedet und vom Präsidenten unterschrieben ist. Zudem müssen sich die Photovoltaikanlagen noch gegen ihre Konkurrenten im Auktionsverfahren durchsetzen. Und zum Schluss müssen die Netzbetreiber mitspielen. Auf diese Weise wird die Photovoltaik in die Nische der Kleinanlagen abgeschoben. Der Boom wird vertagt. Dennoch: Von gedrückter Stimmung ist in den Messehallen von Kielce nichts zu spüren. Die Solarteure in unserem Nachbarland sind leidgeprüft und – duldsam.

http://www.pv-poland.pl

Polnisches Fachmedium

Fotowoltaika mit Hilfe aus Berlin

Die polnische Fachzeitschrift fotowoltaika wird in Warschau vom Instalator Polski herausgegeben. Er gehört zu den internationalen Schwestermedien der photovoltaik. Die Redaktionen in Berlin und Warschau halten engen Kontakt, um die neuesten Entwicklungen auf dem polnischen Markt zu verfolgen. Zugleich profitieren die polnischen Kollegen von technischen Innovationen aus Deutschland und engen Kontakten zur deutschen Solarindustrie.

http://www.elektroinstalator.com.pl/fotowoltaika

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