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Das Netz hat Vorfahrt

Eine Armada von kleinen Kraftwerken in Hamburg startet den Betrieb. Denn der Strompreis an der Börse ist genau jetzt besonders hoch. Und der Ökostromanbieter Lichtblick verdient Geld mit dem Stromverkauf am Spotmarkt. Ein unsichtbarer Dirigent hat einen Tag zuvor Fahrpläne an die kleinen Generatoren über das Internet verteilt. Denn die Software sagt wenig Strom aus Sonne und Wind für den nächsten Tag voraus.

Aber: Der gezielte Einsatz flexibler Minikraftwerke kann auch das lokale Stromnetz entlasten und dadurch Investitionen in das Stromnetz deutlich hinauszögern. Das ist zumindest das Ergebnis eines Praxistests. Der Netzbetreiber Stromnetz Hamburg und der Ökoenergieanbieter Lichtblick haben intelligent gesteuerte Blockheizkraftwerke (BHKW) im hanseatischen Netz erprobt. Als ein Meilenstein in der Entwicklung von Smart Grids beschreibt das Dietrich Graf. Er ist technischer Geschäftsführer bei Stromnetz Hamburg. „Mit diesem Feldtest konnten wir erste Ergebnisse erzielen, ob sich BHKW für eine schnelle und zuverlässige Reaktion auf lokale Schwankungen im Netz einbinden lassen“, erklärt Graf.

Wo hakt es?

Erstmals haben Techniker in einem praxisnahen Test das Zusammenspiel zwischen Marktpartnern und einer intelligenten Netzinfrastruktur hergestellt. „Die dezentralen Anlagen können kurzfristig das lokale Stromnetz entlasten und sind deshalb zu kurzfristigen Verzögerungen von Großinvestitionen geeignet“, erklärt Graf. Insgesamt verringern sich die Netzinvestitionen allerdings laut Graf nicht, da diese auf einen Zeitraum von 40 bis 50 Jahre ausgelegt sind.

Hamburg steuert smart

Momentan können Netzbetreiber unter den gültigen Vorschriften die Einsparungen nicht an den Anlagenbetreiber weitergeben. „Diese regulatorischen Anreize für Flexibilitätsoptionen bestehen derzeit noch nicht“, bedauert Graf. Zudem zeigen die Erfahrungen, dass der netzlastgeführte Betrieb gegenüber einem an der Strombörse geführten Betrieb zu starken Einbußen beim BHKW-Betreiber führt – welche nicht durch die gesparten Kosten des Netzbetreibers getilgt werden.

Für den zwei Jahre laufenden Feldtest im Hamburger Stadtteil Jenfeld setzte Lichtblick zehn Blockheizkraftwerke mit einer elektrischen Gesamtleistung von 200 Kilowatt ein. Seine Minikraftwerke nennt der Ökostromanbieter „Zuhausekraftwerke“. Die Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) versorgen in unmittelbarer Nachbarschaft fünf große Mietshäuser mit Heizenergie. Wobei der Wärmespeicher mit rund 2.000 Litern fünf bis zehn Mal größer ausgelegt wurde als üblich. Während die Wärme so vor Ort gespeichert werden kann, optimiert eine Leitstelle den Betrieb der BHKW – ganz nach dem Strombedarf im Netz. Denn Nachfrage und Erzeugung müssen sich immer ausgleichen. Die Steuerung übernimmt dabei die vom Hamburger Ökostromanbieter entwickelte Plattform namens Schwarmdirigent, der unsichtbare Steuermann.

Die Anlagen starten also bei einer Lastspitze, wenn die Stromnachfrage im lokalen Netz besonders hoch ist. Dabei gelang es im Testbetrieb mit einer Zuverlässigkeit von über 97 Prozent, bei hoher Nachfrage Strom aus den Minikraftwerken zu liefern und so das Stromnetz zu entlasten.

Einerseits könnten lokale Investitionen in Transformatoren oder Stromleitungen reduziert werden. Andererseits seien die erforderlichen Ersatzinvestitionen in lokale Kraftwerke gering, sagt Gero Lücking, der die Geschäftsführung Energiewirtschaft bei Lichtblick verantwortet. Denn die Immobilienbesitzer im Netzgebiet investieren ohnehin in Heiztechnik. Die BHKW produzieren also Wärme für die Gebäude und dazu Strom für das Netz. Das Projekt kostete insgesamt 2,9 Millionen Euro. Wobei das Bundeswirtschaftsministerium 930.000 Euro Fördergeld beisteuerte.

Königsdisziplin Regelenergie

Minikraftwerke können auch die Königsdisziplin der Stromerzeugung: Regelenergie bereitstellen. Dieser Strom korrigiert binnen weniger Minuten Schwankungen im Netz. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn plötzlich ein Kraftwerk ausfällt oder der Stromverbrauch von Haushalten und Gewerbe unerwartet steigt. Die Regelenergie sorgt dafür, dass Stromnetze jederzeit stabil sind und eine Frequenz von 50 Hertz aufweisen. Die Frequenz ist dabei vergleichbar mit dem Pulsschlag im menschlichen Körper.

Eine Kategorie der Regelenergie bildet die Sekundärregelleistung, kurz SRL. Ein sperriger Begriff, der vor allem besagt, dass Strom besonders schnell bereitstehen muss. Bislang bilden vor allem große Gaskraftwerke oder Pumpspeicher diese schnelle Eingreiftruppe für stabile Netze. Ihre Leistung muss von den Netzbetreibern auf Knopfdruck binnen fünf Minuten bereitstehen. Sie müssen auch überschüssigen Strom aus dem Netz aufsaugen können. Ein Schwarm von Blockheizkraftwerken soll künftig ebenso schnell, zuverlässig und wirtschaftlich wie Großkraftwerke die SRL anbieten, wenn es nach Lichtblick geht.

Ein Testat pro Kraftwerk

Die Eingangshürden für die Teilnahme an diesem speziellen Strommarkt für stabile Netze sind hoch. Nach der aktuellen Vorgabe braucht jedes Kraftwerk ein sogenanntes Testat – für Kleinanlagen wäre das aber viel zu teuer. Nach mehrjähriger Entwicklung kann der Ökostromanbieter nun einen Pool von 1.000 Mini-BHKW als virtuelles Regelkraftwerk anbieten.

Die Hamburger entwickelten diese Stromvermarktung für die eigene Plattform Schwarmdirigent. Künftig können so auch andere Kraftwerkstypen oder Batteriespeicher am SRL-Markt teilnehmen. Der Markt belohnt diese Flexibilität derzeit aber noch nicht: Anders als für den Netzausbau, der über die Netzentgelte finanziert wird, gibt es zurzeit keine Anreize für eine Bereitstellung von steuerbaren Kraftwerken, Speichern oder Lasten zur Netzoptimierung.

Zu diesem Schluss kommt auch eine Studie der Berater von Kema Consulting: Obwohl der Einsatz von BHKW zum Ausgleich lokaler Netzschwankungen volkswirtschaftlich sinnvoll sei, „bestehen für Verteilnetzbetreiber nur geringe Anreize, Netzinvestitionen durch andere Maßnahmen zu vermeiden“, heißt es in dem Papier. „Ein Geschäftsmodell für Lichtblick, welches darauf beruht, Zuhausekraftwerke wesentlich durch einen lastgesteuerten Einsatz zur Vermeidung von Netzausbau zu finanzieren, würde also maßgebliche Änderungen der bestehenden regulatorischen Rahmenbedingungen notwendig machen.“

Eine Anpassung des sogenannten Erweiterungsfaktors bei der Bundesnetzagentur in Bonn sei am ehesten „relativ einfach in das bestehende Regime der Anreizregulierung zu integrieren“, heißt es. Die Netzbetreiber könnten dann die Obergrenze für Erlöse nach oben verschieben.

Kein Geschäftsmodell

Der Börsenstrompreis variiert nur gering und liegt meist zwischen zwei und fünf Cent pro Kilowattstunde. Eine zeitliche Verschiebung des Verbrauchs über mehrere Stunden lohnt sich deshalb finanziell kaum, argumentiert Gunnar Kaestle. Denn die Netznutzungsentgelte gelten nach der entsprechenden Verordnung (StromNEV) als nicht beeinflussbar durch den Netzbetreiber. Kaestle ist wissenschaftlicher Beirat des BHKW-Forums und zudem Mitglied im Vorstand des Bundesverbandes Kraft-Wärme-Kopplung. Derzeit promoviert er über virtuelle Kraftwerke in den Verteilnetzen der Zukunft am Institut für Elektrische Energietechnik und Energiesysteme der Technischen Universität Clausthal.

„Der Netzbetreiber wird heute nicht belohnt, wenn er seine Netzspitze gegenüber einem vorgelagerten Netz reduziert.” Dabei sieht Kaestle durchaus ein hohes technisches Potenzial, um das Stromnetz durch flexible Verbraucher zu stabilisieren – künftig auch verstärkt durch mehr Elektrofahrzeuge auf der Straße.

Anlagen nicht zentral steuern

„Nicht eine zentrale Leitwarte sollte die Grundrichtung vorgeben, sondern die Anlage sollte sich selbst steuern“, erklärt Kaestle. Beispielsweise kann die lokale Lastsituation entlang einer Niederspannungsleitung geschätzt werden. Und zwar über die messbare Spannungsänderung am Verbindungspunkt. „Technisch ist die Spannungs- und Frequenzmessung über die Sensoren des Netz- und Anlagenschutzes bereits machbar, um Einfluss auf die Anlagenfahrweise zu nehmen“, erklärt Kaestle. Eine zentrale Steuerung der kleinen Generatoren hält er dagegen für sehr aufwendig. Ein praktikables Geschäftsmodell, das die Kosten niedrig halte, fehle zudem, führt Kaestle aus. „Ein pauschaler Bonus für eine netzdienliche Regelleistung könnte helfen, endlich Bewegung in die Sache zu bringen.“

Ein pauschaler Bonus

Dieser Bonus für einen selbstregelnden Effekt zur Spannungs- und Frequenzstützung mittels kleinster Anlagen am Niederspannungsnetz wäre kein Geschenk vom Gesetzgeber, sagt Kaestle, sondern eine pauschale Vergütung für eine real erbrachte Dienstleistung.

Er resümiert: „Eine pauschale Abrechnung spart viel Papierkram und damit auch Kosten – und das sowohl beim Anlagenbetreiber als auch beim Netzbetreiber.“

Lichtblick/ VW

Verkauf von BHKW beendet

Lichtblick bietet zukünftig keine Blockheizkraftwerke von Volkswagen mehr an. Das verkündete der Ökostromanbieter Ende Mai. „Volkswagen hat den langfristigen Kooperationsvertrag zur Entwicklung und Lieferung von BHKW scheitern lassen“, sagt Heiko von Tschischwitz, Vorsitzender der Geschäftsführung bei den Hamburgern. VW hält laut Lichtblick wesentliche wirtschaftliche Vertragsvereinbarungen nicht ein. „Letztendlich wollte VW uns Bedingungen diktieren, die vollkommen inakzeptabel sind“, erläutert von Tschischwitz. Zuletzt habe VW die finanziellen Forderungen immer weiter in die Höhe geschraubt. Der Ökostromanbieter werde deshalb Schadensersatz für das entgangene Geschäft einfordern. Die Aufgabe des Geschäftsfelds bedeutet auch einen Stellenabbau von rund 70 der insgesamt 470 Mitarbeiter. Für die Besitzer eines sogenannten Zuhausekraftwerks ändert sich nichts. Bestehende Verträge wird Lichtblick erfüllen.

Hintergrund: Nach dem Start der Zusammenarbeit zwischen VW und Lichtblick im Jahr 2009 führten technische Probleme zunächst zu Verzögerungen. Diese konnten jedoch gelöst werden. Bisher sind 1.000 Minikraftwerke im Markt. Für den Konzernumsatz von Lichtblick spielt das BHKW-Geschäft bisher nur eine untergeordnete Rolle. „Der BHKW-Markt steht vor einem Durchbruch und bietet enorme Wachstumspotenziale“, sagt von Tschischwitz. Beispielsweise eignen sich Mehrfamilienhäuser, Gewerbebetriebe, Kitas, Kirchen oder Hotels gut für den wirtschaftlichen Einsatz der kleinen Kraftwerke.

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Sonnenbatterie/Vaillant

Energieautark mit Stromspeicher und Mikro-BHKW

Heizungsspezialist Vaillant nutzt ab sofort die Stromspeicher des Unternehmens Sonnenbatterie und integriert sie in das eigene Produktportfolio. Zentrales Element ist dabei ein aufeinander abgestimmtes Komplettsystem aus Photovoltaikanlage, einem Mikro-Blockheizkraftwerk (BHKW) und einem Stromspeicher. Dieser speichert überschüssigen Solarstrom, der am Abend wieder verbraucht werden kann.

An kurzen, dunklen Wintertagen reicht der Sonnenstrom allein jedoch nicht mehr aus. Dann unterstützt das Mikro-BHKW die Photovoltaikanlage und liefert nicht nur Wärme, sondern auch Strom. Ohne den Stromspeicher würde ein Teil des BHKW-Stroms ins Netz eingespeist, da der Generator fast rund um die Uhr in Betrieb Strom liefert. Der selbst erzeugte Strom landet also im Speicher. Nutzer eines solchen Systems können damit über das gesamte Jahr hinweg nahezu 100 Prozent des jährlichen Strom- und Wärmebedarfs selbst abdecken. „Viele Kunden wollen energetisch maximal autark sein“, erklärt Sonnenbatterie-Geschäftsführer Christoph Ostermann. Dazu gehört aber nicht nur Strom, sondern auch Wärme.

Die Verbindung der Sonnenbatterie mit einem BHKW erfolgt über eine standardmäßige Schnittstelle. Die Elopack-Speicher bietet Vaillant mit einer Kapazität von 5 bis 20 Kilowattstunden an. Über die Notstromfunktion lässt sich sicherstellen, dass Haushalte auch bei einem Stromausfall weiter mit Energie versorgt werden. Aufgrund weiterer Schnittstellen kann der Speicher auch eine Wärmepumpe ansteuern oder den Strom einer Brennstoffzelle speichern.

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